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Geschichte des Jüdischen Friedhofs in Seelow

Friedhofsgrundstück mit Banner der Erinnerung
Foto: Benjamin Wood
Grundstück des Jüdischen Friedofs in Seelow mit dem Banner der Erinnerung

Das Gelände des jüdischen Friedhofs in der Hinterstraße 12A (Flur 12, Flurstück 91, Grundbuchblatt 1040) in der Nähe des heutigen Busbahnhofs ist im Stadtkataster mit einer Fläche von etwa 500 m² eingetragen. In den Messtischblättern von 1909 und 1925 ist er im Quadrat 57/22 durch ein kleines Rechteck mit „LL“ markiert. Es gibt heute aber keine Hinweise darauf, dass sich hier jemals ein jüdischer Friedhof befand.

Der Ortschronist der Stadt Seelow, Michael Schimmel, schreibt über eine alte Überlieferung, der zufolge ein Stück Land links der Straße in Bruch einst als „jüdischer Kirchhof“ bekannt war, auf dem Juden getötet oder auf andere Weise umgekommen sein sollen und begraben wurden. Er vermutet, dass die Grabstätte am Ende der Hinterstraße möglicherweise schon vor der ersten jüdischen Bestattung im Bezirk stattfand, der im Jahr 1800 verstorbenen Miriam, Tochter von Jehuda Isher aus Gusow. Das Bestattungsregister verzeichnet 80 Bestattungen zwischen 1800 und 1876.

Weitere 34 Bestattungen lassen sich aus den im Landeshauptarchiv und dem Standesamt Seelow erfassten jüdischen Sterbefällen von 1876 bis 1940 ableiten, insgesamt also 114 Bestattungen. Die meisten Bestattungen erfolgten Ende des 19. Jh., als die Jüdische Gemeinde mit 67 Personen auch ihre Blütezeit erlebte.

Aufgrund von Abwanderung verlor die Jüdische Gemeinde in Seelow so viele Mitglieder, dass sie 1909 ihren Friedhof in städtische Verwaltung übergab. In den frühen 1930er Jahren lebten dann nur noch wenige jüdische Familien in der Stadt, so dass sie auch ihre Synagoge verkauften, die ohnehin in einem sehr schlechten Zustand war.

Während der NS-Zeit, in der Reichspogromnacht am 10. November 1938, kam es auf dem Friedhof zu Vandalismus. Nach Angaben des Historikers Reinhard Schmook war damals nur der vordere Teil des Friedhofs mit einer Größe von etwa 40 x 14 m zugänglich. Weiter hinten war Unterholz. Insgesamt sollen dort noch etwa 20 Grabsteine gestanden oder gelegen haben, von der ehemaligen Friedhofsmauer stand jedoch nur noch die Nordseite.

Mit der Beisetzung von Max Philippsborn erfolgte Ende 1940 die letzte dokumentierte Beerdigung auf dem jüdischen Friedhof. Gestorben war er am 26. November 1940 in Seelow an den Folgen der Misshandlungen, die er nach seiner Verschleppung ins KZ Sachsenhausen erlitten hatte. Obwohl in seiner Sterbeurkunde als Todesursache Arteriosklerose angegeben ist, erwähnt die Zeitzeugin Thea Kirste eine mögliche Ursache: “Während des Faschismus hatte Herr Philippsborn von Seiten der Nazis einen Unfall zu verzeichnen, an deren Folgen er verstarb. Die Beisetzung erfolgte in Seelow auf dem jüdischen Friedhof, der später dem Erdboden gleich gemacht wurde.”

Nach dem Krieg, am 28. Mai 1949, berichtete das Stadtbauamt der Kreisstadt Seelow/Mark dem Magistrat, dass der Friedhof eingeebnet sei und zurzeit als Ackerland genutzt werde. Es sei nicht mehr erkennbar, dass es hier einst einen Friedhof gab. Es wurde vereinbart, ihn wieder in einen würdigen Zustand zu versetzen, wofür man 1.700 DM kalkulierte.

Zuvor hatte die damalige Stadträtin Thea Kirste bei Magistrat beantragt, „den ehemal[igen] jüd[ischen] Friedhof als Weihestätte wieder herzurichten. Da die Gräber vernichtet, vielleicht in der Gestalt, daß die ebene Fläche mit Blumen bepflanzt und eine Gedenktafel aufgestellt wird."

In der Stadtverordnetensitzung am 10. Juni 1949 erklärte sie, dass der jüdische Friedhof während der NS-Zeit und infolge der Kriegshandlungen zerstört worden war. Sie schlug vor, für seine Restaurierung den Erlös aus dem Verkauf von Grundstücken der ehemaligen jüdischen Bewohner zu verwenden. Die Stadtverordneten griffen das auf und bekundeten, sich bemühen zu wollen, „mit den im Ausland lebenden Angehörige wegen der Kostenübernahme in Verbindung zu treten. Aber auch wenn die Finanzierung auf diese Weise nicht möglich sein sollte,“ sehe sich die Stadtverwaltung aus Pietätsgründen verpflichtet, die Kosten zu tragen.

Obwohl der Rat einer Restaurierung des Friedhofs zustimmte, wurde diese nie umgesetzt. Höchstwahrscheinlich war man nicht bereit, für die Restaurierung des Friedhofs zu zahlen. Ein Luftbild aus dem Jahr 1953 zeigt ein leeres Stück überwuchertes und ungenutztes Land. Ende der 1950er Jahre wurde in der Nähe des alten Friedhofs die Brennerei Seelow neu errichtet und dabei wohl auch die letzten Reste des Friedhofs beseitigt. Michael Schimmel erklärte: „Laut alten Seelowern waren bis in die frühen 1950er Jahre noch Grabsteine an der Steinmauer am Ende des Friedhofs befestigt. [...] Doch mit dem Bau des Parkplatzes wurden die letzten erkennbaren Teile des ehemaligen Friedhofs entfernt.“ Er vermutet, dass die restlichen Grabsteine einfach als Müll in einen kleinen Teich in einem Bereich südlich des Friedhofs geworfen wurden.

Das Gelände des Friedhofs blieb ungenutzt und verwilderte immer mehr. 1967 ging es in öffentliches Eigentum über. Die Oberfläche wurde mit einer Asphaltdecke versiegelt und für einen Firmenparkplatz errichtete man schützende Dächer. Stützmauern und Treppen am Haupteingang der inzwischen entstandenen Tischlerei und des Verwaltungsgebäudes wurden hinzugefügt. Letzteres wurde 1991 von der Märkischen Bau AG und 1992 von der MIB-Märkische Ingenieur Bau GmbH Wriezen übernommen und teilweise vermietet.

Als im Jahr 2000 das an das Friedhofsgelände angrenzende Gebäude abgerissen wurde, entdeckte man in der Nähe den Grabstein von Ernestine/Esther Levy, die im März 1870 beigesetzt wurde. Ihr Grabstein ist heute im Bahnhofsmuseum Seelow / Gusow ausgestellt. „Bis zum Bau des neuen Busbahnhofs […] geriet der jüdische Friedhof in Vergessenheit und nur wenige ältere Bürger aus Seelow konnten sich daran erinnern“, so Schimmel.

Der Stadtchronist Michael Schimmel hatte das Glück, in den 1990er Jahren persönlich mit Joachim Reissner zu sprechen. Michael war nicht nur eine wichtige Quelle bei der Aufzeichnung und Bereitstellung seiner Berichte, sondern war auch ein starker Verfechter der Erweiterung der aufgezeichneten jüdischen Geschichte von Seelow.

Im Jahr 2006 kam mit Bryan Wood, Urenkel von Max Phillippsborn, erstmals ein Nachkomme der Familie Philippsborn nach Seelow. Er fand an der Hinterstraße keinerlei Spuren dafür, dass es hier jemals einen jüdischen Friedhof gab. Er und Michael Schimmel beschlossen, ein Denkmal oder eine Gedenktafel zu schaffen, die an diesem Standort an den Jüdischen Friedhof erinnern.

Seitdem gab es mehrere Vorschläge. Die Gedenktafel am zerstörten Friedhof fehlt aber noch immer. Es gibt auch keine Markierung, die darauf hinweist, dass es sich hier um eine jüdische Grabstätte handelt. Der Empfehlung von Michael Schimmel für eine Gedenktafel folgend, machte Urenkel Benjamin Wood, ein historisch bildender Künstler, eine Reihe visueller Vorschläge und Darstellungen, um den Ort als jüdischen Gedenkpark zu Ehren der unter dem Asphalt Begrabenen wiederherzustellen. Dabei recherchierte er mit Hilfe des in Seelow ansässigen Landkreis-Archivars Sterbeurkunden und konnte eine Liste von 115 wahrscheinlichen Bestattungen auf dem Friedhof rekonstruieren. Er erfuhr, dass nicht nur Max Philippsborn in Seelow begraben wurde, sondern auch seine Ururgroßeltern und andere Vorfahren.

Benjamin Wood legte dem Seelower Stadtrat einen visuellen Vorschlag und mehrere Darstellungen vor, um den Friedhof, wie einst Thea Kirste, als jüdischen Gedenkpark zu gestalten. Die Idee ist, die heruntergekommene Fläche des Parkplatzes als Grünfläche zurückzugewinnen und in eine von der Stadt geplante Wohnbebauung des benachbarten ehemaligen Industriegebietes zu integrieren. In einem ersten Schritt hatte die Stadtverwaltung das Grundstück im Jahr 2023 zurückgekauft und bereits den Asphalt entfernt, damit das Gelände nicht mehr als Parkplatz genutzt wird.

Nach einem erneuten Besuch der Familie Wood in Seelow genehmigte der Gemeinderat von Seelow im April 2024 Pläne zur Gestaltung der neuen Gedenkstätte und reichte einen Förderantrag bei der Europäischen Union ein. Demnach sollen am Jüdischen Friedhof eine Gedenktafel aufgestellt sowie die Umrisse seiner ursprünglichen Einfriedung kenntlich gemacht werden. Ziel ist, den Charakter des Friedhofs wieder deutlich zu machen und ihn in einen würdigen Zustand zu versetzen. Während eines Besuches in Seelow im Jahr 2024 brachten die Angehörigen von Max und Adelheid Philippsborn am Eingangstor des Friedhofs ein Banner mit den Namen aller dort begrabenen Personen an.

Wir hoffen, dass es dieses Mal keine weiteren Hindernisse für die Verwirklichung dieses längst überfälligen Projekts gibt: die Wiederherstellung des Friedhofs als Ort der Erinnerung, an dem unsere Vorfahren geehrt und respektiert werden.

Benjamin Wood