Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Perleberg
Im Mittelalter war Perleberg eine erfolgreiche Handels- und Hansestadt, da sie an der Durchgangsstraße von Magdeburg zu den Ostseestädten Lübeck, Wismar und Rostock gelegen war und über die Flüsse Stepenitz und Elbe auch mit Hamburg in Verbindung stand.
Vermutlich gab es bereits bei der Stadtgründung 1239 eine jüdische Gemeinde in Perleberg, angeblich sollen jüdische Kaufleute sogar zu den Stadtgründern gehört haben. Urkundlich nachgewiesen ist die jüdische Ansiedlung für das Jahr 1335.
Wie archäologische Ausgrabungen gezeigt haben, existierte jedoch bereits Mitte des 13. Jahrhunderts ein Judenhof in Perleberg, in welchem sich die öffentlichen Gebäude der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde, wie Synagoge und Mikwe, befanden. Judenhöfe waren Zentren des jüdischen Lebens mittelalterlicher Städte, in welchen Gericht abgehalten, Hochzeiten und andere Bekanntmachungen angeschlagen und Tote aufgebahrt wurden. Durch Tore waren sie vor den Blicken der nichtjüdischen Bevölkerung geschützt.
Inwieweit auch die Perleberger Juden Opfer der Pogrome im Pestjahr 1349 wurden und ob in jenem Jahr der Judenhof enteignet wurde, ist unklar. Sicher ist nur, dass nicht alle Perleberger Juden vertrieben oder ermordet wurden, da eine Urkunde des Stadtrates aus dem Jahr 1350 ihnen die Erneuerung von Schutz und Rechten zusichert.
Die Geschichte der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde in Perleberg endet mit der Vertreibung der Juden aus der Mark Brandenburg im Zuge des Berliner Hostienschändungsprozesses von 1510. Spätestens in diesem Jahr ging das Gelände des Judenhofes in städtischen Besitz über. Die Stadt hielt die gegebenen Grundstücksgrenzen und Gebäudelinien ein und überlieferte so die mittelalterliche Gestalt des Judenhofes. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass der Perleberger Judenhof einer der besterhaltenen Judenhöfe Deutschlands ist. Er befindet sich in der Altstadt in der Parchimer Straße 6, der ehemaligen Judenstraße, welche 1938 umbenannt wurde.
Seit den Vertreibungen von 1510 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts lebten keine Juden in Perleberg. Um 1800 gab es gerade mal drei jüdische Personen in der Stadt.
Ihre Blütezeit erlebte die jüngere jüdische Gemeinde in der Mitte des 19. Jahrhunderts; so gab es 1855 in Perleberg 87 Einwohner jüdischen Glaubens. Aus amtlichen Berufsangaben aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geht hervor, dass von 20 erfassten jüdischen Haushaltsvorständen 18 im Einzelhandel tätig waren, einer als Lehrer und einer als Handwerker.
Mitte des 19. Jahrhunderts verfügte die Perleberger Gemeinde über einen Betraum in der Bäckerstraße 5. Das Gebäude brannte am 26. Mai 1853 ab, woraufhin sich die Gemeinde einen Gebetssaal in einem Obergeschoß eines Hauses in der Schuhstraße 18 einrichtete.
Zwischen 1871 und 1880 stieg die Zahl der Juden in Perleberg von 103 auf 109 an. Doch in den folgenden Jahren setzte eine starke Abwanderungsbewegung ein. So werden in den städtischen Akten für 1890 nur noch 70 und für 1905 nur noch 46 jüdische Einwohner aufgeführt. Diese Entwicklung setzte sich auch nach dem ersten Weltkrieg fort, sodass es zur Zeit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 nur noch sechs jüdische Einwohner in Perleberg gab.
Aus Befragungen von Zeitzeugen geht hervor, dass die Perleberger SA am 8. November 1938 über die verbliebenen Juden herfiel, bei denen es sich überwiegend um alte und z.T. schwer kranke Menschen handelte. Vier Jahre später wurden die letzten verbliebenen jüdischen Einwohner Perlebergs deportiert.
Seit dem Jahr 2009 erinnern Stolpersteine vor ihren ehemaligen Wohnhäusern an die in den 1920/1930er Jahren in Perleberg lebenden Juden. Das Gebäude in der Schuhstraße, in dem sich der zweite Betsaal der Gemeinde befand, wurde 2012 abgerissen; heute befindet sich dort ein Parkplatz.
Auf Initiative des Wissenschaftsjournalisten Rainer Meißle wurde ein Kulturverein gegründet und das Gelände des Judenhofes am 6. August 2005 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seitdem informieren Tafeln über die Geschichte der Juden in Perleberg und die Vergangenheit des Ortes. Am 02. Juni 2016 wurde dort ein Kulturzentrum eröffnet, das als Begegnungsstätte und Informationsstelle genutzt wird.
Rolf Blase
Quellen und Literatur:
Hennies, Wolfram, Der jüdische Justizrat Dr. James Broh, Der jüdische Friedhof in Perleberg, Reihe Perleberger Hefte, Nr. 10, Perleberg 2015.
Hoffmann-Axthelm, Dieter, Der Perleberger Judenhof, in: Diekmann, Irene (Hrsg.): Jüdisches Brandenburg – Geschichte und Gegenwart, Berlin 2008.
Hoffmann-Axthelm, Dieter, Jüdisches Perleberg - Einladung zu einem Rundgang, Haigerloch 2005.
Stadt Perleberg [Hrsg.], Auf den Spuren des mittelalterlichen Perleberg, Berlin 2014.
Weißleder, Wolfgang, Der Gute Ort – Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, Potsdam 2002.
Internetauftritt der Stadt Perleberg www.stadt-perleberg.de, Eintrag „Judenhof Perleberg“ [letzter Aufruf: 28.03.17]
Internetseite Alemannia Judaica www.alemannia-judaica.de/brandenburg_friedhoefe3.htm, Eintrag „Perleberg“ [letzter Aufruf: 28.03.17]
Alicke, Klaus-Dieter, Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, in: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/p-r/1618-rathenow-brandenburg [letzter Aufruf: 28.03.17]
Facebook Seite des Perleberger Judenhofs
Infotafeln am Perleberger Judenhof