Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Gartz
Das Landstädtchen Gartz, direkt an der Oder gelegen, gehörte zunächst zum Herzogtum Pommern und als dessen Herzoghaus 1637 mitten im 30-jährigen Krieg ausstarb, wurde es nach Friedensschluss Schwedisch-Pommern zugeschlagen. Durch einen weiteren Krieg, den sogenannten Großen Nordischen Krieg, verlor Schweden einige südliche Teile Vorpommerns an Preußen (1720), darunter fiel auch Gartz, nunmehr in der preußischen Provinz Pommern situiert. Nach 1945 gehörte die Stadt zunächst zum Land Brandenburg und, als die DDR 1952 alle Länder auflöste, zum Bezirk Frankfurt/Oder. Seit 1993 schließlich wieder in Brandenburg eingegliedert, wurde es dem Landkreis Uckermark zugeordnet.
Diese unterschiedlichen Staatsgewalten führten natürlich im Laufe der Jahrhunderte zu einem unterschiedlichen Umgang mit zuwandernden oder niederlassungswilligen Juden. Schweden galt allgemein als relativ mildes Regiment - auch den Juden gegenüber, sodass es nicht wundert, dass es 1706 zu einem Gesuch der Stadt Gartz kam, in dem für den Juden Caspar Levi gebeten wurde, ihm eine „Concession zu ertheilen, in Gartz zu wohnen und zu handeln.“ Sicher spielte hier der Tabakhandel eine große Rolle, der mit der Ansiedlung von Hugenotten in der Uckermark einen großen Aufschwung genommen hatte. Man darf wohl sagen, daß der damalige Tabakhandel fest in der Hand jüdischer Kaufleute war.
Erst hundert Jahr später läßt sich dann genaueres über die Geschichte der Juden in Gartz in Erfahrung bringen, die Quellen hierfür befinden sich heute im Landesarchiv Greifswald. Daraus geht hervor, dass es sich bei den ersten Juden, die sich 1812 in Gartz geschäftlich niederließen, um zwei Händler aus dem gegenüber liegenden Greifenhagen handelte, die sich mit Marktbuden in Gartz etablieren wollten. A. M. Wolfsohn und Joseph Nathan werden höflich mit „Herr“ bezeichnet. Es folgten im Jahr darauf Levin Salomon, Juda Wolff, Mosis Loewenberg und Schier Meyer. Das Bürgerbuch Gartz weist für die nächsten Jahrzehnte weiteren jüdische Männer aus, die sich um das Bürgerrecht in Gartz bemühten, u.a. 1827 Aron Rosendorff, dessen Familie tatsächlich dann mehr als 100 Jahre in Gartz lebte, ehe die letzten Nachkommen 1938 die Stadt in der Pogromnacht fluchtartig verließen, zunächst in Berlin unterkamen, von dort aber 1942 in das KZ Auschwitz deportiert und ermordet wurden.
Für 1816 werden zwei Juden für Gartz genannt, 1843 dann schon 44. Im Jahre 1892 erreichte die Anzahl der in Gartz wohnenden Juden dann einen letzten Höhepunkt mit 122, um bis 1936 aus unterschiedlichen Gründen auf 26 Personen abzusinken.
Synagoge
Das Jahr 1861 soll hier noch Erwähnung finden, weil die in diesem Jahr in Gartz gezählten 161 Juden (hierbei handelt es sich um die Gesamtzahl, also Männer Frauen, Kinder, Personal, Gemeindeangestellte) sich offensichtlich finanziell belastbar genug fühlten, eine Gemeinde zu bilden und den Bau einer Synagoge anzugehen. Diese wurde 1862 eröffnet.
Die ersten in Gartz lebenden Juden mußten sich noch für Gottesdienste nach Stettin wenden, wo bereits eine Gemeinde existierte. Als dann genug Männer (es sollten mindestens 10 sein) in Gartz wohnten, um einen Gottesdienst abhalten zu können, hatte man sich in Privathaushalten zum Gebet getroffen. Zunächst bemühte man sich in den Jahren 1857/1858, die Gemeinde zu institutionalisieren und ihr eine Verfassung zu geben. Dann wurde ein Gebäude in einem Hinterhof erworben (eventuell von einem Mitglied der Familie Isaac) und zu einer Synagoge umgebaut. Auf einem Luftbild (vor dem 9.11.1938 aufgenommen!) läßt sich das Gebäude mit den Rundbogenfenstern noch gut erkennen. Dieses Gebäude fiel in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 dem Fanatismus der Gartzer Nationalsozialisten zum Opfer und brannte nieder. Nur die umliegenden Häuser wurden durch die Feuerwehr geschützt.
Eine leider nur unscheinbare Tafel erinnert an den Standort der Synagoge, heute ein Parkplatz und Wäschetrockenplatz, in der Pommernstraße 175 (damals Königstraße 175) hinter Häusern, die man nach dem Krieg neu erbaute. Gartz war zu 90 Prozent zerstört worden. Ein ehemalige Gartzer ermöglichte 2011 die Verlegung von fünf Stolpersteinen in der Stadt für die Mitglieder der Familien Moses und Isaac, die alle dem Holocaust zum Opfer fielen.
Felicitas Spring
Quellen, Literatur und Internet
Landesarchiv Greifswald Rep 38b Gartz/Oder (jüdische Gemeinde) und Rep 38c Synagogenarchiv Gartz/Oder (jeweils diverse Aktennummern).
Waltraud Fiebelkorn: „...und wohnten unter uns“, in: 1249-1999 – Gartz (Oder) – Festschrift zur 750 Jahrfeier der Stadt Gartz (Oder), Hrsg. Förderverein für die Region Gartz (Oder) und Stadt Gartz (Oder), Gartz 1999, S. 43-45.
Michael Knöfel: Jüdische Geschichte in der Stadt Gartz (Oder), in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V. 113. Jg. (2012), Heft 2, S. 86f.
Gerhard Salinger: Die einstigen jüdischen Gemeinden Pommerns, Band 1, New York 2006 (hier: Gartz) [Freundliche Mitteilung von Dr. Dietmar Roglitz, Penkun].
Felicitas Spring: Juden in Gartz an der Oder. Einige Quellen und Zufallsfunde im Landesarchiv Greifswald, in: Sedina-Archiv, N.F. Band 16, Jg. 67, Heft 2/2021, S. 162-170 (dort ausführlich über die jüdische Gemeinde Gartz (Oder) und die vorhandenen Quellen im Landesarchiv Greifswald).
Dies.: Gartz an der Oder in den Quellen des Landesarchivs Greifswald nebst einem Exkurs über den Gartzer Chronisten Julius Schladebach (1810-1872), in: Angermünder Heimatkalender 2022, Hrsg. Verein für Heimatforschung Angermünde e.V., Angermünde 2022, S. 46-59.
Wolfgang Wilhelmus: Juden in Vorpommern, Reihe Beiträge zur Geschichte Mecklenburg- Vorpommerns Nr. 8, Hrsg. Friedrich-Ebert-Stiftung/Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2007 S. 34.
Wikipedia: Gartz (Oder) Stolpersteine [ 9.10.2024]
Wikipedia: Gartz (Oder) Jüdischer Friedhof [9.10.2024, Angaben teilweise fehlerhaft]