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Geschichte des Jüdischen Friedhofs in Guben

Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs in Guben
Foto: Anke Geißler-Grünberg
Trauerhalle des Jüdischen Friedhofs in Guben

Für die Mitglieder der kleinen Jüdischen Gemeinde zu Guben und die Juden der umliegenden Orte muss das Jahr 1839 ein besonderes gewesen sein. Denn es gelang ihnen endlich, zur Beerdigung ihrer Toten und zur Gewährleistung der ewigen Totenruhe einen eigenen Friedhof ganz in der Nähe anzulegen. In Reichenbach, einem Dorf westlich der Neiße-Stadt hatte die Religionsgemeinschaft das entsprechende Grundstück käuflich erworben: ein Plateau auf dem Reichenbacher Berg.  

Mündlichen Überlieferungen zufolge hieß dieser Hügel bereits im 14. Jh. „Judenhöhe“; im 20. Jh. nannte ihn der Volksmund noch „Judenhebbel“. Diese Tatsache könnte ein Hinweis dafür sein, dass die in der Region um Guben lebenden Juden schon in den Jahrhunderten zuvor diesen Ort als Begräbnisplatz genutzt hatten. Es gibt außerdem Hinweise zu einem älteren Friedhof bei „Benisch Bierkowes Garten“, die bislang aber nicht bestätigt werden konnten.

1911 ließ die Synagogengemeinde im hinteren Bereich des Grundstückes eine schlichte, aber eindrucksvolle Trauerhalle mit einem gekuppelten Turmaufsatz errichten, deren Grundriss die Form eines Kreuzes bildet. Denn im westlichen Anbau integrierte man eine Wohnung für den Friedhofswärter; der östliche Anbau wurde zum Tahara-Bereich bestimmt, in dem sämtliche Vorbereitungen für die Beerdigungen stattfanden. Zehn Jahre später, im Mai 1921, erfolgte die Einweihung des Monuments für die aus Guben und Umgebung stammenden jüdischen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren. Wann allerdings die einfriedende hohe Ziegelsteinmauer erbaut wurde, ist unklar.

Anhand der erhalten gebliebenen Grabsteine und Grabanlagen lässt sich rekonstruieren, dass die Belegung des Friedhofs rechterhand des heutigen Eingangs begann sowie chronologisch und in geraden Reihen erfolgte. Es ist erkennbar, dass innerhalb der Gemeinde religiöse Aspekte recht schnell in den Hintergrund traten. Vielmehr spiegelt sich an ihnen die erfolgreiche Akkulturation der Juden in der Stadtgesellschaft wider. Nach Wolfgang Weißleder gehörten neben einflussreichen Unternehmern der Hut- und Lederindustrie, Ärzten, Sanitäts-, Justiz- und Stadträten, Juristen und sogar einem Landgerichtsdirektor auch Angehörige der Familie des Gubener Oberbürgermeisters Alfred Glücksmann sowie der Leiter der Synagogengemeinde Louis Kayser zu den beerdigten Personen. Der heutige Zerstörungsgrad der Grabanlagen verhindert aber zumeist eine eindeutige Zuordnung.

Zwischen 1933 und 1945 wurde der Friedhof mehrfach zum Ziel nationalsozialistischer Zerstörungswut, über deren tatsächliches Ausmaß jedoch keine Übersicht vorliegt. Der auf der Trauerhalle krönende Davidstern wurde entfernt und der gesamte Friedhof nach seiner Schändung während der Pogromnächte 1938 „arisiert“, indem er dem Dorf Reichenbach übertragen wurde. Ob hierbei Geld gezahlt wurde, müssen weitere Forschungen ermitteln. Zu Beginn der 1940er Jahre musste aber Familie Strauß ihre Dienstwohnung auf dem Friedhof räumen, die ihr einst die Jüdische Gemeinde zur Ausübung ihrer Aufgabe als Friedhofswärter und -gärtner zur Verfügung gestellt hatte. Anfang Dezember 1941 fand mit dem Arzt Dr. Ernst Kaplan die letzte Beisetzung statt; einen Grabstein erhielt er nicht mehr. Infolge der Kriegshandlungen kam es im Frühjahr 1945 zu weiteren Zerstörungen am Grabmalbestand, die in ihrem Ausmaß ebenfalls nicht dokumentiert sind.

Durch das intensive Engagement des Superintendenten der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Reinhold Asse, und nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von Guben erfolgte 1951 die Rückübertragung des Jüdischen Friedhofs in Guben an den Landesverband der Jüdischen Gemeinden in der DDR. In einem Vertrag vereinbarten der Verband und die Evangelische Kirchengemeinde, dass der Friedhof durch die Evangelische Kirche fortan gepflegt wird. Im Gegenzug dürfe die nicht mehr für Beerdigungen benötigte Trauerhalle als „Bergkapelle Reichenbach“ für evangelische Gottesdienste sowie die Wohnung des Friedhofswärters vom evangelischen Pfarrer genutzt werden.

Am 17. Juni 1951 fand der erste evangelische Gottesdienst in der umgestalteten Trauerhalle statt. Im Laufe der Zeit entstand ein besonderes christlich-jüdisches Miteinander, das nicht nur die Gemeinsamkeiten und theologischen Unterschiede, sondern immer wieder auch die Mitverantwortung der Kirche an der Auslöschung jüdischen Lebens während der NS-Zeit widerspiegelte.

So sammelte die Kirchengemeinde Spenden und stellte Eigenmittel zur Verfügung, um sämtliche Friedhofsbauten in Ordnung zu halten oder dringende Reparaturen durchführen zu können. 1970 und 1979 erfolgten Restaurierungs- im und Erweiterungsarbeiten am Gotteshaus. 1980 fand im Rahmen eines Projektes der ökumenischen Aktion Sühnezeichen ein Sommerlager in Guben statt, bei dem Jugendliche den Jüdischen Friedhof wieder in einen würdigen Zustand versetzten. Pfarrer Wolfram Schulz veranlasste hierbei die Wiederaufstellung von 25 umgestürzten Grabsteinen und widmete sich der Dokumentation aller historischen Grabanlagen.

Bereits 1966 ließ die Kirchengemeinde mit Einverständnis des Jüdischen Landesverbandes nordöstlich des Denkmals für die Soldaten des Ersten Weltkrieges ein Stahlgerüst aufstellen, an dem zwei unterschiedlich große Glocken befestigt wurden. Gefertigt in der Glockengießerei Franz Schilling & Söhne aus Apolda, tragen beide je ein lateinisches Kreuz und eine Inschrift mit Versen der Bibel: „Schalom al Jisrael. Friede sei über Israel“ (Ps 125,5) bzw. „So bitten wir nun an Christi Statt, lasset euch versöhnen mit Gott“ (2. Kor 5,20).

Gleichwohl kam es weiterhin zu antisemitischen Überfällen auf den Jüdischen Friedhof. Anfang Dezember 1992 wurden zwei Grabmale umgestoßen und drei Lampen zerschlagen; im März 2000 beschmierten fünf Jugendliche Grabsteine, die Friedhofsmauer und die Trauerhalle mit antijüdischen Parolen – wofür sie ein halbes Jahr später vor Gericht gestellt und verurteilt wurden. In der Nacht zum 2. Januar 2023 wurden abermals drei Grabsteine umgestoßen, die allerdings unbeschädigt blieben.

Mit Mitteln der Denkmalpflege konnte 1992 schließlich ein neuer Davidstern auf der Kuppel der Trauerhalle montiert werden. Aus der gleichen Quelle wurde 1993/94 die im Krieg zerstörte Friedhofsmauer im Osten und im Norden restauriert. Ein von der Kirchengemeinde beim Steinmetz Jörg Glockann in Auftrag gegebener Gedenkstein für die 200 in der NS-Zeit verfolgten und ermordeten Juden aus Guben wurde 1998 im westlichen Begräbnisfeld feierlich eingeweiht – an der Stelle, wo die letzten Beisetzungen stattgefunden hatten.

Anke Geißler-Grünberg