Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Treuenbrietzen
Mit der Entstehung der Märkte und der Entwicklung der Städte siedelten sich zu Anfang des 13. Jahrhunderts immer mehr Juden in der Mark Brandenburg an. Wegen verschiedener Verbote beschränkten sich ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten auf kaufmännische Berufe, den Handel und Geldgeschäfte. Meist lebten und arbeiteten sie in einem Straßenzug oder in einem Wohnviertel, was häufig auf einer freiwilligen Entscheidung beruhte und vergleichbar war mit dem damals üblichen Zusammenschluss von Handwerkern einer Zunft.
Die Juden hatten ab 1356 die Erlaubnis, sich in Treuenbrietzen niederzulassen. Dies war möglich geworden, nachdem der Treuenbrietzener Bürger Hans Kaiser vom Markgraf Ludwig der Römer am 22. Juli 1356 die Vollmacht erhalten hatte, Juden in die Stadt ziehen zu lassen. Kaiser sollte sie im Namen des Landgrafen verteidigen und beschützen. Das Jahresgeld, der sogenannte Judenzins, den sie jährlich an den Markgrafen zu zahlen verpflichtet waren, durfte Kaiser für sich behalten. Der Grund für dieses Übereinkommen waren die erheblichen Schulden des Markgrafen an die Treuenbrietzener Bürger.
Doch das jüdische Leben in der Mark Brandenburg erlebte wie überall in den deutschen Landen ein ständiges Auf und Ab. Insbesondere zu Krisenzeiten von der Geistlichkeit geschürter Hass artete in grausamste Pogrome aus und kostete Tausenden von Juden das Leben. Jene, die überlebten, sahen sich in ihrer rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Situation deutlich eingeschränkt und ständigen Verfolgungen ausgesetzt. Einen markanten Einschnitt bezeichnete das Jahr 1571. Es war das Jahr, in dem die Juden für die nächsten hundert Jahre aus der Mark Brandenburg vertrieben worden sind.
Der Dreißigjährige Krieg, der von 1618 bis 1648 währte, ließ die Mark Brandenburg zu einem rückständigen Gebiet werden. Um das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine zu bringen wurde deshalb die sogenannte Peuplierungspolitik eingeführt. Im Zuge derer erhielten 1671 50 wohlhabende jüdische Familien aus Wien die Erlaubnis sich hier niederzulassen. Diese Siedlungsmaßnahme verfolgte ausschließlich wirtschaftliche Zwecke. Zum einen sollte sie die Steuerkasse füllen, zum anderen sollten die Juden mit ihrem Unternehmergeist helfen, das Land wieder aufzubauen und die darniederliegende Wirtschaft in Gang zu bringen. Die 50 Familien wurden unter anderem auf Berlin, Beelitz, Brandenburg, Potsdam, Ziesar, Cottbus und Treuenbrietzen verteilt.
Beinahe alle jüdischen Gemeinden in Brandenburg führen ihren Ursprung auf dieses Jahr 1671 zurück. Das in diesem Zusammenhang erlassene Aufnahmeedikt wurde im Laufe der Jahre immer weiter entwickelt und gipfelte 1750 schließlich im vom Preußenkönig Friedrich II. erlassenen Generalreglement. Diese endgültige Fassung regelte die genaue Anzahl der Juden, die an einem Ort wohnen durften, kontrollierte ihre Zu- und Abwanderung, legte ihre Berufe fest und bestimmte die Anzahl ihrer Kinder, die sich verheiraten durften. Gleichzeitig bestimmte es die Höhe der Schutzgelder und führte den Leibzoll für Juden ein.
So mussten die Treuenbrietzener Juden ab dem Jahr 1744 vier Mark fein Silber jährlich als „Judenschutzgeld“ an die Münze zu Berlin abliefern und bekamen pro Mark 12 Thaler erstattet. Im Jahre 1766 musste die Kurmark 3.263 Mark und Treuenbrietzen davon 62 ein Halb Mark an die Münze zu Berlin liefern.
Nachdem sich also im Zuge des Aufnahmeedikts von 1671 auch Juden in Treuenbrietzen ansiedeln durften, finden sich in Archiven Akten, in denen Juden explizit ab 1692 erwähnt werden. 1703 lebten hier zwei Familien: Zum einen Hirschel Salomon, seine Ehefrau Räsgen Israel, ihr siebzehnjähriger Sohn Isaak Joseph und Hirschel Salomons Schwester Lea Salomon. Zum anderen Alepanda Jacob mit seiner Ehefrau Sara Jochen und dessen Sohn Moses Israel. 1710 waren es fünf Familien, die mit Schutzbriefen in Treuenbrietzen lebten. Dabei ist anzunehmen, dass es in der Stadt auch Juden gab, die weder einen Schutzbrief besaßen noch aktenkundig waren. Dafür, dass eine Vielzahl Juden in Treuenbrietzen lebte, spricht die Tatsache, dass der jüdische Friedhof erstmals am 16. Oktober 1711 erwähnt wird und dass von 1720 ein nicht näher erklärter Hinweis auf eine Synagoge vorliegt. Ob es die gleiche ist wie jene jüdischen (Gebets-) Schule, die in Archivmaterial erwähnt ist, ist allerdings unklar.
In den Akten finden sich zudem Informationen zu einzelnen jüdischen Personen oder Familien, aus denen sich folgende Bilder ergeben:
Der wohlhabende Joachim Salomon, dessen Vermögen sich auf circa 100 Talern belief, ließ sich mit seiner Familie in Treuenbrietzen nieder und erhielt, nachdem er vom Leibzoll befreit worden war, im November 1692 einen Schutzbrief. Dafür musste er jährlich 8 Taler Schutzgeld bezahlen. Der Schutzbrief erlaubte Joachim Salomon in Treuenbrietzen zu hausieren. Er handelte mit Tabak, Fellen und Kramwaren. Seine Angestellten bestanden aus einem Tabakspinner, nämlich seinem unverheirateten Bruder Hirsch Salomon sowie aus einem Knecht, der von überall her die Felle zusammenzutragen hatte und schließlich einem Lehrer, der Joachim Salomons Kinder unterrichtete. Nachdem einer seiner Söhne ermordet wurde und er selbst durch Krankheit geschwächt war, verarmte Joachim Salomon völlig. Im April 1701 wurde bei ihm die exekutorische Eintreibung der Schuldforderung des Amtsmanns in Lehnin, Ferrari, betrieben. 1717 machte Joachim Salomons Schwiegersohn Alexander Jacob zusammen mit seiner Ehefrau von dem Recht Gebrauch, dass ein Schutzbrief gegen die Zahlung einer bestimmten Summe an zwei Nachkommen vererbt werden konnte. Er beantragte einen Schutzbrief, der sich auf den des Schwiegervaters bezog. Zudem ersuchte 1732 der Petschierstecher Salomon Marcus um Übertragung des Schutzbriefes seines Großvaters Joachim Salomon auf sich. Dagegen hatte 1724 Hirsch Salomon, der keinen Schutzbrief besaß, Treuenbrietzen wegen ausstehender Abgaben verlassen müssen. Allerdings muss er wieder zurückgekehrt sein, da er 1764 von der Treuenbrietzener Kämmereikasse Geld zum Einwechseln erhielt.
Im Juni / Juli 1707 wurde Alexander Jacob aus Treuenbrietzen wegen Diebstahls bestraft. Ein Gesuch des Moses Simon auf einen Schutzbrief wurde 1715 abgelehnt. Seit Mai 1711 wurden alle Juden, die sich ohne Schutzbrief niedergelassen oder sich strafbar gemacht hatten, ausgewiesen. Dreimal, nämlich 1717, 1719 und 1720, versuchte Nathan Isaac einen Schutzbrief zu bekommen. 1742 ersuchte der Beelitzer Schutzjude Moses Simon, zusammen mit seinem Sohn Levin Moses um Niederlassung in Treuenbrietzen. 1747 wurde dem Bediensteten David Hirschel die Heirat verweigert. In den Stadtgerichtsakten von 1748 findet sich der Bankrott des Treuenbrietzener Schutzjuden David Hirsch. Als Folge dessen wurde über ihn dann ein Personalarrest verhängt, da er, insbesondere bei einem gewissen Peter Guiremont, Schulden hatte. 1751 wurde dann über die verhängte Strafe nochmals verhandelt. Der 1699 geborene Salomon Hirsch erkaufte 1735 sein Schutzrecht für Luckenwalde für 500 Rtl., wo er bis 1754 wohnte. Von dort wurde er, zusammen mit dem Luckenwalder Schutzjuden Abraham Moses, vertrieben und ließ sich dann in Treuenbrietzen nieder, wo er 1771 auch starb. Abraham Salomon Cohn, geboren ca. 1731, erhielt sein Schutzrecht 1759 als erstes Kind des Salomon Hirsch. Daniel Abraham, erhielt sein Schutzrecht 1772 als Schwiegersohn des Salomon Hirsch.
Über den am 18. September 1730 in Treuenbrietzen geborenen und über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt gewordenen Aaron Isaak, lässt sich ungleich mehr berichten, da dieser seine Lebenserinnerungen aufschrieb und seiner Familie als Andenken hinterließ.
Seit den siebziger Jahren des 18. Jh. war die von der Obrigkeit verordnete Ausgrenzung der Juden nicht mehr aufrechtzuerhalten. Denn die ökonomischen und politischen Entwicklungen in Europa machten die Isolation der Juden zur objektiven Unmöglichkeit. Sie war nicht vereinbar mit den Gedanken von Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde, die die Französische Revolution hervorgebracht hatte. Und die Aufklärung hatte für die europäischen Juden eine grundlegende Veränderung zur Folge, sowohl ihrer politisch-sozialen Situation als auch ihres Selbstverständnisses.
Unter der Regierung Hardenbergs wurde 1812 das Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate erlassen. Es erklärte sie offiziell zu gleichberechtigten Staatsbürgern. In Treuenbrietzen erhielten zu dieser Zeit drei Juden ihre Rechte, unter ihnen auch eine Frau. Dies waren zum einen 1813 der jüdische Kaufmann Abraham Salomon aus Ziesar, zum anderen 1816 die Witwe Cohn, Eitel Moses und schließlich 1817 der Schwiegersohn von Eitel Cohn, Zacharias Simon.
Einen Rückschlag erlebte die Gleichstellung durch die Restauration, die eine Welle antijüdischer Gesetze und Veröffentlichungen mit sich zog und in dem Glauben mündete, dass es in einem christlichen Staat wie Preußen keine volle Gleichberechtigung für Juden geben konnte. Es sei denn, sie ließen sich taufen. Diese Einstellung, die gleichzeitig mit der Modernisierung innerhalb des Judentums einherging, machte auch vor den Treuenbrietzener Juden nicht halt. Dort ließen sich zwischen 1736 und 1841 vier Juden protestantisch taufen: 1736 Wolff Mindel, der den Namen Christian Konrad Simon annahm; 1741 Elieser Lesser, auf den Namen Johann Ludwig Wilhelm; 1750 eine Frau namens Rose, die den christlichen Namen Christiane Gottreid erhielt und schließlich 1818 der Sohn des Kaufmanns Zacharias Simon, Simon Zacharias Simon, der den Taufnamen Carl Gustav annahm und den Nachnamen Simon behielt.
Das Jahrhundert zwischen 1800 und 1900 lässt sich gewissermaßen als Blütezeit des jüdischen Lebens in Treuenbrietzen bezeichnen. In diesem Zeitraum lebten am meisten Juden in der Stadt. Während hier um 1800 noch fünf jüdische Familien mit insgesamt 19 Mitgliedern wohnten, waren es 1842 bereits neun mit insgesamt 22 Angehörigen. Da diese Angaben aus Akten stammen, die über die Geburten, Heiraten und Todesfälle der Juden informieren, muss angenommen werden, dass außer diesen Familien noch mehr Juden in Treuenbrietzen lebten, die in diesen Registern nicht auftauchen. Zudem zählten zu dem Kreis der privilegierten Juden auch ihre jüdischen Angestellten, die kein permanentes Aufenthaltsrecht besaßen. In den Akten über die Todesfälle der jüdischen Glaubensgenossen von 1800 bis 1848 finden sich 20 Todesfälle aus insgesamt zwölf Familien mit den Namen Moldauer, Nahum, Eisermann, Wolff, Cohn, Salomon, Reinhold, Friedeberg, Lilienthal, Meyer, Bauchwitz und Schwalbe. Das Sterberegister von 1848 bis 1874 zählt 27 Sterbefälle. Die Geburtenliste von den jüdischen Glaubensgenossen in Treuenbrietzen zwischen 1813 und 1847 verzeichnet 43 Geburten aus zwölf Familien, die die Namen Pulvermacher, Salomon, Knopf, Senger, Meyer, Friedeberg, Bauchwitz, Reinhold, Moldauer, Simon und Piek tragen. Aus der Familie Salomon lassen sich sogar Geburten aus zwei Generationen feststellen, die Familie Pulvermacher hatte sechs und die Familie Friedeberg zehn Kinder. Das Geburtsregister aus der Zeit von 1848 bis 1874 enthält 33 Eintragungen, wobei aus den Familien Salomon und Friedeberg je fünf Kinder entstammen und aus den Familien Nathanson und Knopf je vier. Im Heiratsregister, das den Zeitraum von 1847 bis 1874 beschreibt, sind 17 Eintragungen enthalten. 1849 lebten in Treuenbrietzen insgesamt 46 Juden mit Staatsbürgerrecht, davon zehn Jungen und neun Mädchen unter 14 Jahren, zehn Männer und 15 Frauen zwischen 15 und 60 Jahren. Verheiratet waren je zehn Männer und Frauen, über 60 Jahre alt waren ein Mann und eine Frau.
Von den 1842 ansässigen neun Familien lebten vier bereits seit längerer Zeit in Treuenbrietzen und hatten sich zu einem Verein der jüdischen Glaubensgenossen, der „jüdischen Filialgemeinde“, zusammengeschlossen. Dieser regelte sämtliche religiösen und innerjüdischen Dinge. Ihr Vorsteher war über 30 Jahre lang Philipp Bomster. Die übrigen fünf Familien hatten sich erst später in Treuenbrietzen niedergelassen und waren dem Verein nicht beigetreten. Ab 1854 war dieser der Synagogengemeinde Beelitz unterstellt.
Der Verein unterhielt den jüdischen Friedhof in Treuenbrietzen und bezahlte dafür eine jährliche Gebühr von 2 Talern an die Stadt. Außerdem stellte er einen Kultusbeamten ein, der vornehmlich als Schächter fungierte. An zwei hohen Feiertagen im Jahr benötigte man ihn als Vorsänger im Gottesdienst. Für die Anstellung eines Rabbiners war die Treuenbrietzener Gemeinde dagegen nicht groß genug und es gab auch keine Synagoge. Trotzdem konnten die Treuenbrietzener Juden ihren religiösen Pflichten nachkommen. Denn im Judentum genügt ein Minjan, also eine Gruppe von mindestens zehn Männern, um einen Gottesdienst abzuhalten. Für einen solchen Gottesdienst braucht es dann auch keine Synagoge, sondern es genügt eine einfache Betstube stattfinden. Diese Betstube fungiert dann oftmals auch als religiöses, kulturelles und gesellschaftliches Zentrum der Gemeinde. Wo sich in Treuenbrietzen dieser Raum befand, ist allerdings nicht bekannt. Es liegt aber nahe, dass es sich bei ihm um denselben handelt, über den bereits seit 1720 ein Hinweis existiert.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das an der wichtigen Verkehrsstraße Berlin-Leipzig liegende Treuenbrietzen ein attraktiver Wohnort für die vom Handel lebenden Juden. Das änderte sich jedoch Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, nachdem sich die kleine Handelsstadt zu einer Stadt mit einer vorwiegend bäuerlich-handwerklichen Wirtschaftsstruktur entwickelt hatte. Die Treuenbrietzener Filialgemeinde verkleinerte sich zusehends. 1884 bestand sie nur noch aus drei Familien mit zehn Mitgliedern. Die Folge war die Auflösung des eigenständigen jüdischen Vereins. Die Juden aus Treuenbrietzen unterstanden fortan ganz der Beelitzer Synagogengemeinde.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach erhoffte sich die Mehrheit der deutschen Juden ihre patriotische Überzeugung durch einen freiwilligen Eintritt in die Armee des Kaiserreiches zur Geltung zu bringen und so die letzten Hindernisse auf dem Weg der Eingliederung in die Gesellschaft zu überwinden.
Zu den jüdischen Soldaten aus Treuenbrietzen gehörten neben Hans Bomster auch die Kaufleute Kurt Lax und Paul Slotowski. Hans Bomster bekam einen Gedenkstein auf dem örtlichen Ehrenfriedhof für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Kurt Lax zog als Freiwilliger in den Krieg und errang als Frontsoldat das Eiserne Kreuz II. Klasse. Sein Vater Willy Lax war zwar schon zu alt gewesen um in den Krieg zu ziehen. Aber der Kaufmann hatte seine patriotische Überzeugung bereits zur Genüge gezeigt. Abgesehen davon, dass er von 1891 bis 1893 gedient hatte, war er 1895 an der Gründung des Treuenbrietzener Militärvereins mitbeteiligt. Für seine Verdienste im Kriegswesen wurde er zudem mit dem Kriegsverein-Ehrenkreuz II. Klasse ausgezeichnet.
In den Jahren zwischen 1919 und 1935 zogen immer wieder Juden nach Treuenbrietzen und wieder weg, wobei mehr Juden weg- als zuzogen. Lebten 1919 noch sieben jüdische Familien und Alleinstehende mit insgesamt 19 Menschen in der Stadt, gab es 1935 nur noch drei Familien und Alleinstehende mit insgesamt acht Mitgliedern. Bei den Zuzüglern handelte es sich oftmals um Einzelpersonen, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu den in Treuenbrietzen lebenden Familien standen. Die 1919 ansässigen Juden waren die Familien Lindenberg, Lax, Krohn, Urbach und Slotowski sowie zwei alleinstehende Frauen mit Namen Scheffler und Sussmann. 1935 lebten hier nur noch die Familien Lax und Slotowski sowie jene von Wolf Less.
it dem Machtantritt Hitlers 1933 wurden die Juden zuerst systematisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen, entrechtet, vertrieben und schließlich vernichtet. Das betraf auch die Treuenbrietzener Juden. So wurden die Manufakturwaren- und Konfektionsgeschäfte der Kaufleute Lax in der Großstraße 91 und Slotowski in der Großstraße 77/79 ab dem 1. April 1933 durch die Treuenbrietzener Ortsgruppe der NSDAP und des Ortsgruppenbetriebswarts öffentlich boykottiert. Den Käufern wurde bei Nichtbeachtung des Boykotts erhebliche Strafen angedroht. Aufgrund der Tatsache, dass Paul Slotowkis Geschäft das größte Kaufhaus Treuenbrietzens war und das von Willy Lax nicht viel unbedeutender gewesen sein muss, wanderten die Kunden nach Berlin und Potsdam ab. Willy Lax verließ Treuenbrietzen und zog mit seiner Familie 1935 nach Hamburg. Von dort wanderte die Familie nach Argentinien aus. In der Reichspogromnacht vom 9. November 1939 zerschlugen Treuenbrietzener die Schaufensterscheiben von Paul Slotowkis Kaufhaus und wurden gegen den Kaufmann handgreiflich. Die Arisierungsmaßnahmen beraubten die Familie ihrer wirtschaftlichen Existenz, weshalb die Slotowskis 1938 ebenfalls nach Berlin zogen. Von dort wurden Paul Slotowski und seine Frau Gertrud am 24. Oktober 1941 mit dem 2. Transport nach Litzmannstadt / Lodz gebracht und ermordet.
Nicht allein das Ehepaar Slotowski wurde Opfer des Nationalsozialismus, sondern viele andere ehemalige jüdische Bürger Treuenbrietzens auch. So wurde Luise Bambus, geborene Friedeberg, gemeinsam mit ihren Töchtern Ria und Hertha 1942 nach Riga deportiert. Siegfried Friedeberg verstarb 1944 in Theresienstadt. Emma Knopf, geborene Oestreich, wurde 1941 nach Litzmannstadt deportiert. Eva Pauline Krohn wurde zusammen mit ihrer Mutter, der Damenschneiderin Johanna Krohn, geborene Scheffler, 1943 nach Theresienstadt und weiter nach Auschwitz deportiert. Regina Schwarz, geborene Hauscher, wurde 1942 nach Majdaneck deportiert, ihr Ehemann Berthold Schwarz kam im Konzentrationslager um. Angesichts ihrer aussichtslosen Situation unter dem NS Regime beging Klara Knopf, wie so viele andere Juden auch, 1942 Selbstmord; ebenso wie Margarete Knopf, die sich am Tage der Deportation ihres Gatten Paul Knopf, das Leben nahm.
Zwischen Dezember 1944 und April 1945 befand sich in Treuenbrietzen, im sogenannten Selterhof, ein Außenlager des KZ Sachsenhausen, mit ungefähr 750 jüdischen und nichtjüdischen weiblichen Häftlingen aus ganz Europa, die gezwungen waren für die deutsche Kriegsindustrie zu arbeiten. Diese Frauen stammten ursprünglich aus dem KZ Ravensbrück und wurden im Herbst 1944 in das Außenlager Treuenbrietzen gebracht, wo sie verwaltungstechnisch dem KZ Sachsenhausen unterstellt waren.
Isabel de Placido
Quellen, Literatur & Internet
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Foto: Lisa Bloch und Lilly Mehl.