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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Biesenthal

Der Friedhof. Die einzige Erinnerung an einstiges jüdisches Leben in Biesenthal
Foto: Anke Geißler-Grünberg
Der Friedhof. Die einzige Erinnerung an einstiges jüdisches Leben in Biesenthal

Als der nachmalige Große Kurfürst Friedrich Wilhelm 1671 insgesamt 50 jüdischen Familien aus Wien die Ansiedlung in seinem Herrschaftsgebiet genehmigte, kamen auch Juden nach Biesenthal. Die ersten stammten wahrscheinlich aus der Neumark oder aus Polen.  Für 1683 ist belegt, dass die Schutzjuden Löbell Hetzel, Jacob Moses, David Samuel, Salomon Moses, Koppel Joseph, Gabriel Abraham, Jacob Marcus und Abraham Isaac jeweils vier Taler Schutzgeld an das Amt Biesenthal des Landesherrn zahlten und dem Amt unterstellt waren.

Bis 1692 wuchs die vom Magistrat der Stadt geduldete jüdische Gemeinschaft auf eine stattliche Anzahl von 64 Personen,  also acht Familien. 1696 beschäftigte die inzwischen gegründete Jüdische Gemeinde den Schullehrer Levin, der allerdings keine Konzession besaß. Mit einem Bevölkerungsanteil von immerhin fast 10% war das ungewöhnlich hoch. Ursache hierfür dürfte gewesen sein, dass Biesenthal einerseits den Status einer offenen Stadt (ohne Stadttore) besaß und hier regelmäßig Jahrmärkte stattfanden, und andererseits die Stadt als Sitz des kurfürstlichen bzw. königlichen Domänenamtes fungierte.  

Die Biesenthaler Juden lebten vor allem vom Handel mit Viktualien, Schaffellen und Wolle, die sie von den Einheimischen aufkauften und in den nahegelegenen Städten Eberswalde, Bernau und Strausberg, aber auch in Berlin weiterverkauften. Außerdem besuchten sie die Messen in Frankfurt (Oder) und Leipzig. Gleichzeitig versorgten sie die einheimische Bevölkerung mit Gebrauchswaren. Dennoch blieb die Mehrheit der Biesenthaler Juden arm und lebte in bescheidenen Verhältnissen, sehr viele besaßen zudem keine Aufenthaltserlaubnis in Preußen.

Für ihre Gottesdienste nutzten sie eine Betstube, die sie sich im Privathaus des betagten Schutzjuden Salomon Moses eingerichtet hatten, das auch als Schule genutzt wurde.  Darüber hinaus legten sie sich in der Nähe des städtischen Friedhofes an der Berliner Chaussee ihren eigenen Friedhof an. 1724 beschäftigte die Gemeinde für diese Institutionen drei Beamte: den Lehrer Abraham Moses, den Totengräber Markus Jakob, den Sohn des verstorbenen Schutzjuden Jakob Marcus sowie einen Koller (Schächter). Der für die zuständige Rabbiner hatte seinen Sitz indes in Frankfurt (Oder). Aus Biesenthal kam mit dem Gemeindevorsitzenden Levin Israel, dem Sohn des Israel Marcus, aber einer der drei Ältesten der Kurmärkischen Judenschaft, die die brandenburgischen Juden 1720 als ihre Vertreter gewählt hatten.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts lebten in Biesenthal 17 jüdische Familien. Der große Stadtbrand vom 14. September 1756 war für das kurfürstliche Generaldirektorium jedoch Anlass, die jüdische Gemeinde Biesenthal aufzulösen und die Juden auf andere Städte zu verteilen.  Bemerkenswerterweise wurde ihnen erlaubt, sich ihren künftigen Wohnsitz selbst zu wählen, was ihnen bis auf wenige Ausnahmen auch gewährt wurde. Biesenthaler Juden finden sich fortan in: Berlin, Bernau, Gardelegen, Lenzen, Neuruppin, Osterburg, Pritzwalk, Salzwedel, Seehausen, Spandau, Werben, Wittstock (Dosse) und Zerbst.  

Vereinzelt kehrten sie aber erst nach der Emanzipationsgesetzgebung von 1812 wieder zurück. 1819 zählte man zehn Personen, also zwei oder drei Familien. Noch vor der Auflösung des Amtes Biesenthal 1845 verringerte sich die Zahl der Juden jedoch abermals, auf acht.  Denn die große Anziehungskraft des Industriestandortes Berlins mit ihrer verkehrsmäßig guten Anbindung hatte inzwischen auch das Umland erfasst. Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sich daher die wenigen Juden der Stadt Bernau den Biesenthaler Juden für gemeinsame Gottesdienste an.  1925 lebten schließlich nur noch 18 Juden in der Stadt, die organisatorisch zur Jüdischen Gemeinde Eberswalde gehörten.

Zu denen, die in Biesenthal noch bis in die NS-Zeit lebten, zählen die Familien Abraham, Borchardt, Mühsam und der das Berliner Kaiserin-Auguste-Viktoria-Krankenhaus  leitende Kinderarzt Prof. Dr. Langstein. Sie hatten seit vielen Jahrzehnten zur Versorgung und Entwicklung Biesenthals beigetragen. Nun drängten die neuen Machthaber sie mit Gewalt aus der Stadtgesellschaft; ihre wenig verbliebenen nichtjüdischen Unterstützer wurden über die aufgestellten „Stürmer“-Kästen denunziert. Bereits im Juni 1933 beging Leopold Langstein Suizid. 1937 zwang man den Mühlenbesitzer Fritz Mühsam zum Verkauf seiner Mühle. Er überlebte aber die NS-Zeit durch die mit Lebensgefahr verbundene Hilfe durch seinen ehemaligen nichtjüdischen Mitarbeiter Herrn Schott. 1938 wurde das am Markt befindliche Kaufhaus des Textilwaren-Händlers Leo Abraham am Markt „arisiert“ und ging ins Eigentum des Sparkassenverbandes über. Er, seine Frau Johanna und die zwei Kinder Helga und Julius wurden im Januar 1943 in Auschwitz ermordet. Der Butterhändler Gerhardt Borchardt, seine Frau Hildegard und die Kinder Karl-Heinz, Gustav und Grete starben ebendort im März 1943.  Mit ihrer Deportation endete in Biesenthal endgültig eine Tradition, die 300 Jahre zuvor begonnen hatte.

Anke Geißler-Grünberg

Literatur und Internet:

Barnim-Echo: Erinnerungseiche zerstört, vom 31.01.2024.

Michael  Brocke / Eckehart Ruthenberg / Kai Uwe Schulenberg : Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland. (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), Berlin 1994, S. 257-260.

Meta Kohnke: Geschichte der jüdischen Gemeinde in Biesenthal von ihrer Gründung bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1758, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte,  53 (2002), S. 90-121.

Gertrud Poppe: Notizen zur Geschichte der Jüdischen Friedhofs und ehemaliger Bewohner jüdischer Herkunft in unserem Städtchen Biesenthal, in: Amtsblatt für das Amt Biesenthal-Barnim vom 27.02.2024 (Nr. 2), S. 26.

W. Riehl / J. Scheu (Hrsg.): Berlin und die Mark Brandenburg mit dem Markgrafthum Nieder-Lausitz in ihrer Geschichte und in ihrem gegenwärtigen Bestande, Berlin 1861, S. 292f.

Rudolf Schmidt : Zur Geschichte unserer heimischen jüdischen Gemeinden, Eberswalde 1929.

Wolfgang Weißleder : Der gute Ort. Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, Potsdam 2000, S. 55.

 

Klaus-Dieter Alicke: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Biesenthal, URL: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/a-b/397-biesenthal-brandenburg [15.04.2024]

Edition Luisenstadt: Berliner Bezirkslexikon, Charlottenburg-Wilmersdorf, 2009, URL: berlingeschichte.de/lexikon/indlexchw.htm [15.04.2024]

Heimatverein Biesenthal e.V., URL: www.heimatverein-biesenthal.de/index.html [15.04.2024]

Olav Schröder: Erinnerungskultur. Ein Ort für historische Grabsteine, in: Märkische Oderzeitung, vom 15.11.2018, in: https://www.moz.de/landkreise/barnim/bernau/artikel3/dg/0/1/1692124/ [31.12.2018]