Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Fürstenwalde/Spree
Als das Domkapitel des Bistums Lebus 1373 beschloss, ihren Hauptsitz nach Fürstenwalde zu verlegen, gehörte die Stadt bereits zu den wohlhabendsten Städten der Mark Brandenburg. Mit der Weihe des Fürstenwalder Doms St. Marien zur Kathedrale im Jahr 1385 fand der Umzug des Bischofs seinen Abschluss. Die zu diesem Zeitpunkt belegte Niederlassung von Juden in der Stadt steht mit diesem kirchlichen Weiheakt und der erreichten ökonomischen Position Fürstenwaldes unzweifelhaft in Zusammenhang.
Infolge der Erbauung des Müllroser Kanals zwischen Oder und Spree verlor die Stadt allerdings im zweiten Drittel des 17. Jh. ihre strategische Bedeutung als Warenumschlagplatz im West-Ost-Handel. Hinzu traten die Verheerungen des 30-jährigen Krieges. Um städtische Wirtschaft und Handelstätigkeit wieder zu beleben, entschloss sich der Fürstenwalder Magistrat darum in der Mitte des 18. Jh., Juden erneut die Ansiedlung in der Stadt zu gewähren. 150 Jahre zuvor waren sie sämtlichst aus der Mark Brandenburg ausgewiesen worden; nun besannen sich die Fürstenwalder Stadtväter der positiven Rolle, die Juden im Handel spielten. Die vier angesiedelten jüdischen Familien standen fortan unter ihrem besonderen Schutz.
Für 1825 sind interne Streitigkeiten überliefert, in deren Folge sich die kleine jüdische Gemeinschaft Fürstenwaldes 1827 spaltete. Es ist davon auszugehen, dass diese Spaltung ein Resultat der innerjüdischen Debatten um eine Modernisierung des Judentums war. Orthodoxe lehnten nicht nur die Liberalisierung der Gottesdienste ab, sondern befürchteten die Aufgabe traditioneller jüdischer Werte zugunsten einer Angleichung an die christliche Mehrheitsgesellschaft. Fortan trafen sich zwei Betergemeinschaften in unterschiedlichen Synagogen. Einer nicht datierten Quelle zufolge hielt diese Trennung jedoch nicht lange vor; man nutzte bald wieder ein gemeinsames Gotteshaus, das sich die Juden in einem gemieteten Lokal einrichteten. Eine Adresse wird nicht genannt, lediglich für das Jahr 1819 das Alte Comturhaus.
1835 gab es in Fürstenwalde drei jüdische Kinder, die wie anderenorts auch die städtische Schule besuchten. Organisatorisch waren die knapp 50 Fürstenwalder Juden aber der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt (Oder) angeschlossen, besaßen also keinen autonomen Status. Dass sie durchaus als gemeinsame Gruppe agierten, bezeugt indes die Einweihung ihres neuen Begräbnisplatzes an der Frankfurter Straße im Sommer 1829, der traditionelle und moderne Juden einte, sowohl nach ihrem Tod als auch in ihrem Gedenken an verstorbene Angehörige.
Fürstenwalde erholte sich von seiner wirtschaftlichen Talfahrt durch neue Gewerbe, namentlich durch Handwerksbetriebe und verschiedene Spreemühlen, die sich auf den der Altstadt vorgelagerten Inseln ansiedelten. Dazu gehörte auch eine 1837 errichtete Wassermühle, die heute als einzige historische Mühle erhalten geblieben ist. Aufgrund des dadurch entstandenen erhöhten Güterverkehrs folgte nur fünf Jahre später die Anbindung Fürstenwaldes ans Netz der Eisenbahnstrecke zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) und damit die Einbindung in größere Handelsnetze. Welchen Anteil Juden an diesem wirtschaftlichen Aufschwung hatten, muss jedoch an anderer Stelle untersucht werden.
Der Kaufmann Julius Meseritzer war aber offenbar so erfolgreich, dass er 1870 ein Haus in der Frankfurter Straße kaufte und dieses zur Synagoge umbauen ließ. Zehn Jahre später erwarb die inzwischen auf über 100 Mitglieder angewachsene Jüdische Gemeinde zu Fürstenwalde dieses Gebäude und konnte sich damit als autonome Synagogengemeinde konstituieren. In der bereits genannten Quelle wird erwähnt wird, dass sie nun einen Schächter und Vorsänger, jedoch keinen eigenen Rabbiner beschäftigte.
Durch die zur gleichen Zeit erfolgte Errichtung eines Zweigwerkes für Gas- und Beleuchtungsmittel des Berliner Unternehmers Julius Pinsch entwickelte sich Fürstenwalde zu einem wichtigen Industriestandort, der viele Menschen in die Stadt lockte. Bis 1925 wuchs die Bevölkerung um knapp 10.000 auf 23.000 Einwohner. Möglich ist, dass auch Juden zu denjenigen Arbeitern gehörte, die im Pinsch-Werk ihr Geld verdienten. In jedem Fall integrierten sie sich zusehends in die Stadtgesellschaft, zieht man die spärlichen Informationen zu ihrer Gemeindegeschichte in Betracht. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung stellt daher ohne Zweifel die im Sommer 1928 erfolgte Einweihung der Trauerhalle auf dem Jüdischen Friedhof dar, die unter breiter öffentlicher Anteilnahme erfolgte. Zum Synagogenbezirk Fürstenwalde gehörten um 1930 neben der Stadt selbst acht umliegende Gemeinden – Alt-Madlitz, Beeskow, Berkenbrück, Briesen, Demnitz, Hangelsberg, Neuendorf und Saarow – in denen insgesamt ca. 160 Juden lebten.
Mit der Machtübertragung auf Hitler endete 1933 die Integrationsgeschichte der Fürstenwalder Minderheit. Im Laufe des Jahres sank ihre Anzahl dramatisch ab, die sich in den Folgejahren weiter reduzierte. Wer konnte, floh vor zunehmenden Demütigungen und zunehmender Gewalt. In der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 brannte schließlich die Synagoge. Während das Gebäude aber aufgrund seiner direkten Nachbarschaft zu Wohnhäusern erhalten blieb, überfiel der faschistische Mob jüdische Geschäfte ebenso wie den Jüdischen Friedhof, der samt Trauerhalle und Gräberfeld in Gänze zerstört wurde. Die Deportation der letzten Fürstenwalder Juden Ende 1941 beendete jüdisches Leben in der Stadt; 1944 wurde der Jüdische Friedhof an die Stadt zwangsverkauft. Auch wenn vereinzelte Juden den Holocaust in sogenannten Mischehen überlebten, entstand nach 1945 keine neue Jüdische Gemeinde mehr in Fürstenwalde.
Im nahe Fürstenwalde gelegenen Neuendorf im Sande entstand 1940 ein Hachschara-Lager für jüdische Jugendliche, die sich unter Leitung der Lehrerin Clara Grunwald auf ihre Emigration nach Palästina vorbereiteten. Bis zur gewaltsamen Schließung dieser Ausbildungsstätte im Jahr 1943 lebten und lernten hier ca. 200 junge Menschen handwerkliche, land- und hauswirtschaftliche Fertigkeiten.
Aus Anlass des 50. Jahrestages der Pogromnacht wurde am 9. November 1988 am Gebäude der ehemaligen Synagoge in der Frankfurter Straße eine Gedenktafel enthüllt, die diesen Ort als mahnenden Gedenkort markierte. Seit 2005 wurden in Fürstenwalde 50 Stolpersteine verlegt, die an den letzten freiwilligen Wohnort von Verfolgten des NS-Regimes erinnern, zu denen auch die Fürstenwalder Juden zählen.
Anke Geißler-Grünberg
Literatur, Quellen und Internet:
Ein bedeutsamer Tag für die jüdische Gemeinde Fürstenwalde, in: Fürstenwalder Zeitung, 3. Juni 1928.
Städtisches Museum Fürstenwalde: Jüdischer Friedhof Fürstenwalde. Istzustand Mai 1999.
Wolfgang Weißleder: Der Gute Ort - Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, hrsg. vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam 2002, S. 108.
Klaus-Dieter Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, URL: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/670-fuerstenwalde-brandenburg [14.10.2019]
Stadt Fürstenwalde/Spree: URL: www.stadtgeschichte.fuerstenwalde-spree.de [14.10.2019]
Verein für Heimatgeschichte und Heimatkunde Fürstenwalde/Spree: URL: www.stadtchronik.museum-fuerstenwalde.de/zeittafel.html [14.10.2019]
Zusammen in Neuendorf - S.A.N.D.E. e.V.: URL: www.zusammen-in-neuendorf.de/index.htm [14.10.2019]