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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Rathenow

Foto: Rolf Blase
Ehemalige Synagoge in Rathenow

Seit dem 14. Jahrhundert siedelten Juden in Rathenow. Die erste Erwähnung jüdischer Einwohner in Rathenow stammt aus dem Jahr 1343, eine weitere aus dem Jahr 1371. Die Rathenower Juden mussten ein Schutzgeld an den Magistrat der Stadt zahlen, waren aber dennoch immer wieder Verfolgungen und Repressalien ausgesetzt. Es ist anzunehmen, dass sie im Zuge der Judenvertreibungen des Jahres 1510 die Stadt verlassen mussten.

Erst mit dem Edikt des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm zur Ansiedlung von 50 Wiener jüdischen Familien aus dem Jahr 1671 kamen wieder Juden in die Mark Brandenburg. Es dauerte aber noch bis zum Jahr 1691 bis die ersten Juden nach Rathenow kamen. In diesem Jahr erbaten und erhielten die Brüder Isaak, Jakob und Markus David einen gemeinsamen Schutzbrief für sich und ihre Familien. Die nicht-jüdischen Krämer und Kaufleute Rathenows standen der Wiederansiedlung von Juden jedoch ablehnend gegenüber, da sie wirtschaftliche Einbußen befürchteten. 

Von 1707 bis 1749 war der Textilhändler Levin Moses in Rathenow ansässig. 1713 erhielt er einen Schutzbrief und war in den kommenden Jahren der bedeutendste jüdische Händler Rathenows. Wohnhaft war er in einem Haus an der Ecke Havelstraße/Fischerstraße (später Jüdenstraße), welches allerdings auf einen christlichen Eigentümer eingetragen war, da Levin Moses nicht das Recht zum Erwerb von Grundbesitz hatte. Schon vor 1720 hatte er einen Anbau errichten lassen, welcher den Rathenower Juden als Betraum diente. 1739 erwarb Levin Moses einen Schutzbrief mit Handelsgenehmigung für seinen Sohn Pintus Levin. Dieser erwarb im selben Jahr ein Haus in der Berliner Straße 4 der Rathenower Neustadt und errichtete auf dessen Hof ein Bethaus für die Gemeinde.

Im Jahr 1748 wurde Rathenow Garnisonsstadt und Pintus Levin, welcher ab 1760 Oberältester der Juden in Rathenow war, wurde zum Textillieferant der preußischen Armee und erbaute 1764/65 in der Fabrikenstraßen in der Rathenower Neustadt drei Häuser für seine Kanevas- und Barchentmanufaktur, in welchen die Weber wohnten und arbeiteten. Um den Bedarf an Rohmaterial für seine Manufaktur zu decken, erhielt Pintus Levin im Jahre 1765 15.000 Taler zur Errichtung des Spinnerdorfes Neufriedrichsdorf mit 50 Doppelhäusern für 100 Spinnerfamilien. Dieses wurde 1768 fertiggestellt. Im selben Jahr starb Pintus Levin und seine Manufaktur musste kurz darauf geschlossen werden, da es der Familie nicht gelang, sie weiterzuführen.

Von 1774 bis 1777 lebten acht jüdische Familien in Rathenow, unter diesen auch die Söhne des Pintus Levin. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts sind starke Schwankungen der jüdischen Bevölkerungszahlen in Rathenow zu verzeichnen. So lebten um 1800 13 jüdische Familien mit 57 Personen in der Stadt, 1812 24 Familien mit 39 Personen und 1843 nur acht Familien mit 35 Personen. 1849 stieg die Zahl auf zwölf Familien mit 51 Personen, um schon ein Jahr später auf sechs Familien mit 22 Personen abzufallen.

Nach dem Tod von Pintus Levins Sohn Michael im Jahr 1830 ging dessen Grundstück und das darauf befindliche Bethaus in den Besitz des Bürgers Seidel über, welcher 1845 der jüdischen Gemeinde das Bethaus kündigte. Daher wurde im selben Jahr von der Gemeinde ein Hinterhaus in der Havelstraße 181 erworben und darin eine Synagoge und eine Schule eingerichtet.

Auf Grundlage des „Gesetz[es] über die Verhältnisse der Juden“ vom 23. Juli 1847 schlossen sich die Juden der Ortschaften Friesack, Rhinow und Rathenow 1853 zur Synagogengemeinde Friesack-Rathenow zusammen. Deren Sitz lag zunächst in Friesack und ab 1892 in Rathenow. 

1926 erwarb die Gemeinde ein Wohnhaus in der Fabrikenstraße 2, der heutigen Wilhelm-Külz-Straße, in welchem am 5. September 1926 die neue Synagoge eingeweiht wurde.

Hatte es 1910 nur 42 Juden in Rathenow gegeben, waren es 1926 bereits 112 und 1933 110 jüdische Einwohner Rathenows bei einer Gesamteinwohnerzahl von 28.043. Die meisten von ihnen waren Kaufleute und die jüdischen Geschäfte hatten einen guten Ruf in der Stadt. Dennoch fielen sie ab April 1933 den Boykotten der SA zum Opfer und die meisten jüdischen Läden wurden 1935 zur Schließung gezwungen. In einem Rathenower Adressbuch aus dem Jahr 1939 ist keines der Unternehmen und Handelshäuser mehr zu finden.

Im Zuge der Novemberpogrome von 1938 wurde die Rathenower Synagoge verwüstet und ihre Einrichtung zerstört. Sie wurde jedoch nicht in Brand gesetzt, da im Dachgeschoss der nicht-jüdische Hausmeister wohnte. Die Mehrzahl der männlichen Juden Rathenows wurde im Zuge dieser Aktion in Polizeigewahrsam genommen und später für mehrere Wochen nach Sachsenhausen gebracht. Das Novemberpogrom markierte auch das Ende der jüdischen Gemeinde in Rathenow, die am 15. November 1938 dazu gezwungen wurde, das Grundstück in der Fabrikenstraße 2 zu verkaufen. Bis 1939 emigrierten einige Familien und entgingen so der Vernichtung.

Ab 1941 mussten die verbliebenen jüdischen Einwohner Rathenows in drei sogenannten „Judenhäusern“ zusammengepfercht leben. 1942/1943 wurden sie in verschiedene Konzentrationslager bzw. Ghettos gebracht und ließen dort ihr Leben. 15 Rathenower Juden wurden Opfer der Schoah, zwei überlebten und kehrten nach Kriegsende in die Stadt zurück.

Erwähnenswert ist noch, dass es von 1934 bis 1942 in der Nähe Rathenows das Hachschara-Lager Steckelsdorf gab, welches vom Bachad (Abkürzung für Brith Chaluzim Datiim, Bund religiöser Pioniere) betrieben wurde. In diesem jüdischen Kibbuz arbeiteten jüdische Jugendliche in der Landwirtschaft und bereiteten sich auf die Auswanderung nach Palästina vor. Ab Herbst 1940 wurden sie verstärkt zu Arbeiten im Straßenbau und in der Rüstungsindustrie herangezogen. Seit 1941 lebten auch ältere Juden in Landwerk Steckelsdorf, die dorthin geflohen waren. 1942 wurde es aufgelöst und die Grundstücke dem Deutschen Reich zugeschlagen. Die dort arbeitenden Juden wurden 1942 an unbekannte Orte deportiert. Nur ein einziger konnte nach Palästina fliehen und so diesem Schicksal entgehen. Heute befindet sich auf dem Grundstück ein Kinderheim. Eine Gedenktafel erinnert an die ehemalige Nutzung als Hachschara-Landwerk.

Rolf Blase

 

Quellen und Literatur:

Götze, Bettina, Rathenow, in: Diekmann, Irene (Hrsg.): Jüdisches Brandenburg – Geschichte und Gegenwart, Berlin 2008.

Weißleder, Wolfgang, Der Gute Ort – Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, Potsdam 2002.

Alicke, Klaus-Dieter, Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, in: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/p-r/1618-rathenow-brandenburg [letzter Aufruf: 28.03.17]

Internetseite Alemannia Judaica www.alemannia-judaica.de/brandenburg_friedhoefe3.htm, Eintrag „Rathenow“ [letzter Aufruf: 28.03.17]