Ehrschutz
A. Einführung
Schutzgut der §§ 185 – 200 StGB ist die der Ehre eines (lebenden) Menschen. Der Begriff der „Ehre“ ist sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen nur schwer zu fassen. In der Rechtswissenschaft hat sich der sog. normative Ehrbegriff durchgesetzt. Danach ist Ehreder Wert, der dem Menschen kraft seiner Personenwürde und auf Grund seines sittlich-sozialen Verhaltens zukommt.
Die Straftatbestände dieses Abschnitts umfassen die einfache und die tätliche („wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird“) Beleidigung in § 185 StGB. Es werden die Behauptung unwahrer Tatsachen gegenüber dem Betroffenen sowie die Kundgabe von Werturteilen, die beleidigend sind, unter Strafe gestellt. Die üble Nachrede (§ 186 StGB) hingegen ist auf Werturteile nicht anzuwenden, sondern bezieht sich auf ehrenrührige, nicht erweislich wahre Tatsachen, die gegenüber einem Dritten geäußert werden. In § 187 StGB, Verleumdung, muss der Täter im Unterschied zu § 186 StGB wider besseren Wissens handeln.
B. §§ 185 ff. – Beleidigung
Die Gemeinsamkeit aller aufgezählten Straftatbestände ist ihr Charakter als Kundgabedelikte. Wenn Ehrverletzendes in privaten Aufzeichnungen wie Tagebüchern oder im Selbstgespräch geäußert wird, so bleibt dies straflos. Erforderlich ist für die Kundgabe vielmehr, dass die Äußerungen einen bestimmten und objektiv bestimmbaren Inhalt haben, der sich an jemand anderen richtet und zu dessen Kenntnisnahme bestimmt ist.
I. Beleidigungsfähigkeit
Beleidigungsfähig sind alle lebenden Menschen. Das ergibt sich bereits aus dem zugrundeliegenden Schutzgut der Ehre (s.o.). In Abgrenzung zu natürlichen Personen stellt sich die Frage der (passiven) Beleidigungsfähigkeit bei juristischen Personen, also bspw. bei einem Verein oder einer GmbH. Das wird danach beurteilt, ob die jeweilige juristische Person eine anerkannte soziale Funktion erfüllt und einen einheitlichen Willen bilden kann. Beispiele sind politische Parteien, Gewerkschaften, die Bundeswehr, Deutsches Rotes Kreuz etc.
Im Gegensatz dazu stehen rein gesellige Vereinigungen wie ein Kegelverein; diese sind nicht beleidigungsfähig.
Schließlich müssen jene Fälle gesondert betrachtet werden, in denen eine einzelne Person unter Verwendung einer Kollektivbezeichnung beleidigt wird. Strafbar sind solche Beleidigungen nur, wenn der mit der Bezeichnung verbundene Personenkreis zahlenmäßig überschaubar und auf Grund bestimmter Merkmale abgrenzbar ist. Hieran fehlt es regelmäßig bei pauschalen Beschimpfungen „der Lehrer“, „der Polizei“ oder „der Politiker“.
Die Beurteilung der Frage, ob die Beleidigung der Familie strafbar sein soll, ob also die Familie als Gemeinschaft passiv beleidigungsfähig sein soll, wird uneinheitlich beurteilt. Überwiegend wird das Bestehen einer „Familienehre“ abgelehnt und auch die passive Beleidigungsfähigkeit der Familie selbst verneint.
II. § 185 StGB – Beleidigung
Das einzige objektive Tatbestandsmerkmal in § 185 StGB ist: „Die Beleidigung“. Die Beleidigung wird definiert als Kundgabe von eigener Missachtung oder Nichtachtung. Dies kann auf verschiedene Art und Weisen ausgedrückt werden. Im Unterschied zu den unten folgenden Straftatbeständen sind von § 185 StGB sowohl Meinungsäußerungen (Werturteile) als auch Tatsachenbehauptungen erfasst. Beleidigen kann man aber auch durch das Vorhalten ehrenrühriger Tatsachen oder symbolische Handlungen (Bsp.: „Tippen an die Stirn“). Ob im jeweiligen Einzelfall eine Beleidigung anzunehmen ist oder nicht, bestimmt sich nach den Umständen des jeweiligen Sachverhalts. Bei der Beurteilung einer Aussage kommt es stets auf die Perspektive eines unbefangenen Dritten an. Es gilt insbesondere bloße Unhöflichkeiten nicht sogleich unter Strafe zu stellen.
Auf Seite des subjektiven Tatbestands muss der Täter vorsätzlich handeln. Dabei genügt der Eventualvorsatz (dolus eventualis).
Zu möglichen Rechtfertigungsgründen s.u.
III. § 187 StGB – Verleumdung
Die Verleumdung in § 187 StGB setzt das Behaupten unwahrer Tatsachen voraus. Tatsachen sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind.
Außerdem muss die behauptete Tatsache „denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“ geeignet sein. Die Tatsache muss „ehrenrührig“ sein. § 187 StGB unterscheidet zudem zwischen „Behaupten“ und „Verbreiten“. Dabei meint „Behaupten“, etwas nach eigener Überzeugung als richtig oder gewiss hinstellen. Die Weitergabe fremden Wissens ist demgegenüber als „Verbreiten“ i.S.d. § 187 StGB zu verstehen.
Das Behaupten oder Verbreiten unwahrer Tatsachen muss wider besseres Wissen geschehen. Erforderlich ist, dass der Täter die Unwahrheit sicher kennt. Daraus ergibt sich, dass auf der Seite des subjektiven Tatbestand direkter Vorsatz (dolus directus 2. Grades) vorauszusetzen ist.
IV. § 186 StGB – Üble Nachrede
Die Voraussetzungen der üblen Nachrede überschneiden sich weitgehend mit denen der Verleumdung. Sowohl der Tatsachenbegriff als auch die möglichen Kundgabeformen sind identisch.
In § 186 StGB findet sich aber diesen Halbsatz: „wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist“. Diese ungewöhnliche Formulierung deutet bereits auf eine Besonderheit hin. Dass die behauptete oder verbreitete Tatsache unwahr ist, stellt hier – im Gegensatz zu § 187 StGB – kein Merkmal des objektiven Tatbestands dar. In der Fachsprache bezeichnet man diese Besonderheit als objektive Bedingung der Strafbarkeit. Der Vorsatz muss sich nicht auf die Unwahrheit der Tatsache beziehen.
V. Besondere Rechtfertigungsgründe
Mit § 193 StGB kennt das Gesetz einen speziellen Rechtfertigungsgrund für die Beleidigungsdelikte. Einschlägig sind aber auch anderen allgemeinen Rechtfertigungsgründe, wie Notwehr (§ 32 StGB) oder die rechtfertigende Einwilligung.
In § 193 StGB werden einzelne Fälle aufgezählt, in denen eine ehrenrührige Tatsache gerechtfertigt ist, so bspw. tadelnde Urteile über künstlerische Leistungen. Straflos bleibt auch, wer (sonstige) berechtigte Interessen wahrnimmt. Dabei muss die Äußerung zur Interessenwahrnehmung erforderlich, geeignet und angemessen sein. Insbesondere die Frage nach der Angemessenheit der Interessenwahrnehmung macht eine ausführliche Abwägung im konkreten Einzelfall erforderlich. Unter diesem Aspekt gewährleistet das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) einen besonderen Schutz der freien Rede. Fälle, in denen die Angemessenheit zu verneinen ist, sind vor allem solche Äußerungen, die keinen sachlichen Zusammenhang zur ursprünglichen Auseinandersetzung aufweisen.
Von § 193 StGB i.V.m. Art. 5 GG erfasst werden auch kraftvolle bis herabsetzende Äußerungen oder Wertungen, beispielsweise Äußerungen im politischen Meinungskampf bzw. zum tagesaktuellen Geschehen von besonderem öffentlichen Interesse, solange nicht ausschließlich das Gegenüber gekränkt werden sollte (Exzess).
C. Werkzeuge
Definitionen:
Ehre | Wert des Menschen, der dem Menschen kraft seiner Personenwürde und aufgrund seines sittlich sozialen Verhaltens zukommt. (normativer Ehrbegriff) |
Beleidigung | Kundgabe von eigener Missachtung, Nichtachtung oder Geringschätzung. |
Tatsachen | Konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. |
Behaupten | Etwas als nach eigener Überzeugung gewiss oder richtig hinstellen. |
Verbreiten | Weitergabe von Mitteilungen als Gegenstand fremden Wissens. |
D. Anwendung
Fallbeispiel:
„Der wenig tolerante T bezeichnet den leicht geistig behinderten C als „Obertrottel“, der aus einer „Familie von Affen“ stamme. Überhaupt seien Behinderte „der Abschaum der Gesellschaft“.
Strafbarkeit des T ? Zu prüfen sind nur die §§ 185 ff. StGB.“
(Das Fallbeispiel stammt aus: Mavany, JURA 2010, S. 594 ff.)
Vorüberlegungen:
T äußerte die Bemerkung C sei ein „Obertrottel“ direkt gegenüber C als Rechtsgutsträger.
Behinderte seien „Abschaum der Gesellschaft“ ist als Aussage nicht dem Beweise zugänglich. Vielmehr beabsichtigt T damit aber eine Herabwürdigung des C. Es handelt sich auch bei dieser Aussage um ein Werturteil.
Bei der Äußerung, C stamme aus einer „Familie von Affen“, ist zu differenzieren:
Einerseits ist C selbst Adressat der Äußerung
Andererseits könnte die Familie des C Adressat der Äußerung sein, das heißt entweder die Familie im Ganzen oder aber die einzelnen Familienmitgliedern.
Es ist zu unterscheiden, ob es sich um ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung handelt. Die Abstammung des C könnte als Feststellung im biologischen Sinne eine beweisbare Tatsachenbehauptung sein. Allerdings gibt T damit seiner persönlichen Ansicht Ausdruck. Er bezeichnet die Familie als geistig rückständig und unzivilisiert und vergleicht sie mit Tieren. Schwerpunkt dieser Äußerung, bei der Werturteil und Tatsachenbehauptung nicht sinnvoll voneinander getrennt werden können, der Werturteilscharakter.
Lösungsvorschlag
T könnte sich gem. § 185 StGB wegen Beleidigung strafbar gemacht haben, indem er sagte, C sei ein „Obertrottel“, stamme aus einer „Familie von Affen“ und überhaupt seien Behinderte „Abschaum der Gesellschaft“. I. Tatbestandsmäßigkeit Bei der Äußerung des T könnte es sich um eine Beleidigung handeln. Eine Beleidigung ist die Kundgabe von eigener Missachtung, Nichtachtung oder Geringschätzung. Alle drei Behauptungen des T drücken aus, dass er C als geistig leicht Behinderten geringschätzt. Er bringt mittels Tiervergleich seine Herabwürdigung gegenüber Behinderten im Allgemeinen zum Ausdruck; dazu bedient sich T auch eines Tiervergleiches. ii) Passive Beleidigungsfähigkeit Fraglich ist, wie es sich hinsichtlich der passiven Beleidigungsfähigkeit der Familie des C verhält. Die Beleidigung des T erfolgt unter einer Kollektivbezeichnung („Familie“). Kollektive sollen nur beleidigungsfähig sein, soweit sie einen einheitlichen Willen bilden können und eine rechtlich anerkannte soziale Funktion erfüllen. Dass die Familie eine rechtlich anerkannte soziale Funktion kann in Anbetracht von Art. 6 GG nicht bezweifelt werden. Um eine Uferlosigkeit des Tatbestands der Beleidigung zu verhindern, erscheint eine restriktivere Normanwendung angemessen. Eine Familienehre wird daher gemeinhin jedoch abgelehnt. Die Familie des C als Kollektiv ist mithin nicht beleidigungsfähig. Weiter könnte es sich um eine Beleidung von Einzelpersonen (Familienmitglieder des C) unter einer Kollektivbezeichnung („Familie“) handeln. Die Kollektivbezeichnung muss dazu einen klar abgrenzbaren, überschaubaren Personenkreis bezeichnen. Auch muss hervor gehen, dass die einzelnen Individuen gemeint sind. Bei Verwendung des Begriffs „Familie“ ist nicht klar, ob damit nur der engste Familienkreis (nur Eltern und Kinder) gemeint ist oder auch entferntere Verwandte. Infolge dieser Unbestimmtheit des Familienbegriffs erfüllt die Aussage des T (C stamme von einer „Familie von Affen“ ab) nicht die Voraussetzungen einer Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung. Mithin ist keine Beleidigung der einzelnen Familienmitglieder des C anzunehmen. Die Gruppe aller Behinderter, welche T mit seiner Äußerung, Behinderte seien „Abschaum der Gesellschaft“, adressierte, könnte passiv beleidigungsfähig sein. Als Kollektiv fasst diese gesellschaftliche Gruppe keinen einheitlichen Willen bzw. erfüllen als Kollektiv keine soziale Funktion (anders als beispielsweise politische Parteien, Gewerkschaften o.Ä.) Mithin ist die Gruppe der Behinderten nicht als Kollektiv passiv beleidigungsfähig. Auch erfüllt die Aussage ob ihrer Allgemeinheit nicht die Voraussetzungen einer Beleidigung der Individuen unter der Kollektivbezeichnung, dafür ist der angesprochene Personenkreis deutlich zu unbestimmt. b. Subjektiver Tatbestand Hinweis: Der Sachverhalt gibt keinerlei Anhaltspunkte hinsichtlich des Innenlebens des T. In Prüfungsarbeiten sowie in der Praxis müsste dies näher dargelegt werden. II. Rechtswidrigkeit III. Schuld IV. Ergebnis |
E. Selbststudium
www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/recht-a-z/323119/beleidigung/