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Arbeitsrecht

A. Einleitung

Das Arbeitsrecht kann als Sonderprivatrecht bezeichnet werden, welches die Rechtsbeziehung zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen regelt. Unterteilen lässt sich das Arbeitsrecht in das Individual- und das Kollektivarbeitsrecht – ersteres regelt die Beziehung zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, letzteres das Recht der arbeitsrechtlichen Koalitionen (Zusammenschlüsse von Arbeitnehmer*innen) und somit insbesondere das Tarifvertragsrecht, das Arbeitskampfrecht (Streik) und das Betriebsverfassungsrecht.

Sinn und Zweck des Arbeitsrechts im Allgemeinen ist es, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer*innen als schwächere, somit besonders schutzwürdige Partei und den Interessen der jeweiligen Arbeitgeber*innen zu schaffen. Hierbei ist zu beachten, dass es nicht „das Arbeitsrecht“ an sich gibt, sondern dass sich die Vorschriften zum Arbeitsrecht aus vielen einzelnen Rechtsquellen zusammensetzen (zum Rangverhältnis s. I.4. „Rechtsquellen im Arbeitsrecht“). Einfach-gesetzliche Regelungen lassen sich aus dem BGB, dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG), dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), dem Sozialgesetzbuch XI (SGB XI), dem SGB VII, dem Berufsbildungsgesetz (BBiG), aber auch dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) und dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) entnehmen.

Sofern es zu arbeitsrechtlichen Streitigkeiten kommt, unterfallen diese gem. § 2 f. Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) der sachlichen Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.

Der nachfolgende Beitrag soll dazu dienen, einen Überblick über die Grundlagen des Arbeitsrechts zu verschaffen. Hierzu werden insbesondere die Themenkomplexe „Lohn ohne Arbeit“, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die verschiedenen Arten der Kündigungen und Teile des Kollektiven Arbeitsrechts näher beleuchtet. Zudem erfolgt eine klare Abgrenzung zum Strafrecht. Um den Beitrag inhaltlich auf die wichtigsten Aspekte beschränken zu können, werden weniger relevante Themenbereiche nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

 

B. Überblick: Arbeitsrecht

Bei dem Arbeitsrecht handelt es sich wie oben bereits dargestellt um ein Sonderprivatrecht, welches das rechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen regelt.

 

I. Grundlagen

Zunächst gilt es, grundlegende Begriffe sowie das Zustandekommen von Arbeitsverhältnissen zu erläutern und die Rechtsquellen im Arbeitsrecht näher zu beleuchten.

 

1. Grundbegriffe

Arbeitnehmer*in ist gem. der Legaldefinition aus § 611a Abs. 1 S. 1 BGB, wer „im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet“ ist.

Ein*e  Arbeitnehmer*in ist Beschäftigte*r einer anderen Person, die Arbeitsleistung eigenständig zu erbringen hat und im Rahmen der Arbeit den Weisungen der Arbeitgeber*innen (vgl. zum Weisungsrecht § 106 Gewerbeordnung (GewO)) unterliegt, welche in § 611a Abs. 1 S. 2 BGB konkretisiert werden. Demnach sind die Arbeitnehmer*innen in puncto Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort weisungsgebunden.

Arbeitgeber*in ist hingegen, wer mindestens eine*n Arbeitnehmer*in beschäftigt.

Arbeitnehmerähnliche Personen stellen eine Sonderform dar. ISd. § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG gehören sie zu den Arbeitnehmer*innen, da sie wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind.

 

2. Begründung eines Arbeitsverhältnisses, Pflichten

Ein Arbeitsverhältnis kommt durch Abschluss eines Arbeitsvertrages iSv. § 611a BGB zustande, welcher eine besondere Ausprägung des Dienstvertrags aus § 611 BGB mit speziellen Rechten und Pflichten für beide Parteien ist. Wie bei jedem zivilrechtlichen Vertragsschluss bedarf es eines Angebots und einer Annahme – somit zwei kongruenten Willenserklärungen, die auf Abschluss des Arbeitsvertrags gerichtet sind. Hierbei müssen sich die Parteien über die essentialia negotii – die wesentlichen Vertragsbestandteile – einigen. Die Einigung muss hierbei zumindest die vertragsschließenden Parteien, d.h. Arbeitgeber*in / Arbeitnehmer*in, die zu erbringende Arbeitsleistung, sowie den Lohn umfassen. Eine Einigung über weitere Rechte und Pflichten ist möglich, aber nicht zwingend notwendig.

Um einer Umgehung der arbeitsrechtlichen Vorschriften vorzubeugen, wird in § 611a Abs. 1 S. 5, 6 BGB das allgemeine Prinzip der sog. „falsa demonstratio non nocet“ (lat. „Falschbezeichnung schadet nicht“) statuiert. Die Frage, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, bemisst sich an der Gesamtbetrachtung aller vorliegenden Umstände. Sofern sich das Rechtsverhältnis sodann als Arbeitsverhältnis herausstellt, schadet gem. § 611a Abs. 1 S. 6 BGB eine falsche Bezeichnung des Rechtsverhältnisses im Vertrag nicht.

Hauptpflicht aus dem Vertrag sind somit für Arbeitnehmer*innen die Leistung der vertraglich zugesicherten Arbeit und für Arbeitgeber*innen gem. § 611a Abs. 2 BGB die Zahlung der vereinbarten Vergütung. Daneben bestehen selbstverständlich weitere Nebenpflichten, wie zum Beispiel die Loyalitätspflicht, die allgemeine Rücksichtnahmepflicht aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag sowie bestimmte Anzeigepflichten, hierbei insbesondere die aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz.

 

3. Rechtsquellen im Arbeitsrecht

Arbeitsrechtliche Regelungen entstammen nicht nur dem Bürgerlichen Gesetzbuch, sondern lassen sich in vielen Gesetzen, Verordnungen und Verträgen sowie Vereinbarungen auffinden. Eine Hilfe zur Strukturierung der Rechtsquellen bildet die nachfolgende arbeitsrechtliche Normenpyramide:

Die jeweils seitlich angemerkten Prinzipien sind nur für den Fall einer arbeitsrechtlichen Normenkollision, d.h. wenn in einem Streitfall mehrere, z.T. widersprüchliche Normen anwendbar sind, von Belang: In erster Linie gilt, wie in jedem anderem Rechtsgebiet auch, das Rang(folgen)prinzip. Demnach gilt von zwei oder mehreren Normen, die einen Sachverhalt regeln können, grundsätzlich immer die höherrangige Norm. Somit würde zum Beispiel eine tarifvertragliche Regelung einer arbeitsvertraglichen Regelung vorgehen. Weiterhin gilt das international anerkannte Günstigkeitsprinzip, nach welchem von mehreren anwendbaren Normen diejenige vorrangig gilt, die für die Arbeitnehmer*innen objektiv am nützlichsten bzw. am günstigsten ist.

 

II. „Lohn ohne Arbeit“

Grundsätzlich haben die Arbeitnehmer*innen die vertragliche Hauptleistungspflicht zu erfüllen, um sodann von den Arbeitgeber*innen entlohnt zu werden. Hierbei sind die Arbeitnehmer*innen vorleistungspflichtig. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch auch Ausnahmen, sodass in den folgenden Konstellationen ein Anspruch auf Arbeitsentgelt (umgangssprachlich Lohn) trotz Nichtleistung der Arbeit besteht:

 

1. Mutterschaftsentgelt / Erholungsurlaub / Feiertage

Während eines Beschäftigungsverbotes im Falle einer Schwangerschaft wird die werdende Mutter besonders durch das Mutterschutzgesetz geschützt. Ein Anspruch der werdenden Mutter auf Zahlung des Entgelts ergibt sich somit aus §§ 18, 19 MuSchG.

Während eines Erholungsurlaubs hingegen sind die Arbeitnehmer*innen gem. §§ 11 BurlG, 2 EFZG nicht zur Arbeit verpflichtet und behalten gleichzeitig ihren Lohnzahlungsanspruch, wobei den Arbeitnehmer*innen der volle Urlaubsanspruch erst nach einem halben Jahr Beschäftigung zusteht, § 4 BUrlG. An Feiertagen sind die Arbeitnehmer*innen gem. § 2 EFZG weiterzubezahlen.

 

2. Allgemeines Schuldrecht

Aus dem allgemeinen Schuldrecht greifen die Regelungen der §§ 275, 326 Abs. 2 S. 1 BGB subsidiär. Dies bedeutet, dass dem Anspruch aus §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 2 S. 1 BGB speziellere Regelungen, namentlich die der §§ 615, 293ff. BGB sowie die des § 616 BGB, vorgehen.

Sind Arbeitgeber*innen demnach für den Umstand, aufgrund dessen die Arbeitnehmer*innen gem. § 275 Abs. 1 BGB wegen tatsächlicher Unmöglichkeit nicht zu leisten braucht, überwiegend verantwortlich, so behalten die Arbeitnehmer*innen ihren Lohnzahlungsanspruch.

Beispiel:  Rechtsanwalt R betreibt eine Einzelkanzlei. Für ihn arbeitet S als Sekretärin. Da R seine 10 letzten Verfahren allesamt verloren hat, beschließt er, am heutigen Tage nicht zur Arbeit zu gehen, sondern seinen Frust im Alkohol zu ertränken. Hierzu begibt er sich in die Kneipe „anne Tränke“. Unterdessen steht S, die keinen Schlüssel zur Kanzlei besitzt, vor verschlossener Kanzleitüre. Hat S einen Anspruch auf Zahlung des Lohns?
Der Anspruch ergibt sich vorliegend aus dem wirksamen Arbeitsvertrag, vgl. §§ 611a, 612, 614 BGB. Dem könnte jedoch eine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB entgegenstehen. Vorliegend ist es S aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, sodass gem. § 326 Abs. 1 S. 1 BGB auch ihr Anspruch auf den Lohn grundsätzlich entfällt. Dies wäre jedoch unbillig, denn nicht S, sondern R ist dafür verantwortlich, dass sie ihre geschuldete Leistung nicht erbringen kann. Abhilfe schafft § 326 Abs. 2 S. 1 BGB, wonach der Schuldner den Anspruch auf die Gegenleistung behält, sofern der andere Part weitaus überwiegend für den Umstand, kraft dessen der Schuldner nicht zu leisten braucht, verantwortlich ist. Somit hat S gegen R einen Anspruch auf Zahlung des Lohns.

 

3. Annahmeverzug der Arbeitgeber*in, §§ 615 S. 1, 293ff. BGB

Ein weiterer Anspruch auf Zahlung des Lohns in der Kategorie „Lohn ohne Arbeit“ ergibt sich aus der Regelung zum Annahmeverzug aus §§ 615 S. 1, 293ff. BGB: Besteht ein wirksames Arbeitsverhältnis und geraten die Arbeitgeber*innen mit der Annahme der Dienste in Verzug, so sind die Arbeitnehmer*innen nicht zur Nachleistung verpflichtet und behalten ihren Lohnzahlungsanspruch. Insoweit hat die Arbeitsleistung den Charakter einer absoluten Fixschuld. Voraussetzung hierfür ist das Bestehen eines wirksamen Arbeitsverhältnisses sowie die Leistungsbereitschaft und das Imstande sein der Arbeitnehmer*innen zur Leistung iSd. §§ 293 ff. BGB. Sie müssen den Arbeitgeber*innen somit die Leistung am rechten Ort, zur rechten Zeit und im rechten Umfang ordnungsgemäß anbieten und die Arbeitgeber*innen dürfen dieses Angebot nicht annehmen. Liegen diese Voraussetzungen vor, behalten die Arbeitnehmer*innen ihnen Anspruch auf Lohnzahlung – er muss sich jedoch gem. § 615 S. 2 BGB seine ersparten Aufwendungen anrechnen lassen.

 

4. Vorübergehende Verhinderung, § 616 BGB

Nach § 616 BGB bleibt der Anspruch der Arbeitnehmer*innen auch im Falle einer vorübergehenden Verhinderung bestehen, ohne dass sie zur Nachleistung verpflichtet sind. Voraussetzung hierfür ist das Bestehen eines wirksamen Arbeitsverhältnisses sowie eine Verhinderung durch einen in der Person der Arbeitnehmer*innen liegenden Grund, der lediglich eine verhältnismäßig kurze Zeit betrifft. Diesbezüglich darf den Arbeitnehmer*innen kein Verschulden treffen. Die Frage, wann eine solche Verhinderung vorliegt, ist wie folgt zu beantworten:

Zunächst einmal liegt eine Verhinderung bei einem medizinisch notwendigen Arztbesuch vor. Die medizinische Notwendigkeit ist bei akuten Beschwerden zu bejahen, sofern die Arbeitnehmer*in nicht bereits krankgeschrieben ist. Sind die Arbeitnehmer*innen bereits krankgeschrieben, so richtet sich der Lohnzahlungsanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Ein Anspruch aus § 616 BGB ist ausgeschlossen, sofern es sich lediglich um eine medizinische Routineuntersuchung handelt – in diesem Falle können die Arbeitnehmer*innen einen Teil der Überstunden für die Zeit der Untersuchung abbauen oder Urlaub nehmen. Weiterhin liegt eine Verhinderung in der Person der Arbeitnehmer*innen bei der Pflege naher Angehöriger, insbesondere bei der Pflege der Kinder bzw. der Ehepartner*innen, vor. Zu beachten ist, dass eine anderweitige Versorgungsmöglichkeit dieser Angehörigen unter keinen Umständen realisierbar sein darf.

Es liegt auch eine Verhinderung in den Fällen einer eigenen oder im engen Familienkreis begründeten Hochzeit, der Beerdigung einer Person aus dem engen Familienkreis, einer Vorladung durch die Staatsanwaltschaft oder das Gericht, sowie im Falle eines  Einsatzes im öffentlichen Ehrenamt (Bsp.: Schöffendienst) vor. Eine Verhinderung iSd. § 616 BGB stellt ebenfalls ein Einsatz für die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, einer anerkannten Hilfsorganisation bzw. des Technischen Hilfswerks dar. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Arbeitgeber*innen zwar nach § 616 BGB das Arbeitsentgelt fortzuzahlen haben, aber auch Bund und Länder auf die Mitwirkung der Freiwilligen und deren Arbeitgeber angewiesen sind. Somit wurden in den einschlägigen Gesetzen Ausgleichsansprüche geschaffen, s. z.B. §§ 21 Abs. 1, 4 BHKG NRW, 3 Abs. 1, 2 THW-G. Zu beachten ist jedoch, dass die Verhinderung nur eine verhältnismäßig kurze Zeit betreffen darf. Ob dies der Fall ist, bemisst sich anhand einer Gesamtabwägung der Verhinderungszeit, der Betriebszugehörigkeitsdauer, der objektiv notwendigen Zeit sowie der Länge der Kündigungsfrist. Liegen die Voraussetzungen vor, so behalten die Arbeitnehmer*innen auch hier ohne Verpflichtung zur Nachleistung den Anspruch auf Lohnzahlung.

 

5. Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, § 3 EFZG

Einen letzten wichtigen Fall der Kategorie „Lohn ohne Arbeit“ bildet die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 EFZG.

Zunächst muss hierzu erneut ein Arbeitsverhältnis bestehen, welches seit mindestens 4 Wochen ununterbrochen andauert, § 3 Abs. 3 EFZG. Sodann muss seitens der Arbeitnehmer*Innen eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegen. Dies ist der Fall, wenn Arbeitnehmer*innen aufgrund von Krankheit, die zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können.

Ferner dürfen Arbeitnehmer*innen die Arbeitsunfähigkeit nicht verschuldet haben, wobei vorliegend jedoch – abweichend vom allgemeinen Verschuldensmaßstab des § 276 BGB – nur grobes Verschulden gegen sich selbst erfasst wird. Wann ein solches grobes Verschulden gegen sich selbst vorliegt, wird unterschiedlich beurteilt, es haben sich in der Rechtsprechung jedoch die folgenden Kategorien herausgebildet:

 

a) Verkehrsunfälle

Kommt es infolge eines Verkehrsunfalls zur Geltendmachung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs, so ist maßgeblich, inwieweit die Arbeitnehmer*innen hierfür verantwortlich sind. Haben diese insbesondere die Vorschriften der StVO beachtet, so ist ihnen grds. kein Verschulden anzulasten. Für den Fall, dass die Arbeitnehmer*innen z.B. zur Zeit des Unfalls alkohol- oder rauschmittelbedingt fahruntüchtig waren (gemeint sind Verstöße gegen §§ 316, 315c Abs. 1 StGB sowie gegen § 24a StVG), ein Rotlicht überfahren haben oder nicht angeschnallt waren, kann hierin ein grober Verstoß gegen sich selbst gesehen werden, infolgedessen ein Anspruch aus § 3 EFZG ausgeschlossen werden kann.

 

b) Sport

Die Rechtsprechung differenziert vorliegend zwischen gefährlichen und ungefährlichen Sportarten, gleichzeitig wird jedoch auch hervorgehoben, dass es auch auf die individuellen Fähigkeiten des Sportlers und die Verwendung von geeigneter Schutzausrüstung ankomme.

Eine gefährliche Sportart stellt nach der Rechtsprechung insbesondere das Bungeespringen sowie das Kickboxen dar, als ungefährliche Sportarten werden insbesondere der Fußball im Amateurbereich, das Inlineskaten, das Tauchen, das Amateurboxen, Karate, Motorrad- und Motocrossfahren sowie das Skifahren und Fallschirmspringen angesehen. Wichtig ist jedoch, dass die vorgesehene Schutzausrüstung verwendet wird und der Sport nach den jeweils anerkannten Regeln ausgeführt wird.

 

c) Alkoholbedingte Unfälle

Ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ist, dass es sich in den Fällen von Unfällen nach übermäßigem Alkoholkonsum um grobes Verschulden gegen sich selbst handelt, denn jeder verständige Erwachsene müsse eine Alkoholisierung erkennen können und sodann mit dem Trinken aufhören. Tut er dies nicht, so handelt er grob gegen die eigenen Interessen. Anders sieht es jedoch bei Suchterkrankungen aus: Diese gelten als Krankheit und somit grundsätzlich nicht als grobes Verschulden gegen sich selbst einzustufen. Nach Ansicht des BAG liegt eine Ausnahme hierzu auch dann nicht vor, wenn Arbeitnehmer*innen nach einer erfolgreichen Abstinenzkur erneut rückfällig werden.

Besondere Fälle, in denen den Arbeitnehmer*innen kein Verschulden trifft, sind in §§ 3 Abs. 2, 3a EFZG geregelt. Dies betrifft somit rechtmäßig durchgeführte Schwangerschaftsabbrüche (§§ 218, 218a StGB), Sterilisationen sowie Organ- und Stammzellenspenden.

Weiter müssen die Arbeitnehmer*innen den Arbeitgeber*innen ihre Arbeitsunfähigkeit gem. § 5 EFZG unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, anzeigen.

Liegen diese Tatbestandsvoraussetzungen vor, so steht den Arbeitnehmer*innen ein Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes für 6 Wochen gem. § 3 EFZG zu. Die Höhe richtet sich nach § 4a EFZG. Nach den 6 Wochen löst die Krankenkasse die Arbeitgeber*innen mit einer sog. Krankengeldzahlung ab.

 

III. Schadensrecht im Arbeitsrecht – Grundsatz des innerbetrieblichen Schadensausgleichs

Nicht selten kommt es zu Schädigungen des Eigentums der Arbeitsgeber*innen durch die Arbeitnehmer*innen. Fraglich ist dann, ob ein Schadensersatzanspruch besteht oder dieser möglicherweise ausgeschlossen ist. Auch hierbei geht es um die Frage eines angemessenen Interessenausgleichs zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses. Hervorzuheben ist die besondere Schutzbedürftigkeit der (in der Regel) finanziell schwächer aufgestellten Arbeitnehmer*innen gegenüber den Arbeitgeber*innen.

Beispiel: Max arbeitet neben seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften als Reinigungskraft in einer Rechtsanwaltskanzlei und verdient monatlich 120€. Er reinigt am heutigen Tag das Büro der Rechtsanwältin Dr. Müller – hierbei stößt er versehentlich deren gefüllte Kaffeetasse um. Der Kaffee läuft auf den Laptop und in die Videoübertragungsanlage der Anwältin, welche hierdurch irreparabel zerstört werden. Rechtsanwältin Dr. Müller fordert Schadensersatz in Höhe von 6.500€. Ist Max zum Schadensersatz verpflichtet?

Wie man in vorstehenden Fall erkennen kann, stehen sich in dieser Problemsituation zwei von Grund auf verschiedene Parteien gegenüber: Den finanzstarken Arbeitgeber*innen stehen die finanziell schwächer gestellten Arbeitnehmer*innen gegenüber. Dies kann freilich kein Freibrief für Arbeitnehmer*innen sein, das Vermögen und Eigentum der Arbeitgeber*innen zu verletzen, dennoch sind die Arbeitnehmer*innen in ihrer Funktion besonders schutzwürdig. Dies hat auch das BAG gesehen und die Rechtsprechung zum innerbetrieblichen Schadensausgleich entwickelt:

Bei einer betrieblich veranlassten Tätigkeit beurteilt sich die Haftung der Arbeitnehmer*innen nach dem Grad des Verschuldens: Bei einfacher Fahrlässigkeit haften sie nicht, bei mittlerer Fahrlässigkeit erfolgt eine quotale Aufteilung des Schadens und bei grober Fahrlässigkeit sowie bei Vorsatz haften die Arbeitnehmer*innen voll. Ist eine mittlere Fahrlässigkeit gegeben, so haben die Arbeitnehmer*innen den Schaden idR. anteilig bis zur Höhe eines Jahresgehalts zu tragen.

Im Beispielsfall:

Der Anspruch der Dr. Müller könnte sich aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB ergeben. Das hierzu erforderliche Schuldverhältnis sowie der Schaden liegen vor. Weiterhin hat Max eine vertragliche Nebenpflicht verletzt, nämlich die, dass er Acht geben muss auf das Eigentum des Arbeitgebers. Nach § 619a BGB trifft ihn auch nachweisbar ein Verschulden (Achtung: Die Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB gilt hier nicht!). Dem Grunde nach bestünde nun also ein Schadensersatzanspruch der Dr. Müller gegen Max. Allerdings zählt die Reinigung des Schreibtischs zu den Aufgaben, die Max als Reinigungskraft arbeitsvertraglich übertragen wurden – möglicherweise ist der Anspruch durch die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs ausgeschlossen. Wie vorstehend genannt zählt die Reinigung des Schreibtisches zu den arbeitsvertraglich übertragenen Tätigkeiten und ist somit eine betrieblich veranlasste Tätigkeit. Aus Unachtsamkeit hat Max die Tasse Kaffee umgestoßen, mithin hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, sodass ihm mittlere Fahrlässigkeit anzulasten ist. Hieraus folgt, dass eine quotale Aufteilung des Schadens zu erfolgen hat: Max verdient 120€ im Monat. Er hat somit nach der Rechtsprechung des BAG den Schaden bis zur Höhe eines Jahresgehalts zu tragen, den restlichen Schaden trägt die Arbeitgeberin. Somit hat Rechtsanwältin Dr. Müller einen Schadensersatzanspruch gegen ihren Arbeitnehmer aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB in Höhe von 1.440,-€ (12*120€). (Anmerkung: Es ist ebenso gut vertretbar, dass Max nur leichte Fahrlässigkeit trifft. Dies hätte den Ausschluss des Schadensersatzanspruches insgesamt zur Folge und Max müsste keine Zahlung tätigen.)

Diese Wertungen gelten im Übrigen auch im Deliktsrecht, sodass im Rahmen des § 823 BGB der Anspruch zu kürzen ist – wäre dies nicht der Fall, könnte das Deliktsrecht das Schuldrecht unterlaufen. Es käme somit zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen.

Bis hier hin bezogen sich die vorstehenden Ausführungen auf Sachschäden der Arbeitgeber*innen. Für Personenschäden gelten die §§ 104, 105 SGB VII, auf die vorliegend nicht eingegangen wird. Wichtig ist, dass der Grundsatz des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nur zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen gilt – kommt es zur Schädigung von Sachen Dritter, so haften die Arbeitnehmer*innen. Sie können sich jedoch dann nach dem Rechtsgedanken des § 257 BGB von den Arbeitgeber*innen freistellen lassen.

 

IV. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Mit dem 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz hat die deutsche Gesetzgebung gleich mehrere europäische Anti-Diskriminierungsrichtlinien in nationales Recht umgesetzt. Diese Maßnahmen schützen die Arbeitnehmer*innen nunmehr umfassend vor Diskriminierungen im Berufsleben. Ziel ist es gem. § 1 AGG, die Arbeitnehmer*innen vor Benachteiligungen aus Gründen der Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu schützen bzw. erfolgte Benachteiligungen aus o.g. Gründen zu beseitigen.

 

1. Schadensersatz gem. § 15 Abs. 1 AGG

a) Anwendungsbereich

Zunächst müssten die Vorschriften des AGG sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht anwendbar sein. Der persönliche Anwendungsbereich erstreckt sich gem. § 6 Abs. 1 AGG auf Arbeitnehmer*innen, Auszubildende, arbeitnehmerähnliche Personen sowie auf Bewerber*innen. Der sachliche Anwendungsbereich hingegen richtet sich nach § 2 AGG.

 

b ) Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot, § 7 Abs. 1 AGG

Sodann muss ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG vorliegen, welcher von keinem sachlichen Grund gestützt werden darf.

 

aa) Diskriminierungsgrund, §§ 1, 4 AGG

Zunächst muss eine Benachteiligung aufgrund der Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität vorliegen. Gemäß § 4 AGG muss, für den Fall, dass mehrere Diskriminierungsgründe einschlägig sind, die Rechtfertigung auf alle Gründe anwendbar sein.

 

bb)  Benachteiligung

Sodann muss eine Benachteiligung iSd. §§ 3, 4 AGG vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn eine (un-)mittelbare Diskriminierung iSd. § 3 Abs. 1, 2 AGG, eine Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG, eine sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG bzw. eine Anweisung zur Benachteiligung eines Anderen iSd. § 3 Abs. 5 AGG vorliegt.

 

cc) Sachlicher Grund

Diese Benachteiligung darf nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Sachliche Gründe sind die in den §§ 5, 8 – 10 AGG aufgelisteten Gründe, namentlich die unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen, wegen der Religion oder Weltanschauung oder wegen des Alters. Der vorgenannte § 5 AGG regelt sodann die „positiven Maßnahmen“, somit Ausgleichs- oder Kompensationsmaßnahmen.

 

dd) Beweislast

Die Beweislast ist in den §§ 15 Abs. 1 S. 2, 22 AGG geregelt. Abweichend vom normalen Fall des Zivilprozesses, innerhalb dessen jede Partei gem. dem Beibringungsgrundsatz für jede für sie günstige Behauptung die Beweislast trägt, genügt es im AGG-Prozess, dass die möglicherweise benachteiligte Person Indizien für die Benachteiligung darlegt – hieraufhin muss sich der Arbeitgeber exkulpieren, d.h. den Beweis erbringen, dass die behauptete Benachteiligung nicht vorliegt.

Für die grundsätzlich schwächeren Arbeitnehmer*innen bzw. Bewerber*innen ist dies selbstverständlich von Vorteil, allerdings vereinfacht dies auch Betrugsstraftaten zu Lasten des Unternehmens, s.u. „AGG-Hopping“.

 

ee) Schaden

Den Schadensersatzsteller*innen müsste außerdem ein Schaden, dh. eine unfreiwillige Vermögenseinbuße wie zB. der Verlust eines Monatsgehaltes entstanden sein, den es zu ersetzen gilt.

 

ff) Kein Ausschluss

Der Anspruch dürfte nicht nach § 15 Abs. 4 AGG ausgeschlossen sein.

 

c) Rechtsfolge

Sofern eine Benachteiligung vorliegt, die mangels Vorliegens eines sachlichen Grundes nicht zu rechtfertigen ist, greifen die folgenden Rechtsfolgen:

Zunächst sind gem. § 7 Abs. 2 AGG sämtliche Bestimmungen in (vertraglichen) Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unwirksam.

Sodann steht den Arbeitnehmer*innen nach § 13 Abs. 1 AGG ein umfassendes Beschwerderecht zu. Gem. § 14 AGG steht den Betroffenen einer Belästigung bzw. gar einer sexuellen Belästigung – natürlich unabhängig von strafrechtlichen Verfolgungen und Rechtsfolgen – ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Zuletzt haben die Arbeitgeber*innen gem. § 15 Abs. 1, 2 AGG iVm. § 280 BGB aus der Diskriminierung resultierende Vermögensschäden sowie immaterielle Schäden zu ersetzen.

 

2. Mobbing

Auch im Berufsleben kommen Fälle von Mobbing vor.

Gerade in Fällen, in denen Mitarbeiter die neue Vorgesetzte oder den alten Chef, oder aber auch die Mitarbeiter sich selbst untereinander angehen, „mobben“ oder belästigen, bietet es sich für die Opfer der Angriffe an, auf zweierlei Wege dagegen vorzugehen:

Einerseits sollte, sofern Straftaten wie eine Beleidigung (auf sexueller Grundlage), eine Nötigung, ein Diebstahl, eine Sachbeschädigung, eine Körperverletzung oder gar eine sexuelle Belästigung vorliegen, die Polizei eingeschaltet werden und die entsprechende Tat zur Anzeige gebracht werden.

Außerdem sollte das Opfer zivilrechtlich gegen diese Schikanen vorgehen: Erst einmal sollten die zuständigen Vorgesetzten informiert werden, um die Vorfälle zu unterbinden. Sollten sie dies nicht tun, kann gegen das Unternehmen nach dem AGG vorgegangen werden und der Störenfried selbst haftet nach Deliktsrecht, hier insbesondere nach § 823 Abs. 1, 2 BGB.

 

3. AGG-Hopping

So sehr die Regelungen des AGG auch von Nutzen für den Arbeitsmarkt sind, werden sie ebenfalls immer wieder von den sog. „AGG-Hoppern“ missbraucht. Hierbei handelt es sich um Personen, die sich gezielt auf offene Stellen bewerben, um sodann vom Unternehmen aus vermeintlich diskriminierenden Gründen abgelehnt zu werden und dann aus dem AGG heraus auf Entschädigung klagen zu können.

AGG-Hopper gibt es schon solange das AGG existiert. Da allerdings der Nachweis für den Arbeitgeber schwer zu führen ist, dass es sich bei dem Bewerber um einen Scheinbewerber handelt und die Rechtsprechung zudem sehr hohe Anforderungen an den Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens stellt, können die Klagen auf Entschädigung nach AGG nur selten abgewiesen werden – somit entsteht durch das AGG-Hopping ein immenser wirtschaftlicher Schaden.

Von solchen Praktiken ist jedoch aus strafrechtlicher Sicht dringend abzuraten: Gelingt der Beweis, dass es sich nur um eine Scheinbewerbung handelt und der Bewerber somit über die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung zu dem Zwecke, eine Entschädigung geltend zu machen, täuscht, so steht immer der Tatvorwurf des (versuchten) Anstellungsbetruges, strafbar gem. § 263 Abs. 1 StGB bzw. §§ 263 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 2. Var. StGB, im Raume.

 

4. Kündigungen

Ein Thema, welches die Arbeitsgerichte immer wieder beschäftigt, sind Kündigungen von Arbeitnehmer*innen. Hierbei muss zunächst zwischen den ordentlichen und den außerordentlichen Kündigungen differenziert werden. Im Falle einer ordentlichen Kündigung sind Kündigungsfristen einzuhalten und es bedarf eines Grundes, der entweder in der Person der Arbeitnehmer*innen, in deren Verhalten oder auf betrieblicher Seite gesetzt sein muss.

Bei einer außerordentlichen Kündigung hingegen sind keine Fristen einzuhalten – jedoch kommt eine solche Kündigung in der Regel nur als Sanktionierung der Arbeitnehmer*innen wegen eines gravierenden persönlichen Fehlverhaltens in Betracht. Dieses Fehlverhalten muss allgemein von einem gewissen Gewicht sein und auch im Einzelfall derart schlimm sein, dass den Arbeitgeber*innen die weitergehende Beschäftigung der Arbeitnehmer*innen nicht mehr zumutbar ist.

Auf die weitere Möglichkeit einer Kündigung in Form einer Verdachtskündigung wird der Vollständigkeit halber kurz eingegangen.

Eine Klage gegen die Kündigung der Arbeitnehmer*innen kann vor den Arbeitsgerichten erhoben werden. Insoweit die Kündigung zulässig ist, prüft das Arbeitsgericht die Begründetheit der Kündigungsschutzklage iSv. § 4 KSchG.

 

a) Ordentliche Kündigung

Voraussetzung ist zunächst ein ursprünglich bestehendes wirksames Arbeitsverhältnis sowie eine wirksame Kündigungserklärung, vgl. §§ 623, 126 Abs. 1 BGB. Sodann hat die Anhörung des Betriebsrats zu erfolgen, sofern vorhanden, vgl. § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Ferner darf kein besonderer Kündigungsschutz, z.B. nach MuSchG, SGB IX oder BBiG greifen. Zudem muss die Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG eingehalten worden sein. Diese beträgt 3 Wochen ab Zugang der schriftlichen Kündigungserklärung.

Sodann erfolgt die Prüfung des allgemeinen Kündigungsschutzes: Zunächst muss das Kündigungsschutzgesetz anwendbar sein. Dies ist nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG der Fall, sofern im Betrieb mehr als 10 Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind. Ferner muss die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Die soziale Rechtfertigung ist gem. § 1 Abs. 2 KSchG nicht gegeben, wenn die Kündigung nicht aus betrieblichen, personenbedingten oder verhaltensbedingten Gründen erfolgt ist. Bei der Prüfung ist stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, insbesondere sind auch die Wertungen des § 1 Abs. 3 KSchG, die richtige Sozialauswahl, ausreichend zu berücksichtigen. Letzten Endes bleibt noch die Kündigungsfrist des § 622 BGB zu wahren. Ein Schema zur Prüfung einer ordentlichen Kündigung ist hier dargestellt:

Die ordentliche Kündigung

I. Wirksamer Arbeitsvertrag, § 611a BGB

Nur insoweit ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen besteht, kann dies auch gekündigt werden.

II. Kündigungserklärung, §§ 626, 126 BGB

Die Kündigung muss unmissverständlich und in schriftlicher Form gegenüber den Arbeitnehmer*innen erteilt werden.

III. Vorherige Anhörung des Betriebsrates, § 102 BetrVG

Bevor die Kündigung den Arbeitnehmer*innen mitgeteilt wird, muss der Betriebsrat, wenn ein solcher vorhanden ist, zuvor angehört werden iSd. § 102 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat könnte einer Kündigung widersprechen, § 102 Abs. 3 BetrVG.

IV. Kein besonderer Kündigungsschutz

Es darf kein besonderer Kündigungsschutz beispielsweise wegen Mutterschaft iSd. MuSchG oder einer Behinderung iSd. des SGB IX bestehen.

V. Allgemeiner Kündigungsschutz nach KSchG

Anwendbarkeit iSv. §§ 1 I, 23 KSchG

Zur Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes iSd. KSchG ist es erforderlich, dass die Arbeitnehmer*innen seit mindestens 6 Monaten im Betrieb sind und dieser in der Regel mehr als 10 Angestellte beschäftigt.

Soziale Rechtfertigung

Die Kündigung müsste sozial gerechtfertigt sein iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Dazu müsste die Kündigung aus einem personenbedingten, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Grunde erfolgt sein. Sodann erfolgt eine Abwägung dieser Gründe und der betrieblichen Erfordernisse.

Personenbedingte Gründe

Solche Gründe liegen in der Person oder den Fähigkeiten der Arbeitnehmer*innen. Beispiele dafür sind der Entzug der Fahrerlaubnis, Dauerkrankheit oder eine personenbedingte andere Störung des Arbeitsverhältnisses.

Verhaltensbedingte Gründe

Diese liegen vor, wenn die Arbeitnehmer*innen den Betrieb durch das Verhalten stören, verweigern, schlecht erfüllen oder anderweitig Probleme schaffen, die sich mittelbar auf den Betrieb auswirken.

Betriebsbedingte Gründe

Solche sind Weiterbeschäftigungsprobleme aufgrund von finanziellen Engpässen durch äußere (wie zB. eine mangelnde Nachfrage) oder innere Faktoren, wie Umstrukturierungen sein.

à Richtige Sozialauswahl, § 1 III 1 KSchG: Die Arbeitgeber*innen müssen bei Kündigungen aus betriebsbedingten Gründen, Arbeitnehmer*innen kündigen, die dadurch am wenigsten geschädigt werden, zB. weil diese besonders jung oder relativ kurz im Betrieb angestellt sind, im Gegensatz zu länger beschäftigten oder älteren Menschen.

Bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage: Einhaltung der Klagefrist

Entschließen sich die Arbeitnehmer*innen zur Erhebung der Kündigungsschutzklage gegen eine ordentliche Kündigung durch die Arbeitgeber*innen vor dem Arbeitsgericht, müssen sie diese innerhalb von 2 Wochen ab Zugang der Kündigung erheben gem. § 4 S. 1 KschG

 

b) Außerordentliche (fristlose) Kündigung

Wie bereits oben genannt unterscheidet sich die außerordentliche Kündigung iSv. § 626 BGB von einer ordentlichen Kündigung dadurch, dass keine Kündigungsfrist einzuhalten ist.

Somit muss auch hier zunächst ein ursprünglich bestehendes wirksames Arbeitsverhältnis sowie eine wirksame Kündigungserklärung vorliegen, vgl. §§ 623, 126 Abs. 1 BGB. Sodann hat die Anhörung des Betriebsrats zu erfolgen, sofern vorhanden, vgl. § 102 BetrVG. Ferner darf kein besonderer Kündigungsschutz, z.B. nach MuSchG, SGB IX oder BBiG greifen. Zudem muss die Klageerhebungsfrist des § 13 Abs. 1 S. 2 KSchG iVm. § 4 KSchG eingehalten worden sein. Diese beträgt 3 Wochen ab Zugang der schriftlichen Kündigungserklärung.

Sodann muss gem. § 626 BGB ein wichtiger Grund vorliegen. Dieser muss im Allgemeinen einen wichtigen Grund darstellen, jedoch auch im konkreten Falle dazu führen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber derart nachhaltig gestört ist, dass ein Festhalten am Vertrag unzumutbar ist. Dieser zweite Schritt ist anhand einer Interessenabwägung zu erforschen. Zuletzt muss noch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden sein, wonach die Kündigung innerhalb von 2 Wochen ab Kenntniserlangung von den kündigungsrelevanten Umständen zu erfolgen hat.

Anzumerken ist, dass eine fehlerhafte außerordentliche Kündigung nach § 140 BGB in eine rechtskonforme ordentliche Kündigung umgedeutet werden kann.

Die außerordentliche Kündigung, § 626 BGB

I. Wirksamer Arbeitsvertrag, § 611a BGB

Nur insoweit ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen besteht, kann dies auch gekündigt werden.

II. Kündigungserklärung, §§ 626, 126 BGB

Die Kündigung muss unmissverständlich und in schriftlicher Form gegenüber den Arbeitnehmer*innen erteilt werden. Dabei muss den Empfänger*innen erkennbar sein, dass es sich um eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund handelt.

III. Kündigungsfrist, § 626 II BGB

Die Kündigungsfrist richtet sich an Arbeitgeber*innen. Gem. §626 II BGB muss die außerordentliche Kündigung innerhalb einer Frist von 2 Wochen ausgesprochen werden.  Beginn der Frist ist dabei der Zeitpunkt, an welchem die Arbeitgeber*innen von dem Umstand, der sie zur außerordentlichen Kündigung bewegt, erfahren haben.

IV. Vorherige Anhörung des Betriebsrates, § 102 BetrVG

Bevor die Kündigung den Arbeitnehmer*innen mitgeteilt wird, muss der Betriebsrat, wenn ein solcher vorhanden ist, zuvor angehört werden iSd. § 102 Abs. 1 BetrVG. Der Betriebsrat könnte einer Kündigung widersprechen, § 102 Abs. 3 BetrVG.

V. Kein besonderer Kündigungsschutz

Es darf kein besonderer Kündigungsschutz beispielsweise wegen Mutterschaft iSd. MuSchG oder einer Behinderung iSd. des SGB IX bestehen.

VI. Vorliegen eines wichtigen Grundes, § 626 BGB

Es müssen derart wichtige Gründe vorliegen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unmöglich machen. Die Gründe müssen:

Generell geeignet einen solch wichtigen Grund darstellen, wie zB. eine Straftat, welche das Vertrauensverhältnis eines jeden Arbeitsverhältnisses beeinträchtigen würde

Und im konkreten Fall geeignet sein.

Hierbei kommt es zu einer Interessenabwägung. Die Weiterbeschäftigung darf nicht mehr zumutbar sein für den konkreten Betrieb.

VII. Bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage: Einhaltung der Klagefrist

Entschließen sich die Arbeitnehmer*innen zur Erhebung der Kündigungsschutzklage gegen eine ordentliche Kündigung durch die Arbeitgeber*innen vor dem Arbeitsgericht, müssen sie diese innerhalb von 2 Wochen ab Zugang der Kündigung erheben gem. §§ 4 S. 1,  13 I 2 KschG

 

c) Verdachtskündigung

Die Verdachtskündigung wird nur der Vollständigkeit wegen erwähnt. Eine solche Verdachtskündigung liegt immer dann vor, wenn Arbeitgeber*innen gegen Arbeitnehmer*innen nur den Verdacht einer gravierenden Pflichtverletzung hat bzw. diese verdächtigt, eine Straftat zulasten der Arbeitgeber*innen begangen zu haben. Es ist somit anzumerken, dass im Arbeitsrecht als Nebengebiet des Privatrechts der aus dem Strafrecht bekannte „in dubio pro reo“-Grundsatz nicht vollumfänglich gilt – ab einem dringenden Tatverdacht ist eine Verdachtskündigung statthaft, sofern weitere Voraussetzungen gegeben sind. Ein dringender Tatverdacht ist gegeben, sofern eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist.

Beispiel: Max arbeitet als Aushilfskraft bei dem Elektronikgroßhändler „Jupiter“. Da er allerdings gerade einmal wieder knapp bei Kasse ist, er aber unbedingt das neue iPhone haben möchte, entwendet er dieses aus einer Auslage, auf die nur Mitarbeiter der entsprechenden Abteilung Zugriff haben. Als der Chef das fehlende Gerät bei der Inventur bemerkt, kündigt er Max fristlos – schließlich hatte Max am betreffenden Tage Dienst und seine Kollegin aus der Mobilfunkabteilung war den ganzen Tag über in Besprechungen und Verkaufsgesprächen. Darf der Chef das?

Ja, der Chef darf dem Max kündigen – es handelt sich um eine Verdachtskündigung. Die Kollegin hatte nachweislich keine Möglichkeit, das Gerät zu entwenden, Max hingegen konnte sich nicht entlasten. Es besteht somit eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Max Täter einer Straftat, namentlich eines Diebstahls bzw. einer Unterschlagung (strafbar gem. §§ 242, 246 StGB) ist. Vorstehend genannte Straftat würde eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen und das Abwarten des Ablaufens der ordentlichen Kündigungsfrist wäre dem Chef nicht zumutbar. Mithin ist die Verdachtskündigung statthaft.

 

V. Kollektives Arbeitsrecht

1. Einleitung

Das Kollektive Arbeitsrecht ist ein Teilgebiet des Arbeitsrecht. Es beschäftigt sich, anders als das bisher erläuterte Individualarbeitsrecht, nicht mit den Zweier-Beziehungen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen, sondern geht darüber hinaus und umfasst vor allem soziale Vereinigungen (Kollektive), wie Gewerkschaften. Gesichert ist das kollektive Arbeitsrecht, oder auch „Arbeitskampfrecht“ durch Art. 9 III 1 GG: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“ Der Zweck dieser Zusammenschlüsse soll dabei auf die Förderung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen gerichtet sein. Hier soll kurz auf einige Aspekte des Kollektiven Arbeitsrechts eingegangen werden.

 

2. Tarifverträge

Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag, der zwischen Tarifparteien geschlossen wird. Dieser gilt sodann für eine größere Menge an Menschen, anders als ein individueller Arbeitsvertrag. Vertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber*innen oder Vereinigungen dieser, gem. § 2 Tarifvertragsgesetz (TVG). Zweck der Tarifverträge ist es, die schwächeren Verhandlungspartner*innen vor einer Erdrückung durch die meist stärkeren Verhandlungspartner*innen, die Arbeitgeber*innen, zu schützen. Dazu verhandeln einzelne Gewerkschaften, wie zB. Verdi oder die GEW mit Arbeitgeber*innen über den Tarif der Angestellten und bringen ihre Forderungen entgegen. Somit muss nicht jede einzelne Person eigene, individuelle Forderungen entgegenbringen, sondern kann sich durch die Mitgliedschaft in einer solchen Gewerkschaft vertreten lassen. Kommt es zwischen den Vertragsparteien zum Abschluss eines Tarifvertrages, entfaltet dieser Bindungswirkung, § 4 I 1 TVG.

 

3. Arbeitskampfrecht

Das Arbeitskampfrecht beinhaltet das Recht zum Streiken für eine Mehrheit von Arbeitnehmer*innen und das Recht der Aussperrung durch die Arbeitgeber*innen. Ein Streik stellt eine gemeinschaftliche Arbeitsverweigerung, eine Aussperrung die Nichtzulassung zur Arbeit und das Nichtfortzahlen des Gehaltes der Arbeitnehmer*innen dar. Gesetzlich ist dies zwar nicht geregelt, wird aber vom BAG als notwendige Voraussetzung der Koalitionsfreiheit anerkannt und als sog. Richterrecht fortgeführt. Kommt es zu einem Streik, stehen sich zwei konträre Positionen gegenüber. Diese und die rechtlichen Voraussetzungen sollen in der nachfolgenden Grafik kurz dargestellt werden.

Beispiel:  Die Gewerkschaft Verdi und der zuständige Verband der Arbeitgeber*innen stehen in Verhandlungen um einen neuen Tarifvertrag für Angestellte im Verkehrssektor. Während die Gewerkschaft Verdi zu einem Streik zur Erhöhung der Tariflöhne der Angestellten im Bahn- und Busverkehr im ganzen Bundesgebiet aufruft, wird nur wenige Tage vor dem Streik eine weitere Forderung mitaufgenommen. Es geht um die Absetzung des neu besetzten Verkehrsministeriums, gerichtet an den Bundestag, im Zweifel durch Streik der Gewerkschaft vor dem Bundestag in Berlin. Handelt es sich dabei um einen rechtmäßigen Streik?

Die ausrufende Streikorganisation ist die Gewerkschaft Verdi. Es handelt sich um eine gewerkschaftliche und damit rechtmäßige Organisation. Fraglich ist, ob es sich dabei um ein tariflich regelbares Streikziel handelt, iSd. § 1 I TVG. Zweck des Streiks muss auf den Abschluss eines Tarifvertrages abzielen. Die erste Ankündigung des Streiks durch die Gewerkschaft beinhaltete die Forderung über die Erhöhung der Löhne. Dabei handelt es sich um eine inhaltliche Regelung des Arbeitsvertrages, welcher tarifvertraglich geregelt werden kann. Die Lohnerhöhungsforderungen verstößt auch nicht gegen die sog. Friedenspflicht, die besagt, dass bereits im Tarifvertrag geregelte Inhalte nicht bestreikt werden dürfen. Die Absetzung des Verkehrsministeriums hingegen geht über mögliche Regelungen eines Tarifvertrages hinaus. Eine solche Forderung ist nicht mittels Tarifvertrages durchsetzbar, sondern Sache des Bundestages. Da die beiden Forderungen jedoch an einem Tag gemeinsam bestreikt und vermittelt werden sollen, führt dies zur Rechtswidrigkeit des gesamten Streiks. Ein Streik zu einer bislang ungeregelten Lohnerhöhung wäre separat rechtmäßig gewesen.

 

VI. Die Arbeitsgerichtsbarkeit

Die Arbeitsgerichtsbarkeit gehört zu den fünf Gerichtsbarkeiten des Art 95 I GG. Das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) bildet dabei die Rechtgrundlage der Arbeitsgerichte.

 

1. Aufbau der Gerichtsbarkeit

Oberstes Arbeitsgericht ist das Bundesarbeitsgericht (BAG). Das BAG hat gem. § 40 I ArbGG seinen Sitz in Erfurt. Die Arbeitsgerichte sind in jeder Instanz mit kollegialen Spruchkörpern, bestehend aus Berufsrichter*innen und ehrenamtlichen Beisitzer*innen aus den Kreisen der Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen, vgl. § 6 ArbGG, besetzt.

Der Instanzenzug beginnt mit den örtlichen Arbeitsgerichten, gem. § 8 I ArbGG. Sie sind gem. § 2 I ArbGG u.a. für Rechtstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber*innen und -Nehmer*innen, Tarifvertragsparteien, im Arbeitskampfrecht und der Vereinigungsfreiheit etc. ausschließlich zuständig. Die vollständige Auflistung dieser Zuständigkeiten findet sich in § 2 I ArbGG.

Zweite Instanz ist das Landesarbeitsgericht, vgl. § 8 II ArbGG. Es ist für die Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte, iSd. § 8 Abs. 2, 4 ArbGG, zuständig.

Dritte und letzte Instanz stellt das Bundesarbeitsgericht gem. § 8 III ArbGG dar. Dabei ist dies für die Revisionen und Rechtsbeschwerden gegen Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte zuständig.

 

VII. Verfassungsrechtliche Verankerungen des Arbeitsrechts

1. Einleitung

Die verfassungsrechtliche Sicherung der Arbeitsrechte geschieht anders als bisher beleuchtet, nicht nur auf einfach-gesetzlichem Wege oder durch Arbeits- und Tarifverträge, sondern wird darüber hinaus grundgesetzlich zugesichert. Die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 III 1 GG wurde bereits benannt. Wesentlich weiter geht Art. 12 GG, welcher maßgeblich die Berufsfreiheit verfassungsrechtlich verankert. Im Zusammenhang mit Art. 12 GG tritt öfter auch Art. 14 GG, die Eigentumsfreiheit auf. Dabei schützt Art. 12 GG den Erwerb (eines Vermögens), während Art. 14 GG das Erworbene schützt. Im Folgenden soll va. Art. 12 GG erläutert werden.

 

2. Art. 12 GG: Die Berufsfreiheit

a) Schutzbereich

aa) persönlicher Schutzbereich

Art. 12 GG schützt in persönlicher Hinsicht „alle Deutschen“. Es handelt sich um ein sog. „Deutschengrundrecht“. Auch Juristische Personen können sich gem. Art. 19 III GG auf dieses Grundrecht beziehen.

bb) sachlicher Schutzbereich

Sachlich wird die Wahl, sowie die Ausübung eines Berufes geschützt. Ein Beruf ist per Definition jede auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dienende Tätigkeit. Die Freiheit des Berufes umfasst die Wahl dessen, vgl. Art. 12 I 1 GG, wie auch die Ausübung, Art. 12 I 2 GG. Wahl und Ausübung stehen dabei in keinem Rangverhältnis, sondern stellen ein einheitliches Grundrecht dar. Der Schutzbereich umfasst also beide Aspekte gleichermaßen, Wahl und Ausübung.

Die Entscheidung zum Ergreifen eines bestimmten Berufes (Berufswahl) aus Art. 12 I 1 GG stellt das sog. „Ob“, dh. ob jemand überhaupt einen Beruf ausüben möchte, oder nicht. Die Berufsausübung umfasst das sog. „Wie“ des Berufes. Wann, Welchen und in welcher Art ein Mensch einen Beruf ausüben möchte, wird durch die Berufsausübungsfreiheit geschützt. Außerdem geschützt durch Art. 12 GG werden die Arbeitsplatzwahlfreiheit und die Wahl der Ausbildungsstätte. Beamt*innen können sich zwar auch auf Art. 12 GG berufen, haben aber die Spezialvorschrift aus Art. 33 GG zu beachten.

 

b) Eingriff

Ein Eingriff in die Berufsausübung oder -Wahl liegt dann vor, wenn die Tätigkeit oder Wahl durch staatliche Regelungen eingeschränkt, beeinträchtigt oder bloß geregelt wird. Dabei unterscheidet man in subjektiv berufsregelnde Eingriffe und objektiv berufsregelnde Eingriffe.

Staatliche Regelungen, die die Berufswahl oder -freiheit direkt beeinträchtigen, zB. die Beschränkung des Alters der Arbeitnehmer*innen für bestimmte Berufsgruppe, stellen subjektiv berufsregelnde Tendenzen dar. Es wird unmittelbar an einen Beruf angeknüpft und die Regelung trifft die Betroffenen direkt.

Anders dahingegen sind die objektiv berufsregelnden Tendenzen zu spüren. Eine solche liegt vor, wenn Maßnahmen des Staates, zB. Gesetze oder Verordnungen mittelbar oder unmittelbar Tätigkeiten betreffen, die typischerweise zu einem Berufsfeld gehören. Beispielsweise durch die Veränderung der Rahmenbedingungen eines Berufes, wie Autobahngebühren für LKW-Fahrer. Allerdings darf es sich nicht um irgendeine Änderung handeln, die irgendeine Auswirkung auch auf den Beruf hat. Es hat eine Konkretisierung zu erfolgen.

 

c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

aa) Schranken

Art. 12 I 2 GG statuiert einen Gesetzesvorbehalt. Die Position des Gesetzesvorbehalts sollte nicht zu Missverständnissen führen. Wie oben erwähnt stellt Art. 12 GG ein einheitliches Grundrecht dar, wonach sich der Gesetzesvorbehalt auf den gesamten Art. 12 I GG bezieht. Erforderlich ist trotz des Wortlauts „Regelung“ in Art. 12 I 2 GG eine formell-gesetzliche Grundlage, dh. eine Rechtsverordnung, Satzung oder ein Verwaltungsakt.

 

bb) Schranken-Schranken

Die Berufsfreiheit hat, im Gegensatz zu einigen anderen Grundrechten, keine „übliche“ Verhältnismäßigkeitsprüfung. Es kommt zu einer Stufenprüfung, die an die gängige Verhältnismäßigkeitsprüfung angelehnt ist. Mittels folgendem Schema wird diese Prüfung dargestellt. Die sog. „Stufenprüfung“ kann bereits in der Erörterung des legitimen Mittels, oder erst in der Angemessenheit erfolgen. Je höher die Intensität des Eingriffes, also je „höher“ die Stufe, desto höher sind auch die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Die Prüfung teilt sich dabei auf in die Berufsausübung auf niedrigster Stufe, die Berufswahlregelungen auf mittlerer und höchster Stufe.

3. Exkurs: Die europäische Verankerung des Arbeitsrechts

Erwähnt wird das Arbeitsrecht gem. Art. 153 AEUV durch die Europäische Union. Unterstützung sollen die Mitgliedsstaaten auf den Gebieten der Arbeitsumwelt, des Arbeitsschutzes, der sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer*innen, der Gleichbehandlung dieser am Arbeitsplatz oder auch in der Vertretung ihrer kollektiven Interessen erhalten.

Die Regelungen der Art. 151 ff. AEUV besitzen dabei allgemeine Geltung und wirken unmittelbar und verbindlich in jedem Mitgliedsstaat, ohne dass es einer Umsetzung in nationales Recht bedarf. Sie verdrängen auch nationales Recht, insoweit dies der Verordnung entgegensteht.

Im Verhältnis zwischen privaten Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen (horizontale Direktwirkung) sind diese Richtlinien dagegen grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar.

 

Beispielsfall: Abiturientin A möchte Ärztin werden und bewirbt sich deshalb um die Zulassung zum Medizinstudium an einer Universität in Berlin. Ihr Abitur ist leider nicht gut genug und sie erhält keinen Studienplatz. Die Plätze wurden allein nach der Abiturnot vergeben. Liegt ein rechtswidriger Eingriff in das Recht der freien Berufswahl vor?

 

Lösung Fall:

Es könnte ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vorliegen.

1. Der Schutzbereich müsste eröffnet sein: Das Grundrecht der Berufsfreiheit schützt auch  die  freie Wahl der Ausbildungsstätte, namentlich eines Studiums. Hierunter ist eine berufsbezogene Einrichtung zu verstehen, die mehr als nur eine allgemeine Schulbildung vermittelt, also der Ausbildung für einen Beruf dient. Die Universität in Berlin ist eine solche Ausbildungsstätte, so dass der Schutzbereich eröffnet ist.

2. Es müsste auch ein Eingriff vorliegen: Die Verweigerung der Zulassung stellt einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG dar.

3.  Der Eingriff müsste verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein: Als Schranke liegt der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 I 2 GG vor. Da es sich bei Art. 12 I GG um ein einheitliches Grundrecht handelt, gilt der Gesetzesvorbehalt auch für die Berufs- oder in diesem Fall Ausbildungsstättenwahl iSd. Art. 12 I 1 GG. Die Versagung der Zulassung beruht auf den Regelungen des Hochschulrechts. Damit liegt eine gesetzliche Regelung vor. Diese müsste jedoch weiterhin rechtmäßig sein. Durch den Erwerb des Abiturs hat A die Befähigung zum Medizinstudium erworben. Die Kapazitätsknappheit an der Universität liegt außerhalb ihres Risikobereichs, während sie selber nur Einfluss auf die Abschlussnote ihres Abiturs hatte. Es liegt deshalb eine subjektive, wie (eine objektive Berufswahlregelung wäre ebenso vertretbar) Berufswahlregelung vor. Diese sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie zum Schutz eines (überragend) wichtigen Gemeinschaftsgutes erforderlich sind. Aus der Garantie der Berufsfreiheit folgt deshalb ein Kapazitätserschöpfungsgebot für die Universitäten. Wird über die zulässige Kapazität hinausgegangen, gefährdet dies zum einen die Ausbildung der anderen Studierenden, wie auch die Funktionsfähigkeit von Forschung und Lehre sowie in medizinischen Studiengängen die Patient*innenversorgung.  Es liegt eine Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut vor. Der Eingriff ist also verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Grundsätzlich darf die Vergabe nach der Abiturnote erfolgen. Die Noten müssen allerdings auf ihre Vergleichbarkeit hin überprüft werden, zudem sind neben der Abiturnote weitere Auswahlkriterien mit erheblichem Gewicht zu berücksichtigen (siehe dazu BVerfGE 147, 253 ff.).

4. Ergebnis: Es liegt kein rechtswidriger Eingriff in Art. 12 I GG vor.