Zum Hauptinhalt springen

Interpretationsspielräume bei der Anwendung der Strafzumessung

A. Einführung

Hat sich eine Person strafbar gemacht und wurde dies durch das Gericht festgestellt, muss der Richter in seinem Urteil eine angemessene Strafe finden. Die einzelnen Normen geben Strafrahmen vor. Wurde der Tatbestand erfüllt, muss im Anschluss eine Strafe aus dem vorgegebenen Rahmen gewählt werden. Dazu stellt der Richter Abwägungen an, um dem im Einzelfall begangenen Unrecht entgegenzutreten.
Beispiel: Vor einigen Wochen wurde das Fahrrad von Sebastian entwendet. Bis vor einigen Tagen musste er seinen Schulweg deshalb zu Fuß bestreiten und dafür früher aufstehen. Die Polizei hat sein Fahrrad bei einer Kontrolle aufgefunden und der vermeintliche Dieb Daniel hat seine Tat gleich zugegeben. (Wie würden Sie sich in der Sebastians Situation fühlen und worüber würden sie nachdenken?) Sebastian ist froh sein Rad wiederzuhaben. Er ist wütend auf Daniel, weil er ihn um seinen kostbaren Schlaf gebracht hat. Für die Zukunft wünscht er sich, dass ihm so etwas nicht wieder passiert und dass Daniel durch eine Strafe etwas für die Zukunft lernt. So, oder so ähnlich könnten auch Ihre Überlegungen gewesen sein. Diese natürlichen Überlegungen sind der Grundstein für das Verständnis der Strafzwecktheorien und der Strafzumessung:
Ist eine Person straffällig geworden und kommt es daher zu einer Verhandlung und einem Urteilsspruch, kann diese Person zu einer bestimmten Strafe verurteilt werden. Die Strafe ist dabei dem Strafrahmen des Gesetzes zu entnehmen. Die Grundsätze der Strafzumessung folgen aus § 46 StGB.

 

B. Thema

Das StGB bestimmt grundsätzlich breite Strafrahmen, in denen die Strafe der konkreten Tat abzuurteilen ist. Wie es bereits die Tatbestände tun, erfasst auch der Strafrahmen eine Vielzahl von Konstellationen. Hinzukommen minder schwere und besonders schwere Fälle, die in den jeweiligen Normen strafändernd Einfluss finden.
Der Gesetzgeber verlagert die Verantwortung hinsichtlich des richtigen Strafmaßes auf den Richter. Unter anderem sind Regelbeispiele und unbenannte Strafänderungen („minder schwere“ oder „besonders schwere“ Fälle) zu berücksichtigen, welche nicht unbedingt eine Hilfestellung bieten, sondern eher Unklarheit hinsichtlich ihrer Einschlägigkeit nach sich ziehen. Liegt der Tatbestand einer Qualifikation oder einer Privilegierung vor, hat der Richter keinen Entscheidungsspielraum und muss die Strafänderung annehmen, Bsp. §§ 224, 223; §§ 244, 242 StGB. Regelbeispiele sind für Richter nicht abschließend oder zwingend. Auch wenn ein Regelbeispiel vorliegt, kann der Richter im Rahmen des Art. 3 GG, eine besondere Schwere ablehnen. Der Richter muss eine Gesamtwürdigung des Falles vornehmen. Wegen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und dem Prinzip der Gewaltenteilung ist es erforderlich, die legislative Strafbegründungsmacht zu wahren. Daher sind normative Grundlagen – nicht nur für die Strafzumessung – unabdingbar.
Als normative Grundlage der Strafzumessung dient § 46 StGB.
§ 46 Abs. 2 S. 2 StGB enthält die erheblichen Faktoren zur Bestimmung der Strafzumessung und deren Gewichtung (§ 42 Abs. 2 S. 1 StGB). Die aus § 46 Abs. 1 StGB folgende Sozialklausel beinhaltet den Resozialisierungsaspekt der Strafzumessung. Durch die Verurteilung einer straftätigen Person soll generalpräventiv die Allgemeinheit von der Straffälligkeit abgehalten werden. Zugleich soll die Allgemeinheit vor den Tätern geschützt und das Bestehen des normativen Systems bekräftigt werden. Das Individuum soll vor der Begehung weiterer Straftaten geschützt werden und sein Verhalten bessern, um sich zukünftig normenkonform zu verhalten und sich zu resozialisieren (spezialpräventive Rechtfertigung). Die absolute Rechtfertigung der Strafe sieht vor, das geschehene Unrecht zu vergelten und Gerechtigkeit zu üben. Sie ist von gesellschaftlichen Zwecken losgelöst und sieht die Strafe ausschließlich repressiv. Die Strafzwecke werden in der Vereinigungstheorie berücksichtigt.
– Dies entspricht dem einführend abgefragten Gefühl und den Gedanken zum Beispiel. –
Nach der herrschenden Ansicht in der Rechtswissenschaft, setzt sich das Unrecht der Tat aus dem Handlungsunwert und dem Erfolgsunwert zusammen. Der Erfolgsunwert richtet sich an das durch die Tat verletzte oder gefährdete Rechtsgut. Der Handlungsunwert beschreibt die Art und Weise der Tatbegehung. Der Handlungswille des Täters und der Verstoß gegen Verhaltensanforderungen sind hier anzusiedeln. Ergänzend beschreibt die Vorwerfbarkeit inwieweit der Täter im Zeitpunkt der Tat das Unrecht der Tat einsehen und sich entsprechend verhalten konnte. Die Beweggründe der Tat fallen unter anderem unter diesen Punkt.
Die in § 46 Abs. 2 StGB enthaltenen Strafzumessungsumstände sind nicht abschließend. Ihre Feststellung unterliegt zudem auch dem Zweifelsgrundsatz (in dubio pro reo). Auch ist das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB zu berücksichtigen: Erfüllen Umstände den gesetzlichen Tatbestand, so sind sie nicht zusätzlich bei der Strafzumessungsentscheidung zu berücksichtigen, sondern gelten grundsätzlich als verbraucht.
Bei der Strafzumessung spielen zudem viele andere Aspekte eine wichtige Rolle: Handelt es sich bei dem Täter um einen Erwachsenen oder einen Jugendlichen (§ 19 StGB, § 105 JGG) und ist die Person schuldfähig (§ 20 StGB)? Beim Unterlassen (§ 13 StGB), dem Verbotsirrtum (§ 17 S. 2 StGB), der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) und beim Versuch (§ 23 Abs. 2 StGB) kann die Strafe gemildert werden, § 49 Abs. 1 StGB.
Zudem wirkt sich ein Geständnis strafmildernd aus, vgl. § 46b Abs. 1 StGB. In § 46 StGB ist das Geständnis nicht ausdrücklich als Strafzumessungskriterium erwähnt, in der Praxis spielt es dennoch eine bedeutende Rolle. Dies hat seinen Ursprung in den ansonsten erforderlichen prozessualen Anforderungen, welche durch ein Geständnis nicht mehr notwendig sind und auch dem Opfer zusätzliche Belastungen ersparen (besonders bei körperlichen und seelischen Verletzungen). In einem Geständnis wird ein Wert angesiedelt, welcher dem Handlungsunwert entgegensteht und die Unrechtseinsicht impliziert. Ein fehlendes Geständnis darf jedoch keinesfalls zulasten des Angeklagten verwertet werden (nemo- tenetur- Grundsatz).
Wurden durch eine Tathandlung verschiedene Strafgesetze verletzt, ist durch § 52 Abs. 2 S. 1 StGB faktisch ein neuer Strafrahmen eröffnet: Die Höchststrafe bestimmt sich nach dem Gesetz mit der höchsten angedrohten Strafe und die Mindeststrafe nach der höchsten angedrohten Mindeststrafe.
Bei mehreren selbständigen Handlungen wird regelmäßig eine Gesamtstrafe gebildet, § 53 StGB. Für die einzelnen Straftaten werden zunächst Einzelstrafen bestimmt, aus denen die Gesamtstrafe gebildet wird. Die Gesamtstrafe wird durch Erhöhung der höchsten Strafe gebildet und darf die Summe der Einzelstrafen nicht überschreiten, § 54 Abs. 2 S. 2 StGB.
Die Geldstrafen berücksichtigen durch ihre Tagessatzanzahl die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Täter, § 40 Abs. 2 S. 1 StGB.
Zur Handhabung der Strafrahmen haben sich in der Praxis und in der Literatur einige Theorien etabliert. Sie betrachten die Strafzumessung jeweils anders, wobei herrschend vertreten wird, dass dem Richter ein Ermessensspielraum zusteht.
 

1. Theorien zur Handhabung der Strafzumessung

a) SpielraumtheorieDer Gesetzgeber hat für die Weiterentwicklung der Strafzumessungslehre große Spielräume gelassen. Dabei geht es besonders um die Nutzung und ggf. Ausschöpfung der Strafrahmen, um den Gehalt der Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB, um die Gewichtung der Strafzwecke und um die Realisierung der Abwägungsformel in § 46 Abs. 2 S. 1. StGB.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung (BGH, OLG) hat sich die sog. „Spielraumtheorie“ etabliert. Die Theorie beruht darauf, dass der Richter zu dem konkreten Fall eine innerhalb des gesetzlichen Rahmens anwendbaren fallbezogenen Schuldrahmen findet und diesen in der Strafzumessung konkretisiert. Im Spielraum des Schuldrahmens, zur Vermeidung von Schuldüberschreitung oder Schuldunterschreitung, sollen die Strafzwecke beachtet werden, soweit sie auf den konkreten Fall zutreffen. Sowohl präventive als auch repressive Aspekte spielen eine ausschlaggebende Rolle. Der Schuldausgleich wird jedoch in keinem Fall den Präventionserwägungen untergeordnet. Das bedeutet, dass die Strafe nicht aus präventionsgründen niedrig angesiedelt wird, ohne den Ausgleich der Schuld zu erreichen.
Für den Schuldausgleich sind die Strafzumessungsschuld und die individuellen Faktoren maßgeblich. Die Strafzumessungsschuld baut auf der die Strafbarkeit des Täters begründenden Schuld auf. Der Täter hätte sich anders verhalten können und die Verwirklichung des Unrechts vermeiden können. Die Strafzumessungsschuld erfordert zusätzlich eine Vorwerfbarkeit der Unrechtsverwirklichung. Der Täter ist also mit der rechtswidrigen und schuldhaften Verwirklichung des Straftatbestandes strafbar. Wie er zu bestrafen ist richtet sich nach danach, wie stark er mit seiner Tat die Rechtsordnung gestört hat. Die Störung der Rechtsordnung gleicht dem tatbestandlichen Unrecht, welches sich aus dem Erfolgsunwert und dem Handlungsunwert zusammensetzt. Diese können in einer unterschiedlichen Ausprägung vorliegen.
Beispiel: Für eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB), reicht es aus, dass der Fahrer eines Fahrzeugs vorwerfbar verbotswidrig zu schnell fuhr und dadurch jemand anderen verletzte. Die Strafzumessung ist die vorwerfbare Verbotswidrigkeit (wie hoch war die Geschwindigkeitsüberschreitung) und das vorwerfbaren Verletzungen (wie hoch ist das Ausmaß und die Schwere der Verletzungen).
Der Richter legt bei seiner Entscheidung einen separaten Schuldrahmen – schon schuldangemessen und noch schuldangemessen – fest und findet unter Einbeziehung präventiver Aspekte eine angemessene Strafe. Absolut Bindende Maßstäbe für Strafmaßentscheidungen gibt es nicht. Bei dem einführenden Fall fragt sich der Richter also, wie hart muss die Strafe sein, damit Daniel angemessen bestraft ist und seine Tat zukünftig nicht mehr wiederholt.
Dabei muss sich das Schuldstrafmaß ein Bereich innerhalb eines Strafrahmens – und nicht als einzelner Punkt – vorgestellt werden. Auf dieser Weise wird der Über- oder Unterschreitung der Schuld im Strafmaß durch präventive Aspekte entgegengestanden. Andernfalls entstehen Probleme bei der Legitimierung des Präventionsansatzes, insbesondere bei straferhöhendem Einfluss.
Die Frage nach der einen richtigen Wertung eines Vorfalls ist verfehlt. Feinheiten im Strafmaß hängen vom Einzelfall ab. Lediglich die Grenzwerte des Strafmaßes sind vorgegeben und einzuhalten.
Die Strafe soll grundsätzlich am unteren Rahmen – schon schuldangemessen – angesetzt werden, wenn nicht besondere Umstände für eine höhere Strafe sprechen. Dies erfolgt im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des verfassungsrechtlichen Gebots des sinnvollen und maßvollen Strafens. Die Verhältnismäßigkeit leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ab, Art 20 Abs. 3 GG. Daneben sind die Grundsätze der Geeignetheit der Mittel und das Subsidiaritätsprinzip (ultima ratio des Strafrechts) dort zu verorten. Das Strafrecht muss mit seinen Sanktionen geeignetes Mittel zur Erreichung des gesetzgeberischen Zwecks sein.
Im Verhältnismäßigkeitsprinzip geht es im Kern darum, dass der Staat seine Gewalt über die Bürger schonend und nur bei Notwendigkeit anwendet. Zwischen den Freiheitsrechten jeden Einzelnen und der gesellschaftlichen Einbindung muss ein Verhältnis geschaffen sein. Daraus ergibt sich auch das Übermaßverbot, wobei der Staat nicht stärker eingreifen oder strafen darf, als notwendig. Das Gebot des sinnvollen und maßvollen Strafens knüpft unmittelbar daran an. Es wird besonders bei der lebenslangen Freiheitsstrafe diskutiert. Der in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Grundsatz bezieht sich auf die durch die Strafe betroffene Menschenwürde. Die (lebenslange) Freiheitsstrafe ist wegen dem notwendigen sinnvollen Behandlungsvollzug und der Hinwirkung zur Resozialisierung des Gefangenen nicht verfassungswidrig. Im Ergebnis bleibt die konkrete Wertung der Einschätzung des Richters überlassen. Die Spielraumtheorie wird dem Umstand gerecht, dass die Strafzumessungsentscheidung die Vertretbarkeit der konkret getroffenen Wertung stützt.
Grenzen der Spielraumtheorie: Zunächst wird bemängelt, dass bereits die Beschreibung des Strafzumessungsvorgangs realitätsfern sei. Im Weiteren wird nicht auf den Schuld- Strafrahmen bei der Urteilsfindung, sondern lediglich auf das Verhängen einer schuldangemessenen Strafe abgestellt.

 

b) Die Punktstraftheorie

Im Gegensatz zur Spielraumtheorie, gehen die Vertreter der Punktstraftheorie davon aus, dass es für eine bestimmte Tat nur eine richtige Strafe gegen kann. Dieser Punkt sei zumindest als Annäherungswert erfassbar. Abweichungen sind auf die persönliche Wertung des Richters zurückzuführen.
Die Punktstraftheorie beinhaltet keinen Maßstab zur Konkretisierung einer Strafzumessungswertung. Sie soll hauptsächlich eine Grundlage für eine umfassende Prüfung der Strafzumessung in der Revisionsinstanz bieten. Eine Revision bezieht sich lediglich auf die Rechtsfehler in einem Urteil. Darüber hinaus findet keine umfängliche Würdigung des Urteils statt. Wenn die Strafzumessung eine Wertentscheidung darstellt, kann sie nicht mit der Revision angegriffen werden. Durch die Ablehnung eines Ermessensspielraums des Tatrichters bei der Strafzumessung, entfällt der revisionsfreie Bereich der Strafbestimmung. Die Punktstraftheorie geht von lediglich einer bestimmten Strafe aus, weshalb Abweichungen davon als Rechtsfehler behandelt werden und deshalb auch eine Revision möglich ist.
Für Daniel gibt es für seinen Fahrraddiebstahl nur eine richtige Strafe.
Verkannt wird von den Vertretern der Theorie, dass die Strafzumessung per se einen Wertungsakt darstellt. Das Finden oder Erkennen des einen ausschließlich richtigen Strafmaßes ist verfehlt. Das Gericht das über das Rechtsmittel entscheidet vermag in seiner Strafzumessungswertung eine eigene Wertung anzustellen. Bei der Überprüfung durch die höhere Instanz, kann es auch um die Vertretbarkeit eines bestimmten Strafausspruches gehen.
 

c) Die Stellenwerttheorie

Die Stellenwerttheorie bestimmt in Form eines Stufenmodells abgrenzbare Wirkungsbereiche für die verschiedenen Strafzwecke. Dabei handelt es sich um die Strafhöhenbemessung für den Schuldausgleich und die Sanktionswahl für präventive Strafzwecke. All diejenigen Strafzwecke, welche keine Kriterien für die Festlegung einer bestimmten Strafe bieten, sollen von der Bemessung der Strafdauer ausgeschlossen sein. Die Stellenwerttheorie stellt auf den Schuldausgleichsgedanken ab. Problematisch ist, dass dieser Begriff sehr umstritten und unklar ist. Der Stellenwerttheorie steht die in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB enthaltene Sozialklausel entgegen, die an Urteile die Anforderung stellt, Auswirkungen zu berücksichtigen die von der Strafe für das zukünftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind. Die Regelung bezieht sich unmittelbar auf die Grundlagenformel der Straffindung in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB. Sie erfüllt diese gesetzliche Forderung nicht, indem sie bei der Strafhöhenbemessung spezialpräventive Gesichtspunkte gezielt ausschließt.
 

d) Tatproportionale Strafzumessung

Bei dem Gedanken der tatproportionalen Strafzumessung wird die Tatproportionalität dem Schuldprinzip zugeordnet. § 46 Abs. 1 S. 1 StGB wird so verstanden, dass sich die schuldrelevanten Umstände zur Tat proportional verhalten. Die Tatschwere wird von dem verschuldeten Erfolgsunwert begründet und vom Handlungsunwert begrenzt. Die präventiven Aspekte der Strafzumessung seien dagegen willkürlich. Die spezial- und generalpräventiven Strafzwecke, die Rückfall-Strafschärfung und sonstige strafschärfende Tätermerkmale sollen unberücksichtigt bleiben. Vergleichbar mit den Auseinandersetzungen zur Punktstraftheorie und Spielraumtheorie, besteht auch bei diesem Ansatz keine Einigkeit: Unklarheiten und Probleme bestehen noch hinsichtlich der Einschätzung von Versuchskonstellationen, Delikten gegen Kollektivgüter, und Gefährdungstatbeständen, bei der Strafmilderung für Ersttäter sowie bei der Strafschärfung im Falle mehrerer von einem Täter begangener Delikte und mehrerer Tatschäden. Dennoch kann die Tatproportionalitätslehre die Strafgleichheit fördern.
 

e) Zumessungsmaßstab des Gesetzes

Ergänzend soll der Strafrahmen als kontinuierliche Skala hinsichtlich der Schwere der Tat betrachtet werden. Der schwerste Fall des definierten Delikts soll mit der Höchststrafe, der mittel schwere mit der Mitte des Strafrahmens und der mildeste mit der Mindeststrafe geahndet werden. Einen Fall in diese Skala einzuordnen ist schwierig, zumal mögliche Extremen berücksichtigt werden müssen und praktisch unendlich viele Verwirklichungsmöglichkeiten eines Tatbestandes möglich sind. Problematisch ist dabei bereits die Berücksichtigung des § 52 StGB hinsichtlich idealkonkurrierender Delikte. Solche liegen vor, wenn mehrere Straftatbestände oder ein Strafgesetz mehrmals durch eine Handlung verletzt werden (Tateinheit). Mangels objektiver Kriterien, erscheint es zweifelhaft inwieweit eine solche Einschätzung einer präzisen Einordnung in die Skala nahekommen kann. Im Zweifel entspricht das Ergebnis oft der subjektiven Strafzumessung des Richters, was wiederum die Schwereskala überflüssig macht. Zudem erscheint die statische Bindung an den gesetzlichen Strafrahmen systemwidrig. Die Aufgabe des Tatrichters ist, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und dem Täter gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und sie zu bewerten. Sein Spielraum unterliegt nicht der Richtigkeitskontrolle, wenn nicht Sachfremde Erwägungen berücksichtigt wurden. Bspw. kann der Ausspruch einer mittleren Strafe bei Delikten mit einer hohen Strafobergrenze unverhältnismäßig sein. Das für den Fahrraddieb eine Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren angemessen ist, wird wohl kaum ein Richter annehmen. Die Skala kann daher höchstens als Orientierungshilfe dienen.
 

f) Richterrecht

Bei vergleichbaren Konstellationen kann es hilfreich sein, bereits ergangene Urteile zu berücksichtigen. Konkrete normative Voraussetzungen liegen dafür nicht vor, jedoch spricht diese Möglichkeit den Wertekonsens an, welcher in den individuellen Wertungen des Richters gesehen wird und dessen Bestätigung den präventiven Aspekten des Strafrechts gerecht wird. Zudem müssen Urteile an Kollegialgerichten auch durch Konsens legitimiert werden, § 196 GVG. Besonders jungen Richtern, bietet dieser Aspekt zumindest eine Orientierung bei der richterlichen Arbeit.


C. Werkzeug

§ 46 Grundsätze der Strafzumessung

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.


D.  Wiederholungsfragen 

Frage 1: Welche Umstände dürfen bei der Strafzumessung nicht zulasten des Täters herangezogen werden?

Frage 2: Wie verändert sich der Strafrahmen bei der Bildung der Gesamtstrafe, §§ 53, 54 StGB?

Frage 3: Welche Aspekte wirken sich bei der Strafzumessung aus?

Frage 4: Woraus setzt sich der Unwert der Tat zusammen?