Widerrufsrecht und Verbraucherverträge, §§ 312 ff. BGB
A. Einleitung
Das Widerrufsrecht wird grundsätzlich in §§ 355 ff. BGB geregelt. Es soll primär Verbraucher*innen schützen. Grundsätzlich haben Parteien nach Abschluss eines Vertrages keine Möglichkeit mehr, sich einseitig wieder vom Vertrag zu lösen: pacta sunt servanda. Ausnahme davon ist z.B. der Rücktritt oder der Widerruf). Stehen sich allerdings Verbraucher*innen und Unternehmer*innen vertraglich gegenüber, haben Verbraucher*innen die Möglichkeit sich durch den Widerruf ihrer Willenserklärung, ohne die Angabe eines Grundes, vom Vertrag zu lösen. Viele der Verbraucher*innenrechte sind auf europäische Richtlinien zurückzuführen, die den Zweck verfolgen bestimmte Geschäfte, wie z.B. Kreditverträge oder bestimmte Geschäftssituationen, wie solche die außerhalb von Geschäftsräumen stattfinden, zu erleichtern. Denn Verbraucher*innen und Unternehmer*innen stehen sich in Verbraucherverträgen als Gegenpole gegenüber, §§ 13, 14 BGB, wobei Verbraucher*innen als der unterlegene Part einen höheren Schutz bedürfen.
B. Grundlagen des Widerrufsrechts
I. Verbraucherverträge
Die Widerrufsrechte der §§ 355 ff., 312 ff. BGB sind auf Verbraucherverträge anwendbar. Der Begriff des Verbrauchervertrags ist in §310 III BGB legal definiert. Danach handelt es sich um einen Vertrag zwischen einem oder einer Verbraucher*in und Unternehmer*in.
Verbraucher*innen sind gem. § 13 BGB natürliche Personen, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließen, welche überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können, d.h. ihrem „privaten“ Bereich zuzuordnen sind. Die herrschende Meinung stellt dabei auf den objektiven Zweck des Rechtsgeschäftes ab. Unternehmer*innen hingegen können natürliche oder juristische Personen sein, die v.a. in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handeln, § 14 BGB.
Weiter ist gem. § 312 I BGB erforderlich, dass die oder der Verbraucher*in sich durch den Vertrag mit der oder dem Unternehmer*in zur Zahlung eines Entgelts verpflichtet haben.
Solche Verbraucherverträge kommen zum Beispiel bei Bestellungen im Internet zustande.
Bestellt ein*e Verbraucher*in online bei einem großen Modegeschäft einen Wintermantel, liegt ein Fernabsatzvertrag iSd. § 312c I BGB vor. Gemäß § 312g BGB stünde der Besteller*in sodann ein Widerrufsrecht zur Seite.
1. Besonderheiten der Verbraucherverträge
Unternehmer*innen haben Verbraucher*innen gegenüber allgemeine- und besondere Informationspflichten bezüglich spezieller Vertragsarten, wie beispielsweise den Fernabsatzverträgen gem. § 312c ff. BGB, zu erfüllen. Insbesondere im elektronischen Geschäftsverkehr haben Unternehmer*innen eine Vielzahl von Voraussetzungen zu erfüllen, die sich aus den §§ 312 ff. BGB iVm. Art. 246 ff. EGBGB ergeben.
II. Das Widerrufsrecht
Das Widerrufsrecht gem. § 312g BGB soll die Verbraucher*innen vor Überrumpellungen und überstürzten Entscheidungen schützen und ihnen die Möglichkeit einräumen, sich nachträglich vom Vertrag zu lösen. Zentrale Normen des Widerrufs sind dabei §§ 355 ff. BGB.
1. Die Widerrufserklärung
Das Widerrufsrecht der Verbraucher*innen ist ein Gestaltungsrecht, welches durch die Erklärung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung von dem oder der Verbraucher*in ausgeübt wird, § 355 I 1 BGB.
Der Widerruf erfolgt durch Erklärung gegenüber dem oder der Unternehmer*in, woraus der Entschluss des oder der Verbraucher*in zum Widerruf des Vertrags eindeutig hervorgeht, § 355 I 2, 3 BGB. Verbraucher*innen müssen den Widerruf gem. § 355 I 4 BGB nicht begründen, oder eine bestimmte Textform einhalten.
a) Die Widerrufsfrist
Die Erklärung des Widerrufs muss innerhalb der Widerrufsfrist erfolgen. Die Widerrufsfrist beträgt gem. § 355 II BGB 14 Tage und beginnt grundsätzlich mit Vertragsschluss.
Voraussetzung des Fristbeginns ist die Belehrung über das Widerrufsrecht durch die Unternehmer*innen. Die Belehrung soll darauf abzielen, den Verbraucher*innen über Existenz, Inhalt und Bedeutung des Widerrufsrechts zu informieren und diesen die Ausübung ihrer Rechte zu ermöglichen. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen ist §356 III 1 BGB einschlägig. Bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen gilt §356a III 1 BGB, bei Verbraucherdarlehensverträgen §356b II BGB, bei Ratenlieferungsverträgen §356c I BGB, bei unentgeltlichen Darlehensverträgen und unentgeltlichen Finanzierungshilfen §356d S. 1 BGB und bei Verbraucherbauverträgen §356e S. 1 BGB.
Fehlt eine solche Belehrung durch die oder den Unternehmer*in, führt dies zu einer Verlängerung der Widerrufsfrist um 3 bis 12 Monate und 14 Tage oder gar zu einer „ewigen“ Frist, d.h. durch keine objektive Höchstfrist begrenztes Widerrufsrecht.
Die Vorschriften über die Belehrung der Widerrufsfristen und die Rechtsfolgen der Missachtung finden sich für jedes Widerrufsrecht gesondert in den §§356–356e BGB.
Beispiel: Vergisst der Unternehmer U bei Bestellung eines Schuhpaares durch den Verbraucher V auf seiner Website, diesen über sein Widerrufsrecht aus §§ 355, 312g, 356 BGB zu informieren, beginnt die Widerrufsfrist des Verbrauchers V erst in dem Zeitpunkt, im welchem der V die Schuhe von dem oder der Lieferant*in erhält, iSd. §356 II Nr. 1a) BGB. Die Frist zur Erklärung des Widerrufs beträgt nun jedoch nicht 14 Tage, sondern wegen der fehlenden Information des Unternehmers U 12 Monate und 14 Tage iSd. 356 III 2 BGB.
Stellt V nun also erst vier Wochen nach Lieferung fest, dass ihm die Schuhe nicht gefallen, hat er zwölf Monate und 14 Tage nach Ablieferung der Ware Zeit den Widerruf gegenüber U iSd. §§ 355 I 1, 356 III 2, II Nr. 1a), 312c BGB zu erklären.
b) Rechtsfolge des Widerrufs
Wurde (noch) kein Widerruf erklärt, beseht aber noch die Widerrufsfrist fort, ist der Vertrag voll wirksam. Wird der Widerruf erklärt, führt das zum Erlöschen der Leistungspflichten und Umwandlung des bestehenden Vertragsverhältnisses in ein Rückabwicklungsverhältnis. Gemäß § 355 III BGB haben die Parteien die empfangenen Leistungen unverzüglich zurück zu gewähren. Die Einzelheiten der Rückabwicklung widerrufener Verbraucherverträge ergeben sich aus § 355 III iVm. §§ 357–357d BGB.
Im Fall des Zusendens müssen Verbraucher*innen die bereits empfangene Leistungen an die Unternehmer*innen zurücksenden. Diese und weitere Rechtsfolgen des Widerrufs sind in § 357 BGB geregelt. Wer dabei die Kosten der Rücksendung trägt, ist in § 357 VI geregelt und beurteilt sich nach der Ausgangssituation. Regelungen zum Wertverlust einer Sache und daraus resultierendem Schadensersatz sind in § 357 VII BGB geregelt.
C. Werkzeuge
Verbrauchervertrag | Ein Verbrauchervertrag ist ein Vertrag zwischen einem oder einer Unternehmer*in und Verbraucher*in, §§ 312 I, 310 III BGB. |
Widerrufsrecht | Die Widerrufsfrist beträgt nach § 355 II 1 BGB für alle Widerrufsrechte grundsätzlich 14 Tage. Nach der Grundregel des § 355 II 2 BGB beginnt die Frist mit Vertragsschluss, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die §§356 ff. BGB enthalten hierfür Sonderregelungen. |
Widerrufsfrist | Der Beginn der regulären Widerrufsfrist setzt grundsätzlich voraus, dass der oder die Verbraucher*in ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Entsprechende Vorschriften finden sich für jedes Widerrufsrecht gesondert in §§ 356–356e BGB. |
D. Anwendung
Der K hat am 01.Juli bei V per Fax einen Pkw-Spiegel mit eingebauter Radarwarnfunktion zum Preis von 1.129,31 EUR bestellt. Die Lieferung des Geräts erfolgt am 09.Juli. V hatte K ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt. Am 19.7. widerruft K den Vertrag und verlangt von V Rückzahlung des Kaufpreises. Wie ist die Rechtslage?
Lösung:
Nach der Rechtsprechung sind Verträge über den Kauf von Radarwarngeräten gem. §138 I nichtig, weil sie auf die Begehung von Ordnungswidrigkeiten gerichtet sind. K hat den Kaufpreis also ohne rechtlichen Grund gezahlt. Da beide Parteien sittenwidrig gehandelt haben, ist der Rückzahlungsanspruch aber nach §817 S. 2 BGB ausgeschlossen und K hat keinen Anspruch gegenüber V aus den §§ 812 ff. BGB inne. |