12/2017 - Wafaa Mahmoud
Wafaa Mahmoud hat am „Refugee Teachers Program“ der Universität Potsdam teilgenommen. Nach ihrem erfolgreichen Abschluss arbeitet sie nun an einer Potsdamer Grundschule. Das Qualifizierungsprogramm habe ihr nach der Flucht neue Hoffnung gegeben, berichtet die Syrerin.
Sie sei in den Bergen aufgewachsen, erzählt Wafaa Mahmoud leise. Dann hebt sie den Blick und lächelt: „Wie Heidi“. Doch die Geborgenheit der Kindheit ist für die Syrerin eine weit entfernte Erinnerung. Das Land, in dem sie groß geworden ist, hat ihr zu viele seelische Erschütterungen zugefügt. Als sie ein Teenager ist, kommt ihr Vater wegen seines politischen Engagements ins Gefängnis. Nach zwei Jahren Haft wird er entlassen und stirbt kurz darauf. „Die Bedingungen sind nicht gut in syrischen Gefängnissen“, fasst die 34-Jährige verbittert zusammen.
Sie selbst studiert in Damaskus englische Literatur, arbeitet danach sechs Jahre lang als Lehrerin in einer Grund- und Sekundarschule. Und auch sie engagiert sich gemeinsam mit ihrem Ehemann politisch, demonstriert gegen Assad. 2014 erkennen sie, dass die Gefahr für sie und ihre zwei Kinder zu groß wird. „Wir haben von einem Tag auf den anderen entschieden, dass wir fliehen müssen“, berichtet die Lehrerin. Mit dem Auto wollen sie in den Libanon entkommen, doch zunächst bleiben sie an der Grenze stecken. „Fünf Stunden standen wir da und ich erinnere mich noch an jede einzelne Sekunde“, blickt sie zurück. „Jede Sekunde war Angst.“ An den Grenzstationen liegen Listen mit Namen von Regimekritikern, die an der Ausreise gehindert werden sollen. Die junge Mutter weiß nicht, ob ihre Namen schon auf der Liste stehen.
Kein Schulbesuch für Flüchtlingskinder
Schließlich gelingt die Ausreise, doch das Leben im Libanon ist schwierig. Die Libanesen stehen den zahlreichen Flüchtlingen aus dem Nachbarland kritisch gegenüber, die Lebenshaltungskosten sind extrem hoch. Sie hätten sich Geld von ihren Verwandten leihen müssen, um über die Runden zu kommen, berichtet die Syrerin. Was aus ihrer Sicht noch viel schwerer wiegt: Die Flüchtlingskinder dürfen im Libanon keine öffentliche Schule besuchen. Für die Lehrerin, deren Eltern auch beide Lehrer waren, ist das inakzeptabel: „Wir hatten nur zwei Ziele, Sicherheit und Bildung. Und für Bildung braucht man eine Schule.“
Für dieses Ziel verlässt die 34-Jährige mit ihrer sechsjährigen Tochter nach einem Jahr den Libanon. Ihren Mann und ihren damals dreijährigen Sohn muss sie zurücklassen. Über die Türkei und Italien fliehen die beiden nach Deutschland. Auch diese Flucht ist eine Ausnahmesituation, weil nie klar ist, welche Papiere wo anerkannt werden, ob sie irgendwo abgefangen werden oder wo sie überhaupt ankommen werden. Sie landen im Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt, wo Mutter und Tochter drei Wochen bleiben werden. Dann werden sie einem Flüchtlingsheim in Potsdam zugeteilt. „Eine schwierige Zeit“, sagt die Mutter leise. Aber auch: „Wir haben Glück gehabt.“
Hoffnung und ein neues Ziel
Glück etwa, dass sie überhaupt ankommen. Glück, dass sie eines Tages vor dem Flüchtlingsheim ein deutsches Ehepaar kennen lernen, dass den Kindern Süßigkeiten bringt und sie bis heute unterstützt. Und das Glück, dass im August 2015 Mann und Sohn nach Deutschland nachkommen können. Die vierköpfige Familie kann eine kleine Wohnung in Potsdam beziehen – und dennoch ist der Start im neuen Leben schwer. „Wir haben so viele Ängste mitgebracht und wir wussten gar nicht, wo unser neuer Platz sein soll“, blickt die Akademikerin zurück. In dieser Situation hört sie vom Refugee Teachers Program an der Universität Potsdam. Geflüchtete Lehrer sollen für den deutschen Schuldienst ausgebildet werden; ein Pilotprojekt, dass damals deutschlandweit einzigartig ist. Mahmoud bewirbt sich und wird angenommen: „Das Programm hat mir wieder Hoffnung gegeben. Ich hatte endlich eine Aufgabe und ein Ziel.“
2016 beginnt sie an der Universität Potsdam mit der eineinhalbjährigen Ausbildung. Ein intensiver Deutschkurs steht auf dem Programm, dazu Kurse zum deutschen Bildungssystem und Unterricht in Didaktik und Methodik. „Es war sehr intensiv. Und zusätzlich bringen wir ja alle auch unsere Migrationsgeschichte mit“, so Mahmoud. Sie erinnert sich an viele erschöpfte Abende, an denen sie über ihrem Deutschbuch sitzt und viel Unsicherheit, ob sie das Pensum schaffen wird. Aber auch an das Gefühl der neu erlangten Freiheit: „Alle im Kurs waren Syrer und wir konnten erstmals offen über unser Heimatland diskutieren. Das war auch eine Gelegenheit für uns, Freiheit zu üben.“
Die Anspannung bleibt
Im September 2017 feiert der erste Durchgang des Potsdamer Refugee Teachers Programs seinen erfolgreichen Abschluss. Mahmoud, die erst seit zwei Jahren Deutsch lernt, hält die Abschlussrede. Vor einem voll besetzten Plenum und zahlreichen Kameras bedankt sie sich für das Programm: „Was ihr für uns getan habt, werden wir in unserem Herzen tragen und an eure Kinder zurückgeben.“ Im Herbst hat sie ihre erste Stelle an einer Potsdamer Grundschule angetreten und arbeitet dort als Assistenzlehrerin. Endlich wieder im Klassenzimmer, endlich ein Gehalt, endlich eine Perspektive.
Ihr Sohn geht in den Kindergarten, die Tochter wurde im Sommer eingeschult. Entspannung ist für Mahmoud trotzdem nicht in Sicht. Sie will ihre Sprachkenntnisse ausbauen und kämpft weiter darum, in Deutschland bleiben zu können. „Wir Flüchtlinge wollen keine Bürde für dieses Land sein. Wir brauchen eine Chance, hier unseren Platz zu finden“, so ihr Appell.
Text und Foto: Corinna Micha I Alumni-Team
Veröffentlicht: Dezember 2017