08/2020 Manja Schüle
Manja Schüle ist eine Vollblutpolitikerin. Geboren 1976 in Frankfurt (Oder), zog sie 1996 zum Studium der Politikwissenschaften nach Potsdam. 2006 verließ die von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderte Promotionsstudentin die Universität Potsdam mit einer Dissertation über politische Bildung. Parallel zum Studium engagierte sich Manja Schüle bei den Jusos und in der SPD-Hochschulgruppe. Ihre späteren beruflichen Stationen sind eng mit der brandenburgischen SPD verbunden. So war sie Bildungsreferentin der SPD-Landtagsfraktion und Büroleiterin des SPD-Ministers in den Ressorts Arbeit/Soziales und Bildung. Bei der Bundestagswahl 2017 errang sie als einzige SPD-Kandidatin in Ostdeutschland ein Direktmandat. Seit 2019 ist die Politikerin Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg.
Ihre berufliche Karriere beeindruckt. Sie klingt nach zielstrebigem Aufstieg der Karriereleiter. Wieviel Arbeit, Schweiß und Mut verbirgt sich dahinter?
Jedes Leben kennt Brüche. Auch meines. In diesem Jahr feiern wir 30 Jahre Deutsche Einheit. Vor dreißig Jahren wohnte ich als 13-Jähriges Mädchen in Frankfurt (Oder) in der „Platte“. Nach den Ereignissen am 9. November kam mir der Berliner Mauerfall als direkte Folge einer demokratischen Revolution vor und als großer Aufbruch. Ich verstand erst langsam, dass es für viele Ältere auch ein Zusammenbruch war. Sie erlebten einen Systemwechsel und sahen – live und in Farbe - wie das Bekannte, Vertraute, kollabierte. Ich habe viel daraus gelernt, zum Beispiel das ostdeutsche Biografien niemals so zielgerichtet ablaufen, wie es auf den ersten Blick scheint.
Die Universität Potsdam ist Ihre Alma Mater, an der Sie studierten und promovierten. Wie hat Sie diese Zeit auch persönlich geprägt?
Die Universität Potsdam hat sich ein unverwechselbares Profil geschaffen, forschungsstark, international aufgestellt und auf eine kreative und vielfältige Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ausgerichtet. Als ehemalige Studentin der Geisteswissenschaften weiß ich um das leidenschaftliche "Wissensmassiv" Universität Potsdam. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir nichts erfahren über die Universität, wenn wir allein Zahlen, Daten und Fakten aufzählen. Wir dürfen den universitären Lernort nicht quantifizierend begreifen, sondern als individuelles Erlebnis.
Während meines Studiums gefiel mir die offene Debatte an der Uni. Das war kein Zufall. Die Universität Potsdam als Ort in Brandenburg, in Europa, in der Welt ermöglicht vielfältigste Begegnungen – ganz praktisch in Seminaren, bei Vorlesungen, in der Bibliothek, im Archiv und auf dem Campus. Begegnungen, um gemeinsam zu diskutieren, manchmal auch zu streiten – bestenfalls im Geiste des guten wissenschaftlichen Arguments. Diskussionsräume sind eine Grundlage für eine erfolgreiche Universität. Sie prägen die Hochschulen. Sie prägen die Studierenden. Sie prägten mich.
Wie gelang Ihnen der Schritt von der Potsdamer Universität in die politische Verwaltungsarbeit und inwiefern fanden Sie dabei Unterstützung durch den renommierten Verwaltungswissenschaftler, Prof. Dr. Werner Jann?
Professor Werner Jann war nicht nur besonders für mich, sondern für die gesamte Universität Potsdam. Seine Bedeutung geht über die Forschungslandschaft des Landes Brandenburg hinaus. Wenn ich mich richtig erinnere, dann ergab einmal eine Umfrage unter deutschen Verwaltungswissenschaftlern, dass er einer der einflussreichsten deutschen Wissenschaftler seines Fachgebietes ist. Ich habe seine Vorlesungen und Seminare sehr gern besucht. Nicht nur weil er ein glänzender Dozent ist, sondern weil er auch immer viel Praxiserfahrung mit in die Vorlesungen gebracht hat. Ähnlich praxisorientiert gingen Professor Dittberner und Professor Kleger vor. Herr Dittberner verstand es in seinen Vorlesungen stets, den wesentlichen Kern großer Politik herauszuschälen. Während Herr Kleger ganz im Geiste Montaignes uns Studierenden das praxisbezogene Philosophieren erläuterte. Davon profitiere ich bis heute.
Seit November 2019 sind Sie Brandenburgs Wissenschaftsministerin. Wie sehen Sie heute aus dieser Perspektive die Universität Potsdam aufgestellt?
Hervorragend! Die Universität Potsdam ist nicht nur die mit Abstand größte Hochschule des Landes Brandenburg, sondern sie sticht auch mit ihren Erfolgen und internationaler Sichtbarkeit besonders hervor. Ein jüngeres und konkretes und auch besonders schönes Beispiel dafür ist die „European Digital UniverCity“. Unter Leitung der Universität Potsdam wird sie mit europäischen Partner-Universitäten aus Frankreich, Tschechien, Ungarn und Italien in den nächsten Jahren eine nachhaltige Struktur aufsetzen, um die innereuropäische Mobilität zwischen Studierenden, aber auch Verwaltungsmitarbeiterinnen und –mitarbeitern, zu stärken. Das ist doch wunderbar!
Darüber hinaus steht die Universität Potsdam stets auch in besonderer Weise im Fokus und Interesse von Gesellschaft, Öffentlichkeit und Politik. Die Universität Potsdam ist für mich einer der „Schrittmacher“ für die Wissenschaftsregion in Brandenburg und auch des gemeinsamen Wissenschaftsraumes mit Berlin. Von herausragender Bedeutung ist für die Universität Potsdam dabei die Vernetzung und enge Kooperation mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Brandenburg und Berlin, über zahlreiche gemeinsame Berufungen und in kooperativen Verbünden. Sie hat sich ein unverwechselbares Profil geschaffen, forschungsstark, international aufgestellt und auf eine kreative und vielfältige Förderung ausgerichtet.
Universitäten sind nach dem Gesetz autonom. Wieviel Einfluss haben Sie da als Ministerin und wie nehmen Sie diesen wahr?
Es ist gut und richtig, dass die Hochschulen das Recht der Selbstverwaltung haben und ihre Angelegenheiten grundsätzlich selbst regeln können. Zugleich ist die Universität Potsdam als staatliche Hochschule eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Entscheidend erscheint mir, hier eine sinnvolle Balance im Sinne einer guten Entwicklung der Hochschulen in Forschung und Lehre herzustellen. Wichtig dafür ist ein enger Informationsfluss auf allen Ebenen.
In den letzten Monaten war dieser Austausch angesichts der Herausforderungen, die mit Corona verbunden waren, besonders intensiv. Über den Zeitraum vieler Wochen führte unser Haus jeden Tag eine Telefonkonferenz mit allen Leitungen der staatlichen Hochschulen Brandenburgs. Ich bin der Universität Potsdam dankbar, dass sie diese Diskussionsräume an der Universität nicht nur offengehalten hat, sondern auch die Debatte über das digitale Semester führt. Die Universität Potsdam hat – wie übrigens die anderen Brandenburger Hochschulen auch – ihre Vorlesungen, Seminare und Kurse mit hohem Engagement und großer Kreativität auf Online-Lehre umgestellt. Wir haben sie dabei als Land mit unserem "Sofortprogramm für digitale Hochschullehre in Brandenburg" gerne unterstützt.
Partizipation und Teilhabe der Studierenden an der Hochschulentwicklung sind unter Zeiten des doch stark verschulten Bachelor-Master-Systems stark zurückgegangen. Wie gehen Sie als Ministerin mit dieser Thematik um?
Im brandenburgischen Wissenschaftsministerium geht die Teilhabe von Studierenden an der Hochschulentwicklung nicht zurück, sondern im Gegenteil: Sie wächst. Erst vor wenigen Tagen präsentierte ich zusammen mit Jonathan Wiegers eine Bilanz zum Studieren in Corona-Zeiten. Herr Wiegers ist Sprecher der Brandenburgischen Studierendenvertretung. Bereits zu Beginn meiner Amtszeit lud ich die studentische Initiative „Frist ist Frust“ in mein Ministerium. Zuvor besuchte ich ihre Demonstration auf dem Landtagsgelände. Mir ist der Austausch mit den Studierenden in Brandenburg sehr wichtig. Ich selbst habe von der studentischen Selbstverwaltung profitiert. Sie ist hart erkämpft und ein wichtiges Gut.
In den letzten Monaten durfte ich die Bekanntschaft von vielen unglaublich engagierten Studierenden machen, die mit viel Einsatz und Hingabe hörbar die Interessen ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen vertreten und zeigen, wie gut studentische Partizipation funktioniert. Doch es geht nicht nur ums Zuhören. Sondern auch ums Machen lassen. Deshalb unterstützten wir vor einem Monat organisatorisch und finanziell die Idee eines Hackathons des studentischen Vizepräsidenten Nikolas Ripka von der FH Potsdam. Überdies: Wie viele Bundesländer haben überhaupt einen studentischen Vizepräsidenten?
Rückblickend auf Ihr Studium und den Berufseinstieg. Was möchten Sie Absolventinnen und Absolventen für diese Lebensphase mit auf den Weg geben?
Das Kompliment, das ich im Rahmen der diesjährigen digitalen Absolventinnen- und Absolventenfeier an der Universität Potsdam ausgesprochen habe, wiederhole ich an dieser Stelle gerne: Unter diesen Umständen einen Abschluss zu machen, ist eine Herausforderung. Sie haben sie gemeistert – Chapeau! Und: Nehmen Sie in Ihr weiteres Leben mit, was Sie hier erlebt haben: Neugier. Debattenfreude. Toleranz. Weltoffenheit.
Sie gestalten unsere Zukunft. Ich wünsche Ihnen dafür alles Gute und viel Erfolg!
Haben Sie ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!