Zum Hauptinhalt springen

01/17 - Michael Kellner

Grünenpolitiker Michael Kellner
Foto: Andrea Kroth
Michael Kellner hat von 1996 bis 2002 Politikwissenschaft an der Universität Potsdam studiert.

Der Potsdamer Alumnus Michael Kellner hat keinen ruhigen Jahreswechsel hinter sich: Er bereitet sich und seine Partei auf die anstehende Bundestagswahl vor. Der politische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen kämpft in den nächsten Monaten aber nicht nur um Wählerstimmen. Um dem Populismus die Stirn zu bieten, müssen alle Parteien neue Wege gehen, so seine Forderung.


Wie würden Sie die Aufgaben eines politischen Geschäftsführers in zwei Sätzen beschreiben?
Ich bin verantwortlich für die gesamte Kommunikation in der Partei nach innen, vom Mitgliedermagazin bis hin zum Newsletter. Und ich steuere alle Kampagnen und Wahlkämpfe, also auch den Bundestagswahlkampf.

Wie gelang der Schritt von der Potsdamer Universität in die Parteizentrale?
Für so einen Job braucht man immer zweierlei: Ein Ansehen als Person und glückliche Umstände. Ich habe jahrelang auf verschiedenen Ebenen grüne Politik gemacht, oft ehrenamtlich. Und dann kam diese Chance. Ich habe meinen Hut in den Ring geworfen und es hat geklappt. Das ist das Faszinierende an Politik: Man kann eine politische Karriere nicht planen.

Sie haben von 1996 bis 2002 Politikwissenschaft studiert. Profitieren Sie heute davon?

In Teilen meines Jobs profitiere ich von den vermittelten Studieninhalten. Ich habe die Fähigkeit mitbekommen, komplexe Situationen zu analysieren. Und das empirische Handwerkszeug für Statistiken und Umfragen erlernt. Das ist sehr hilfreich, wenn man viel mit Zahlen zu tun hat. Ich tappe nicht in die Falle, in jeder Umfrage gleich ein Wahlergebnis zu sehen.

Hat Sie die Studienzeit auch persönlich geprägt?

Was mir noch sehr gut in Erinnerung ist, ist das Bestreben nach Horizonterweiterung, nach selbstständigem Denken, zu dem uns die Professoren wie Heinz Kleger immer wieder aufgefordert  haben. Das hat mich geprägt und deshalb war es eine gewinnbringende Zeit. Viele Kompetenzen habe ich aber auch durch die Freiräume erworben, die ich an der Hochschule erfahren habe. Ich habe mich beispielsweise früh für Hochschulpolitik engagiert, war Mitglied im Senat, im Konzil, im Asta. Dafür habe ich viel Anerkennung erfahren und das hat sicher dazu beigetragen, dass ich meinen Weg weiter in diese Richtung gegangen bin.

Wie würden Sie das derzeitige politische Klima beschreiben?

Auf der einen Seite haben wir eine lebendige Zivilgesellschaft. Wenn ich mir heute anschaue, wie groß beispielsweise die Hilfe und Unterstützung für Flüchtlinge ist, dann ist das bemerkenswert. Auf der anderen Seite ist es leider auch bemerkenswert, was wir derzeit an Hass und Hetze erleben. Hätten wir vor drei Jahren miteinander geredet, dann hätten wir darüber gesprochen, dass wir in Zeiten des Biedermeier leben, dass alles so erstarrt ist. Das ist völlig vorbei. Wir befinden uns in einer prägenden Auseinandersetzung: Wollen wir in einer vielfältigen, offenen Gesellschaft leben, oder geht es in eine autoritäre Gesellschaft zurück? Und das ist ja nicht nur eine deutsche Frage. Wir haben den Brexit und die Wahl von Trump erlebt. Es kommen die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich. Wir verhandeln die Frage: In welchem Europa wollen und werden wir leben? Wir leben in Zeiten, in denen es wirklich um es etwa geht.

Was kann man gegen den Populismus tun?
Es gibt viele Antworten darauf. Eine ist, dass man nicht in den marktschreierischen Überbietungswettbewerb einsteigt, sondern an Problemlösungen mitarbeitet. Eine zweite Ebene betrifft meine Arbeit als Geschäftsführer und die Frage: Wie verändern sich Parteien? Ich bin davon überzeugt, dass unsere moderne Demokratie ohne politische Parteien undenkbar ist. Das heißt aber nicht, dass die Parteien so bleiben können, wie sie sind. Sie müssen sich reformieren und verändern.

Inwiefern müssen sich Parteien verändern?
Sie müssen ihre Problemlösungskompetenz besser vermitteln, den Wählern deutlich sagen: Wir wollen und wir können die Probleme unserer Zeit lösen. Da haben wir grüne Antworten und andere Parteien haben andere Antworten. Und dann brauchen wir mehr Bürgerbeteiligung, mehr Basisdemokratie.

Wie wollen Sie diese Basisdemokratie stärken?
Wir Grüne befinden uns gerade in einer Urwahl. Alle Parteimitglieder können darüber entscheiden, welches Spitzenduo uns in den Bundestagswahlkampf führt. Das ist nun das Gegenteil von Hinterzimmer-Politik und Intransparenz. Alle in der Partei entscheiden, und zwar über eine relevante Frage. Solche neuen Beteiligungsformen können dem Vertrauensverlust in das politische System entgegenwirken.  

Welche anderen Beteiligungsformen sind vorstellbar?
Die Digitalisierung kann beispielsweise ein nützliches Werkzeug sein. Wir hatten in diesem Jahr eine lange interne Debatte, wo unsere Schwerpunkte im Bereich Gerechtigkeit liegen. Ich habe zum ersten Mal alle Mitglieder in Form einer Online-Befragung einbezogen. Jedes fünfte Mitglied hat geantwortet. Das fand ich stark. Das hätte ich früher nicht machen können, denn ich kann ja nicht bei jeder Frage 60.000 Briefe rausschicken. Aber über das Internet ergeben sich neue Beteiligungswege und diese Wege will ich weitergehen.

Trotz Ihres Plädoyers für eine sachliche und differenzierte inhaltliche Auseinandersetzung: 2015 machten Sie bundesweit Schlagzeilen, weil Sie einen CSU-Politiker als „Vollpfosten“ bezeichneten. Wie beurteilen Sie Ihre Aussage heute?
Das war ein spontaner Ausbruch über die, wie ich fand, unerträglich falsche Position in der CSU. Dieser Populismus in der Einwanderungsfrage hat mich einfach auf die Palme gebracht. Ich glaube schon, dass man einmal zuspitzen kann, das ist legitim. Aber ich würde es jetzt nicht zu meinem Markenzeichen machen und das alle drei Tage wiederholen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Text: Corinna Micha I Alumni-Team
Veröffentlicht: Januar 2017