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02/19 - Alexander Siebert

Alumnus Alexander Siebert
Foto: Retresco
„Wir sind das selbstfahrende Auto für die Unternehmenskommunikation", sagt Alexander Siebert, der von 1999 bis 2007 Computerlinguistik an der Universität Potsdam studierte.

Alumnus Alexander Siebert hatte vor Jahren eine zündende Idee zur automatisierten Verwertung von großen Datenmengen. Aus der Arbeit am heimischen Schreibtisch wurde die Retresco GmbH, die kürzlich ihr 10-jähriges Jubiläum feierte. Das Unternehmen hat heute 75 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, eine eigene Vertriebsabteilung und Marketingexperten, die im Prinzip das verkaufen, was ihr Geschäftsführer Siebert im Studium gelernt hat. Für mehr Praxisbezug im Studiengang Computerlinguistik bieten Retresco-Mitarbeiter heute Blockseminare an der Uni Potsdam an.


Die wichtigsten Arbeitsutensilien für Alexander Siebert sind sein Smartphone und sein Laptop. Damit kann er praktisch von überall aus arbeiten. Der vierfache Vater, Unternehmungsgründer und Geschäftsführer hat selten eine Arbeitswoche von unter 60 Stunden. Dabei spielt die Computerlinguistik noch nahezu täglich eine große Rolle, auch wenn er mittlerweile nicht mehr selbst am Programmieren ist. „Wenn du Hochtechnologie verkaufen willst, musst du auch inhaltliche Kompetenzen darin haben.“ Deshalb muss Siebert nicht nur wissen, was heutzutage möglich ist, sondern auch verstehen, was für den Kunden sinnvoll wäre. Das macht eine gute Beratung aus. Ein großes Büro braucht er dafür eigentlich nicht. Das ist eher für die Mitarbeiter.

Start-Up-Gründung vor dem Start-Up-Hype

Das Unternehmen befindet sich mitten in Berlin und doch ist es auf einen Schlag ruhig, wenn man den großen Gewerbehof betritt. Die hohen Fenster von Retresco erstrecken sich über zwei Stockwerke. Vom Fahrstuhl aus kommt man direkt in die hellen, modernen und offenen Räumlichkeiten, die durch Glaswände von anderen hellen, modernen und offenen Räumlichkeiten getrennt sind. Erster Blickfang ist ein großer blauer Retresco-Schriftzug als einziger Farbklecks an den makellos weißen Wänden. Der Name? „Ist einfach nur ein Akronym, für das es damals keinen Google-Treffer gab.“ Klingt nach einer typisch pragmatischen Antwort für jemanden, der sich mit Suchtechnologie und Textgenerierung beschäftigt. Die Einrichtung und das Design erinnern an ein modernes Start-Up-Unternehmen, dabei hatte Retresco seine Anfänge noch vor dem großen Start-Up-Hype.

„2008 war das Jahr der Weltwirtschaftskrise und meine dritte Tochter war gerade zur Welt gekommen. Eigentlich gab es zu dem Zeitpunkt verschiedenste Faktoren, die fundamental dagegen gesprochen haben, sich selbständig zu machen und eine Firma zu gründen“, Alexander Siebert lacht, „komischer Zeitpunkt, muss man sagen“. Zusammen mit vier anderen Computerlinguisten geht er es damals trotzdem an und bearbeitet mit der Unterstützung durch Professoren des Lehrstuhls erste Kundenaufträge. „Wir hatten nicht unbedingt ein Geschäftsmodell, aber die Technologie, richtige Ideen und Lösungen.“ Schlussendlich ist es genau das und die ersten Kunden aus dem Mediensektor, die der Entwicklung zum heutigen Unternehmen verhelfen. Mittlerweile gibt es vor allem Anfragen aus Bereichen, wie der Finanzindustrie, der Versicherungswirtschaft oder dem eCommerce. Große Kunden, für die Retresco zum Beispiel die interne Unternehmenskommunikation programmiert oder automatisierte Produktbeschreibungen generiert.

Während des Studiums lag der Fokus eher auf der Forschung

Die Grundlagen für seine heutige Arbeit eignete sich Alexander Siebert im Studiengang Computerlinguistik an der Universität Potsdam an. „Wir haben schnell gemerkt, dass das was wir lernen, sehr wichtig wird für die Zukunft“, erzählt er. Auch wenn der Fokus der Seminare und Vorlesungen damals eher im Bereich der Forschung liegt und man nicht lernt, wie man sich selbständig machen könnte, gibt es Möglichkeiten, um Praxiseinblicke zu erhalten. So werden vom Lehrstuhl einige kommerzielle Projekte vorgestellt, an denen sich die Studierenden beteiligen können. Siebert und ein paar Kommilitonen statteten zum Beispiel die Patholinguisten der Uni mit einer eigenen Diagnostik-Software für Sprach- und Sprechstörungen aus. Durch solche Studentenjobs erwirbt der Unternehmensgründer nicht nur seine ersten Programmierfertigkeiten, sondern er merkt auch schnell: „Software entwickeln und damit Geld verdienen kann sehr unterhaltsam sein.“

Trotzdem hält er zunächst die Nähe zur Forschung. An der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaft arbeitet er 2006 zunächst noch als studentischer Mitarbeiter und ein Jahr später als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte, wie zum Beispiel dem digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache, erprobt Siebert Strategien, um mittels Sprachtechnologie, große Korpora zu erschließen und sie für die Wissenschaft verfügbar zu machen. Aber nach zweieinhalb Jahren in der Forschung beschließt er, lieber in die Wirtschaft zu gehen. Er sagt, dass man auf diese Weise beides haben kann: „Wir können hier weiter forschen und sehen, was der reale Nutzen der Technologie ist.“

Der Kontakt zur Uni Potsdam bleibt auch erhalten. Die Professoren aus der Computerlinguistik, die ihm vor zehn Jahren mit Rat und Tat zur Seite standen, bezeichnet er heute als Kollegen. Mitarbeiter von Siebert geben mittlerweile Blockseminare am Lehrstuhl. Der Alumnus möchte interessierten Studierenden einen intensiven Praxiseinblick ermöglichen: „Computerlinguistik ist sehr komplex. Da brauchst du geistig Zeit zum Verdauen und gleichzeitig die Nähe zu Forschungsprojekten oder kommerziellen Projekten, um das Erlernte anzuwenden.“ Einer kleinen Anzahl angehender Computerlinguisten und einer größeren Anzahl fertiger Computerlinguisten von der Uni Potsdam konnte Siebert sogar einen Arbeitsplatz in seinem Unternehmen anbieten. Aber die neue Generation Arbeitnehmer interessiert sich auch noch für ganz andere Themen, wie zum Beispiel eine 4-Tage-Woche und work-life-balance. Der Geschäftsführer merkt, dass man in allen Bereichen anpassungsfähig bleiben muss und bietet den Mitarbeitern ein hohes Maß an Flexibilität im Arbeitsalltag an.

Zukunft denken, Zukunft mitgestalten

Für die Zukunft hat Alexander Siebert große Pläne: Retresco soll in der automatisierten Unternehmenskommunikation europäischer Marktführer werden. Dafür bietet es seine Dienste mittlerweile auch schon in mehreren Sprachen an und es kommen ständig neue dazu. Das ist eine große Herausforderung, aber die Technologie ist schnelllebig und deshalb muss man bereit sein, das Geschäftsmodell weiterzuentwickeln. Das spiegelt sich auch im Aufgabenfeld wieder. Angefangen hat alles mit semantischen Technologien und Suchtechnologien, vor ein paar Jahren kam die moderne Textgenerierung dazu, mit der es möglich ist, große Datenmengen zur automatischen Texterstellung zu nutzen. Sportberichte, Arbeitszeugnisse, Firmenreportings. Manche beschimpfen das als Roboterjournalismus, aber Siebert sieht hierin die Zukunft: „Wir sind das selbstfahrende Auto für die Unternehmenskommunikation.“ Sprache ist und bleibt das wichtigste Kommunikationsmittel, alle müssen kommunizieren und alles muss schneller gehen und damit wird dieser Markt auch immer bestehen bleiben. Dass der Computerlinguist mit Hilfe seines gefragten Wissens große Konzerne in ihrem digitalen Umwandlungsprozess beraten und begleiten darf, findet er genauso spannend wie die KI-Technologie in den Häusern zu etablieren.

Den großen Zukunftsplänen steht also nichts im Wege, „wenn wir uns weiter unsere Agilität und unsere Neugier und den Pragmatismus bewahren und Lösungen finden“, ist Alexander Siebert überzeugt. Und der Wissenschaftler in ihm betont: „Wir lernen hier viel, das ist das reizvolle. Denn wenn wir aufhören zu lernen, dann macht das auch keinen Spaß mehr.“