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03/2024 - Christin Tellisch

Foto: Privat

Prof. Dr. Christin Tellisch studierte von 2006-2011 Lehramt für Deutsch, Musik und Latein in der Gymnasialstufe und promovierte im Jahr 2014 an der Universität Potsdam. Derzeit ist sie Vizepräsidentin für Forschung, Innovation und Qualitätswesen sowie Professorin für Schulpädagogik und allgemeine Didaktik an der Hochschule für Soziale Arbeit & Pädagogik (HSAP) in Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Inklusion, Bildung in digitalen Lernkontexten, Pädagogische Beziehungen, Ganztagsschulentwicklung, Fächerübergreifendes Lernen, Ästhetische Bildung, Schulsozialarbeit und Schulmanagement.


Liebe Frau Prof. Dr. Tellisch, wie haben Sie Ihre Zeit an der Universität Potsdam in Erinnerung?

Ich denke gern an diese Zeit zurück, an viele Kommiliton:innen, mit denen man den Weg gemeinsam gegangen ist, an vor allem praxisorientierte Seminare und aktive Vorlesungen sowie an Gespräche mit Professor:innen und wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die uns Studierende damals als Persönlichkeit fördern wollten, damit wir unseren Weg an der Schule gut finden werden. Ganz besonders gern erinnere ich mich an eine Studienreise mit Prof. Jank nach China – das war ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde; sowohl von musikalischer als auch von pädagogischer, menschlicher und kulinarischer Seite! Auch erinnere ich mich sehr gern an das Kennenlernen von Prof. Prengel zurück – ein Mensch, der bis heute für mich ein großes Vorbild ist; uns verbindet mittlerweile eine anregende Freundschaft. Dafür bin ich sehr dankbar.

Sie waren nach Abschluss Ihres Studiums zunächst an einem Gymnasium tätig. Was bewegte Sie später zu einem Wechsel an die Hochschule?

Nach meinem Studium bin ich 2012 relativ schnell an ein Schulprojekt im Aufbau gelangt, das ich unheimlich spannend fand. Es ging darum, ein Gymnasium im sächsischen Riesa aufzubauen. Diese Herausforderung wollte ich gern annehmen und wurde bereits Ende 2013 Schulleiterin dieser Schule. Bis zum ersten Abiturjahrgang gestaltete ich gemeinsam mit meinem immer größer werdenden, wunderbaren Team diese Schule. Es war eine wirklich schöne Zeit, die ich sehr vermisse. Ein Höhepunkt auf dem Weg des Aufbaus der Schule war eine Auszeichnung einer Schüler:innengruppe durch den Bundespräsidenten im Jahr 2015 aufgrund ihres Engagements für die Kinderrechte, ein weiterer Höhepunkt die Auszeichnung der Schule mit dem Sonderpreis des Sächsischen Schulpreises im Jahr 2018. Als dann die ersten Schüler:innen mit großem Erfolg ihr Abitur ablegten, regten sich neue Herausforderungen und Fragen in mir – so kam es zum Impuls eines Wechsels an die Hochschule mit dem Wunsch, möglichst viele fachlich qualifizierte, engagierte und wertschätzend agierende Pädagog:innen mit auszubilden.

Neben Ihrer Tätigkeit an der HSAP leiten Sie seit 2020 das Forschungsprojekt „Pädagogische Beziehungen in digital unterstützten Bildungsprozessen“. Wie sieht Ihr derzeitiger Arbeitsalltag aus?

Das Forschungsprojekt leite ich im Rahmen meiner Professur. Es macht sozusagen einen Teil meines Berufsalltags als Professorin aus. Gemeinsam mit meinen Mitarbeitenden sowie mit unserem Kooperationspartner der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF untersuchen wir die Lehrer:innen-Schüler:innen-Interaktionen, wenn das Lernen mit digitalen Medien gestaltet wird. Mein Berufsalltag zeichnet sich durch Seminare und Vorlesungen mit meinen Studierenden, Beratungsgespräche mit ihnen, Teamsitzungen und Arbeitsgruppensitzungen, natürlich auch Präsidiumssitzungen, Akademische Senatssitzungen, Planungen, Forschungen, Akkreditierungen, Bewertung und Gutachten für Abschlussarbeiten und Prüfungsleistungen, Qualitätsverfahren und Kooperationsmanagement aus. Kurzum: Es ist immer viel Abwechslung vorhanden.

Wie bewerten Sie unser derzeitiges Bildungssystem? Wie sähe eine „ideale Schule“ Ihrer Meinung nach aus?

Unser Bildungssystem steht sicherlich vor vielen Herausforderungen. Nach der Corona-Pandemie, in Zeiten der Flucht und des Krieges, des großen Fachkräftemangels, des Unterrichtsausfalls – wir haben viele Unsicherheiten und Schule ist da wie ein Brennglas. Gleichzeitig wollen wir uns im Bereich inklusiver Bildung genauso wie im Bereich digital unterstützter Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung weiterentwickeln. Es sind so viele große Aufgaben, um dem übergeordneten Thema der Chancengerechtigkeit näher zu kommen.

Eine „ideale Schule“ ist natürlich schwer zu skizzieren – ich kann hier nur einen Anfang zeichnen: Jedes Kind wird individuell gefördert und fühlt sich wohl. Die Lernprozesse sind auf die individuellen Bedürfnisse und Kompetenzen der Lernenden abgestimmt. Jedem Kind wird geholfen; Fehler gehören zum Lernen dazu. Niemand wird diskriminiert, sondern ein friedvolles Miteinander wird gelebt. Die Pädagog:innen arbeiten im Team zusammen und fördern die gesamte Persönlichkeit der Schüler:innen inklusive ihrer Neugier und Selbstständigkeit. Die Schüler:innen gehen gern in die Schule – man sieht sie lachen, sie fühlen sich sicher und geborgen. Wertschätzung, Toleranz, Anerkennung und Offenheit kennzeichnen den schulischen Alltag und spiegeln sich auch in der Innengestaltung der Schulräume wider. Es gibt saubere Toiletten und kein Kind muss hungrig lernen.

Wie ist die allgemeine Medienkompetenz von Lehrenden und Lernenden in den Schulen und an den Hochschulen einzuschätzen? Hat sich die Pandemie Ihrer Meinung nach positiv oder negativ auf den Gebrauch digitaler Medien im Lernkontext ausgewirkt?

Die allgemeine Medienkompetenz von Lehrenden und Lernenden in Schulen und Hochschulen lässt sich schwer generalisieren. Da haben wir die ganze Spannweite von engagierten, medial affinen und pädagogisch versierten Kolleg:innen und Lernenden bis hin zu desinteressierten, medienablehnenden und alternativsuchenden Kolleg:innen und Lernenden. Man kann viele Lernziele und Kompetenzentwicklungen auf ganz unterschiedlichen Wegen erreichen – es muss nicht immer das digitale Mittel sein. Das muss immer abgewogen werden. Zugleich eröffnen sich große Chancen, wenn man digitale Medien beim Lernen verwendet und wir brauchen heutzutage vielfältige, kritische und versierte Medienkompetenzen.

Sicherlich hat die Pandemie den Einsatz digitaler Medien beim Lernen vorangebracht, aber das Thema Chancengerechtigkeit im Sinne von Zugang und Nutzbarkeit der digitalen Möglichkeiten für jedes Kind muss in diesem Zusammenhang kritisch hinterfragt werden.

Wie gelingt Inklusion? Wie schätzen Sie diesbezüglich den Status Quo in deutschen Bildungseinrichtungen ein?

Der Begriff „Inklusion“ weistim deutschsprachigen Diskurs kein einheitliches Verständnis auf. Ich sehe den Begriff in einem menschenrechtsbasierten Verständnis, welches darauf abzielt, die Teilhabe aller zu ermöglichen und Diskriminierung abzubauen. Dementsprechend geht es bei Inklusion um alle am Bildungssystem Beteiligten und ein besonderer Fokus liegt auf Differenzlinien, die in Bezug auf Teilhabe und Diskriminierung eine Rolle spielen, z.B. Behinderung, Gender, „Ethnizität“, sozio-ökonomischer Status, Lookism, politische Vorstellungen, religiöse Orientierungen, etc. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es in Abhängigkeit vom jeweiligen Setting sowie auch zeitlich variieren kann, welche Differenzlinien wann und wie von Relevanz sind. Des Weiteren können die jeweiligen Differenzlinien nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sondern es ist eine intersektionale Perspektive einzunehmen, um bestimmte Dynamiken zu erkennen. Vielleicht ist Inklusion ein Ziel, das am Horizont schimmert, dem wir nacheifern, auch wenn wir es nie vollständig erreichen können werden. Doch es ist gut, wenn wir immer wieder versuchen, dem näherzukommen. Dass dies unbedingt notwendig ist, zeigt uns die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.

Vielen Dank für dieses interessante Interview. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft und Ihren weiteren Weg alles Gute!

 


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Referentin Alumni-& Beziehungsmanagement

 

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