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09/2022 - Julia Schoch

Julia Schoch Portaitfoto
Foto: Jürgen Bauer

Julia Schoch ist heute eine erfolgreiche Autorin und Übersetzerin und hat einst an der Universität Potsdam Germanistik und Romanistik studiert. Für Ihre Arbeiten hat sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Preis der Jury beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb und den André-Gide-Preis. In diesem Jahr erschien ihr Roman „Das Vorkommnis. Biographie einer Frau“. In einem Gespräch mit uns berichtet Sie von Ihrer Studien- & Lehrzeit an der UP, wieso sie sich gegen eine wissenschaftliche Karriere an der Universität entschieden hat und welche Tipps sie heutigen Studierenden mit auf den Weg geben würde.


Erinnern Sie sich gerne an die Zeit Ihres Studiums der Germanistik und Romanistik an der Universität Potsdam zurück? Was blieb Ihnen in besonderer Erinnerung?

Es war eine anarchische Zeit. Die Wende war gerade erst passiert und alles im Umbau begriffen. Vor allem in der Romanistik waren wir ein wilder Haufen. Zu Beginn gab es noch nicht mal ein Propädeutikum. Mein Französisch war auf Abiturniveau, andere fingen gerade erst an, es zu lernen, hatten aber schon ein Studium in Russisch hinter sich und sattelten um. Sogar Dozenten aus anderen Fachbereichen waren dabei, die zwar alles über französische Geschichte wussten, aber kein Wort Französisch sprachen. Trotzdem lasen wir Baudelaire im OriginalJ. Die Professoren hatten, glaube ich, eine Menge Spaß mit uns. Um Creditpoints oder solche Sachen ging es den meisten von uns jedenfalls nicht.

Gab es Besonderheiten in Ihrem Studiengang, die Sie sehr schätzten?

Zu Beginn waren wir sehr wenige Studierende. Eine komfortable Situation. Dauernd kam jemand ins Seminar gestürmt, weil TeilnehmerInnen für kostenlose Studienfahrten gesucht wurden. Wer will mit nach Chambéry, Paris oder Avignon? Wir haben noch Platz für zehn Leute. Ok, dann ist man halt mitgefahren! Die Seminare suchte man sich nur nach Interesse aus, unabhängig davon, ob man im Grund- oder Hauptstudium war. Manchmal waren wir nur zu zweit oder zu dritt, oft fand das Ganze im Büro des Dozenten statt … Ich erinnere mich an schöne Seminare bei Frau Professor Harth, die die Romanistik in Potsdam aufgebaut hat, bei Professor Asholt und Professor Ette. Durch sie habe ich Bekanntschaft mit der französischen Gegenwartsliteratur gemacht – für eine Uni keine Selbstverständlichkeit. Und da war das Erlebnis, quasi im Privatunterricht Rumänisch lernen zu dürfen. Herrliche Zeiten.    

Nach Ihrem Studium blieben Sie für eine Zeitlang als Mitarbeiterin an der Universität Potsdam und lehrten französische Literatur. Wie war das für Sie, die Seiten von Studentin zu Dozentin zu wechseln?

Als Studentin war ich freier, als Dozentin hatte ich eher mit Regularien zu kämpfen. Das war für mich nicht ganz so anregend. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich fürs Unterrichten zu ungeduldig bin.

2003 haben Sie sich dazu entschieden, als freiberufliche Autorin und Übersetzerin zu arbeiten. Wieso haben Sie sich für die selbständige Tätigkeit und gegen die wissenschaftliche Laufbahn an der Uni entschieden?

Die Zeit als Dozentin war insofern wichtig für mich, als dass sie mir bewusst gemacht hat, was ich wirklich will. Damals habe ich ernsthaft angefangen zu schreiben (was auch immer dieses „ernsthaft“ bedeuten mag). Anstatt meine Doktorarbeit voranzutreiben, habe ich an meinem Erzählband geschrieben. Und als der fertig war, war ich sozusagen auch mit der Uni fertig. Die sogenannte wissenschaftliche „Karriere“ schien mir, ehrlich gesagt, auch gar nicht so verheißungsvoll. Zumindest nicht sicherer oder seriöser als ein Leben, das man der Schriftstellerei widmet. Die ständige Jagd nach Projektanträgen, die immer nur befristeten Verträge – eine nicht sonderlich berauschende Aussicht. Das Wichtigste aber war, dass ich inzwischen auf dem Weg  woandershin war. Ich hatte das Gefühl, die Lehre hält mich ab vom Schreiben. Nicht nur in zeitlicher Hinsicht. Es ist einfach eine andere Weise, auf die Welt zu schauen, sie wahrzunehmen. Man kann die eigene Vision von der Welt nicht gleichzeitig analysieren. Jedenfalls fand ich das innere Hin- und Herspringen schwierig. Außerdem war meine Absicht, eine Doktorarbeit über Michel Houellebecq zu schreiben und als Gewährsmann Peter Sloterdijk heranzuziehen, den meisten nicht geheuer. Noch heute – fast ein Vierteljahrhundert später – gelten die beiden in vielen Akademikerkreisen als Scharlatane. Wie dem auch sei. Ich stand sozusagen vor der Wahl: Ich konnte eine Wissenschaftlerin werden mit literarischem Touch oder eine Autorin, die ihren analytischen Blick für das literarische Erzählen nutzt. Ich habe mich für letzteres entschieden.

Sind Erfahrungen aus der Universität Potsdam mit in Ihre Bücher eingeflossen?

In meinem neuen Buch „Das Liebespaar des Jahrhunderts“, das im Frühjahr 2023 erscheint, gibt es Szenen, die ich als Studentin erlebt habe. Und auch eine Erinnerung an mein Büro und die Zeit als Dozentin.

Sie lebten unter anderem in Paris, Bukarest und Kaliningrad. Welcher Auslandsaufenthalt hat Sie am meisten geprägt und warum?

Sie waren alle sehr unterschiedlich, aber alle sind mir äußerst intensiv im Gedächtnis  geblieben. Drastische Erlebnisse, Erinnerungen an Tramptouren durch Frankreich, an schreckliche Behausungen und grandiose Trinkgelage in allen drei Städten, Menschen, an die ich gern zurückdenke. Paris war insofern der schönste, weil ich damals die Welt überhaupt entdeckt habe. Ich war zwanzig, und ich war verliebt. Mehr braucht es nicht.

Dennoch sind Sie immer wieder nach Potsdam zurückgekehrt und leben schon sehr lange hier. Was mögen Sie an der Stadt?

Die Nähe zu Berlin. Aber es ist auch die Macht der Gewohnheit. Ich bin hiergeblieben wegen meiner Kinder. Hier ist sozusagen die Homebase, hier sind die Großeltern. Und natürlich die üblichen Gründe: Wasser, Parks, das viele Grün. Für mich als Fahrradfahrerin ein idealer Ort.

Inwiefern stehen Sie noch heute mit Ihrer Alma Mater in Verbindung? Gab es schon Gelegenheiten, die Sie zurück an die Uni Potsdam brachten?

Vor ein paar Jahren war ich zu Gast bei einer Tagung in der Schweiz, die Herr prof. Ette organisiert hatte. Es ging um das Thema Zusammenlebenswissenschaften. Es war schön, weil wir beide sozusagen aus verschiedenen Richtungen noch einmal zusammengekommen sind. Da hat man gemerkt, dass die beiden Seiten, Literatur schreiben und über Literatur schreiben, keine Gegensätze sein müssen. Genau darum geht es doch, glaube ich. Darüber hinaus sind es inzwischen leider immer häufiger Todesanzeigen, die mich an die Zeit an der Uni zurückdenken lassen.

Vielleicht haben Sie einen Ratschlag für die heutigen Studierenden an der Universität Potsdam, die ihrerseits ebenfalls gerne den Weg in die Schriftstellerei schaffen möchten?

Kopieren Sie Ihre LieblingsautorInnen, studieren Sie sie durch Anverwandlung. Die französische Autorin Marie N’Diaye musste, wie sie selbst erzählt, erst zehn Romane „im Stile von“ (Balzac, Dostojewski etc.) schreiben, bevor sie ihren ganz eigenen gefunden hatte. Versuchen Sie nicht, sich hinter Hartherzigkeit oder Sentimentalität zu verschanzen. Schreiben Sie wahrhaftig, mit einer gewissen Demut allem Erleben gegenüber. Betrachten Sie sich so, als wären Sie schon tot und schauten aus großer Höhe auf Ihr Jahrhundert – was fällt Ihnen auf? Lesen Sie. Lesen Sie vor allem auch schlechte Bücher. Ergründen Sie, warum Sie sie für schlecht halten. Stellen Sie sich die Frage: Aus welchem Grund möchte ich meinen Namen auf einem Buchdeckel lesen. Sie können diese Ratschläge aber auch nicht befolgen und trotzdem dort hinkommen, wo sie hinkommen möchten. Da bin ich sicher.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie!

 

Termine von Julia Schoch in Potsdam

08. September 2022

Stadt- und Landesbibliothek "Literatur in Einfacher Sprache"

Vortrag und Lesung literarischer Texte in Einfacher Sprache

Beginn: 18 Uhr

 

19. September 2022

Im Dickicht von Geschichte und Erinnerung. Ein multimedialer Abend zusammen mit Anne Heinlein

Villa Quandt

Beginn 19:30 Uhr

 

Weitere Informationen unter:

https://juliaschoch.de/termine/