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Versuchsstrafbarkeit

A. Einführung

Nicht immer wird eine Straftat vollendet – doch lässt dies eine Strafbarkeit entfallen? Die Antwort auf diese Frage lautet: Es kommt darauf an!

Zunächst sollte jedoch, um die Versuchsprüfung besser verstehen zu können, die Strafwürdigkeit des versuchten Delikts näher erörtert werden:

Nach der objektiven Theorie liegt die Strafwürdigkeit des Versuchs gänzlich in der Gefährdung des durch den Tatbestand geschützten Rechtsgutes, mithin steht vorliegend das Erfolgsunrecht im Vordergrund. Diese Auffassung wird heutzutage als überholt angesehen und nur noch vereinzelt vertreten.

Nach der rein subjektiven Theorie ist allein die rechtsfeindliche Gesinnung des Täters ausschlaggebend, wobei eine tatsächliche Gefährdung nicht berücksichtigt wird – diese Theorie stellt gänzlich auf das Handlungsunrecht ab. Nachdem diese Theorie vereinzelt in der Rechtsprechung des Reichsgerichts sowie in der frühen Rechtsprechung des BGH zu finden ist, wird sie heutzutage aufgrund des Wortlautes der §§ 22, 23 StGB abgelehnt.

Die sog. subjektiv-objektive Versuchstheorie hingegen stellt zunächst auf das Handlungsunrecht ab, hierbei muss jedoch die Betätigung eines rechtsfeindlichen Willens hinzutreten. Somit wird nach dieser Theorie die in der rechtsfeindlichen Handlung hervorgetretene kriminelle Energie bestraft.

 

B. Thema

Die Versuchsprüfung richtet sich nach den §§ 22, 23 Abs. 1 StGB und gliedert sich in vier Prüfungspunkte:

In der sog. Vorprüfung wird geprüft, ob eine Strafbarkeit wegen Versuchs einschlägig sein könnte. Anschließend erfolgt die Prüfung des Tatbestandes, der Rechtswidrigkeit und der Schuld. Zuletzt erfolgt die Prüfung persönlicher Strafaufhebungsgründe, vornehmlich dem Strafaufhebungsgrund des strafbefreienden Rücktritts vom Versuch gem. § 24 StGB.

 

0. Vorprüfung

Die Vorprüfung dient wie oben beschrieben dazu, herauszufinden, ob eine Strafbarkeit wegen Versuchs einschlägig sein könnte.

Hierzu wird zunächst vorausgesetzt, dass das Gesetz eine Strafe für das versuchte Delikt vorsieht. Hierzu muss zwischen Verbrechen und Vergehen differenziert werden: Gemäß § 23 Abs. 1 StGB ist der Versuch bei Verbrechen stets strafbar, bei einem Vergehen hingegen nur dann, wenn das Gesetz dies vorsieht. Wann ein Verbrechen und wann ein Vergehen vorliegt, bestimmt § 12 StGB: Gemäß § 12 Abs. 1 StGB sind Verbrechen rechtswidrige Taten, die mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 1 Jahr bedroht sind. Demgegenüber sind Vergehen rechtswidrige Taten, die gem. § 12 Abs. 2 StGB mit einer Mindestfreiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bedroht sind.

Sodann wird festgestellt, ob eine Vollendungsstrafbarkeit vorliegt. Diese ist zu bejahen, sofern alle Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Sollten noch nicht alle Merkmale erfüllt sein, so ist die Prüfung des Versuchs eröffnet.

 

I. Tatbestand

Sodann erfolgt die Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit. Diese setzt den Tatentschluss sowie ein unmittelbares Ansetzen des Täters zur Tatbestandsverwirklichung voraus

1. Tatentschluss

Zunächst müsste der Täter mit Tatentschluss gehandelt haben. Dies bedeutet, dass er alle Umstände, die im Falle ihrer Verwirklichung den Tatbestand des Totschlags erfüllt hätten, in seine Vorstellung von der konkreten Tat aufgenommen hat.

2. Unmittelbares Ansetzen

Zur Bejahung einer Versuchsstrafbarkeit müsste der Täter auch unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt haben. Das Kriterium des unmittelbaren Ansetzens dient der Abgrenzung zwischen dem strafbaren Tatversuch und einer grds. straflosen Vorbereitungshandlung. Nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre setzt zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar an, wer mit seiner Handlung subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv eine Handlung vornimmt, die bei ungehindertem Fortgang ohne räumlich-zeitliche Zäsur unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung mündet.

II. Rechtswidrigkeit/Schuld

Im Rahmen der Rechtswidrigkeits- und Schuldbeurteilung kommen die allgemeinen Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe in Betracht. Insoweit ergeben sich keine Besonderheiten.

III. Keine persönlichen Strafaufhebungsgründe

Als persönlicher Strafaufhebungsgrund kommt der strafbefreiende Rücktritt gem. § 24 StGB in Betracht. Bei mehreren Beteiligten ist dieser isoliert für jeden Beteiligten zu prüfen, da es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund handelt, der nicht bei jedem Beteiligten automatisch erfüllt ist.

Auch hierbei werden verschiedene Ansätze über die ratio legis des Strafaufhebungsgrundes des Rücktritts vom Versuch vertreten:

Der sog. „Goldene-Brücke-Theorie“ zufolge – einem kriminalpolitischen Ansatz – müsse dem Täter, der von der weiteren Tatausführung absieht bzw. dem Täter, der die Tatvollendung verhindert, eine goldene Brücke zurück in die Legalität gebaut werden.

Nach der sog. „Verdienstlichkeits- oder Gnadentheorie“ soll derjenige Täter belohnt werden, der den Rechtsfrieden wiederherstellt. Begründet wird diese Ansicht damit, dass der Täter durch den Rücktritt den Unwert der Tat zumindest teilweise wiederausgleiche, was ein allgemeines Strafbedürfnis für das versuchte Delikt entfallen ließe.

1. Kein fehlgeschlagener Versuch

Der Versuch darf zunächst nicht fehlgeschlagen sein. Nach der herrschenden Gesamtbetrachtungslehre ist der Versuch dann fehlgeschlagen, wenn der Täter nach Abschluss seiner letzten Tathandlung meint, dass er sein tatbestandliches Ziel mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr ohne eine zeitliche oder räumliche Zäsur erreichen kann.

2. Unbeendeter/beendeter Versuch

Sodann muss zwischen dem beendeten und dem unbeendeten Versuch differenziert werden, da sich hieraus die spezifische Rücktrittsvoraussetzung ergibt.

a) Beendeter Versuch

Ein beendeter Versuch iSv. § 24 Abs. 1 S. 1 2. Var. StGB ist gegeben, sofern der Täter glaubt alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig oder möglicherweise ausreichend ist.

b) Unbeendeter Versuch

Dementgegen liegt ein unbeendeter Versuch iSd. § 24 Abs. 1 S. 1 1. Var. StGB vor, sofern der Täter glaubt, noch nicht alles Erforderliche getan zu haben, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen und die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich erscheint.

3. Spezifische Rücktrittsvoraussetzung iSv. § 24 StGB

Wie oben angesprochen, unterscheiden sich die spezifischen Rücktrittsvoraussetzungen je nach Versuchstyp:

Während der Täter glaubt, noch nicht alles Erforderliche zur Erreichung des tatbestandsmäßigen Erfolges getan zu haben – mithin dann, wenn ein unbeendeter Versuch vorliegt – so genügt die Aufgabe der weiteren Tatausführung. Dies bedeutet, von der weiteren Realisierung des Entschlusses, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, aufgrund eines entsprechenden Gegenentschlusses Abstand zu nehmen.

Glaubt der Täter jedoch, bereits alles Erforderliche zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs Notwendige getan zu haben, so muss er die Vollendung der Tat nach herrschender Meinung verhindern. Hierzu wird vorausgesetzt, dass der Täter zur Verhinderung der Tatvollendung mindestens bewusst und gewollt eine neue Kausalreihe in Gang setzt, die für das Ausbleiben der Vollendung wenigstens mitursächlich wird.

4. Freiwilligkeit

Zuletzt müsste der Täter freiwillig gehandelt haben. Freiwillig – und somit aus autonomen Motiven heraus – handelt, wer nicht durch zwingende Hinderungsgründe zum Handeln veranlasst wird, sondern wenn der Rücktritt der eigenen, inneren Überlegung des Täters entspringt. Unfreiwillig – und somit aus heteronomen Motiven heraus – handelt hingegen, wer durch äußere, zwingende Einwirkungen unfreiwillig zurücktritt. Die Freiwilligkeit des Rücktritts ist insbesondere immer dann zu verneinen, wenn der Täter sich aus Angst vor der Strafverfolgung vor erreichen des tatbestandsmäßigen Erfolges – durch Eintreffen der Polizei oder möglichen Zeugen bzw. durch die Wahrnehmung der Sirene des Streifenwagens – vom Tatort entfernt.

5. Zwischenergebnis

Liegen alle Voraussetzungen vor, so ist der Täter strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten.

IV. Ergebnis

Ist der Täter strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten, so scheidet eine Strafbarkeit wegen Versuchs aus. Ist er nicht zurückgetreten, so ist die Strafbarkeit wegen Versuchs einschlägig.

 

C. Werkzeuge

0. Vorprüfung

1. Keine Vollendungsstrafbarkeit

2. Strafbarkeit des Versuchs

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

2. Unmittelbares Ansetzen

III. Rechtswidrigkeit/Schuld

IV. Keine persönlichen Strafaufhebungsgründe

 

D. Anwendung

Fall 1: Thimo hat mitbekommen, dass ihn seine Freundin Anna mit seinem besten Freund Max betrügen solle. Daher fasst er den Plan, Max zu erstechen.

Am nächsten Abend trifft er sich mit Max, um ihm unter dem Vorwand eines persönlichen Gesprächs näherkommen und ihn erstechen zu können. Voller Wut zieht er sein Messer und sticht einmal auf Max ein, während dieser schreit: „Hör auf Thimo, Anna betrügt dich nicht, das war nur eine Wette!“ Thimo ist der Auffassung, dass Max ihn in dieser Situation nicht anlügen würde und sieht von weiteren Stichen ab. Er wählt den Notruf, verbindet die Stichwunde notdürftig und wählt anonym den Notruf. Im Nahbereich des Tatorts wird Thimo von einer Streife vorläufig festgenommen. Strafbarkeit des Thimo?

Lösung: 

I. Strafbarkeit wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB
Eine Strafbarkeit des Thimo wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB zum Nachteil des Max ist nicht ersichtlich.

II. Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 12 Abs. 1 StGB StGB
Thimo könnte sich jedoch wegen versuchtem Totschlag gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 12 Abs. 1 StGB zum Nachteil des Max strafbar gemacht haben, indem er mit einem Messer auf Max einstach.

0. Vorprüfung
a) Keine Vollendungsstrafbarkeit

Wie unter (I.) festgestellt, hat sich Thimo mangels Vollendendung nicht wegen Totschlags strafbar gemacht. Mithin ist keine Vollendungsstrafbarkeit gegeben.

b) Strafbarkeit des Versuchs
Weiterhin müsste der Versuch des Totschlags strafbar sein. Sofern die Versuchsstrafbarkeit nicht explizit im entsprechenden Paragraphen geregelt ist, ist der Versuch gem. § 12 Abs. 1 StGB immer dann strafbar, wenn die Mindestfreiheitsstrafe 1 Jahr oder mehr beträgt. Gemäß § 212 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft, wer einen anderen Menschen tötet, ohne Mörder iSv. § 211 StGB zu sein. Somit liegt ein Verbrechen vor, die Mindestfreiheitsstrafe liegt bei über einem Jahr. Mithin ist der Versuch des Totschlags gem. § 22 StGB strafbar.

1. Tatbestandsmäßigkeit
Thimo müsste tatbestandsmäßig gehandelt haben.

a) Tatentschluss
Thimo müsste zunächst Tatentschluss besessen haben. Dies bedeutet, dass er alle Umstände, die im Falle ihrer Verwirklichung den Tatbestand des Totschlags erfüllt hätten, in seine Vorstellung aufgenommen hat.
Vorliegend plante Thimo, seinen ehemals besten Freund Max mit einem Messer zu erstechen. Mithin hat er alle Umstände, die eine Strafbarkeit wegen Totschlags begründen würden, in seine Vorstellung aufgenommen. Der Tatentschluss ist gegeben.

b) Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB
Thimo müsste unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt haben. Unmittelbar setzt zur Tatbestandsverwirklichung nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre an, wer mit seiner Handlung subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv eine Handlung vornimmt, die bei ungehindertem Fortgang ohne räumlich-zeitliche Zäsur unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung mündet.
Vorliegend stach Thimo mit dem Messer bereits auf Max ein, wodurch er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht’s-los überschritt und objektiv eine Handlung vornahm, die bei ungehindertem Fortgang, also ohne einem Erscheinen von Zeugen/Passanten, ohne zeitliche oder räumliche Zwischenschritte unmittelbar in den Tod des Max einmündete. Ergo hat Thimo auch unmittelbar zur Verwirklichung des § 212 I StGB angesetzt.

c) Zwischenergebnis
Thimo hat einen Tatentschluss gefasst und unmittelbar zur Tat angesetzt. Mithin handelte er tatbestandsmäßig.

2. Rechtswidrigkeit / Schuld
Rechtfertigungs-oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

3. Keine persönlichen Strafaufhebungsgründe
Fraglich ist, ob Thimo möglicherweise gem. § 24 StGB strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten ist.

a) Kein fehlgeschlagener Versuch
Hierzu dürfte der Versuch zunächst nicht fehlgeschlagen sein. Fehlgeschlagen ist der Versuch nach der herrschenden Gesamtbetrachtungslehre dann, wenn der Täter nach seiner subjektiven Vorstellung die Tat mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur vollenden kann. Nach seiner eigenen Vorstellung könnte Thimo die Tat mit dem ihm zur Verfügung stehenden und auch bereits eingesetzten Messer noch ohne zeitliche bzw. räumliche Zäsur vollenden, indem er weiterhin mit dem Messer auf seinen Kontrahenten Max einsticht. Mithin ist der Versuch nicht fehlgeschlagen.

b) (un-)beendeter Versuch
Fraglich ist, ob es sich um einen beendeten oder einen unbeendeten Versuch handelt. Ein beendeter Versuch iSv. § 24 Abs. 1 S. 1 2. Var. StGB ist gegeben, sofern der Täter glaubt, alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig oder möglicherweise ausreichend ist. Dementgegen liegt ein unbeendeter Versuch iSd. § 24 Abs. 1 S. 1 1. Var. StGB vor, sofern der Täter glaubt, noch nicht alles Erforderliche getan zu haben, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen und die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich erscheint.
Vorliegend glaubt Thimo, dass er noch nicht alles zur Tatbestandsverwirklichung Erforderliche getan hat, obwohl ihm die Vollendung noch möglich erscheint. Mithin liegt ein unbeendeter Versuch iSv. § 24 Abs. 1 S. 1 1. Var. StGB vor.

c) Spezifische Rücktrittsvoraussetzung
Thimo müsste die spezifische Rücktrittsvoraussetzung erfüllt haben. Im Rahmen eines unbeendeten Versuches stellt die Aufgabe der weiteren Tatausführung diese spezifische Rücktrittsvoraussetzung dar. Vorliegend gab Thimo die weitere Tatausführung auf, ergo hat er die spez. Rücktrittsvoraussetzung erfüllt.

d) Freiwilligkeit
Thimo müsste die weitere Tatausführung freiwillig aufgegeben haben. Freiwillig bedeutet hierbei, dass der Täter die Tatausführung aus autonomen Motiven heraus und somit aus innerer, reiflicher Überlegung, frei von äußeren Zwangseinwirkungen aufgibt. Thimo stach bis zu dem Zeitpunkt, in dem Max ihm aus Angst um sein Leben berichtete, dass der Kuss nur das Ergebnis einer Wette gewesen sei, auf Max ein. Überzeugt von der Wahrheit dieser Aussage ließ er von weiteren Stichen ab, nahm eine Erstversorgung der Wunde vor und wählte den Notruf. Somit gab Thimo die weitere Tatausführung aus innerer Überlegung, frei von äußerem Zwang und somit aus autonomen Motiven auf. Ergo ist die Freiwilligkeit zu bejahen.

e) Zwischenergebnis
Thimo ist strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurückgetreten.

4. Ergebnis
Thimo hat sich, indem er die weitere Tatausführung aufgab, nicht wegen eines versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1, 22 StGB strafbar gemacht.

 

Fall 2: Alfred und Bernd sind Nachbarn und streiten sich regelmäßig über Banalitäten. Als Bernd eines Abends wieder zu laute Musik hört, fasst Alfred den Plan, den Bernd zu töten. Hierzu will er ihn aus seiner Wohnung locken und hinterrücks erstechen.

Alfred geht auf den Hausflur, dreht die Sicherung für das Treppenhaus und die Wohnung des Bernd heraus und versteckt sich im dunklen Treppenhaus. Bernd, der sich wundert, wieso der Strom ausgefallen ist, betritt das Treppenhaus. Alfred nähert sich ihm leise und sticht ihm 16 cm langes Küchenmesser knapp unterhalb der Brust in den Oberkörper und zieht es schnell wieder heraus, um keine unnötigen Spuren am Tatort zu hinterlassen und verlässt den Tatort in der Erwartung, Bernd werde verbluten.

Bernd konnte sich in letzter Minute noch zu einem Nachbarn retten, der den Notruf tätigt. Ohne alsbaldige intensivmedizinische Versorgung wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Alfred wird kurze Zeit von der Kriminalpolizei in seiner Wohnung vorläufig festgenommen. Wie hat er sich strafbar gemacht?

Anm.: § 211 StGB ist nicht zu prüfen!

Lösung: 

I. Strafbarkeit wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB
Eine Strafbarkeit des Alfred wegen Totschlags gem. § 212 Abs. 1 StGB zum Nachteil des Bernd ist nicht ersichtlich.

II. Strafbarkeit wegen versuchtem Totschlag gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 12 Abs. 1 StGB
Alfred könnte sich jedoch wegen versuchtem Totschlag gem. § 212 Abs. 1, 22, 12 Abs. 1 StGB zum Nachteil des Bernd strafbar gemacht haben, indem er mit einem Messer auf Bernd einstach.

0. Vorprüfung
a) Keine Vollendungsstrafbarkeit

Wie unter (I.) festgestellt, hat sich Alfred mangels Vollendung nicht wegen Totschlags strafbar gemacht, es fehlt am Taterfolg – dem Tod eines anderen Menschen. Mithin ist keine Vollendungsstrafbarkeit gegeben.

b) Strafbarkeit des Versuchs
Weiterhin müsste der Versuch des Totschlags strafbar sein. Sofern die Versuchsstrafbarkeit nicht explizit im entsprechenden Paragraphen geregelt ist, ist der Versuch gem. § 12 Abs. 1 StGB immer dann strafbar, wenn die Mindestfreiheitsstrafe 1 Jahr oder mehr beträgt. Gemäß § 212 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitstrafe nicht unter 5 Jahren bestraft, wer einen anderen Menschen tötet, ohne Mörder iSv. § 211 StGB zu sein. Somit liegt ein Verbrechen vor, die Mindestfreiheitsstrafe liegt bei über einem Jahr. Mithin ist der Versuch des Totschlags gem. § 22 StGB strafbar.

1. Tatbestandsmäßigkeit
Alfred müsste tatbestandsmäßig gehandelt haben.

a) Tatentschluss
Alfred müsste zunächst Tatentschluss besessen haben. Dies bedeutet, dass er alle Umstände, die im Falle ihrer Verwirklichung den Tatbestand des Totschlags erfüllt hätten, in seine Vorstellung aufgenommen hat.
Vorliegend plante Alfred, seinen Nachbarn Bernd im Treppenhaus mit einem langen Küchenmesser zu erstechen. Mithin hat er alle Umstände, die eine Strafbarkeit wegen Totschlags begründen würden, in seine Vorstellung aufgenommen. Der Tatentschluss ist gegeben.

b) Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB
Alfred müsste unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt haben. Unmittelbar setzt zur Tatbestandsverwirklichung nach der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre an, wer mit seiner Handlung subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv eine Handlung vornimmt, die bei ungehindertem Fortgang ohne räumlich-zeitliche Zäsur unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung mündet.
Vorliegend stach Alfred mit dem Messer bereits auf Bernd ein, wodurch er subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht’s-los überschritt und objektiv eine Handlung vornahm, die bei ungehindertem Fortgang, also ohne einem Erscheinen von Zeugen/Passanten, ohne zeitliche oder räumliche Zwischenschritte unmittelbar in den Tod des Bernd einmünden würde. Ergo hat Alfred auch unmittelbar zur Verwirklichung des § 212 Abs. 1 StGB angesetzt.

c) Zwischenergebnis
Alfred hat einen Tatentschluss gefasst und unmittelbar zur Tat angesetzt. Mithin handelte er tatbestandsmäßig.

2. Rechtswidrigkeit / Schuld
Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

3. Keine persönlichen Strafaufhebungsgründe
Fraglich ist, ob Alfred möglicherweise gem. § 24 StGB strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten ist.

a) Kein fehlgeschlagener Versuch
Hierzu dürfte der Versuch zunächst nicht fehlgeschlagen sein. Fehlgeschlagen ist der Versuch nach der herrschenden Gesamtbetrachtungslehre dann, wenn der Täter nach seiner subjektiven Vorstellung die Tat mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur vollenden kann. Nach seiner eigenen Vorstellung könnte Alfred die Tat mit dem ihm zur Verfügung stehenden und auch bereits eingesetzten Messer noch ohne zeitliche bzw. räumliche Zäsur vollenden, indem er weiterhin mit dem Messer auf seinen Kontrahenten Bernd einsticht. Mithin ist der Versuch nicht fehlgeschlagen.

b) (un-)beendeter Versuch
Fraglich ist, ob es sich um einen beendeten oder einen unbeendeten Versuch handelt. Ein beendeter Versuch iSv. § 24 Abs. 1 S. 1 2. Var. StGB ist gegeben, sofern der Täter glaubt, alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung von der Tat zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolgs notwendig oder möglicherweise ausreichend ist. Dementgegen liegt ein unbeendeter Versuch iSd. § 24 Abs. 1 S. 1 1. Var. StGB vor, sofern der Täter glaubt, noch nicht alles Erforderliche getan zu haben, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen und die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich erscheint.
Vorliegend glaubt Alfred, dass er durch den tiefen Stich mit dem Küchenmesser unterhalb der Brust des Bernd bereits alles Erforderliche zur Tatbestandsverwirklichung getan hat. Hieraufhin packt er das Messer ein und verlässt den Tatort. Mithin liegt ein beendeter Versuch iSv. § 24 Abs. 1 S. 1 2. Var. StGB vor.

c) Spezifische Rücktrittsvoraussetzung
Alfred müsste die spezifische Rücktrittsvoraussetzung erfüllt haben. Im Rahmen eines beendeten Versuches stellt die Verhinderung der Tatvollendung diese spezifische Rücktrittsvoraussetzung dar. Vorliegend floh Alfred, nachdem er der sicheren Überzeugung war, dass sein Nachbar Bernd im Hausflur verbluten würde, mitsamt der Tatwaffe in seine Wohnung und ließ das Opfer im Treppenhaus liegen, in der er kurze Zeit später von der Kriminalpolizei vorläufig festgenommen wurde. Er ergriff keinerlei Maßnahmen, um die Vollendung des Tötungsdelikts zu verhindern. Mithin hat er die spezifische Rücktrittsvoraussetzung nicht erfüllt.

d) Zwischenergebnis
Dadurch bedingt, dass Alfred die spezifische Rücktrittsvoraussetzung nicht erfüllt hat, ist er nicht strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurückgetreten.

4. Ergebnis
Alfred hat sich, indem er mit einem Messer auf seinen Kontrahenten Bernd einstach, wegen eines versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1, 22 StGB strafbar gemacht.