Koloniale Faserproduktion: Sisal und Bogenhanf
Die europäischen Kolonialmächte waren in tropischen Ländern über Jahrhunderte auf der Jagd nach neuen pflanzlichen Rohstoffen. Die Aneignung aussichtsreicher Pflanzen erfolgte in aller Regel ohne Rücksicht auf die Verhältnisse vor Ort.1
Pflanzen der Gattung Sansevieria werden im östlichen Afrika traditionell zur Gewinnung robuster Fasern genutzt, daher auch ihr deutscher Name „Bogenhanf“.2,3 Bevor aber ihre gewerbliche Nutzung an der Wende zum 20. Jahrhundert unter kolonialen Voraussetzungen entwickelt werden konnte, wurden mexikanische Sisal-Agaven eingeführt.4 Die Produktion und Verwertung ihrer Fasern waren bereits etabliert. So entstanden schnell große Sisal-Plantagen. Sie wurden mit einheimischen Arbeitskräften betrieben, die Zwangsarbeit leisten mussten, um ihre von der Kolonialmacht auferlegten Steuerschulden zu begleichen. Die enge Zusammenarbeit staatlicher und privatwirtschaftlicher Akteure zur rücksichtslosen Ausbeutung der Arbeitskräfte vor Ort ist charakteristisch für den Kolonialismus.
Die Sisal-Agave wurde bereits vor der Eroberung Mittelamerikas durch die Spanier von den Ureinwohnern Mexikos domestiziert, allerdings wurde sie nicht als Faserpflanze, sondern zur Produktion von Pulque verwendet (2-6% Alkohol, bakterielle Gärung). Erst im 19. Jahrhundert begann dann die Produktion von Fasern aus der Pflanze, die damaligen Haupterzeugerländer waren das heutige Indonesien und die Philippinen.4
1893 führte der deutsche Botaniker Richard Hindorf Bulbillen aus Florida in das heutige Tansania ein, 62 Pflanzen bildeten den Grundstock der ostafrikanischen Sisal-Produktion. 1903 begann auch in Kenia der Anbau. Erst zwischen 1937 und 1941 startete in Brasilien die Produktion von Sisal in kommerziell nennenswerter Weise. Bereits 1946 begann Brasilien Sisal zu exportieren und schon 1951 war es das zweitgrößte Erzeugerland.4
Das 1934 speziell zu diesem Zweck gegründete tansanische Forschungsinstitut ARI Mlingano gab Ende der 1950er erstmals Sämlinge der Hybridsorte H.11648 aus, die schnell dazu führten, dass Tansania der erfolgreichste Sisalproduzent weltweit wurde. Diese Kreuzung aus Agave angustifolia und Agave amaniensis wurde in den 1960ern auch in China eingeführtund dominiert dort bis heute die Bestände. In Ostafrika ist der Anteil der Hybride bis heute höher als der der eigentlichen Sisal-Agave.4 Agave amaniensis, eine taxonomisch umstrittene Art, ist nach dem deutschen Versuchsgarten in Amani benannt.5
Agave sisalana und Agave funkiana sind beides Sisal-Agaven5. In Ostafrika wurden aber vor allem die große A. sisalana und ihre Hybriden angepflanzt.
Ab 1964 brach der Markt für Sisal durch die zunehmende Konkurrenz von Kunstfasern allmählich ein, die Produktion ging immer weiter zurück. Ursprünglich bedeutende Anbauländer wie Tansania, Mexiko oder Kenia verringerten ihre Produktionsmengen um bis zu 80 %. Erst in neuerer Zeit nimmt der Gebrauch von Sisal durch neue Anwendungen und die steigenden Preise für Rohöl als Grundlage von Kunstfasern wieder zu.4
Die deutschen Kolonisten in Ostafrika hatten den potenziellen Wert von Arten der Gattung Sansevieria für die Faserproduktion bereits erkannt. Der plantagenmäßige Anbau, die Fasergewinnung im großen Maßstab und die folgenden Schritte der Inwertsetzung waren jedoch noch längst nicht etabliert, als 1893 Sisal eingeführt wurde.3,4
[1] Schneckenburger, Stefan ((2010): Auf der Jagd nach dem „Grünen Gold“: Botanische Gärten in der Zeit des Kolonialismus. Biologie in unserer Zeit 40(6): 411-419.
[2] Brown, Nicholas E. (1915): Sansevieria. A monograph of all the known species. Bulletin of Miscellaneous Information (Royal Botanic Gardens, Kew) 1915 (5): 185–261. doi.org/10.2307/4107465
[3] Sadebeck, Richard (1891): Die tropischen Nutzpflanzen Ostafrikas, ihre Anzucht und ihr ev. Plantagenbetrieb. Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten 9: 203-228.
[4] Sisalfaser. Wikipdia. https://de.wikipedia.org/wiki/Sisalfaser, zuletzt geprüft am 29.3.2023
[5] Gentry, Howard Scott (1982): Agaves of Continental North America. Univ. Arizona Press.