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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Zielenzig (Sulęcin)

Schloss Gleissen, Kreis Sternberg
Photo: Sammlung Duncker, Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Schloss Gleissen, Kreis Sternberg (bei Zielenzig)
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Photo: OLF1.1. FrankRuhlLibre

Die erste Erwähnung einer jüdischen Ansiedlung in Zielenzig (heute Sulęcin) stammt aus dem Jahre 1770 und betrifft zwei jüdische Familien. Im Jahre 1777 waren es bereits vier. In den folgenden Jahren nahm ihre Zahl stetig zu, sodass im Jahre 1801 vier jüdische Familien mit 24 Personen und im Jahre 1843 bereits 82 Juden in Zielenzig lebten.

Nach 1815, mit der Ernennung Zielenzigs zur Kreisstadt des neuen preußischen Kreises Oststernberg und auf dem Höhepunkt im Jahre 1880 lebten hier bereits 147 Einwohner jüdischer Herkunft.

Anfang des 20. Jahrhunderts nahm die Zahl der jüdischen Einwohner ab; so lebten 1905 in Zielenzig 82 Juden, mit einem Kantor, Lehrer und Schächter. In der Zwischenkriegszeit, 1921 und 1925 lebten 82 bzw. 80 Juden in der Stadt. Die gleiche Zahl gibt der Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland: 1932–1933 für das Jahr 1932 an, wobei die Zahl der Beitragspflichtigen nur 15 betrug. Eine andere Quelle nennt die Zahl 92, darunter 15 Zensiten, Kantor und Schächter, Lehrer und Kantor, aber im Mai 1939 nur 17 Personen, wobei die Ergänzungskartei zur Volkszählung nur 16 Personen ausweist.

Im 19. Jahrhundert, als die Zahl der jüdischen Einwohner am höchsten war, wurde eine religiöse Gemeinde gegründet, die eine Synagoge, einen Friedhof und möglicherweise ein rituelles Schlachthaus errichtete. An der Spitze der Gemeinde stand ein Vorstand, vertreten durch einen Vorsteher und Deputierte, zu dem Adolf Cohn, Sally Fuchs und Isido Weile gehörten. Bemerkenswert sind zwei fest angestellte Mitarbeiter: der Kantor (Vorbeter) und Schächter Friedrich Kozminski sowie der pendelnde Lehrer und Kantor (Vorbeter) Levy aus Küstrin (heute Kostrzyn nad Odrą).

Der Haushalt der Gemeinde belief sich 1930 auf 1.830 Reichsmark. Zu ihrem Vermögen gehörten u.a. die Synagoge in der Promenade 82 und der Friedhof. Es gab eine Chewra Kadischa-Bruderschaft und die Henoch’sche Stiftung, die von Adolf Cohn verwaltet wurde. Die Stiftung wurde gegründet, um die Verwandten des Erblassers zu unterstützen. In der Religionsschule wurden zwölf Kinder unterrichtet.

Bereits 1818 hatte der Berliner Droschken-Fuhrunternehmer und Bankier, der Geheime Kommerzienrat Israel Moses Henoch (1770-1844) das nahe Zielenzig gelegene Rittergut Gleissen (heute: Glisno) gekauft. Anfang der 1830er Jahre veranlasste er eine Erweiterung des spätbarocken Schlosses, 1837 ließ er im Ort sogar eine von Karl Friedrich Schinkel entworfene Kirche erbauen, die er der lokalen evangelischen Gemeinde zum Geschenk machte. Gleichzeitig finanzierte er ein Mausoleum für die Familie von der Marwitz, der das Rittergut zuvor gehört hatte.

In der NS-Zeit wurden sämtliche öffentlichen Widmungen an den Stifter entfernt und aufgelöst. Die Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust gibt an, dass das weitere Schicksal der ortsansässigen Juden unbekannt ist. Betrachtet man jedoch die Liste der mit Zielenzig verbundenen Personen, die sich aus den Archiven von Yad Vashem erstellen lässt und insgesamt mehrere Dutzend Einträge umfasst, so ist davon auszugehen, dass die meisten von ihnen während der NS-Zeit in deutsche Großstädte, insbesondere nach Berlin, emigrierten, aber dennoch dem Völkermord zum Opfer fielen. Unter den Holocaust-Opfern aus Zielenzig befanden sich Personen mit den Familiennamen: Baron, Berliner, Ebstein, Eisenhardt, Friedman(n), Fuss, Got(t)schalk, Gumbel, Gutermann, Hanff, Ickowicz, Isaac, Israelski, Kalitzki, Koehler, Kozminski (Kushminski), Mannheim, Marcus, Michaelis, Nagel, Platscheck, Queller, Schneider und Weile.

Paweł Wołącewicz

 

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Photo: OLF1.1. FrankRuhlLibre

Literatur und Internet

Jacob Jacobson: Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809–1851, Berlin 1962, S. 64–65.

W. Riehl und J. Scheu (Hrsg.): Berlin und die Mark Brandenburg mit dem Markgrafenthum Nieder-Lausitz in ihrer Geschichte und in ihrem gegenwärtigen Bestande, Berlin 1861, S. 495–497.

Błażej Skaziński: Gleißen / Glisno (Schlösser und Gärten der Neumark / Zamki i ogrody Nowej Marchii 7), hrsg. v. Sibylle Badstübner-Gröger und Markus Jager, übers. v. Agnieszka Lindenhayn-Fiedorowicz, Berlin 2011.

Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden (Hrsg.): Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932-33, S. 69.

Zielenzig, [w:] The Encyclopedia of Jewish life before and during the Holocaust, t. 3, red. S. Spector, G. Wigoder, New York 2001, s. 1510.

 

Theodor Albert: Schloss Gleissen. Kreis Sternberg, in: Alexander Duncker: Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preussischen Monarchie, Bd. 11, 1870, S. 221-223; Digitalisiert durch die Zentral- und Landesbibliothek Berlin, 2006, URL: nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-1-7685959 [18.03.2021].

Krzysztof Bielawski: Sulęcin, URL: cmentarze-zydowskie.pl/sulecin.htm [18.03.2021]

Institut für vergleichende Städtegeschichte der Universität Münster: Städtebuch Historisches Ostbrandenburg: www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/Forschung/staedtebuchhistorischesostbrandenburg/zielenzig.html [ 31.08.2024]

Michael Rademacher: Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990, Osnabrück 2006, URL: treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/oststernberg.html [18.03.2021]

Wirtualny Sztetl: Sulęcin , URL: sztetl.org.pl/en/towns/s/739-sulecin [18.03.2021]