Musenrondell
von Neele Chill und Moritz Radecke (21.09.2023)
Version für Erwachsene
Begibt man sich, von der Großen Fontäne kommend, auf der Hauptallee in Richtung des Neuen Palais, wird man zunächst an einem Rondell mit einem Brunnen vorbeikommen, der Glockenfontäne. Das direkt darauffolgende Rondell ist das sogenannte Musenrondell. Wer sich allerdings bereits mit der griechischen Mythologie auskennt, dem wird schnell auffallen, dass das Rondell unterbesetzt ist: Es sind nur acht der neun Musen als Statuen vertreten.
Die acht Marmorstatuen wurden, wie viele andere Skulpturen im Park Sanssouci, in der Mitte des 18. Jahrhunderts vom preußischen Bildhauer Friedrich Christian Glume nach Entwürfen des Architekten Knobelsdorff gefertigt, der im Dienste Friedrichs II. stand. Friedrich II. galt als besonders kunstinteressiert, weshalb ihn auch die Musen faszinierten. Er ließ u. a. nach seinem Amtsantritt für das Berliner Publikum das Opernhaus Unter den Linden in Gestalt eines Musentempels erbauen. Dass er den Musen im Potsdamer Park Sanssouci ein eigenes Rondell widmete, verwundert daher nicht.
Die Musen seien Töchter des Zeus und der Mnemosyne, so schreibt um 700 v.Chr. der antike Dichter Hesiod in seiner Theogonie (V. 53-63), und nennt sie alle beim Namen:
“Κλειώ τ’ Εὐτέρπη τε Θάλειά τε Μελπομένη τε
Τερψιχόρη τ’ Ἐρατώ τε Πολύμνιά τ’ Oὐρανίη τε
Καλλιόπη” (Hesiod, Theog. 77-79)
Den neun antiken Musen werden bei Hesiod noch keine spezifischen Attribute oder Zuständigkeitsbereiche zugeschrieben, sie bezeichnen lediglich verschiedene Formen der Sanges- und Tanzkunst. Die Aufzählung der neun Musen bei Hesiod beginnt mit Klio, der „Rühmenden“, es folgen Euterpe die „Freude Bringende“, Thalia die „blühend Schöne“, Melpomene die „Sängerin“, Terpsichore die „Tanzesfrohe“, Erato die „liebliche Sängerin“, Polyhymnia die „Liederreiche“, Urania die „Himmlische“ und Kalliope die „mit der schönen Stimme“. Erst im Laufe der Antike wurden die einzelnen Musen so umgedeutet, dass jede mit unterschiedlichen Musikinstrumenten beziehungsweise Werkzeugen und der dazugehörigen Kunstgattung verknüpft wurde.
Beheimatet sind die Musen auf dem Berg Helikon (Hesiod, Theog. 1-4). Sie gelten als Begleiterinnen des Apollon, des Gottes der Künste, des Lichtes und der Heilkunst.1 Von den Musen und Apollon stammen nach Hesiod (Theog. 93-95) Künstler, wie Sänger und Kitharaspieler ab. Generell existierte die Vorstellung, dass Musen entweder den Dichtern die Worte in den Mund legen und diese als Sprachrohr fungieren. Oder aber, dass das Kunstschaffen als Zusammenarbeit erfolgt, bei der der Dichter den Musen auch Fragen stellen kann.2 In der antiken Literatur finden sich oft Musenanrufe, die dazu dienen, den Musen das Vorhaben zu nennen und diese um Beistand zu bitten - bekannte Beispiele stehen am Anfang von Homers Ilias und Odyssee. Diese invocatio kann allgemein an alle Musen gerichtet sein, aber Dichter und andere Künstler konnten sich - je nach Vorhaben - einer spezifischen Muse aufgrund ihres Verantwortungsbereiches verschreiben.3
Im Folgenden werden die acht im Park Sanssouci dargestellten Musen kurz vorgestellt:
Kalliope
Wenn wir das Rondell aus Richtung der Großen Fontäne betreten, ist die erste Figur auf der linken Seite Kalliope. Als Muse der epischen Dichtung hält sie Lorbeerkranz und Buch als Erkennungsmerkmale in der Hand. Den Ehrenkranz überreicht sie den Helden und hält ihre Taten direkt im Buch fest.
Klio
Im Uhrzeigersinn weitergehend, steht neben Kalliope Klio, die “Rühmende”. Als Muse der Geschichtsschreibung hält sie in ihrer rechten Hand einen Stift und stützt sich auf ein großes Buch. Gleichzeitig hält sie einen Lorbeerkranz und einen Palmzweig in ihrer Linken. Diese gelten als besondere Auszeichnungen für ruhmreiche Taten und kennzeichnen ihren Empfänger als erwähnenswert für die Geschichtsschreibung.
Erato
Die dritte Figur auf der linken Seite stellt Erato dar. Als Muse des Gesangs und des Tanzes, aber insbesondere auch der Liebeslyrik wird sie mit gleich zwei Instrumenten dargestellt: Leier und Posaune.
Thalia
Die vierte Figur, auf der linken Seite des Ausgangs auf der Hauptallee befindlich, ist Thalia. Ihren Namen kennt man heute vor allem aufgrund der Buchhandlung, deren Name selbstverständlich von der Muse inspiriert ist. Thalia ist für die Komödie zuständig und hat dementsprechend ein Lächeln auf den Lippen. In ihrer Linken hält sie Kastagnetten, in ihrer Rechten etwas, das an eine zusammengefaltete Theatermaske erinnert. Darüber hinaus liegen zu ihren Füßen ein Winkelmesser und ein Zirkel, was auf den ersten Blick überraschen mag, jedoch auf die spätere Zuordnung Thalias zur Landwirtschaft und Gartenbaukunst4 zurückzuführen sein könnte.
Melpomene
Weiter geht es mit der rechten Hauptachse und der fünften Marmorstatue, die sich auf der rechten Seite des Ausgangs befindet - Melpomene, die “Sängerin”. Als Muse der Tragödie schmückt sie ein gravitätisches Antlitz, sie trägt in der rechten Hand einen Dolch, an ihrer Seite befinden sich ein Buch sowie eine Krone.
Terpsichore
Dem Uhrzeigersinn des Musenrondells folgend, ist Terpsichore die sechste Muse. Häufig wird die tanzesfrohe Muse mit einer Leier dargestellt, in dieser Darstellung schlägt sie jedoch taktvoll auf ein Tamburin und vereint so als Muse der chorischen Lyrik auf harmonische Weise Rhythmus und Musik.
Euterpe
Die siebte Figur ist die Muse Euterpe, die das Flötenspiel erfunden haben soll und auch als dessen Beschützerin gilt. So ist auch ihr Zeichen gemeinhin die Doppelflöte, der aulos, welcher ihr in der Statue im Park Sanssouci jedoch fehlt. Ihre Finger deuten aber das Flötenspiel an, auch wenn sie kein Instrument in den Händen hält.
Polyhymnia
Die achte Statue im Rondell, die Figur, die sich rechter Hand des Eingangs befindet, stellt die Muse Polyhymnia dar. Die lieder- und hymnenreiche Muse hält eine große Schriftrolle in ihren Händen, auf der sich Loblieder auf antike Helden befinden sollen. Als Patronin der Pantomime soll sie zudem die Kunst erfunden haben, sich durch Körperbewegungen auszudrücken.
Gänzlich im Rondell fehlt Urania, die Muse der Astronomie. Die himmlische Muse erhob die Gelehrten angeblich bis in den Himmel. Warum Urania keinen Platz im Musenrondell fand, ist nicht eindeutig erklärt. Um die Symmetrie des Rondells zu gewährleisten, wird sich Friedrich der Große auf acht Musen beschränkt haben müssen. Ein möglicher Grund, ausgerechnet Urania auszulassen, könnte darin zu finden sein, dass die Astronomie in den Augen Friedrichs des Großen keine klassische Kunstrichtung, sondern eine Wissenschaft und deshalb weniger bedeutsam für das Musenrondell war. Die dargestellten acht Musen verkörpern im Sinne der Gesangs- und Tanzkunst verschiedene Aspekte der künstlerisch-musischen Tätigkeit. Urania als Muse der Astronomie fällt so gesehen etwas aus der Reihe.5 Dafür ist sie an anderer Stelle im Park Sanssouci prominent vertreten: im Figurenhalbrondell im westlichen Rehgarten, mit einer Himmelskugel in der Hand.6
1 Vgl. van Loyen, Ulrich, and Walther, Silke. ‘Apollo’. In Brill’s New Pauly Supplements I - Volume 4 : The Reception of Myth and Mythology. Eingesehen: 15. April 2023. doi: http://dx.doi.org/10.1163/2214-8647_bnps4_e128090.
2 Vgl. Schmitzer, Ulrich (Erlangen). ‘Musenanruf’. In: Der Neue Pauly, ed. durch Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Antike), und Manfred Landfester (Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte). Eingesehen: 14. April 2023. doi: http://dx.doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e812730.
3 Vgl. ebd.
4 Vgl. Söffner, Jan. ‘Muses’. In Brill’s New Pauly Supplements I - Volume 4 : The Reception of Myth and Mythology. Eingesehen: 15. April 2023. doi: http://dx.doi.org/10.1163/2214-8647_bnps4_e812670.
5 Vgl. Granobs, Roland (Hrsg.): Antike in Potsdam-Sanssouci. Führungsblätter, Materialien für den Unterricht, Potsdam 2007.
6 Vgl. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/VQIQYYQOD3OQFTKT3GDHKSCCP2STFEY5 (Letzter Aufruf: 28.06.2023).
Version für Kinder
In diesem Rondell sind wir von acht Frauenstatuen umgeben. Es handelt sich dabei um acht der neun Musen, die als Schutzgöttinnen der verschiedenen Kunstarten gelten. Sie alle sind Töchter von Zeus und der Göttin der Erinnerung – Mnemosyne – und somit Schwestern. Als ihre Heimat gilt der Berg Helikon in Griechenland. Vielleicht habt ihr einige von ihnen schon mal im Disney-Film „Hercules“ kennengelernt. Dort singen, kommentieren und erzählen sie teilweise die Geschichte des Helden Hercules.
Auch heute noch gibt es Musen. Es handelt sich in unserem heutigen Sprachgebrauch dabei um Personen, die andere Menschen, insbesondere Künstler, inspirieren, also zu kreativen Leistungen antreiben.
In der Antike galten die Musen als Begleiterinnen des Gottes Apollon, des Gottes der Künste, des Lichtes und der Heilkunst. Es hieß, dass von ihnen alle Künstler, wie beispielsweise Sänger oder Musiker, abstammen. Sie halfen den Künstlern außerdem dabei, ihre Werke zu vollbringen. Dabei gab es die Vorstellung, dass sie entweder den Dichtern die Worte direkt vorgaben oder aber das Schaffen der Kunst eine Zusammenarbeit war, bei der die Künstler den Musen im Gespräch Fragen stellen konnten. In der antiken Literatur gibt es deshalb oft am Anfang eines Werkes den sogenannten Musenanruf. Darin beschreibt der Dichter sein Vorhaben und bittet diesem entsprechend eine oder mehrere Musen um deren Hilfe. Ganz zu Beginn gab es hierbei noch keine festen Bereiche, für die die Musen zuständig waren. Diese kamen erst nach und nach zustande und haben dann Einfluss auf die Wahl der Musen genommen, die helfen sollten.
Wie die Musen heißen und für welche Kunstbereiche sie zuständig sind, das wollen wir uns aber nun von ihnen selbst erzählen lassen:
Kalliope
Guten Tag! Ich bin Kalliope, diejenige „mit der schönen Stimme“. Falls du aus Richtung der Großen Fontäne kommst, bin ich die erste Muse auf der linken Seite. Hast du mich gefunden? Du kannst mich am Lorbeerkranz und dem Buch in meiner Hand erkennen. Denn ich bin die Muse der epischen Dichtung. Also überreiche ich den Helden aus den Geschichten diesen ehrenvollen Kranz und halte ihre Taten direkt in meinem Buch fest.
Klio
Mein Name ist Klio, die „Rühmende“. Als Muse der Geschichtsschreibung halte ich in meiner rechten Hand einen Stift und stütze mich auf ein großes Buch. Auch ich habe einen Lorbeerkranz in der Hand und halte zusätzlich einen Palmzweig in der Linken. Diese gelten als besondere Auszeichnungen für ruhmreiche Taten. Wer diese Auszeichnung bekommt, gilt als wichtig und erwähnenswert in der Geschichtsschreibung.
(Falls du mich noch nicht gefunden hast…ich stehe im Uhrzeigersinn direkt neben meiner Schwester Kalliope.)
Am besten gehst du nun weiter im Uhrzeigersinn zu meiner nächsten Schwester. Sie wird sich freuen, dich ebenfalls begrüßen zu dürfen.
Erato
Hallo und herzlich willkommen hier bei uns Musen. Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Erato, die „liebliche Sängerin“ unter uns. Ich bin die Muse des Gesanges und des Tanzes, aber insbesondere auch der Liebesdichtung. Wie du vielleicht sehen kannst, habe ich gleich zwei Instrumente bei mir: die Leier und die Posaune. Aber ich will dich nicht zu lange aufhalten, geh ruhig weiter den Kreis im Uhrzeigersinn entlang, um eine weitere meiner Schwestern kennenzulernen.
Thalia
Mein Name lautet Thalia, die „blühend Schöne“. Den Namen könntest du bestimmt schon mal gehört haben, schließlich gibt es eine Buchhandlung, die ihn für sich nutzt. Ich bin für die Komödie zuständig und lächle dementsprechend. In meiner linken Hand habe ich Kastagnetten, in meiner rechten eine zusammengefaltete Theatermaske. Wenn du mal an mir herunter schaust, wirst du bei meinen Füßen einen Winkelmesser und einen Zirkel entdecken. Das scheint auf den ersten Blick nicht ganz zu mir und meiner Theaterzuständigkeit zu passen…aber in späteren Zeiten war ich dann auch für die Landwirtschaft und Gartenbaukunst verantwortlich, dafür stehen diese Geräte.
Melpomene
Bevor du unseren Kreis verlässt, komm bitte erst einmal zur anderen Seite. Hierher rechts vom Ausgang zu mir, Melpomene, ich hebe sogar schon meine linke Hand. Auch ich bin „Sängerin“. Ich weiß, ich schaue etwas ernst, aber ich bin ja auch für die Tragödie, das Trauerspiel, zuständig. Passend dazu halte ich in meiner rechten Hand einen Dolch und ihr könnt an meiner Seite ein Buch sowie eine Krone finden. Gehe nun ruhig weiter im Uhrzeigersinn zur nächsten von uns.
Terpsichore
Ich bin Terpsichore, die „Tanzesfrohe“ unter uns. Häufig werde ich mit einer Leier dargestellt. Die wirst du hier jedoch vergeblich suchen, denn dieses Mal schlage ich auf ein Tamburin. Das passt hier ganz wunderbar. Denn ich bin die Muse der chorischen Lyrik, also derjenigen Dichtung, die von Chören vorgetragen wird, und kann mit diesem Instrument Rhythmus und Musik perfekt vereinen.
Euterpe
Laufe nun weiter im Uhrzeigersinn zu mir, Euterpe. Das heißt so viel wie „die Freude bringende“. Ich gelte als Erfinderin und Beschützerin des Flötenspiels. Deshalb werde ich normalerweise mit einer Doppelflöte, dem Aulos, dargestellt. Leider fehlt dieser hier im Park Sanssouci. Aber zumindest deuten meine Finger auch ohne Instrument das Flötenspiel an.
Polyhymnia
Nun komm schon endlich zu mir, der achten und letzten hier in dieser Runde. Eigentlich sind wir ja neun, aber unsere Schwester Urania ist leider nicht hier bei uns im Rondell. Aber dazu kann ich dir später noch mehr erzählen. Erst einmal zu mir: Ich heiße Polyhymnia und bin „die lieder- und hymnenreiche“ Muse. In meinen Händen halte ich eine große Schriftrolle, auf der sich Loblieder auf antike Helden befinden. Ich bin außerdem die Erfinderin und Beschützerin der Pantomime - also der Kunst, sich durch Körperbewegungen auszudrücken.
Nun aber zu Urania, der „himmlischen“ Muse. Damit das Rondell hier schön gleichmäßig aussieht, musste Friedrich der Große, der uns hier aufstellen ließ, eine von uns neun Musen weglassen. Seine Wahl ist offensichtlich auf Urania gefallen. Vermutlich, weil sie als Muse der Astronomie, also der Sternenkunde, eher wissenschaftlich unterwegs war, während wir hier doch eher künstlerisch-musisch tätig sind. Wie sehr sie mit Sternen zu tun hat, lässt sich auch daran erkennen, dass das Planetarium hier in Potsdam sich nach ihr benannt hat.
Vielen Dank, dass du uns zugehört hast, wir freuen uns immer, wenn wir mit jemandem sprechen können. Und jetzt noch viel Spaß beim weiteren Entdecken der Antike im Park!