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Halbrondell am Neuen Palais

von Jacob Werblow (27.09.2023)

Sie befinden sich nun am Neuen Palais, dem Prunkbau, den Friedrich der Große anlässlich des unmöglich geglaubten preußischen Sieges im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) errichten ließ. Fertiggestellt wurde es im Jahr 1769.1 Obgleich der Alte Fritz beim Bau des Palais‘ durchaus Kompromisse, wie die unechten Ziegelwände, in Kauf nehmen musste, scheute er bei seinen Statuen weder Kosten noch Mühen. In einem Halbrondell ließ er vor dem Schloss 14 Statuen, sieben zu jeder Seite des Besuchers, aufstellen, bei denen es sich um kostbare Originale aus der graeco-römischen Antike handelte. Doch zu welchem Zweck stehen genau diese Statuen hier?

Die Antwort soll uns mit Blickrichtung zum Neuen Palais die Statue auf unserer linken Seite, die dem Schloss am nächsten ist, liefern. Es handelt sich um eine geflügelte Frau in prächtigem Gewand, die einen Lorbeerkranz in ihrer rechten Hand hält. Hier ist niemand geringeres als die römische Siegesgöttin Victoria dargestellt. Obgleich sich ihre Rolle in den antiken Mythen auf ihre Geburt und ihre rudimentär geschilderte Beteiligung im Krieg gegen die Titanen beschränkt,2 war ihre Symbolkraft für die Römer von enormer Bedeutung. Nach ihrer Einführung aus Griechenland, die erstmals um das Jahr 294 v.Chr. durch eine Tempelweihung nachzuweisen ist, wurde sie angesichts der militärischen Erfolge der Römer zu einer Konstante in deren Ikonographie.3 Um die Jahrtausendwende gewann Victoria als Aspekt der Selbstdarstellung bedeutender Feldherren enorm an Wert, angefangen mit Lucius Cornelius Sulla. Victoria wurde in Statuen verewigt, als Motiv auf Münzen verwendet und mit gewaltigen Spielen verehrt.4 Diese Popularität blieb bis in die römische Kaiserzeit erhalten, wo sie in den Kaiserkult integriert wurde und dementsprechend ein überaus beliebtes Motiv auf Münzen sowie auf Triumphbögen war.5 Erst mit der Christianisierung des Römischen Reiches verlor sie, wie auch die anderen „heidnischen“ Götter, an Bedeutung.

Allerdings war dieser Bedeutungsverlust keinesfalls von Dauer. Der beste Beweis dafür sind zwei der berühmtesten deutschen Sehenswürdigkeiten: Das Brandenburger Tor und die Siegessäule.6 Ersteres wurde im Jahr 1791 fertiggestellt und wird durch Victoria in ihrer Quadriga abgerundet, Zweitere dient seit dem Jahre 1873 einer goldenen Victoriastatue als Sockel. Es kann wenig verwundern, dass sie jeweils einem militärischen Triumph Preußens gewidmet sind: Das Brandenburger Tor wurde zur Feier und Verkündung der gewaltsamen „Befriedung“ der Niederlande vier Jahre zuvor errichtet und die Siegessäule zeugt von preußischen Siegen in den Reichseinigungskriegen seit 1863.7 Durch die Verwendung des Symbols der Victoria stellten die Bauherren sich damit nicht nur in die Tradition antiker Feldherren, sondern auch in die Friedrichs II. und gewissermaßen auch seines Rondells.

Wie bereits erwähnt, handelte es sich bei allen Statuen im Rondell um Originalwerke aus antiker Zeit. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ihre Herkunft, besonders im Vergleich zu anderen Statuen im Park, unglaublich detailliert dokumentiert ist. So beauftragte Friedrich II. nach seiner Rückkehr aus dem Siebenjährigen Krieg den „Chursächsischen Minister am Römischen Hofe“ Giovanni Lodovico Bianconi damit, auf dem dortigen Kunstmarkt, dem größten der Welt, antike Statuen für seine Schlossanlage zu beschaffen.8 1766 konnte er dort unter anderem zwei nahezu identische Victoriastatuen aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert ersteigern, die er anschließend vor Ort in der Werkstatt des Bildhauers Cavaceppi restaurieren ließ. Eine von ihnen endete im Jahr 1772 schließlich genau dort, wo Sie jetzt stehen, die andere genau gegenüber, wo Sie heute nur noch einen leeren Sockel sehen können. Entsprechend ihres Alters musste unsere Victoriastatue an den Armen, am Kopf und an der Basis umfänglich ergänzt werden. So erklärt sich auch der interessante Umstand, dass sie in der Zeichnung Cavaceppis aus dem Jahr ihrer ersten Aufstellung, die Sie unter den Abbildungen finden,9 noch keinen Lorbeerkranz in der Hand hält und über keine Flügel verfügt. Von 1806 bis 1815 unternahm die Statue sogar eine Auslandsreise und stand mit ergänzten Flügeln als napoleonische Kriegsbeute in Paris, bevor sie nach dessen Niederlage nach Deutschland zurück gelangte. Nach erneuter Restaurierung gelangte sie in den Besitz der Berliner Museen, wo sie noch heute in der Antikensammlung besichtigt werden kann.10

Wie Sie sicherlich mittlerweile ahnen, sind die Statuen, die Sie heute betrachten, nicht mehr die antiken Originale, sondern Repliken aus dem 19. Jahrhundert. Neun von ihnen, einschließlich der Victoria, wurden von Eduard Stützel in den Jahren 1850-1859 gefertigt, zwei zur selben Zeit durch die Gebrüder Sanguinetti11 und eine weitere 1852 durch August Julius Streichenberg.12 Vermutlich wurden die Statuen in Vorbereitung auf den Einzug des Kronprinzen Friedrich Wilhelms nachgefertigt,13 der im Jahr 1888 als Friedrich III. 99 Tage lang deutscher Kaiser sein sollte. Auch die heute fehlenden Statuen erhielten ursprünglich Kopien, die aber ihrerseits zu konservatorischen Zwecken nicht mehr ausgestellt sind.

Auch ihre Anwesenheit würde allerdings nur wenig Abhilfe beim Versuch schaffen, einen tieferen Sinn hinter der Komposition des Rondells zu erkennen. Direkt neben unserer Victoria steht ein nur wenig göttlicher Bogenschütze, nach ihm folgen diverse Götter, Sterbliche und göttliche Wesen ohne thematischen Bezug zueinander. Gab es wohl anfangs noch eine Paarung der gegenüberstehenden Statuen nach Geschlecht und Größe,14 lässt auch diese sich nur noch in Ansätzen erkennen. Ausschlaggebend für Friedrich dürfte daher kaum eine tiefgreifende oder gar philosophische Aussage gewesen sein, sondern in erster Linie die Zurschaustellung seiner kostspieligen Antikenstatuen.

Ob es sich nun jedoch um eine bewusste Entscheidung des Preußenkönigs handelte, das Rondell an beiden Enden mit Victoriastatuen abzurunden, oder nicht, eine passendere Statue zur Feier seines Sieges hätte er nicht wählen können. Noch heute finden wir Victoria vielerorts in unserer Kultur wieder: als Wort für „Sieg“ in den romanischen Sprachen (z.B. engl. victory), als Frauennamen und in dessen männlicher Version „Victor“ oder in der griechischen Namensform Nike als Namensgeberin eines der größten Schuhhersteller weltweit. Auch im Park selbst ist ihre Anwesenheit nicht auf dieses Rondell beschränkt. So feiert auch heute die Siegesgöttin an der Orangerie, in den Römischen Bädern, am Neuen Palais selbst und auf dem Dach des heutigen Hauses 11 der Universität Potsdam längst vergessene Triumphe.

 

 

1 Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Bauten und Bildwerke im Park Sanssouci, Potsdam 2002 (2. Auflage), S.223.
2 Apollod. bibl. 1,9 (Apollodor, Bibliotheke - Götter- und Heldensagen, herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Paul Dräger, Düsseldorf/Zürich 2005 [Sammlung Tusculum]). | Hes. theog. 383. (Hesiod, Theogonie / Tage und Werke, herausgegeben und übersetzt von Albert von Schirnding, Berlin 2012 (5.Auflage) [Sammlung Tusculum]).
3 Roscher, Wilhelm Heinrich, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Sechster Band, S. 295-296.
4 Dort S. 297-298.
5 Siehe Abb. 1 und Abb. 2.
6 Architekten-Verein zu Berlin / Vereinigung Berliner Architekten, Berlin und seine Bauten, Berlin 1896, S. 42 / 138 [https://digital.zlb.de/viewer/image/16337878/80/].
7 Rose, Andreas, Deutsche Außenpolitik in der Ära Bismarck (1862-1890), Darmstadt 2013, S. 13-18 / Paulig, Friedrich R., Friedrich Wilhelm II., König von Preussen: (1744-1797) - sein Privatleben und seine Regierung im Lichte neuerer Forschungen, Frankfurt an der Oder 1895, S. 103-105 [http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-477325] (entsprechend politisch eingefärbt).
8 Hüneke, Saskia et al., Antiken I - Kurfürstliche und Königliche Erwerbungen für die Schlösser und Gärten Brandenburg-Preussens vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin 2009, S. 395-398 / 418-419 / 420.
9 Siehe Abb. 3.
10 DAI, Viktoria; Statue, [https://arachne.dainst.org/entity/1062508] (letzter Zugriff: 05.07.2023, 19:00 Uhr).
11 Holland, Hyacinth, "Sanguinetti, Francesco" in: Allgemeine Deutsche Biographie 30 (1890), S. 362-363 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116802707.html#adbcontent.
12 SPSG 2002, S.268-270.
13 Dort, S. 223.
14 Hüneke et al. 2009, S. 397-398.

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