Flora und Pomona
von Jacob Werblow (02.11.2023)
Version für Erwachsene
Hunderte Gäste des Parks Sanssouci treten täglich den Weg vom sorglosen Lieblingsschloss des Preußenkönigs hin zum Neuen Palais an. Diejenigen von ihnen, die es bis zum Ende der Allee schaffen, werden von zwei gigantischen Statuen mit wallenden Gewändern zu ihrer Linken und Rechten am Prunkbau des Königs begrüßt. Wer sind die Damen, die all diese Menschen willkommen heißen?
Die Statue zu unserer Linken ergreift das Wort. Neben ihrem Gewand und den Blumen in ihrem Haar fällt vor allem die Blumengirlande auf, die sie bei sich trägt. Während sie spricht, haucht sie Frühlingsrosen aus: „Chloris, eine Nymphe, war ich einst, die ich nun Flora genannt werde. Immer genieße ich den Frühling: Immer ist diese Jahreszeit die üppigste, der Baum hat Blätter, Nahrung hat der Boden. Mir gehört ein fruchtbarer Garten auf den Feldern, die ich als Hochzeitsgeschenk erhielt; die Luft wärmt ihn, bewässert wird er durch eine Quelle fließenden Wassers. Diesen stattete mein Ehemann, der Westwind, mit edlen Blumen aus und sagte: ‚Du, Göttin, sollst die Verfügung über die Blume haben.‘ Als Erste verstreute ich unter zahllosen Stämmen neue Samen: zuvor hatte die Erde nur eine einzige Farbe.“1 So sprach sie auch schon in den Fasti des Ovid, einem Werk aus den frühen Jahren des ersten Jahrhunderts nach Christus. Ihr Name ist vom lateinischen Wort für „Blume“, flos abgeleitet.2 Noch heute findet sich die Bezeichnung im Begriffspaar „Flora und Fauna“ oder in der Berufsbezeichnung „Florist“ wieder. Ihre Zuständigkeit waren nicht nur die besagten Blumen, sondern auch das Blühen von Pflanzen an sich. Dadurch wurde sie stets in engen Bezug zur Getreidegöttin Ceres, einer olympischen Göttin, gesetzt und galt oft als Sinnbild für den Frühling.3 Von Ende April bis Anfang Mai wurden ihr zu Ehren im antiken Rom infolge einer katastrophalen Missernte jährlich die Floralia veranstaltet, bei denen Menschen und Gebäude prächtig mit Blumen ausgeschmückt wurden, um für die Blüte der Nutzpflanzen zu beten.4
Plötzlich ertönt eine Stimme von der anderen Seite. Die Statue trägt einen Schleier im Haar und ein Füllhorn mit Früchten auf dem linken Arm. Wie schon vor knapp 2000 Jahren in der Naturgeschichte des Plinius erklärt sie: „Mein Name ist Pomona. Der Großteil des menschlichen Vergnügens stammt von mir, ich bringe den Weinsaft und das flüssige Öl hervor, ich die Datteln, die Früchte, und die vielen Sorten davon. Und müssen sie etwa wie bei Tellus (der Erdgöttin) durch Arbeit erlangt, durch Stiere gepflügt, auf der Tenne gedroschen und schließlich auf Steinen gemahlen werden, damit irgendwann durch große Mühen Nahrung entsteht? Nein, von mir kommt alles fertig, es muss nicht mit Sorgfalt erarbeitet werden, sondern bietet sich selbst dar und fällt sogar, wenn man sich zu schade ist, es zu berühren, von selbst ab.“5 Auch der Name Pomona ist sehr eng mit ihrer Funktion als Göttin der Baumfrüchte verbunden: So bedeutet das lateinische Wort pomum „Frucht“. In einer stark spezialisierten Form lässt es sich noch heute in der Bezeichnung “Pommes Frites” wiederfinden. Ähnlich wie auch Flora wurde Pomona als Göttin der Fruchtbarkeit verehrt und verfügte über einen eigenen Priester. Ein eigener Festtag war ihr im Gegensatz zu ihrer eindrucksvollen Nachbarin nicht vergönnt.6 Ihr prunkvolles Auftreten hier im Park wird dadurch nicht im Geringsten geschmälert.
Wer sich jedoch bereits vorgestellt hat, wie die Kolosse einst die Sommergäste des Alten Fritz begrüßten, der muss leider enttäuscht werden. Auch wenn die Bildhauer Johannes Eckstein und Michael Cristoph Wohler die Sandsteinstatuen noch zu Lebzeiten Friedrichs II. fertigstellten, waren diese zunächst nicht vor dem Neuen Palais ausgestellt, sondern unweit des heutigen Bahnhofs Park Sanssouci. Erst 1955 gelangten sie nach einem weiteren Zwischenstopp (westlich der Kolonnade) an ihren heutigen einzigartigen Standort.7
Auch andernorts im Park kann man den beiden Göttinnen begegnen: So steht beispielsweise ein weiteres zugezogenes Paar vor den Neuen Kammern, ein originales an deren Fassade und noch eines am Obeliskenportal unweit des Schlosses Sanssouci. Im Park Sanssouci allein bringen es die beiden Damen jeweils auf eine Statuenzahl im zweistelligen Bereich. Und das nicht vergebens: Wer die sommerliche Pracht der Blüten und Bäume im Park schon einmal mit eigenen Augen bewundern durfte, kann leicht erahnen, dass göttlicher Segen im Spiel sein muss. Und nun weiß er auch, wem er dafür zu danken hat.
1 Vgl. Ov. fast. 5 V. 195-222 (P. Ovid Naso, Fasti Festkalender - Band 2: übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Andrea Themann-Steinke, Darmstadt 2018 [Edition Antike], S. 111-113).
2 Graf, Fritz, „Flora“, in: Cancik, Hubert et al. (Hrsg.), Der Neue Pauly, [https://doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e412980] (letzter Zugriff: 08.04.2023, 15:35 Uhr).
3 Roscher, Wilhelm Heinrich, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Erster Band, Zweite Abteilung, Leipzig 1886-1890, S. 1483-1486.
4 Baudy, Dorothea, „Floralia“ in: Cancik, Hubert et al. (Hrsg.), Der Neue Pauly, [https://doi.org/10.1163/1574-9347_dnp_e412990] (letzter Zugriff 17.04.2023, 13:27 Uhr).
5 Vgl. Plin. nat. 23,2 (C. Plinius Secundus d. Ä., Naturalis Historia Buch XXIII: herausgegeben und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Joachim Hopp, München 1993 [Sammlung Tusculum], S.14-17.)
6 Roscher, Wilhelm Heinrich, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Dritter Band, Zweite Abteilung, Leipzig 1902-1909, S. 2747-2749.
7 Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Bauten und Bildwerke im Park Sanssouci, Potsdam 2002 (2. Auflage), S. 270.
Version für Kinder
„Sei gegrüßt, Besucher! Wir sind die Göttinnen Flora und Pomona und heißen täglich Hunderte von Gästen am Neuen Palais willkommen, die vom Schloss Sanssouci über die Hauptallee hierher kommen. Wenn du uns schon von weitem sehen konntest, bist auch du heute einer von ihnen. In diesem Fall: Herzlich Willkommen! Solltest du stattdessen vom Neuen Palais aus zu uns gekommen sein, musst du aber auch nicht traurig sein, denn dich erwartet noch der ganze wunderschöne Park Sanssouci.“
„Für diese Schönheit und ihre Erhaltung sind keine Geringeren als wir beide verantwortlich: Ich, die Statue auf der linken Seite, bin Flora. Wenn du kurz über meinen Namen nachdenkst, kommst du sicherlich selbst darauf, wofür genau ich zuständig bin. Falls du einen kleinen Hinweis brauchst, schau dir einfach an, was ich um mich gewickelt habe. -(kurze Wartezeit)- Richtig, ich bin die Göttin der Blumen und des Blühens von Pflanzen. Vielleicht sind dir Wörter wie ‚Florist‘, ‚Flora und Fauna‘ oder ‚florieren‘ eingefallen, die von meinem Namen abstammen. Ansonsten kannst du mich auch an der Blumengirlande erkennen, die ich trage. Wenn du meinen Verdienst hier im Park selbst sehen willst, empfehle ich dir, mal den Sizilianischen Garten oder das Schloss Charlottenhof anzuschauen. Hier pflege ich vom Frühling bis in den Herbst wunderschöne Blumenbeete. Wenn du im Winter hier bist und keine Blumen findest, solltest du wissen, dass das Ganze nicht meine Schuld ist. Wie du vielleicht schon von einer anderen Station weißt, hatte unsere Chefin Demeter damals in der Antike einen hässlichen Sorgerechtsstreit um ihre Tochter und erlaubt uns deshalb nicht mehr, im Winter Pflanzen erblühen zu lassen. Wir beide hier sehen es aber positiv: Weil der Winter so trostlos ist, wirkt die Zeit, in der ich meine Blumen gedeihen lassen darf, umso schöner.
Auch die alten Römer wussten schon, wie viel schöner die Welt mit meinen bunten Blumen ist... und natürlich mit Getreide für ihr Essen. Daher veranstalteten sie jedes Jahr im Mai zu meinen Ehren die Floralia. Bei diesem Fest putzten sie sich selbst, ihre Häuser und die Straßen und Tempel mit allerlei farbenfrohen Blumen heraus, damit ich ihnen ein weiteres Jahr lang mit dem Ackerbau helfe. Auch mit Friedrich dem Großen habe ich einen ähnlichen Deal: Für die vielen Statuen von mir, die er überall aufgestellt hat, mache ich bis heute die Blumen in seinem Park zu den schönsten weit und breit.“
„Auch ich bin hier, um eine bestimmte Pflanzensorte zu versorgen. Mein Name, Pomona, wird dir aber leider nur wenig dabei helfen, meinen Job herauszufinden. Wenn du mich, die Statue auf der rechten Seite, allerdings einmal kurz anschaust, kannst du ein Füllhorn auf meinem linken Arm erkennen. Dessen Inhalt ist meine Aufgabe. Auch ich will dir kurz Zeit geben, von selbst darauf zu kommen. -(kurze Pause)- Die Lösung sind Obstfrüchte. Konntest du das erraten? Falls dir mein Name doch bekannt
vorkam, hast du vielleicht an Worte wie „pomegranate“ als englisches Wort für Granatapfel oder an „Pommes Frites“ gedacht. Nach diesen Wörtern muss man leider sehr lange suchen, zumal sie nicht mehr wirklich „Frucht“ bedeuten. Irgendwie bin ich da neidisch auf Flora, genau wie auf ihren schönen Festtag. Meine Arbeit macht das aber nicht weniger wichtig. So trage ich in meinem Füllhorn das ganze Obst, das ich gesammelt habe.
Wunderst du dich vielleicht, woher ich hier im Park Obst bekommen habe? Das ist eine sehr berechtigte Frage. Immerhin gibt es hier nicht gerade viele Apfel- oder Birnenbäume. Die Ernte besteht hier viel eher aus Orangen und Weintrauben. Die Orangen ließ Friedrich der Große damals in den heutigen Neuen Kammern anbauen, bevor sie später in die Orangerie umzogen. Damit die Orangen genau richtig für seinen Geschmack wuchsen, brauchte er meine Hilfe. Auch mit der Pflege seiner Weintrauben war ich betraut. Die ließ er auf den Terrassen direkt vor seinem Schloss Sanssouci anbauen.
Auch wenn weder Weintrauben noch Orangen unbedingt überlebenswichtig sind, sind sie doch extrem lecker. Vor allem bewunderten die Römer mich für den Wein, den sie aus meinen Trauben machen konnten. Obwohl für mich also kein jährliches Fest veranstaltet wurde, gab es doch einen Priester, der um meine Gunst für das römische Obst warb. Mittlerweile fühle ich mich nicht mehr nur für dieses verantwortlich, sondern auch für die restlichen Bäume in meinem Park. Ob Eicheln Obst sind oder nicht, ist ja eh nur eine Formalität. Das Ergebnis meiner Arbeit solltest du sehen können, indem du dich ganz einfach umdrehst. Sind meine Bäume nicht herrlich? Dass ich den Park so sehr belebe, ist natürlich nur möglich, weil auch andernorts im Park Statuen von mir stehen. Manche davon sind sogar schon länger hier als ich selbst. Diese Flora und ich kamen immerhin erst 1955 hierher. In der kurzen Zeit seitdem, zumindest sehe ich das als Göttin so, haben wir beide jedoch großartige Leistungen im Park vollbracht.
Wir wünschen dir viel Spaß beim Rest deiner Tour und hoffen, dass du an uns denkst, wenn du das nächste Mal einen besonders schönen Baum oder ein hübsches Blumenbeet vor dir siehst.“