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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Forst (Zasieki)

Gedenkstein am Standort der Synagoge in Forst
Foto: Anke Geißler-Grünberg
Gedenkstein am Standort der zerstörten Synagoge in Forst
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Foto: OLF1.1. FrankRuhlLibre

Aus einer historischen Darstellung  zum Kirchen- und Religionswesen in Forst ist bekannt, dass Juden bereits zu Beginn des 16. Jh. in der Stadt gelebt und gearbeitet hatten. Durch das Adelsgeschlecht der Biebersteins in die Tuchmacherstadt geholt und unter ihrem Schutz stehend, hatten sie sich in der Nähe ihres Schlosses, beim heutigen Lindenplatz, angesiedelt. In diesem, als Neustadt bezeichneten Stadtteil errichteten die Juden eigenen Wohnhäuser. Nach 1538 wurden sie dem Bericht zufolge aber aus der Stadt getrieben.

In Forst war das Tuchmachergewerbe seit dem Mittelalter prägender Wirtschaftsfaktor. Noch vor Ende des verheerenden Dreißigjährigen Krieges bewirkte der Zuzug von Tuchmachern aus den Niederlanden sowie aus Schlesien eine allmähliche Neubelebung der ab 1635 zum Kurfürstentum Sachsen gehörenden Stadt. Ab 1650 zählten auch Juden wieder zum Stadtbild, obwohl sie hier nicht lebten. Sie engagierten sich vor allem in ihrem traditionellen Gewerbe, dem Handel und zwar zuvörderst mit dem benachbarten Polen. Neben Tuchen und Stoffen handelten Juden mit Molkereiprodukten, die sie selbst vor Ort in der Nähe von Forst produzierten, wanderten aber auch als Hausierer durch die Lausitz und angrenzende Regionen.

Dokumente belegen, dass christliche Gewerbetreibende aus Forst diese jüdische Gewerbetätigkeit als ernste wirtschaftliche Bedrohung wahrnahmen und auf Verbote und Einschränkungen derselben drängten. Sie scheiterten damit aber an den Interessen der Landstände, preiswerte Waren in die Region zu holen. Ungefährlich war diese Stimmung für Juden nicht. In der Mitte des 18. Jh. lässt sich demzufolge auch nur ein jüdischer Kaufmann in der Stadt Forst nachweisen: Salomon Marcus betrieb hier für wenige Jahre aufgrund einer kurfürstlichen Konzession eine Leder- und Tranfabrik.

Bedingten Erfolg errangen indes Bestrebungen, Juden zum Christentum zu bekehren. Für Forst ist aus dem Jahr 1757 lediglich die Konversion des 18-jährigen Benjamin Israel belegt, der sich der Überlieferung zufolge aus freien Stücken in der Stadtkirche taufen ließ. Ob ihm der damit erhoffte ökonomische Aufstieg und die Integration in die Mehrheitsgesellschaft gelang, ist nicht bekannt, aber zu vermuten. – Das religiöse Zentrum der Juden der Niederlausitz befand sich weiterhin im nahe der Stadt Forst liegenden Friedland.

Abermals veränderten sich in Forst die politischen Bedingungen, als die Niederlausitz im Ergebnis des Wiener Kongresses 1815 Preußen zugeschlagen wurde. Für die hier lebenden Juden bedeutete dies, dass sie preußische Staatsbürger werden konnten und freies Niederlassungs- und Gewerberecht erhielten, sofern sie feste Nachnamen annahmen. In der Niederlausitz wirkte das Recht auf freien Handel jedoch erst ab 1829. Das hatte zur Folge, dass sich mit Nathan Abraham nur ein jüdischer Händler mit seiner Familie in Forst niederließ. Gekommen war sie aus Friedland, zog 1836 aber nach Guben weiter. Ebenfalls aus Friedland stammte Samuel David, der im gleichen Jahr nach Forst kam, um hier vollumfänglich Handel zu treiben. Obwohl er es zu gewissem Wohlstand schaffte und am zentralen Markt vis-à-vis der Stadtkirche lebte, verließ auch er die Stadt schon wieder 1854.

Das Gesetz über die Verhältnisse der Juden von 1847 mit seiner Absicht, den rechtlichen Status der Juden der verschiedenen Provinzen Preußens anzugleichen, hatte auch in der Niederlausitz eine administrative Neuaufteilung zur Folge. Per Verfügung der in Frankfurt (Oder) sitzenden brandenburgischen Bezirksregierung von Anfang Februar 1848 wurden die Orte der drei bereits bestehenden Jüdischen Gemeinden in Cottbus, Friedland und Guben zum Sitz von Synagogen-Bezirken bestimmt, in denen sich dann eigenständige Synagogengemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts konstituieren konnten. Zum neuen Synagogenbezirk Guben gehörten fortan die vier in Forst lebenden Juden.

Erst 1860 war die jüdische Gemeinschaft von Forst auf 20 Personen gewachsen, umfasste also ungefähr vier bis fünf Familien und damit einen Anteil an der städtischen Bevölkerung von weniger als 0,4 %. Möglicherweise hängt diese geringe Zahl mit dem enormen Einfluss der städtischen Tuchmacher-Innung zusammen, die sich gegenüber Neuem versperrte und an ihren herkömmlichen Rechten festhielt. Forst entwickelte sich in der Folge dennoch zu einem regionalen Zentrum der Tuchherstellung und -veredlung. Die damit einhergehende Industrialisierung beförderte das Handelsgewerbe, in dem traditionell auch Juden unterwegs waren. Sie blieben aber stets in einer verschwindend geringen Minderheit.   

Bestrebungen, in Forst eine eigenständige Jüdische Gemeinde zu gründen und aus der Synagogengemeinde zu Guben auszutreten, lassen sich ab 1863 nachweisen. Diese lehnte das Ansinnen aus Kostengründen zunächst ab. Ein Jahr später gründete sich eine Filialgemeinde in Forst unter maßgeblicher Mitwirkung von Julius Bergmann, Dr. Louis Koeben und Gustav Avellis. Sie stellten einen Kultusbeamten an, richteten einen Betsaal ein und visierten den Erwerb eines Friedhofs an. Doch schon 1866 scheiterte das Projekt aus mehreren Gründen. Dazu zählte, dass mit neun in Forst lebenden jüdischen Männern noch nicht einmal das Quorum für einen Minjan erfüllt wurde.

1888 lebten in Forst schließlich 56 Juden, während die Gesamtbevölkerung der Stadt auf 17.000 gestiegen war. Im gleichen Jahr gründeten sie einen Israelitenverein, aus dem sich 1894 die Synagogengemeinde konstituierte. Sie richtete sich abermals einen Betsaal ein, in einem Hinterhaus am Bismarckplatz. Mit Max Pulvermann stellte sie außerdem einen Prediger an und kaufte im östlich der Neiße gelegenen Dorf Berge ein Grundstück, auf dem sie ihren eigenen Friedhof anlegte.

Durch Zuwanderung aus östlichen Provinzen Preußens und aus Polen stieg die Zahl der in Forst lebenden Juden zur Jahrhundertwende auf 100. Es gelang der Synagogengemeinde aber erst 1920, durch den Kauf eines Gebäudes in der Wasserstraße eine Synagoge einzuweihen, die auch von der Straße aus zu sehen war. Sie befand sich in der ersten Etage; im Haus wohnten der Gemeindeprediger Willy Jastrow mit seiner Familie und der christliche Schuhmacher August Kleppek, der zugleich Hausmeisteraufgaben übernahm und im Souterrain eine Werkstatt betrieb. Bis 1933 wuchs die jüdische Gemeinschaft auf 220 Gemeindemitglieder, die sich in mehreren Ortsgruppen jüdischer Vereine organisierte, wie z.B. im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, im Israelitischen Frauenverein oder im Jüdischen Jugendbund. Eine Besonderheit stellte der Ostjüdische Unterstützungsverein dar, der der hohen Zahl von Juden osteuropäischer Herkunft Rechnung trug. Als Rabbiner wirkte Dr. Meir Bieler zwischen 1932 und 1937.

Seit Ende des Ersten Weltkrieges gab es in Forst immer wieder antisemitische Aktivitäten. Mit der Machtübernahme der Hitler-Regimes 1933 begann für die Juden der Stadt eine Zeit der Angst und Bedrohung. Neben zunehmender gesellschaftlicher Ausgrenzung, Entrechtung und Enteignung waren insbesondere staatenlose und aus Polen zugewanderte Juden von Abschiebung und Ausbürgerung betroffen. Ein gut dokumentiertes Beispiel hierfür stellt das Schicksal von Erich Markowicz und seiner Frau Lisbeth, geb. Cytrin dar. Hedwig und Julius Jacobsohn mussten 1935 ihre Apotheke schließen und flohen nach Wiesbaden. 1938 gab es in Forst kein größeres jüdisches Geschäft mehr. Die Synagoge wurde am Tag nach der Reichspogromnacht, am 10. November 1938, geplündert und ihre Inneneinrichtung komplett zerstört. Im Anschluss zerstörte man die Wohnungen von Forster Juden und verhaftete 31 jüdische Männer [siehe hier]. Am Abend brannte das Geraubte auf dem heutigen Lindenplatz. Im Mai 1939 verkauften Hermann Cytrin und Kurt Presch im Namen der stark dezimierten Synagogengemeinde das Gebäude an die Stadt Forst zu einem Preis, der mit 11.300 Reichsmark weit unter seinem Wert lag. In der Stadt lebten nur noch ungefähr 50 Juden; für 1940 gibt es keine Informationen mehr über Juden in Forst.

Nach Ende der NS-Herrschaft 1945 befand sich die Innenstadt von Forst auf dem Gebiet der späteren DDR; die Stadt nutzte das Synagogengebäude als Bibliothek. 1972 startete sie ein Wohnungsbauprogramm, in dessen Rahmen das Gotteshaus abgerissen wurde. Erst anlässlich des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht kam es auf Initiative der evangelischen Kirche zu einem ersten öffentlichen Gedenken in Forst: Mit einer Gedenkstunde am 9. November 1988 eröffnete in der Dietrich Bonhoeffer-Kapelle die Ausstellung „Spurensuche … Juden in Christen in Forst“. Die Pfarrerschaft, der Rat der Stadt Forst und die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) weihten in Nähe des Synagogenstandortes eine Gedenktafel, die auf selbige jedoch keinen Bezug nahm.

Zehn Jahre später und unter anderen politischen Voraussetzungen initiierte ein Bündnis der Stadt Forst, der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden, des städtischen Museumsvereins und der RAA Forst eine Publikation zum jüdischen Forst. Die ein Jahr zuvor entfernte Gedenktafel ersetzte man durch einen großen Findling als Gedenkstein, der aufgrund laufender Baumaßnahmen zunächst nur in unmittelbare Nähe des abgerissenen Gotteshauses, in der Uferstraße platziert werden konnte. Reste der Synagoge kamen zum Vorschein, als 2014 Ausschachtarbeiten für ein neues Pflegeheim stattfanden.

Anke Geißler-Grünberg

 

bet
Foto: OLF1.1. FrankRuhlLibre

Quellen, Literatur und Internet

Begräbnißplätze der Juden (No. 196) vom 20. Mai 1814, in: Amtsblatt der Königlichen Kurmärkischen Regierung (24) 1814, S. 234.

Forster Lokalanzeiger vom 4./5.11.1992.

Junge Polen, Deutsche und Israeli gedenken des Kriegsausbruchs, in: Lausitzer Rundschau vom 02.09.2008.

Privatarchiv Pfarrer Ingolf Kschenka, Jänschwalde.

 

Biographisches Handbuch der Rabbiner, hrsg. von Michael Brocke und Julius Carlebach, Teil 2. Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871 – 1945, Berlin 2009, S. 78.

Rudolf Lehmann: Geschichte des Markgraftums Niederlausitz. Der Schicksalsweg einer ostdeutschen Landschaft und ihrer Menschen, Dresden 1937.

Jürgen Meissner / Dirk Wilking: Zur Geschichte der Juden in Forst, hrsg. vom Museumsverein der Stadt Forst (Lausitz) e.V., Forst 1998.

Jutta Rückert / Otto Rückert: Forst, in: Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, hrsg. von Irene Diekmann/ Julius H. Schoeps, Berlin 1995, S. 142-156.

Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden (Hrsg.): Führer durch die jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932-1933,Berlin 1932, S. 65.

 

Aktives Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e. V., URL: www.am-spiegelgasse.de [02.12.2020]

Klaus-Dieter Alicke: Aus der Geschichte jüdischer Gemeinden im deutschen Sprachraum, URL: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/627-forst-niederlausitz-brandenburg [02.12.2020]

Kultur- und Kunstwege in Forst (Lausitz), URL: www.kulturwege-forst-lausitz.de [02.12.2020]

Stadt Forst, URL: www.forst-lausitz.de [02.12.2020]

Wirtualny Sztetl: Zasieki, URL: sztetl.org.pl/de/stadte/z/740-zasieki-forst [02.12.2020]