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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Brätz (Brójce)

Gebäude der Synagoge der Brätzer Juden im Jahr 2008
Foto: Andrzej Kirmiel
Gebäude der Synagoge der Brätzer Juden im Jahr 2008

Die „Juden von fremder Grenzen“ erhielten mit ihrer Ankunft 1738 die Erlaubnis der Bürger von Brätz, zehn Häuser zu bauen. Weitere Häuser durften zunächst nicht erworben oder geliehen werden. Die Juden verpflichteten sich dazu, bis Pfingsten 1739 mit dem Hausbau zu beginnen. Andernfalls wäre die erfolgte Zahlung an den Bürgermeister sowie das für den Hausbau beschaffte Holz verfallen. Der zwischen 1737-1757 für Brätz zuständige evangelische Pfarrer Johann Christian Bartsch äußerte sich zunächst mit Bedauern über den Siedlungszuwachs. Er berichtete aber, dass das Verhältnis zwischen den christlichen und jüdischen Bewohnern einen positiven Verlauf hatte. Die jüdische Bevölkerung bot nach dem zweiten Stadtbrand 1807 sogar ihre Hilfe zum Wiederaufbau der Kirche an. Zu dieser Zeit gehörte Brätz nicht zu den wohlhabendsten Orten, was u. a. darin seinen Ausdruck fand, dass Ende des 18. Jh. lediglich drei Häuser mit Ziegeln bedeckt waren.

Im Jahr 1765 lebten in Brätz 55 Juden. Ihre Zahl stieg in den darauffolgenden Jahren zunächst stetig an. Eine Synagoge wurde vor 1800 an der Kreuzung zwischen Meseritzer- und Kirchhofstraße erbaut [heute ul. Cmentarna und ul. Poznańska]. Sie bestand aus einem Fachwerkgemäuer.

Bis zum Anfang des 19. Jh. wohnten die jüdischen Familien in „ghettoartigen“ Strukturen am Rand des Ortes. Nach den preußischen Reformen 1812 konnten sich die Juden überall ansiedeln. Im Jahr 1834 wurde eine jüdische Schule gegründet, die jedoch schwach besucht wurde. Im Jahr 1840 lebten rund 209 Juden in Brätz und bildeten ein eigenes Gemeindewesen. Dies war die größte Ausdehnung der jüdischen Gemeinde. Damals lebten insgesamt 1.837 Bürger in der Stadt.

Die hauptsächlichen wirtschaftlichen Einnahmequellen von Brätz waren die Landwirtschaft und das Handwerk. Im 18. Jh. entwickelte sich die Stoffherstellung zu einem ergiebigen Geschäft. Zudem gab es Gilden von Schuhmachern, Töpfern, Müllern, Bäckern, Schneidern und Brauern. Einige jüdische Familien handelten mit Tabak, Gewürzen, Wolle und Tuchen. 1871 waren die meisten Einwohner von Brätz aber Bauern. Die hauptsächliche Einnahmequelle der jüdischen Bevölkerung in Brätz war bis zur ersten Hälfte des 19. Jh. jedoch der Wollhandel. Bis ins 19. Jahrhundert erfolgte ein bedeutsamer Zuzug jüdischer Handelsleute aus der Umgebung, vor allem aus dem Dorf Lagowitz [heute Łagowiec].

Als bekannter Akteur zu dieser Zeit ist Dr. Lesser Knoller hervorzuheben. Er wurde 1860 in Brätz geboren. Nachdem er in Breslau von 1879 bis 1886 das Rabbinerseminar besucht hatte, wurde er im Jahr 1894 Direktor des jüdischen Lehrseminars in Hannover.

1885 zählte Brätz 1.737 Einwohnern, darunter 46 Juden mit acht schulpflichtigen Kindern. Im Jahr 1889 löste sich die jüdische Gemeinde in Brätz auf, da die meisten ihrer Angehörigen in größere Städte abwanderten. Vor allem in Berlin waren für die jüdische Bevölkerung bessere Lebensmöglichkeiten zu erwarten. Zudem war Brätz vom Eisenbahnverkehr ausgeschlossen, weiterführende Schulen gab es nicht. 1890 war die Zahl der jüdischen Bürger auf fünf gesunken; institutionell gehörten sie nun zur Jüdischen Gemeinde des benachbarten Tirschtiegel. Im Jahr 1900 zählte eine Volkszählung lediglich eine in Brätz lebende Jüdin: Rosalia Brunn, die Tochter des letzten Rabbiners (bekannt als „Sale“).

Einige Jahre erinnerte die leerstehende und baufällige Synagoge mit eingebrochenen Scheiben an die Jüdische Gemeinde zu Brätz. Eine Übernahme der Synagoge durch die Kommune fand erst viel später statt. Bis 1945 wurde das Gebäude umgangssprachlich noch als „jüdische Schule“ bezeichnet. Heute ist es ein Wohngebäude.

Bis zur NS-Zeit gibt es keine weiteren Informationen über Juden in Brätz. Dies änderte sich aber mit der Ankunft der ersten jüdischen Zwangsarbeiter, die 1940 aus dem Ghetto Litzmannstadt kamen, um auf der Autobahnbaustelle von Berlin nach Posen zu arbeiten. Dazu wurde in Brätz ein Lager errichtet. Die Arbeiten an der Baustelle endeten im Juni 1942. Anschließend funktionierte man das Lager in ein „Arbeitserziehungslager“ sowie in ein erweitertes Polizeigefängnis für Männer und Frauen aus Polen und Gefangene aus ganz Europa um. Insgesamt waren 10.000 Menschen in dem Lager inhaftiert, von denen mindestens 2.646 Häftlinge aufgrund ihrer schweren Lebens- und Arbeitsbedingungen ums Leben kamen. Kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee kam es am 20. Januar 1945 zur Evakuierung der Häftlinge nach Schwetig [heute Świecko] in das Arbeitserziehungslager „Oderblick“. Es wurde aber kurz danach aufgelöst.

Nach 1945 siedelten Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten in diese Region. Die deutsche Bevölkerung floh und wurde vertrieben. In Brójce, wie Brätz seitdem heißt, gab es keine Handwerker und Kaufleute aus der Vorkriegszeit mehr. Der Ort nahm einen ländlichen Charakter an und verlor 1946 seine kommunalen Rechte.

Isabelle Schlüter

 

Quellen, Literatur und Internet

Staatsbibliothek zu Berlin, Messtischblatt Brätz: SBB_IIIC_Kart_N 730_Blatt 1990 von 1929.

 

Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. (Hrsg.): Jahresbericht 2012, Berlin 2012.

Diefenbach, Matthias / Maćkowiak, Michał : Zwangsarbeit und Autobahn zwischen Frankfurt (Oder) und Poznań 1940–1945 / Praca przymusowa i autostrada między Frankfurtem nad Odrą a Poznaniem 1940–1945, Frankfurt (Oder) 2017.

Hämpel, Walther : Heimatbuch von Brätz 1428-1928. Zur Jubelfeier des fünfhundertjährigen Bestehens des Orts, Brätz 1928.

Heimatkreis Meseritz (Hrsg.): Stadt und Kreis Meseritz. Ein Heimatbuch, Herne 1989.

Herzberg, Isaak / Heppner, Aron: Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posner Landen. Zwei Bände, Koschmin und Bromberg 1909–1924.

Sprungala, Martin: Die Juden in Polen. Jüdisches Leben in Brätz, in: Heimatgruss. Zeitschrift für Mitglieder und Freunde des Heimatkreises Meseritz e.V. und der Heimatkreisgemeinschaft Birnbaum (Nr. 189) 2009, S. 28.

Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden (Hrsg.): Führer durch die Jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932-1933, Berlin 1932.

 

Alicke, Klaus-Dieter: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Brätz (Westpreußen), URL: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/a-b/2229-braetz-westpreussen [18.11.2020]

Kirmiel, Andrzej: Brójce, in: Wirtualny Sztetl, URL: sztetl.org.pl/en/towns/b/387-brojce [18.11.2020]

Schoeps, Julius H.: Das Emanzipationsedikt von 1812 verbesserte die Stellung der Juden in Preußen, in: Jüdische Allgemeine, URL: www.juedische-allgemeine.de/kultur/der-lange-weg-zum-staatsbuerger [18.11.2020]

Sprungala, Martin: Trauergedenken an das Massaker im Januar 1945 in Brätz, in: Heimatkreis Meseritz e.V. Heimatkreisgemeinschaft Birnbaum, URL: www.heimatkreis-meseritz.de/3_94.htm [18.11.2020]