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Isaac Abraham Euchel - Tagung (17. Oktober 2006)

Internationale Tagung anläßlich des 250. Geburtstages am 17.10.2006 - Vom Nutzen der Aufklärung oder: Woß tut me damit, Isaak Euchel (1756-1804), die jüdische und die deutsche Aufklärung

Ziel der internationalen Tagung ist die interdisziplinäre Erforschung, Analyse und Dokumentation von Lebensgeschichte und Wirken einer Schlüsselfigur der jüdischen Aufklärung im Kontext ihrer Zeit: Isaak Euchel (1756-1804), der zugleich Ideologe, Organisator, Schriftsteller, Journalist und Verleger der Haskala war. Beteiligt sind Historiker, Literaturwissenschaftler, Hebraisten, Jiddisten und Philosophiehistoriker aus Deutschland, Österreich, Israel und den USA.

Die internationale Tagung in Potsdam widmet sich dem zu Unrecht vergessenen jüdischen Aufklärer Isaak Abraham Euchel (1756-1804). Euchel war keiner der öffentlichen Repräsentanten und ‚Stars’ der jüdischen Aufklärungsbewegung, welche wie Mendelssohn und David Friedländer gegenüber der nichtjüdischen Öffentlichkeit und Politik in Erscheinung traten. Vielmehr wirkte er in Königsberg und Berlin als einer der wichtigsten, wenngleich öffentlich unscheinbaren Initiatoren und Organisatoren der Haskala im Hintergrund, ein literarisch ambitionierter, akademisch gebildeter Intellektueller, Schriftsteller und Verleger, unter anderem der literarisch wohl vielseitigste Erneuerer der hebräischen Sprache im 18. Jahrhundert mit vielfältigen Kontakten in die jüdische wie die nichtjüdische Gesellschaft Preußens. Die Tagung gilt exemplarisch einem der ‚Macher‘ in der Haskala, der jüdischen Aufklärung, ohne welche diese nie eine solche Wirkungsmacht in der jüdischen Geschichte entfaltet hätte. Beteiligt an der Tagung sind wegen der Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit von Euchels Werk Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Ländern, die fast alle schon zu Euchel publiziert haben.

Euchels Bedeutung

In dem Bestreben, gegen die rabbinische Tradition des Hebräischen als heiliger Sprache und religiöser Kultussprache der Synagoge die hebräische Sprache im Aufklärungszeitalter zu einer modernen, profanen Literatur-, Kultur- und auch Wissenschaftssprache des jüdischen Volkes zu machen, schuf Isaak Euchel gleich mehrere Genres der modernen hebräischen Literatur, die zuvor nie existiert hatten. So schrieb er den ersten jemals in Hebräisch verfaßten Briefroman, eine berühmte und ob ihrer Detailfülle bis heute in der Forschung verwendete Biographie Moses Mendelssohns, welche die erste moderne hebräische Biographie in Buchlänge ist, ferner begründete er das Genre der Reisebriefe, der Fabel und der Satire in Hebräisch. Euchel trat aber auch als Autor von gelehrten Aufklärungs- und Erziehungsschriften, von Polemiken gegen die rabbinische Tradition und einer jiddischen Komödie hervor.

Darüber hinaus war Euchel sozusagen der ‚Erfinder‘ des hebräischen Feuilletons, denn er gründete und gab ab 1783 mehrere Jahre lang die erste einigermaßen kontinuierlich erscheinende hebräische Zeitschrift überhaupt mit dem Titel HaMe’assef („Der Sammler“) heraus – eine Aufklärungszeitschrift, die nach Inhalt, Gestaltung und Bedeutung nur mit der zeitgleich erscheinenden Berlinischen Monatsschrift verglichen werden kann. Als das moderne Aufklärungsmedium Zeitschrift wurde HaMe’assef das wichtigste Publizitäts- und Propagandaorgan der innerjüdischen Aufklärung („Haskala“) in Europa, denn diese Zeitschrift erreichte auch die der modernen europäischen Sprachen noch nicht kundigen Juden vor allem Osteuropas und sollte sie an den Stand der europäischen Aufklärung heranführen. Euchel als ‚Chefredakteur‘ der Zeitschrift steuerte nicht nur selbst zentrale Artikel zu Anliegen und Zielen der jüdischen Aufklärung bei, er versammelte dort auch die meisten Protagonisten und Propagandisten einer Aufklärung der Juden von Amsterdam und Metz bis zur Ukraine, von Kopenhagen bis Livorno und Triest. Diese Stellung als Herausgeber der allerersten hebräischen Monatsschrift in der Mitte eines europaweiten Netzwerkes von Maskilim, jüdischen Aufklärern, aber auch Euchels zeitweise Tätigkeit als Verlagsleiter der Orientalischen Buchdruckerey, also der eigens gegründeten Berliner Hausdruckerei der Haskala, machten ihn auch zu einem der wichtigsten Initiatoren, Stichwortgeber und Strippenzieher der innerjüdischen Debatten und damit zu einer Zentralfigur der Haskala: Während Mendelssohn, David Friedländer, Lazarus Bendavid oder Marcus Herz die Haskala in deutschsprachigen Texten publizistisch nach außen gegenüber den Nichtjuden repräsentierten, wirkten innerjüdisch hebräische Autoren wie Euchel oder seine Freunde Joel Bril und Aron Halle-Wolfssohn.

Daß Euchel in Vergessenheit geriet, hat mit dem Scheitern seines Anliegens direkt zu tun: Da viele wohlhabende und gebildete Juden der Spätaufklärung sich so schnell akkulturierten, daß schon um 1800 viele der jungen Männer kaum noch des Hebräischen mächtig waren, Frauen es schon traditionell meist gar nicht lernten und auf diese Weise das Deutsche innerhalb weniger Jahrzehnte die Bildungs- und Alltagssprache der jüdischen Eliten und ihrer Familien geworden war, gab es in Preußen um 1800 kaum noch Leser für hebräische Schriften. Euchel mußte schon zu seinen Lebzeiten resigniert konstatieren, daß sein Versuch, das Hebräische zu einer modernen jüdischen Nationalsprache zu machen, gescheitert war. Seine jiddische Komödie Reb Henoch, oder: Woß tut me damit spiegelt am Beispiel einer jüdischen Familie die soziale, linguistische und weltanschauliche Zerrissenheit der jüdischen Gesellschaft an der Schwelle der Moderne wider und erweist Euchel auch im Jiddischen als großen Sprachspieler und Satiriker.

Für die deutsch-jüdische Historiographie mit ihrem Idealbild des deutschsprachigen jüdischen Bildungsbürgers war der hebräische Aufklärer Isaak Euchel schlicht ein Irrläufer, die deutschsprachige Aufklärungsforschung hat den großen Autor Euchel aus sprachlichen Gründen nie wahrgenommen. Die internationale und interdisziplinäre Tagung in Potsdam soll Euchels vielseitiges Wirken als eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der Haskala in Erinnerung bringen und einen neuen Forschungsstand herstellen.

Forschungsstand

Erst im modernen Israel, wo das Hebräische Nationalsprache geworden ist, wurde der Aufklärer Euchel als Vorläufer und Modernisierer des Hebräischen nach über 150 Jahren des Vergessens von zeitgenössischen israelischen Forschern wiederentdeckt. Moshe Pelli betonte in einem wegweisenden Kapitel seines Buchs The Age of Haskalah (1978) die Hauptrolle Euchels und seiner Schriften in der „Hebrew Haskalah“, aber ging damals kaum auf die tatsächlichen historischen Aktivitäten und Verbindungen des Kant-Schülers Euchel innerhalb der deutschen Spätaufklärung ein. Dabei ist es nachgerade ein Charakteristikum der jüdischen Aufklärung und ihrer Protagonisten wie Euchel in Preußen, daß sie an beiden Aufklärungsdiskursen, dem der deutschen Spätaufklärung und dem der Haskala zugleich aktiv beteiligt sind. Neuere Arbeiten Pellis zu den literarischen Genres der hebräischen Haskala streichen wiederholt die überragende Bedeutung Euchels als Autor heraus. Dagegen hat der Historiker Shmuel Feiner 1987 in einem langen bio-bibliographischen Aufsatz alles bis dahin Bekannte über Euchel gesammelt. Aber dieser Aufsatz wurde Hebräisch publiziert und darum in der deutschen Forschung nicht zur Kenntnis genommen; überdies zeigt er gerade die riesigen Lücken in unserem Wissen über Euchel auf. Nichtsdestotrotz betont der Historiker Feiner die Zentralstellung Euchels als Initiator der Haskala als Aufklärungsbewegung.

Die deutschsprachige Aufklärungsforschung hat bis vor wenigen Jahren nicht nur die Haskala stiefmütterlich behandelt, sie hat schon mangels Sprachkenntnissen hebräische Autoren wie Euchel vollkommen ignoriert, obwohl Euchel vor allem in Königsberg und Berlin lebte, schrieb und publizierte und in seinem Wirken als Redakteur und Verleger für die Haskala durchaus Biester oder Nicolai, als Philologe und Denker Herder vergleichbar ist. Als Poet und Sprachkünstler ist Euchel sui generis. Das bestätigt noch einmal die erst 2004 erschienene, von Aptroot/Gruschka herausgegebene Textedition und Übersetzung seiner jiddischen Komödie Reb Henoch, oder: Woß tut me damit, die ebenso kunstvoll wie komisch die disparaten Diskurse und Dialekte, Sprachformen und Sprachebenen der Juden zur Zeit der Haskala zu einem polyphonen Sprachspiel mixt, das die intellektuelle Zerrissenheit, aber auch Vielsprachigkeit und Vielstimmigkeit der Haskala und natürlich des Autors Euchel widerspiegelt.

Daß die nicht des Hebräischen kundige Aufklärungsforschung in Deutschland Isaak Euchel überhaupt zur Kenntnis nehmen kann, ist einer von Andreas Kennecke übersetzten, kommentierten und herausgegebenen Textsammlung von zentralen Schriften Euchels zu verdanken (Vom Nutzen der Aufklärung, Düsseldorf 2001, 233 S.), die übrigens auch für den israelischen Leser die oft schwer auffindbaren, mehr als 200 Jahre alten Texte Euchels erstmals in einer modernen Druckfassung zweisprachig hebräisch-deutsch zugänglich macht. 2005 wurde von Kennecke an der Universität Potsdam eine Dissertation abgeschlossen, die auch das biographische Wissen um Euchel erheblich erweitert. Sie analysiert und kontextualisiert die Texte Euchels sowohl im Rahmen seiner Biographie als auch im Rahmen der Geschichte der jüdischen Aufklärung und der deutschen Spätaufklärung.

Aufgaben für die Tagung

Aufgabe der hier projektierten internationalen Tagung muß es nach gegenwärtigem Forschungsstand sein, Euchel der reinen Haskala-Forschung zu entreißen und ihn in die Konstellationen, in die Geistesgeschichte, ja sogar die Bildungs- und Universitätsgeschichte der preußischen Aufklärung und ihrer Protagonisten einzutragen, so daß fortan jede wissenschaftliche Beschäftigung mit der jüdischen, aber auch mit der deutschen Aufklärung von der Linguistik und Jiddistik über die Geschichte der Pädagogik bis zur Kant-Forschung und zur Königsberger Stadtgeschichte für lange Zeit nicht umhin kommen wird, Euchel als zentrale Figur zur Kenntnis zu nehmen.

Der erste Tag der geplanten Tagung soll der Erhellung von Euchels Biographie gelten. Euchel wurde am 17. Oktober 1756 in Kopenhagen geboren. Aus seiner Kindheit und Jugend existieren, da sich kein Nachlaß Euchels erhalten hat, keine persönlichen Zeugnisse. Dennoch kann man die Situation der jüdischen Gemeinde und die der Familie Euchel in Kopenhagen aus anderen Quellen plastisch schildern. So hatten sich schon Euchels Eltern der nichtjüdischen Umwelt, Bildung und Kunst geöffnet; sein Vater und Großvater besaßen eine Bibliothek, die sicherlich auch profane Werke nichtjüdischer Autoren enthielt und dem Knaben offenstand. Dennoch wurde Euchel in seiner Kindheit nach eigenem Zeugnis „in nichts als in dem Thalmud“ unterrichtet. Nach dem Tod seines Vaters 1767 schickte ihn seine Mutter zur Fortsetzung des Lernens zu seinem frommen Onkel Moses Rintel nach Berlin. In einem offenen Brief späterer Jahre an Joel Bril, den Kennecke als Selbstzeugnis ausgegraben, übersetzt und publiziert hat (Mendelssohn-Studien 14, 2005), schildert Euchel, wie sehr ihn das traditionelle Lernen in der Jeschiva abstieß, zugleich jedoch der Umgang mit den aufgeklärten Juden Berlins verwirrte. Schon mit 17 Jahren verließ er darum die Stadt und wurde Hauslehrer im Westfälischen, ab 1775/76 in Hannover, wo er in Kontakt mit dem uralten und hochberühmten jüdischen Leibniz-Schüler Raphael Levi kam, durch dessen Vermittlung Euchel Kenntnisse in den Naturwissenschaften und der Mathematik erwarb, die sein Selbststudium von Fremdsprachen und Pädagogik erweiterten. 1778 wechselte er dann nach Königsberg und wurde Hauslehrer bei Meyer Friedländer, dem älteren Bruder des berühmten Berliner Maskil David Friedländer. Das Hauslehrerdasein in der gebildeten Familie Friedländer versetzte Euchel mitten in die Kreise der wohlhabenden Förderer und Protagonisten der preußischen Haskala. Zugleich wurden schon in Königsberg die Ambivalenzen und Abhängigkeiten einer intellektuell unabhängigen, aber ökonomisch abhängigen Existenz des Maskil Euchel deutlich: Er darf die Söhne und sogar die Töchter (!) der Familie aus den Quellen der zeitgenössischen Aufklärung und Bildung erziehen, kann auch auf mindestens gleichem intellektuellen Niveau mit dem Vater und Onkel Haskala-Projekte diskutieren und betreiben, aber er bleibt dennoch Domestik und deshalb über viele Jahre in Königsberg und später in Berlin für seinen Lebensunterhalt und für seine Schriften auf die Finanzierung der Friedländers angewiesen.

Die Schilderungen des Hauslehrerdaseins bei den Friedländers sollen ergänzt werden um eine Charakterisierung der lokalen Verhältnisse in Königsberg und seiner jüdischen Gemeinde, die zahlreichen Freundschaften Euchels mit jüdischen und nichtjüdischen Akademikern und Aufklärern, sein Studium bei Kant, die Gründung der „Gesellschaft der hebräischen Literaturfreunde“ als jüdischer Aufklärungsgesellschaft und der Zeitschrift HaMe’assef in den frühen 80er Jahren. Auch Euchels Reise nach Kopenhagen 1784 und sein gescheiterter Versuch, in Kiel eine moderne jüdische Schule mit profanen Unterrichtsstoffen und moderner Pädagogik zu gründen, sollen thematisiert werden. Eine Zäsur bedeutet 1782 Euchels Immatrikulation an der Königsberger Albertina, wo er Philosophie bei Kant und orientalische Sprachen bei Köhler studierte. Er brillierte in den orientalischen Sprachen und publizierte in jenen Jahren eine große Anzahl von wissenschaftlichen hebräischen Texten, so daß Köhler ihn als Magister legens und de facto seinen Nachfolger an der Königsberger Universität vorschlug. Auch Kant hat Euchels Bewerbung für diese Dozentur gefördert. Umgekehrt finden wir bei Euchel, 1783 die erste hebräische Paraphrase einer Passage der Kritik der reinen Vernunft und ihres Vokabulars nur zwei Jahre nach deren Erscheinen — vermutlich die erstmalige Rezeption des kritischen Kant in der jüdischen Aufklärung überhaupt. Euchel wird in seinem Umgang mit religiöser Tradition ihren Lehren und ihren Vertretern durch Kant nachhaltig kritisch geprägt, weit stärker als durch Mendelssohn: Er bricht nämlich mit Mendelssohns metaphysischen Lehren und auch mit dessen exemplarischer religiöser Observanz, die er gleichwohl in seiner berühmten hebräischen Mendelssohn-Biographie sehr genau und ohne Kritik schildert.

Nach dem enttäuschenden Scheitern seiner Bewerbung verließ Euchel 1787 Königsberg, ließ sich in Berlin nieder und übernahm dort von Isaak Satanow die Leitung der Orientalischen Buchdruckerey. Damit stand er im politischen und publizistischen Mittelpunkt aller Bestrebungen der Haskala als jüdischer Aufklärungsbewegung, die nach dem Tode Mendelssohns eine Radikalisierung erfuhr. Euchel war mittellos, seine akademische Karriere gescheitert, aber unter den Maskilim ist er anerkannt. Faktisch ist er an allen Aktivitäten der Berliner Haskala beteiligt. Seine Biographie (1788) steht am Anfang des Mendelssohn-Mythos, über HaMe’assef ist er mit allen nennenswerten Maskilim Europas in Kontakt, als Verlagsleiter betreut der den Druck der wichtigsten hebräischen Schriften der Haskala, 1791 ist er einer der Mitbegründer der Gesellschaft der Freunde, einem Debattierklub, der zugleich als Armuts- und Krankenversicherung sowie Beerdigungsgesellschaft jener Maskilim fungiert, die mit der offiziellen, orthodoxen jüdischen Gemeinde gebrochen hatten und die deren Dienste und Institutionen nicht mehr in Anspruch nehmen konnten oder wollten.

Ab 1791 wurde Euchel Buchhalter der Firma Meyer Warburg, gewann dadurch ökonomische Unabhängigkeit und zog sich aus der Herausgebertätigkeit und dem Verlag zurück. In den 90er Jahren wandte er sich nach den großartigen, aber von den Berliner Zeitgenossen nicht wirklich gewürdigten literarischen Anstrengungen der 80er Jahre vom Projekt einer hebräischen Aufklärung resigniert ab. In der jiddisch-hochdeutschen Komödie Reb Henoch mokiert er sich über den, kantisch gesagt, Aufkläricht vieler vermeintlich aufgeklärter jüdischer Zeitgenossen, aber auch über die Bigotterie der Hauptfigur Reb Henoch. Ansonsten privatisiert er, ist gern gesehener Gast in jüdischen und christlichen Salons und widmet sich erfolgreich seinem Brotberuf. Zu seiner Freundschaft mit dem Verleger Johann Daniel Sander und diesen Salon-Aktivitäten auch mit vielen Christen hat Kennecke neues Archivmaterial gefunden, das uns heute zwingt, Pellis und Feiners Bild des aufopferungsvollen Muster-Maskil Euchel zu korrigieren: Euchel hatte eine Anzahl christlicher Freunde und Sozialkontakte weit über seine Geschäftsbeziehungen hinaus. Wäre er nicht so früh und unerwartet 1804 gestorben, das ist unschwer zu prophezeien, wäre er nach Jahren der Resignation ohne Publikum mit Sicherheit als gelehrter und studierter Kenner der rabbinischen Literatur bei der Begründung der Wissenschaft des Judentums nach 1819 wieder aktiv geworden.

Der zweite Tag der Tagung wird Schriften und literarischer Bedeutung Euchels gelten, die im Kontext der deutschen und der Haskala-Literatur analysiert werden sollen: literarische Vorbilder und Muster in der deutschen und europäischen Literatur, seine revolutionäre Übersetzung des Siddur mit historisch-kritischem Kommentar, die Mendelssohn-Biographie und die jiddische Komödie Reb Henoch, oder: Woß tut me damit. Hier gilt es für die Spezialisten aus verschiedenen Bereichen, ein Lebenswerk eines hebräischen, deutschen und jiddischen Autors, dessen Schriften sich in deutschen Bibliotheken seit den Zerstörungen der Nazi-Zeit großteils gar nicht mehr finden, zu rekonstruieren. Zugleich soll deutlich gemacht werden, daß Euchel nicht nur literarisch ein Neuerer war, sondern auch als Redakteur einer hebräischen Zeitschrift das damals avancierteste Aufklärungsmedium schlechthin für die ideologische, mediale und geographische Verbreitung der Haskala virtuos nutzte. Gerade im Vergleich mit den literarischen Formen und Vertretern der berliner und der deutschsprachigen Aufklärung soll die Besonderheit der Haskala analysiert und Euchels Wirkungsgeschichte diskutiert werden.

Bibliographie (in Auswahl)

Werkausgaben:

  • Isaak Euchel, Vom Nutzen der Aufklärung. Schriften zur Haskala, übers. u. hg. v. Andreas Kennecke, Düsseldorf 2001 (mit Bibliographie).Isaak Euchel, Vom Nutzen der Aufklärung. Schriften zur Haskala, übers. u. hg. v. Andreas Kennecke, Düsseldorf 2001 (mit Bibliographie).
  • Isaak Euchel, Reb Henoch, oder: Woß tut me damit, eine jüdische Komödie der Aufklärungszeit, Textedition von Marion Aptroot und Roland Gruschka, Hamburg 2004
  • Itzik (Isaak) Euchel, Toldot Rabbenu HeChacham Mosche Ben Menachem (“Die Geschichte unseres weisen Lehrers Moses, Sohn des Menachem”), Berlin, in der orientalischen Buchdruckerei 1788; deutsch übers. v. Reuven Michael, in: Moses Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe, Bd. 23, S. 102-263

Literatur

  • Shmuel Feiner, Isaak Euchel - ‘Entrepreneur’ of the Haskalah Movement in Germany (hebr.), in: Zion 52 (1987) Heft 2, S. 427-469Shmuel Feiner, Isaak Euchel - ‘Entrepreneur’ of the Haskalah Movement in Germany (hebr.), in: Zion 52 (1987) Heft 2, S. 427-469
  • Shmuel Feiner, Mahapechat HaNeorut (“Die Revolution der Aufklärung. Die jüdische Aufklärungsbewegung im 18. Jahrhundert”), Jerusalem 2002.
  • Andreas Kennecke, HaMe’assef. Die erste moderne Zeitschrift der Juden in Deutschland, in: Das Achtzehnte Jahrhundert, 23 (1999) Heft 2, S. 176-199.
  • Andreas Kennecke, Isaac Abraham Euchel. Erneuerer der modernen hebräischen Sprache. Eine Rekonstruktion seines Lebens und Werkes, Diss. phil. Potsdam 2005.
  • Uta Lohmann u. Ingrid Lohmann, „Lerne Vernunft!“ Jüdische Erziehungsprogramme zwischen Tradition und Modernisierung, Münster 2005.
  • Moshe Pelli, The Age of Haskalah. Studies in Hebrew Literature of the Enlightenment in Germany, Leiden 1979.
  • Moshe Pelli, Sugot WeSugiot BeSifrut HaHaskala HaIvrit (“Gattungen und Genres in der Literatur der hebräischen Haskala”), Tel Aviv 1999.
  • Moshe Pelli, Scha’ar LaHaskala. Mafteach Muar LeHaMe’assef (“Tor zur Haskala. Ein annotierter Index zu HaMe’assef”), Jerusalem 2000.
  • Christoph Schulte, Die jüdische Aufklärung. Philosophie, Religion, Geschichte, München 2002.

Liste der Referenten und Vortragsthemen (alphabetische Reihenfolge)

Prof. Dr. Marion Aptroot, Universität DüsseldorfEuchels “Kollegen”: zur jiddischen Komödie um 1800Prof. Dr. Steffen Dietzsch Humboldt Universität BerlinEuchel und die Königsberger GelehrtenrepublikProf. Dr. Shmuel Feiner, Universität Bar Ilan, IsraelIsaak Euchel in der sozialen und intellektuellen Typologie der MaskilimDr. Natalie Goldberg, Universität Bar Ilan, IsraelThe (questionable) appraisal of woman in Euchel's HaskalahDr. Roland Gruschka, Universität DüsseldorfDas “progressive Erbe” der Haskala im Dienste des “jiddischen Proletariats”: Dowid Hofschtejns sowjetisch-jiddische Übersetzung von Isaak Euchels Komödie Reb HenochDr. Louise Hecht, Universität Wien, ÖsterreichPeter Beer und das jüdische Schulwesen in der Habsburger MonarchieDr. Andreas Kennecke, Universität PotsdamEuchel in BerlinProf. Dr. Ingrid Lohmann, Universität HamburgEuchels BildungskonzeptionDr. Uta Lohmann, Universität HamburgEuchel, Friedländer und die Gebetbuchübersetzungen von 1786Prof. Dr. Günther Lottes, Forschungszentrum Europäische Aufklärung, PotsdamProf. Dr. Gunnar Och, Universität ErlangenEuchels Vorbilder in der deutschen Literatur seiner ZeitDr. Sebastian Panwitz, Moses Mendelssohn Zentrum, PotsdamDie Rolle Euchels in der Gesellschaft der FreundeProf. Dr. Moshe Pelli, University of Central Florida, Orlando, USAEuchel's Reception Throughout the 19th Century HaskalahDr. Rotraud Ries, HerfordEuchel in HannoverDr. Andrea Schatz, Princeton University, USAEuchels Orient: Übersetzung und TranskulturationProf. Dr. Christoph Schulte, Universität PotsdamEuchel und Mendelssohn, anhand einer hebräischen BiographieDr. Jutta Strauss, Jüdisches Museum, BerlinIsaak Euchel, Aron Halle-Wolfssohn und literarische MehrsprachigkeitThorsten Wagner MA, Technische Universität BerlinDer Kopenhagener Kontext der Familie Euchel