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Das Portrait der Henriette Herz (1778)

von Johannes Czakai

Dorothea Herz mit Blumenkranz und Weinkelch
Foto: © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz
Anna D. Therbusch: Portrait der Henriette Herz [Ausschnitt], Berlin 1778

Die Portraitierte: Henriette (Julie) Herz

(geb. de Lemos, Berlin 5.9.1764 – 22.10.1847 Berlin)

Foto: © Bildarchiv PK (bpk)
Anna D. Therbusch, Berlin 1778, Öl auf Leinwand, 75 x 59 cm, Staatliche Museen zu Berlin – SPK, Nationalgalerie (Inventarnummer NG 577)

Henriette war die älteste Tochter von Benjamin de Lemos, einem aus Hamburg stammenden jüdisch-sephardischen Arzt mit portugiesischen Wurzeln, der 1744 erster Leiter des Jüdischen Krankenhauses in Berlin geworden war. Der Tradition entsprechend wurde sie im Alter von 12 Jahren mit dem sehr viel älteren, erfolgreichen Arzt Marcus Herz verlobt, den sie zwei Jahre später (1779) heiratete. Herz war ein Schüler Kants und Freund Mendelssohns und las — zu dieser Zeit gab es in Berlin noch keine Universität — private Medizin- und Philosophie-Vorlesungen bei sich zu Hause, zu denen eine Vielzahl von Personen des Berliner Geisteslebens kam. Auch Henriette war dort anwesend und mit der Zeit sammelte sich um sie herum ein Kreis von jüngeren Besuchern, deren Vorliebe besonders die zeitgenössische deutsche Literatur war. Aus diesem Kreis heraus begann sie, eigene Abende zu gestalten. Diese Treffen fanden wöchentlich statt und werden als einer der ersten „Berliner Salons“ angesehen. Die Mitglieder des im Salon von Henriette Herz begründeten Tugendbundes folgten ungeschriebenen Statuten, nämlich u.a. der Verpflichtung zu „gegenseitiger moralischer Bildung“, zu „Beglückung durch (platonische) Liebe“ und zu Briefpartnerschaft. Der Tugendbund pflegte auch die Goetheverehrung, der hier seine frühesten Verehrer und den Grundstock des Kultes um ihn fand. Im Verlauf zweier Jahrzehnte zählten zu Herz’ Gästen und Freunden neben etlichen Diplomaten und Beamten die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt, die Brüder Schlegel, Friedrich Schleiermacher, Johann Gottfried Schadow sowie der junge Ludwig Börne. 

Foto: © Bildarchiv PK (bpk)
Anna D. Therbusch, Berlin 1778, Öl auf Leinwand, 75 x 59 cm, Staatliche Museen zu Berlin – SPK, Nationalgalerie (Inventarnummer NG 577)
Foto: JMB
M. Herz, 1795

Henriette Herz' Ehemann Marcus Herz starb bereits 1803 und ihr Leben wurde danach schwieriger; sie musste die Salons stark einschränken und verdiente ihren Lebensunterhalt später als Sprachlehrerin. Nach dem Tod ihrer Mutter ließ sie sich 1817 in Zossen protestantisch taufen und reiste nach Italien. Ihren Freunden aus den unbeschwerteren Tagen des Salons blieb sie aber bis ins hohe Alter verbunden. So gelang es Alexander von Humboldt 1845 noch, von König Friedrich Wilhelm IV. eine jährliche Pension für sie zu erwirken.

Literatur: Hannah Lotte LUND [u.a.]: Die Kommunikations-, Wissens- und Handlungsräume der Henriette Herz (1764–1847), Göttingen : V&R Unipress, 2017; Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen, hg. v. Rainer SCHMITZ, Leipzig 1984; Martin L. DAVIES: Identity or History? Marcus Herz and The End of the Enlightenment, Detroit 1995; Jüdische Lebenswelten, hg. v. Andreas NACHAMA und Gereon SIEVERNICH, Ausst. Berliner Festspiele GmbH, Berlin 1991, Nr. 20:2/36, S. 483; Petra WILHELMY-DOLLINGER: Die Berliner Salons, Berlin 2000.

Foto: JMB
M. Herz, 1795

Henriette Herz

Erfahren Sie mehr über die Saloniere Henriette Herz.


Die Malerin: Anna Dorothea Therbusch

(geb. Lisiewski, Berlin 23.7.1721 – 9.11.1782 Berlin)

Therbuschs Vater war der aus Polen stammende Berliner Porträtmaler Georg Lisiewski. Zusammen mit ihren Geschwistern wurde sie bei ihm auch ausgebildet und von dem damals wirkenden Berliner Hofmaler Antoine Pesne sowie von den Werken Antoine Watteaus im Stil des Rokoko beeinflusst. Nach einer längeren Schaffenspause führten sie Aufträge nach Süddeutschland und 1765 für eine längere Zeit nach Paris, wo sie 1767 Mitglied der Académie Royale wurde. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten kehrte sie 1769 allerdings wieder nach Berlin zurück. Seitdem signierte sie ihre Bilder mit „Peintre du Roi“, ohne dass geklärt ist, ob sie wirklich zur Hofmalerin in Versailles ernannt worden war. Nach dem Tod ihres Mannes führte sie zusammen mit ihrem Bruder Christian Friedrich Reinhold Lisiewski 1773-79 ein gemeinsames Atelier, in welchem auch gemeinsame Arbeiten ausgeführt wurden. In dieser Zeit schuf sie eine Vielzahl von Porträts von Mitgliedern der Berliner Gesellschaft, war aber auch an der Ausgestaltung des Neuen Palais in Potsdam beteiligt. 

Foto: SMBPK
A.D. Therbusch: Selbstbildnis, um 1777

Das hier abgebildete Selbstbildnis von Anna Dorothea Therbusch entstand um 1777 und wird in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin verwahrt.

LiteraturEkhart BERCKENHAGEN: Anna Dorothea Therbusch, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunst-wissenschaft, Band XLI, Heft 1/4, Berlin 1987, S. 124; Eva-Lena KARLSSON: Vom preußischen Rheinsberg ins schwedische Tullgarn – Ein Porträt Hans Joachim von Zietens wiederentdeckt, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Band XXXII, Berlin 1996, S. 441-454; Ulrich THIEME, Felix BECKER: Allgemeines Lexikon der Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. XXIII, Leipzig 1929, S. 282-283.

Foto: SMBPK
A.D. Therbusch: Selbstbildnis, um 1777

Bildbeschreibung- und Interpretation

Das Porträt der Henriette Herz ist ein Kniestück und zeigt eine sitzende weibliche Halbfigur vor dunkel bewölktem Hintergrund, nach links gewandt, an ein Wolkengebilde geschmiegt, den Kopf im Dreiviertelprofil, einen Blumenkranz auf dem dunklen lockigen Haar, das nach rechts den Rücken hinunterweht, Perlenohrringe. Die linke Schulter ist dem Betrachter zuge-wandt und bis zur Brust von dem weiß-transparenten Kleid entblößt, der linke entblößte Arm im Bildvordergrund ruht auf dem in ein goldgelbes Gewand gehüllten Schoß halbdiagonal zur Bildunterkante und greift eine Blumengirlande in der rechten unteren Bildhälfte, die sich am linken Bildrand bis zur Bildmitte um das Wolkenpodest windet. Auf diesem ruht die rechte Hand, einen goldenen Kelch haltend, vor einer reich verzierten goldenen Kanne. Über der rechten Schulter und dem linken Oberschenkel weht das blau schimmernde Obergewand. Die Dargestellte blickt den Betrachter mit großen dunklen Augen direkt an und lächelt leicht entrückt, das Inkarnat des Gesichtes ist in den für Therbusch typischen, rosigen Tönen gehalten und leuchtet mehr als der Rest des sichtbaren Körpers. Der stürmische Wolkenhintergrund lässt auf einen gemäßigt kräftigen Wind schließen, wohingegen das offene Gesicht, Blumenkranz und Haltung der Hände Anmut und Ruhe ausstrahlen. Die freizügige Entblößung der linken Brust-Schulter-Partie sowie des linken Armes, das Inkarnat, der angedeutete Wind und die frischen Farben der Blumengirlanden bekräftigen die Jugend und Schönheit der Dargestellten. Der Trinkpokal, vermutlich mit Nektar gefüllt, deutet Sinnlichkeit an, welche ergänzt durch den unschuldigen Blick und die nackte Haut der Dargestellten bis hin zur Verführung gesteigert wird.

Die Dargestellte ist zum Zeitpunkt des Entstehens erst 14 Jahre alt und bereits in ihrer Brautzeit. Es handelt sich also vermutlich um das Brautbild der Familie de Lemos für Henriettes Verlobten Marcus Herz. Ihr Äußeres sowie die mythologischen Attribute – Nektarbecher, Blumenkranz – deuten darauf hin, dass sie als Hebe (griech.: Jugendblüte) dargestellt ist, die griechischen Göttin der ewigen Jugend. Hebe war die Tochter von Zeus und Hera und reichte den anderen Göttern im Olymp Nektar und Ambrosia, ehe sie von Ganymed als Mundschenk abgelöst und Gemahlin des Herakles wurde. Diese Darstellungsart geht auf Therbuschs französische Einflüsse zurück und schwelgt noch ganz im Rokoko-Geist des sich neigenden 18. Jahrhunderts, des „allem Weiblichen huldigenden Jahrhunderts“ (Wirth, 17). Denn eigentlich war das Hebe-Motiv um 1770 bereits aus der Mode gekommen.

Foto: SPSG
A.D. Therbusch: Porträt Wilhelmine Encke, 1776, Potsdam, Neues Palais

Sinnlichkeit, Heiterkeit und Idealisierung bestimmen Henriettes Ausdruck. Bemerkenswert ist, dass nichts darauf hinweist, dass hier eine Jüdin dargestellt ist. Vielmehr steht das Motiv allem entgegen, was eine Tochter aus jüdisch-traditioneller Familie kenntlich macht: Henriette ist sehr leicht bekleidet und als heidnische Göttin Hebe eingebettet in einen fremden Götterhimmel. Für orthodoxe Betrachter muss die erotische Darstellung ebenso wie das heidni-sche Sujet sittlich und religiös anstößig gewesen sein. Dies zeigt unmißverständlich, dass weder Auftraggeber noch Empfänger des Porträts traditionelle Juden gewesen sein können. Doch das Programm des Porträts ist vielschichtiger und bei aller Verführungssuggestion noch sehr viel sittsamer, als das zwei Jahre zuvor entstandene Porträt Therbuschs der Wilhelmine Encke, auf welchem die Geliebte des preußischen Kronprinzen in überaus eindeutiger Erotik dargestellt ist. Es ist eher die Huldigung an Henriettes Schönheit und Jugend, die zu dieser Zeit bereits legendär gewesen sein muss. Denn für die Berliner Bevölkerung ihrer Tage muss die großgewachsene Sephardin wie eine exotische Sensation gewirkt haben, die den bei ihren Zeitgenossen verbreiteten Topos der schönen Jüdin erfüllt und vermutlich mit beeinflusst hat. In Hinblick auf die bevorstehende Hochzeit und das damit verbundene Ablösen lasziven Zurschaustellens durch häusliche Sittsamkeit lässt sich das Bild somit als „Geschenk an die Öffentlichkeit“, als „Abschied an ihr Publikum“ (Weissberg, 74) interpretieren. Die Wahl der Hebe als Motiv bietet dabei den Vorteil, dass diese Göttin selbst kein Inbegriff von Sünde ist, wie etwa Aphrodite, sondern ihre Verführungskraft indirekt von ihrer jugendlichen Unschuld ausgeht. Hebe ist vielmehr in ihrer Rolle als göttliche Dienerin zu betrachten. So bietet sie ihre Dienste an und reicht ihren Kelch dem Betrachter. Da es sich bei diesem in erster Linie um ihren Bräutigam handeln dürfte, ließe sich der Inhalt ihres Kelches von Nektar in Wein umdenken, den die jüdische Braut bei ihrer Hochzeit darreicht. Einzig auf den Adler als weiteres Attribut der Hebe wurde verzichtet, wohl um Parallelen zu christlicher oder preußischer Symbolik zu vermeiden. 

Foto: SPSG
A.D. Therbusch: Porträt Wilhelmine Encke, 1776, Potsdam, Neues Palais

Eine Frage, die in Bezug auf die Hebe-Ikonographie auftritt, ist die nach der dargestellten Kanne: Eine solche Karaffe ist völlig untypisch und birgt vielleicht eine tiefere Symbolik.

Literatur: Nationalgalerie Berlin. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz. Verzeichnis der Gemälde und Skulpturen des 19. Jahrhunderts, Berlin 1976, S. 402; Preußen. Versuch einer Bilanz, Katalog in fünf Bänden, Band 1, Ausstellungsführer, Reinbek bei Hamburg 1981, S. 340 (19/1); Brigitte RIESE: Seemanns Lexikon der Ikonographie. Religiöse und profane Bildmotive, Leipzig 2007; Liliane WEISSBERG: Weibliche Körpersprachen. Bild und Wort bei Henriette Herz, in: Barbara HAHN, Jutta DICK (Hrsg.): Von einer Welt in die andere. Jüdinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1993, S. 71-92; Irmgard WIRTH: Berliner Malerei im 19. Jahrhudert. Von der Zeit Friedrichs des Großen bis zum Ersten Weltkrieg, Berlin 1990, S. 17f.

Objektgeschichte

Da sowohl Malerin als auch Dargestellte zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes in Berlin lebten, wird es vermutlich auch im dortigen Atelier Therbuschs und Lisiewskis entstanden sein. Schon vor ihrer Hochzeit muss es einer gewissen Öffentlichkeit bekannt gewesen sein, da es bereits in ihrem Hochzeitsgedicht genannt wurde. Hernach befand es sich im Hause Herz und war dort dem Publikum zugänglich. So hatte etwa Schadow mit Sicherheit das Therbusch-Porträt vor Augen, als er Henriette pries, sie habe „mit dem fünfzehnten Jahre eine junonische Gestalt erreicht [hatte] und hierin die Anmut überschritt[en]“ (in: Maaz, 203).

Foto: #

Schadow lernte Henriette erst etwa zwei Jahre später kennen und auch er nahm sich ihr ungewöhnliches Äußeres zum Vorbild für zwei Arbeiten: eine Bleistiftzeichnung mit Turban, in der sie eher eine Orientalin verkörpert, und seine erste eigenständige plastische Arbeit – eine Büste aus Ton. Da ihm diese beim Brennvorgang zerbrach, fertigte er zwei Jahre später eine neue Büste an, auf der Henriette in antikisierendem Gewand als Griechin erscheint.

Für Henriette bedeutete Therbuschs Porträt Zeit ihres Lebens an ihre Jugend erinnert zu werden. Es befand sich daher immer in ihrer Wohnung und taucht öfters in ihren Memoiren auf, als ihr alternder Körper den einstigen Glanz bereits eingebüßt hatte. Ihr Ehemann schien das eher bürgerliche Porträt, das Anton Graff 1792 von ihr anfertigte, höher zu schätzen, immerhin hing es in seinem Arbeitszimmer. Im Alter, so berichtet Fanny Lewald, sei das Bild das einzige Kunstwerk gewesen, das sich in Henriettes kleiner Wohnung befand. Nach ihrem Tod kam es vermutlich in die Hände der Familie ihrer Schwester und wurde 1889 von der Berliner Nationalgalerie aus dem Nachlass der Thérèse Herz, geb. Wallach erworben, in deren Besitz es sich seitdem befindet. Während der Teilung der Stadt gehörte es zur Sammlung der Nationalgalerie West und befindet sich derzeit nicht in der ständigen Ausstellung, sondern im Depot. Nur zu gelegentlichen Ausstellungen, wie etwa der großen Preußen-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau 1981, findet es seinen Weg zurück in jene Öffentlichkeit, für die es ursprünglich geschaffen worden war.

Literatur: Bernhard MAAZ (Hrsg.): Johann Gottfried Schadow und die Kunst seiner Zeit, Ausst.-Kat., Kunsthalle Düsseldorf 1994, Nationalgalerie Berlin 1995, Köln 1994.

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Zitierhinweis:

Johannes Czakai: Das Portrait der Henriette Herz. Objektbeschreibung und -interpretation (Version II, 2017), in: haskala.net. Das online-Lexikon zur jüdischen Aufklärung / hg. von Christoph Schulte, URL<>, letzter Zugriff [Datum, Uhrzeit].