Kann die Medialisierung die Riten von Mariä Himmelfahrt in Guardia Sanframondi verändern?
Rita Fusco
Bei meiner Arbeit handelt es sich um eine Feldforschung über das Mariä-Himmelfahrts-Fest, das alle sieben Jahre in einer kleinen Stadt in Süditalien, Guardia Sanframondi, stattfindet. In Guardia wird Mariä Himmelfahrt mit den umfangreichsten Bußriten der westlichen Welt begleitet. Im August 2017 sind etwa eintausend Büßer in einer stundenlangen Prozession durch das Dorf gezogen und haben sich die Brust blutig geschlagen. Bei der letzten Veranstaltung hatte das Dorf mit etwa 5000 Einwohnern laut Presse mehr als 100.000 Besucher, die sich aus Gläubigen und Zuschauern zusammensetzten. Obwohl die Organisatoren immer wieder darauf hingewiesen hatten, dass es sich um einen religiösen Ritus handele, war die mediale Präsenz massiv. Viele internationale Aufnahmeteams waren gekommen, unter anderem hatten CNN, BBC und das Team von Al Jazeera die Prozessionen verfolgt. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden diese Riten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von der Kirche und den staatlichen Behörden als Ausdruck einer rückständigen und abergläubischen Volksreligiosität bekämpft. Heute werden sie jedoch von der katholischen Kirche als Teil der Ökumene anerkannt und der Bußcharakter der Riten wird hervorgehoben. Ziel meiner Untersuchung war es, herauszufinden, ob das Aufkommen zunächst der Medien und anschlieβend der sozialen Medien diese verändert hat. Während der Forschung lebte ich einige Monate in diesem kleinen Bergdorf, das siebzig Kilometer von Neapel entfernt liegt. Ich kehrte regelmäßig nach Guardia Sanframondi zurück, weil ich diese außergewöhnlichen Riten über die gebräulichen Festtagsformen des kleinen Dorfes erfassen wollte.
Der kollektive Reinigungsritus dauert eine ganze Woche lang und Tausende von Menschen nehmen daran teil. Diese komplexe Veranstaltung endet mit seiner spektakulärsten Prozession: die Prozession der Battenti, die Prozession, die am letzten Sonntag der Riten stattfindet. Battenti sind Gläubige, die der Madonna ein Versprechen geben. Sie strafen sich mit einem Buß-Instrument namens spugna, was "Schwamm" bedeutet. Ein solcher Schwamm besteht aus einem größeren Korken, in dem Nadeln stecken. Die Riten von Guardia bestehen aus zwei verschiedenartigen Aufführungen: die Prozession der Battenti und die Prozessionen der Mysterien. Eine Woche lang, bis zum Epilog der Prozession der Battenti, wird das ganze Dorf zur Kulisse religiöser Aufführungen. Es handelt sich um eine Reihe von Aufführungen, in der der Körper eine zentrale Rolle spielt. Die Mysterien erinnern in ihrer Eigenart an die Mysterienspiele des Mittelalters, aber im Gegensatz zu diesen werden die Szenen hier durch Nicht-Bewegung charakterisiert. Die Darsteller der Mysterien halten für die Dauer des Weges die gleiche, starre Pose bei und in diesen Szenen bleiben alle Beteiligten absolut stumm. Mit den Prozessionen während der Woche bereitet sich die Gemeinschaft auf die finale Prozession der Battenti vor.
Die Buße in aller Öffentlichkeit kann als eine der Besonderheiten der Riten in Guardia angesehen werden, weil ein büßender Körper sowohl während der Prozession der Battenti als auch während der Prozessionen der Mysterien der Öffentlichkeit dargeboten wird. Ohne vereinfachen zu wollen, lässt sich zusammenfassend sagen, dass das Modell der Passion Christi, das dem Paradigma von Tod und Auferstehung folgt, den Moment der Sühne zweifellos in den Mittelpunkt der Reinigungsriten gestellt hat.
In meiner Arbeit setze ich mich in diesem begrenzten ethnologischen Kontext mit einigen der wichtigsten thematischen Fragen im Rahmen der Studien über Rituale auseinander: Einerseits untersuche ich die historischen Transformationen des Ritus und seine Fähigkeit zur Veränderung; andererseits berücksichtige ich sowohl Aspekte, die unverändert in der Gegenwart weiterbestehen als auch solche, die eine neue Bedeutung angenommen haben.
Meine Forschungen, die sich auf die Beobachtung der Riten in Guardia Sanframondi in ihrer heutigen Form stützten, umfassten auch eine parallele Arbeit historischer Natur. Ziel der historischen Arbeit war es, die mündlichen Überlieferungen zu hinterfragen und zu relativieren, in denen die Riten oft als etwas dargestellt werden, das im Laufe der Zeit unverändert geblieben ist. Die ethnologische Forschung wurde daher von Archivrecherchen begleitet, die es mir ermöglichten, die Riten vor dem Hintergrund der historischen, sozialen und kulturellen Entwicklung zu betrachten.
Die Teile der gesamten Veranstaltung und ihre geschichtliche Entwicklung waren Gegenstand einer gründlichen, mehrjährigen, multidisziplinären Forschung, die von Prof. J. Hafner geleitet wurde. Die Forschungsarbeit befindet sich nun in der Endphase, und es haben sich neue Perspektiven ergeben, die die Kenntnisse über die Guardia-Riten erweitern.