Konferenzen und Workshops in Potsdam 2018
Vom 13. bis 28. September 2018 war eine Gruppe von Akademikern der drei Erbiler Universitäten, Ishik University, Salahaddin University und Catholic University in Erbil, in Potsdam zu Besuch. Auf der Homepage der Ishik University findet sich ein kurzer Bericht zum Besuch. Nachfolgend die Veranstaltungshöhepunkte des Besuchs:
14.09. Moscheebesuch und Stadtführung
Am Freitag, den 14.09.2018 besuchte die Delegation aus dem Nordirak die Potsdamer Alfarouk-Moschee. Während die muslimischen Gäste an der auf Arabisch gehaltenen Predigt teilnahmen und im Anschluss mit Imam Kamal Abdallah das Freitagsgebet verrichten konnten, hatten nichtmuslimische Gäste aus dem Irak die Gelegenheit dabei zu sein. Obwohl sie in einem islamischen geprägten Land leben, dürfte dies die erste Möglichkeit gewesen sein, eine Moschee während des wöchentlichen Hauptgebetszeites zu besuchen.
Im Anschluss zum Gebet wurde die Predigt und das Gespräch mit dem Imam für die Gäste übersetzt, die dem Arabisch nicht kundig waren.
Nachdem der Imam die Delegation begrüßte, gab er einen kurzen Überblick über das muslimische Leben in Potsdam. Es wurden über die religiösen Angebote der einzigen Moschee der Stadt und den zu bewältigenden Herausforderungen gesprochen. Neben den Bemühungen und Projekte im Bezug auf interreligiöse Tätigkeiten und den positiven Beziehungen bzw. der funktionierenden Kooperation mit den säkularen staatlichen Behörden, wurde von dem Imam über islamfeindliche Aktionen gegenüber der Potsdamer Moschee berichtet.
Danach besichtigte Prof. Hafner mit der Gruppe die Potsdamer Innenstadt:Nikolai-Kirche, Holländerviertel und Kirche Peter und Paul. In letzterererhielten die Gäste Einblick in die Sakristei und machten eineTurmbesteigung. Während der Tour wurden Themen erörtert wie "Leben vonMuslimen in Deutschland", "christliche Konfessionen", "Verhältnis von Staatund Kirche", "Kirchenarchitektur" und "Liturgie".
17.09. Workshop "Mapping Erbil"
Zwei ganze Tage wurden darauf verwendet, das Projekt "mapping Erbil" weiter zu treiben. Die Vertreter*innen der drei Universitäten legten erste Porträts von Kirchen- bzw. Moscheegemeinden vor. Sie waren im Vorfeld des Besuchs erstellt worden. Hierzu hatten sich die Beteiligten unter der Ägide von Prof. Öztas bereits in Erbil getroffen. Bei der Besprechung der bebilderten Texte wurde sichtbar, dass in Kurdistan - anders als etwa die Beschreibung von Gemeinden in Deutschland – folgende Themen eine Rolle bei der Kartierung spielen:
- Historischer Hintergrund ist der Krieg Saddam Husseins gegen die Kurden 1990/91 und als Folge das gebrochene Verhältnis zur Regierung in Bagdad sowie ein Opferbewusstsein der Kurden, das auch religionsübergreifend wirkt
- Aktueller Hintergrund ist die Invasion des IS auf irakisches Gebiet und die damit verbundenen Vertreibungen, sowohl christlicher und jezidischer als auch muslimischer Bevölkerung
- Die Rolle der Stiftungen (endowments) soll bei Moscheegemeinden angemessen geschildert werden.
- Das Gemeindeleben und die Gruppenvielfalt muss noch viel mehr erfragt werden. Hier zeigt sich, dass es Moscheen gibt, die einfach zum Gebet dienen, und andere, die ein breites soziales Engagement entfalten.
- Die attendance soll quantitativ unterschieden werden in daily prayers, weekly, feast, life cycle (salopp: Fromme, Freitagsbeter, Ramadanmuslime, Lebenswende-Muslime)
- Die Texte sollen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen, v.a. bei der Angabe von Quellen (Texten, Interviews). Ein style-sheet könnte hier helfen.
- Die Diversität zwischen Moscheegemeinden in Ritus oder Organisation soll gewürdigt und nicht harmonisiert werden. Es bestand die Tendenz der Erbiler Kollegen, den Islam als kompakte, unterschiedsarme Religion darzustellen und die Gleichheit der Gemeinden herauszustellen. Die deutschen Teilnehmer betonten, dass Vielfalt ist keine Gefährdung der tawhid, sondern seine Entfaltung sei.
Vereinbart wurde, dass die Erbiler Forscher auch telefonisch diejenigen Moscheen kontaktieren, die man nicht persönlich besuchen kann. Die Ishik-Universität hat angeboten, eine Art call-center einzurichten und mit Hilfe der Religionsbehörde (c/o Mullah Abdullah) möglichst viele der ca. 300 Moscheen anzurufen. Hier muss noch ein kluger Interviewleitfaden erstellt werden und eine Art offizieller Vorinformation erfolgen, ohne die keine Antworten zu erwarten sind.
21.09. Workshop im "House of One"
Bericht von Osman Örs (theol. Referenten)
Wir empfingen am Freitag, 21.09.2018, morgens um 9:30 Uhr eine Delegation aus dem autonomen Gebiet Kurdistan / Nord-Irak. Bei einem Empfang im Pavillon des House of One und einer Führung auf dem Petriplatz wurde das Projekt den Gästen näher gebracht.
Im Anschluss liefen wir gemeinsam zum evangelischen Kirchenforum (Klosterstr. 66) und nach ei-nem Kaffee & Gebäck folgte von kurdischer Seite eine Einführung zum Thema „Interreligiöse und interkonfessionelle Begegnung im Irak“.
So dann folgte ein Workshop-Teil und die Einteilung in drei Gruppen. Die Workshops wurden von den theol. Referenten Frithjof Timm und Osman Örs sowie unserem Praktikanten Paul-Bernhard Elwert geleitet. Unter den folgenden drei Gesichtspunkten wurden in englischer Sprache folgende Themen-Komplexe bearbeitet und anschließend im Plenum vorgestellt:
1) Region of different ethnicities and religions – from an Iraqi perspective on the House of OneHow would a mosque have to look like in order to be welcoming to Sunnis and Shi’ites and other alike? What are key elements for encounters of different de-nominations?
2) In the field of tension – between Secularization and Theology in IraqHow does secularism and different ethnic and religious groups shape religious thinking and life? What are the roles religious actors are playing in different contexts (Berlin, Erbil, Bagdad e.g.) ? What is the impact on the period of rebuilding on the interreligious encounters after ISIS?
3) A great “World House” – A House of One in Iraq? Does the region need a possible House of One – and is it imaginable at all?What are possible places of interreligious encounter in Iraq? How would they have to look like? What exchange might be possible? What are possible obstacles?
Zusammenfassend war es eine sehr bereichernde Begegnung, indem deutlich wurde, dass es wichtig ist, dass man ein solches Projekt wie das House of One nicht von oben herab, sondern von unten hervorbringen müsse. Es ist wichtig, dass auf eine langjährige interreligiöse Basis des Vertrauens erst so etwas wachsen kann und auch nur so Beständigkeit haben wird. Dem gemeinsamen Nutzen einer Moschee von Schiiten und Sunniten stehe nichts im Wege, so fern man auf kleinere Differenzen achte, wie die kalligraphische Namensgebung bedeutender Personen und die Bestückung gewisser ritueller Sachen, wie dem Gebetsstein (schiitisch). Hierbei wären auch eine Beschilderung der Ritual-Gegenstände hilfreich. Mit Hinblick auf die bescheidene Größe des Gebetsraumes sollte die Predigtkanzel auch einen bescheidenen Charakter haben, wie zu Zeiten des Propheten (eine drei-stufige mobile Holzkanzel).
Um 12:45 Uhr mit anschließendem Gang zum Freitagsgebet endete der Tag.
24.09. Podiumsdiskussion "Religiöse Vielfalt im Irak"
Am Montag, den 24.09.2018, fand im Rahmen der Interkulturellen Woche Potsdam die Podiumsdiskussion „Religiöse Vielfalt im Irak“ statt. Trotz der Ausstellungseröffnung von Kheder Abdulkarim, die zeitgleich im Potsdamer Rathaus mit einem Grußwort des Oberbürgermeisters stattfand, fanden sich ca. 50 Gäste im 3. Stock der Wissenschaftsetage Potsdam ein.
Nachdem sich die Reihen gefüllt hatten, begann Dr. Stefan Gatzhammer mit einer Einführung zu dem DAAD-Projekt „Religious Diversity Erbil“, dass seit Januar 2018 zwischen der Professur Religionswissenschaft (SP Christentum) an der Universität Potsdam mit drei Universitäten in Erbil (Kurdistan/Nordirak) besteht. Herr Dr. Gatzhammer gab danach bereits einen kurzen Überblick über den Reichtum an Religiosität und Geschichte der nordirakischen Region Kurdistan, indem er die Reiseroute der Potsdamer Gruppe vorstellte, die im April 2018 die Region besuchte.
Danach ging es in Kurzvorträgen der Professor*innen aus Erbil um die Frage, wie die verschiedenen Ethnien (Kurden, Jesiden, Araber) und Religionen (Muslime, Christen, Jesiden) nach der Barbarei des IS heute im Nordirak zusammenleben können. Frau Bala von der Ishik University eröffnete mit einem kurzen Überblick zu der Demographie Kurdistans. Dabei ermöglichte sie den Zuhörenden durch Statistiken einen ersten Einblick in die religiöse Diversität der Region. Trotz allem sei es laut Frau Bala schwierig genaue Zahlen zu präsentieren, da die Migration im Nordirak fast monatlich neue Bevölkerungsverschiebungen mit sich bringe. Danach führte Herr Dr. Ismael von der Salahaddin University in die staatliche Sicherung der Religiösen Vielfalt ein. Laut ihm funktioniere die Toleranz der verschiedenen Religionen untereinander so gut, da es in Kurdistan extra ein Ministerium für Religious Affairs gäbe. Als Letztes berichtete Herr Shamoon von der Catholic University Erbil über die Situation der Christen in der Region. Dabei würdigte er die Bemühungen der Autonomen Kurdischen Region für ein friedliches Zusammenleben, ging aber auch auf die immer noch herrschenden Missstände und Unterdrückung der Christen im Nordirak ein.
Nach den Kurzvorträgen folgte eine Podiumsdiskussion, bei der die drei Vortragenden und noch weiteren Dozierende aus Erbil nach vorne traten, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Bei der folgenden Diskussion ging es insbesondere um die Situation der Jesiden in der Region, die vorher noch nicht beleuchtet wurde.
Nach der Diskussion gab es für die Zuhörenden und die irakischen Gäste noch die Möglichkeit, bei einem Tee ins Gespräch zu kommen und über die Zukunft der religiösen Vielfalt im Irak zu reden.
Den Flyer zur Veranstaltung finden Sie hier
https://www.potsdam.de/event/religioese-vielfalt-im-irak-religious-diversity-iraq
26.09. Besuch "Topographie des Terrors"
Am Mittwoch, dem 26. September 2018 besuchten die Mitglieder der Delegation unsrer Partneruniversitäten im Rahmen eines Berlin-Besuchs die Dauerausstellung „Topographie des Terrors“. Die Führung wurde vom Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Herrn Prof. Dr. Andreas Nachama, persönlich durchgeführt. Für die irakischen Kollegen boten sich aufgrund ihrer Erfahrungen in der jüngeren Vergangenheit in ihrem Heimatland manche Anknüpfungspunkte an die Thematik der Ausstellung und sicher dürfte der Besuch eine Anregung zur Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte gewesen sein.
27.9. Begegnung mit dem Vizepräsident der Universität Potsdam
27.9. Besuch des Pergamonmuseums
Kultureller Höhepunkt des Beiprogramms für die irakische Delegation war der Besuch des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel. Dr. Lutz Martin, kommissarischer Leiter des Vorderasiatischen Museums und als Archäologe lange Jahre in Syrien und Irak tätig, begrüßte die Gäste aus Erbil in fließendem Arabisch. Höhepunkt der Spezialführung war die imposante Rekonstruktion des archäologischen Bauensembles aus dem heutigen Irak, des Ischtar-Tores. Das Ischtar-Tor war eines der alten Stadttore von Babylon und wurde zusammen mit einem Abschnitt der sog. Prozessionsstraße aus dem 6. Jh. v.Chr. im Pergamonmuseum aufgebaut. Im Zuge der Sanierung der Museumsinsel sind bis 2023 die Funde aus Uruk (Südirak) sowie die Räume mit babylonischen und altiranischen Denkmälern nicht zugänglich. Dafür standen interessante Abstecher in die Antikensammlung, das Vorderasiatische Museum und das Museum für Islamische Kunst auf der Besichtigungsroute. Ein Saal widmet sich ausschließlich der Kunst aus Samarra, einer rund 125 Kilometer nördlich von Bagdad, am Tigris gelegenen Stadt. Samarra im heutigen Irak gehört zu den überragenden Orten der islamischen Kunstgeschichte und Archäologie. Hier wurden die ersten systematischen Ausgrabungen einer islamischen Ruine unternommen. Die Stadt diente von 836 bis 883 vorübergehend als Regierungssitz der abbasidischen Kalifen und löste in dieser Zeit die eigentliche Hauptstadt Bagdad ab.
Prof. Martin verabschiedete die irakische Delegation herzlich und sprach eine Einladung für eine Sonderführung für die Studierenden und Dozenten aus Erbil im Juni 2019 (Summer School in Potsdam) aus.