„Wir dürfen nicht mehr so dichotom zwischen digital und analog denken“
Auf der zweiten Podiumsdiskussion kamen Perspektiven aus Wissenschaft (Dr. Caroline Fischer, Universität Potsdam), Politik (Ann Cathrin Riedel, FDP) sowie Medien und Bürgerschaft (Robert Kiesel, Tagesspiegel) zusammen, um darüber zu diskutieren, wie die Digitalisierung bisher lief und wie sie laufen sollte. Eine spannende Debatte über Datenschutz, Organisationskultur und die Attraktivität der Verwaltung als Arbeitergeberin.
Zum Abschluss der Konferenz sollten auch Expert*innen außerhalb der Verwaltung die dortige Entwicklung der Digitalisierung einordnen. Dazu wurde Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende des Vereins für liberale Netzpolitik (LOAD e.V.) und Themenmanagerin der Friedrich-Naumann-Stiftung, eingeladen, um die Perspektive der Politik zu übernehmen. Der Tagesspiegel-Redakteur und landespolitische Korrespondent für Berlin Robert Kiesel hingegen übernahm die Stimme der Medien und Bürgerschaft. Die Wissenschaft wurde vertreten durch Dr. Caroline Fischer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Public und Nonprofit Management der Universität Postdam. Die Runde wurde von Kommunal-Redakteur Christian Erhardt moderiert.
Eingeleitet wurde die Podiumsdiskussion von Moderator Christian Erhardt mit einer Grundsatzfrage: Muss eigentlich alles digitalisiert werden? Sind auch digitale Weihnachtsfeiern und Kaffeepausen die Zukunft?
Die Verwaltung befindet sich dort gerade im Zwiespalt, sagt Caroline Fischer. Digitales Arbeiten ist aufgrund der Corona-Krise notwendig, man sollte die informellen Treffen jedoch nicht außer Acht lassen. Auch sie gehören zur Arbeit, fördern das Team und Kontakte knüpfen. Nach der Pandemie sollte darüber nachgedacht werden, was davon wirklich sinnvoll ist und was nicht.
Ann Cathrin Riedel fügt hinzu, dass sich analog und digital nicht gegenseitig ausschließen. In der Zukunft sollte es beide Möglichkeiten geben, nicht nur das eine oder andere, um in der jeweiligen Situation das passende Medium wählen zu können. So kann Effizienz gesteigert werden und eine wertvolle Digitalisierung sowie zwischenmenschliche Ebene zusammengebracht werden. Auch Caroline Fischer meint: „Wir dürfen nicht mehr so dichotom zwischen digital und analog denken„. Vielmehr sind hybride Konzepte die Zukunft.
Trotz der vielen Kritik am Umgang mit der Digitalisierung in der Verwaltung berichtet Moderator Christian Erhardt von einem gestiegenen Vertrauen der Bürger*innen in die Verwaltung sowie Bürgermeister*innen und fragt Robert Kiesel, was der Grund dafür sein könnte. Dieser glaubt, dass es daran liegen könnte, dass endlich etwas anders gemacht wurde. Doch selbst wenn es digital perfekt laufen würde, denkt er nicht, dass die Bürgerämter deshalb schließen werden. Caroline Fischer meint dazu, dass Ad-hoc-Lösungen schnell geschaffen werden können, das Problem jedoch in erster Linie in der Verstetigung liegt. Wird diese nicht bewältigt, kann das Vertrauen schnell wieder abnehmen.
Die Sinnhaftigkeit des Datenschutzes wurde schon in der ersten Podiumsdiskussion sowie zahlreichen Workshops diskutiert. Auch in dieser Runde wurde die Frage in den Raum gestellt, ob es hinsichtlich des Datenschutzes Lösungen in der Politik gibt. Riedel erklärt, dass der Datenschutz zuallererst nicht Daten schützen soll, sondern die informationelle Selbstbestimmung. Er soll eine ethisch wertvolle Digitalisierung mit Schutz der Grund- und Bürgerrechte ermöglichen. Dementsprechend ist nicht der Datenschutz das Problem, sondern die lang versäumte Digitalisierung. Dass der Datenschutz wichtig ist, findet auch Caroline Fischer, allerdings ist er auch oft ein vorgeschobener Grund, um Dinge nicht machen zu müssen. Sie stellt weiterhin die These auf, dass das Engagement im Datenschutz vielleicht sogar vertrauenssteigernd auf die Bürger*innen wirkt, da ihnen dort das Gefühl vermittelt wird, dass die Politik sich tatsächlich um ihre Belange kümmert. Robert Kiesel kann das nicht bestätigen. Als landespolitischer Korrespondent für Berlin kennt er viele Fälle, bei denen beim Datenschutz etwas schiefgegangen ist. So sprach Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci öffentlich darüber, dass sie mit dem Ärztekammerpräsidenten über WhatsApp kommuniziert. Der Datenschutz bleibt oft außen vor, sodass das Vertrauen sogar eher beschädigt wird.
Der Datenschutz war in den letzten Jahren häufig genannter Grund, digitale Konzepte abzulehnen. Bestes Beispiel: der Einsatz von Zoom oder anderen Videokonferenz-Tools in Schulen. Warum konnte sich das in der Pandemie so schlagartig verändern?
Ann Cathrin Riedel hat dafür eine präzise Antwort: Es bestand vorher kein Bedarf, also gab es auch keine Konzepte. „Es wurde einfach versäumt„. Noch immer fehlt es an grundsätzlichem, das kann in 9 Monaten nicht einfach aufgeholt werden. Das liegt auch an der Verwaltung selbst, fügt Robert Kiesel hinzu. Die Politik stößt an ihre Grenzen und in der Verwaltung bestehen Widerstände – eine regelrechte Wagenburgmentalität.
Die Einstellung der Mitarbeitenden können die Digitalisierung allein nicht vorantreiben. Die finanzielle Ausstattung bestimmt, wie gut die Verwaltungen arbeiten können. Wie sieht es dort momentan aus?
Natürlich spielt Geld eine Rolle, so Ann Cathrin Riedel, es ist aber auch wichtig, wie gut die Mitarbeitenden einbezogen werden. Wie kreativ dürfen diese sein und können auch Ideen von unten angestoßen werden? Caroline Fischer stimmt dem zu. Die Forschung beweist, dass die Digitalisierung nicht an einem Ressourcenmangel scheitert, sondern an fehlenden Kenntnissen und an fehlendem Wollen. Der digital divide – oder auch digitale Kluft genannt, beschreibt den ungleichen Zugang sowie unterschiedliche Ausstattung zu Informations- und Kommunikationstechnologien – ist nicht nur über Ressourcen erklärbar, vielmehr auch über die jeweilige Organisationskultur. Die deutsche Verwaltung ist nicht bekannt dafür, innovativ zu sein, so Fischer, dies liegt aber auch an den vorherrschenden Strukturen, den Mitarbeitenden und dem Fokus. Sie plädiert für eine bessere Fehlerkultur und den Mut zu haben, etwas auszuprobieren und auch Fehler machen zu dürfen.
Mitarbeitende und Bürger*innen im Tempo der aktuellen Veränderung nicht zu verlieren, beschäftigt Praxis wie Forschung schon lang. Wie kann die Wissenschaft dabei helfen, die Akteure auf dem Weg mitzunehmen?
Wissenschaft ist vor allem dazu da, der Gesellschaft zu nützen, sagt Fischer. Insbesondere die Verwaltungswissenschaft hat den Anspruch, praxisorientiert zu arbeiten und den Austausch zwischen Forschung und Praxis zu fördern. Um im Zukunft noch besser Ergebnisse teilen zu können, hofft sie auf eine stärkere Zusammenarbeit und Ressourcenbündelung in der Wissenschaft, um auch mehr über nötige Kompetenzen herauszufinden und eine stetige Aufklärung in der Bürgerschaft zu ermöglichen.
Wie sähe denn der oder die Verwaltungsmitarbeiter*in der Zukunft aus?
Laut Ann Cathrin Riedel sollte diese*r engagiert und mit Spaß an der Sache dabei sein. Sie wünscht sich verschiedene Fachrichtungen in der Verwaltungen und eine Verwaltung, die auch Impulse von außen aufnimmt. Doch sollte der Diskurs nicht nur darüber geführt werden, was der oder die Mitarbeitende für die Verwaltung tun kann. Stattdessen sollte auch geschaut werden, inwiefern die Verwaltung den Mitarbeitenden in der Weiterentwicklung helfen kann. Junge Leute haben bestimmte Bedürfnisse wie flexibles Arbeiten oder eine ausgeglichene Work-Life-Balance, sagt Caroline Fischer. Das Problem liegt im starren Laufbahnsystem, an Beschränkungen in den höheren Dienst aufzusteigen, wenn man eine abweichende Ausbildung durchlaufen hat – wie u.a. Leute aus der IT. Das ist nicht konkurrenzfähig mit der Privatwirtschaft. Robert Kiesel kennt die Klischees in der Verwaltungsarbeit – lange Flure und Dienst nach Vorschrift. In manchen Behörden sieht so der Alltag aus. Es gibt aber auch ein anderes Bild. Bis die Verwaltungen allerdings flächendeckend einigermaßen modern sind, wird es noch eine Weile dauern, schätzt er.
Christian Erhardt stellt die Frage, ob eine zu weit getriebene Startup-Mentalität vielleicht potentielle Mitarbeitende abschrecken könnte. Schließlich treibt es viele Menschen an, in der Verwaltung zu arbeiten, um Sicherheit und eine klare Linie zu haben.
Caroline Fischer meint dazu, dass die Verwaltung kein Startup werden muss, die Grenzen sollten einfach aufgeweicht und Flexibilität geschaffen werden. Auch Ann Cathrin Riedel hält die Dichotomie von Startup und Verwaltung für nicht nötig, ein Anfang wären schon einmal modernere Endgeräte. Die Mitarbeitenden sollen durch digitale Lösungen entlastet werden, um mehr Serviceangebote und Beratungen anbieten zu können und weniger Zeit für automatisierbare Routineaufgaben aufwenden zu müssen.
Die Bürger*innen sollten von dieser Entwicklung profitieren. Wie würde der oder die Bürger*in in 10 Jahren von der Verwaltung denken?
Robert Kiesel hofft, dass man sich sich als Bürger*in auf die Verwaltung verlassen kann und dass sie mit der Zeit Schritt hält – nicht Pionier oder Tonangeber, sondern mit zeitgemäßem Tempo.
Und welche positive Überschrift erhofft sich Kiesel in 2030?
„Die E-Akte in Berlin ist endlich umgesetzt."
Autorin: Julia Gräfe