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Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Guben

Gedenkanlage in Gubin - am Standort der Synagoge von Guben
Photo: Anke Geißler-Grünberg
Gedenkanlage in Gubin - am Standort der Synagoge von Guben

Die älteste Information über die Anwesenheit von Juden in Guben stammt aus einer Urkunde des Herzogs Rudolf I. von Sachsen-Wittenberg vom 13. Oktober 1319. Hierin bescheinigte er ihnen die rechtliche Gleichstellung mit den anderen Bewohnern der Stadt. Vorausgegangen war diesem Akt aber die von ihm verfügte Vertreibung der Juden aus Wittenberg im Jahr 1304. Neben den nun gewährten Rechten gehörte, dass die Juden fortan auch die städtischen Lasten mittrugen und zusätzlich – wie allgemein üblich – an ihren Landesherren Schutzgelder zu entrichten hatten. 1348 verpfändete Rudolf gar „seine“ Juden, da er in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Im 50 km entfernten Friedland fanden sie allerdings Aufnahme und konnten zumindest in der Region bleiben.

Auch wenn bis auf eine Ausnahme keine genauen Daten für Guben vorliegen, so geht man für das gesamte Mittelalter von einer bescheidenen Zahl von Juden aus. Hinweise für ihre Anwesenheit liefert indes die Topographie der Stadt und ihrer Umgebung: „Judengasse“ und „Judenhöhe“ (= „Judenhebbel“ für den Begräbnisplatz) sowie „Judenfichten“, „Judenberg“ und „Judenteich“.

1408 erließ der Gubener Stadtrat zum Schutz der ortsansässigen Fleischer eine Anordnung, der zufolge höchstens vier Juden Fleischbänke betreiben dürften. Alle anderen Juden der Stadt handelten mit Lebensmitteln, Rohstoffen und Gebrauchsgütern – so wie die große Mehrheit ihrer Glaubensgenossen in anderen Regionen. Für den Beginn des 19. Jh. sind Woll- und Schnittwaren als konkrete Produkte jüdischer Händler überliefert, die exemplarisch auf das traditionelle Tuchmacherhandwerk in der Lausitz verweisen. Ihre Partner waren hier vor allem sorbische Handwerker, die kulturell der Bevölkerungsmehrheit angehörten. Wie in der gesamten Niederlausitz unterlag die sorbische Kultur jedoch einer rigiden Germanisierungs-Politik der evangelischen Kirche und galt in Guben und Umgebung bereits um 1800 als de facto erloschen.

Demgegenüber ist bemerkenswert, dass die Gubener Juden seit den Anfängen als anerkannte Nachbarn galten, deren kulturelle Andersartigkeit man respektierte. Anders als gemeinhin über Zünfte berichtet, handelte z.B. die Zunft der Gubener Fleischhauer mit den Juden eine Vereinbarung aus, die die gegenseitigen Interessen berücksichtigte. 1809 solidarisierten sich die Stadt und ihre Tuch- und Hutmacher mit Samuel Salomon, dessen Antrag auf das Bürgerrecht für Guben durch die Landesbehörde abgelehnt worden war.

1818 zählte die inzwischen zu Preußen gehörende Stadt an der Neiße insgesamt 19 Juden, die Mehrheit von ihnen lebte weiterhin vom Handel. Für 1846 sind dann erstmals mehrere Namen überliefert, nämlich Callmann Levy, Itzig Hirsch, Philipp Glück, Rudolph Philipp, Abraham Nathan, Levin Israel, Salomon Israel sowie Solomon Hirsch. Bereits neun Jahre zuvor, 1837, hatten die etwas mehr als 30 Gubener Juden ihre Synagoge eröffnet – ein kleines Gebäude auf der östlichen Seite der Neiße am späteren Kastaniengraben (heute Ul. Dabrowskiego). Zwei Jahre später folgte der Friedhof auf der gegenüber liegenden Flussseite, auf dem Reichenbacher Berg.

Am 7. März 1849 konstituierte sich die vor 1837 gegründete Jüdischen Gemeinde zu Guben aufgrund einer neuen Gesetzeslage in Preußen als Synagogengemeinde zu Guben. Fortan gehörten sämtliche Juden der Landkreise Guben und Sorau (heute Żary) sowie der Städte Sommerfeld (heute Lubsko), Fürstenberg (heute Eisenhüttenstadt) und Forst zum Synagogen-Bezirk Guben und bildeten eine Gemeinde; der Schnittwarenhändler und Lotterie-Einnehmer Philipp Glück übernahm für mehrere Jahre das Amt des Vorsitzenden; der Kaufmann Josef Saloschin (Bel-Nr. 28) folgte ihm von 1860 bis 1885.

Seit der Umwandlung der Betstube in eine Synagoge beschäftigte die Jüdische Gemeinde einen Schächter und Vorbeter (Kantor) sowie einen Religionslehrer – wahrscheinlich stets in Personalunion. Allerdings gab es mit David Loeser bereits 1815 einen Lehrer für Elementar- und jüdischen Religionsunterricht, der sich in Guben niedergelassen hatte. Philipp Meier Cohnheim (Bel-Nr. 13) und viele andere folgten ihm. Aufgrund des rasanten Anstiegs der Zahl der Gemeindemitglieder – zwischen 1859 und 1876 von 113 auf 216 – war das Gotteshaus aber bald zu klein: Der Gemeindevorstand beschloss den Abriss und einen Neubau, der über dem Betsaal eine Dienstwohnung besitzen sollte. Für die Übergangszeit lagerte man die Gottesdienste in eine angemietete Turnhalle aus. Einer Notiz des Gubener Tagesblatts vom 11. September 1878 zufolge favorisierte der Vorstand eine schlichte Innenausstattung. Davon ist durch glückliche Umstände ein kleines Bruchstück, ein Teil des bestickten Tora-Vorhanges aus dem Jahr 1885, erhalten und gelangte durch eine Schenkung in den Sammlungsbestand des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

Mehrfach ist außerdem von einer Religionsschule die Rede, die sich wahrscheinlich ebenso wie eine Bibliothek im Synagogengebäude befand. 1932 lernten hier 20 Kinder. Des Weiteren existierten in Guben eine Ortsgruppe des Jüdischen Frauenvereins und des Jüdischen Jugendbundes sowie eine Vertretung der B’nai B’rith -Loge und eine jüdische Wanderfürsorgestelle.

Im Jahr 1904 erreichte die Synagogengemeinde zu Guben mit 225 Mitgliedern ihren Höchststand, was gemessen an der städtischen Gesamtbevölkerung einen Anteil von 0,6 % darstellte. Dieser Anteil ist aber geringer zu veranschlagen, da er durch die außerhalb der Kernstadt lebenden Gemeindemitglieder verzerrt wird. So waren bereits 1860 die Forster Juden aus dem Verbund ausgeschieden; 1926 folgten die Juden aus Fürstenberg mit der Gründung einer eigenen Synagogengemeinde.

Gleichzeitig bestanden auch in Guben etliche Freundschaften zwischen Juden und Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft. Einerseits gingen die Kinder gemeinsam zu Schule; andererseits kam es durch die Wirtschaftstätigkeit zu engen persönlichen Kontakten. Die Stadt hatte sich im Zuge der Industrialisierung, also durch die Anbindung ans Eisenbahnnetz, den günstigen Einsatz von einheimischer Braunkohle sowie durch den Bedarf der überall entstehenden Warenhäuser zu einem Zentrum der Hut-Herstellung entwickelt. Damit konnte Guben erfolgreich ihre Tuchtradition fortsetzen und erweitern. Allein aus der jüdischen Gemeinschaft stammten sieben Fabrikanten, so z.B. der Hutfabrikant Berthold Lissner oder der Lederfabrikant Hermann Meyer. Die Mehrheit der jüdischen Kaufleute handelte mit Stoffen, Textilien und natürlich mit Hüten. Und sie betrieben in Guben selbst Konfektionsgeschäfte oder Warenhäuser – wie Wolff Krimmer und Heinrich Kronheim (Bel-Nr. 55).

Bemerkenswert ist, dass 1914 mit dem Juristen Dr. Alfred Glücksmann ein jüdischer Politiker zum Oberbürgermeister ernannt wurde. Hier spiegelt sich der hohe Integrationsgrad der gesamten Gubener Juden und ihre Akzeptanz durch die Stadtgesellschaft wider, der sich in den Bereichen Wohltätigkeit, Kultur, Sport und Wirtschaftsverbänden sowie in der Übernahme politischer Ämter äußerte. So reorganisierte der OB in seiner 10-jährigen Amtszeit nicht nur die städtische Verwaltung, sondern veranlasste wesentliche Verbesserungen für die Gubener Bevölkerung im Sozial- und Kulturbereich.

Die NS-Zeit bedeutete für alle Juden in Guben, wie überall, die schrittweise Entrechtung, Ausgrenzung, Demütigung, Verfolgung, Enteignung, Vertreibung und schließlich ihre Ermordung. In der Pogromnacht 1938 zerstörten fanatisierte Schlägertrupps die Gubener Synagoge und jüdische Geschäfte und misshandelten Juden. Am Folgetag wurden jüdische Männer ins KZ Sachsenhausen verschleppt und erst Monate später mit der Maßgabe freigelassen, Deutschland umgehend zu verlassen. Im Dezember 1939 lebten noch 39 Juden in der Stadt. Wer konnte, war bereits emigriert oder in Berlin untergetaucht. Die Verbliebenen wurden ab 1941 deportiert und ermordet.

1941 wurde das Synagogen-Grundstück „arisiert“; im November 1942 zog die Gubener Missionsgemeinschaft in das halbwegs wieder instandgesetzte Gebäude ein. Ab Sommer 1944 gab es in Guben ein Außenlager des KZ Groß-Rosen, in dem Hunderte ungarische Jüdinnen für die Elektrotechnik- und Radio-Firma C. Lorenz AG Zwangsarbeit leisten mussten. Nachdem dieses Lager im Februar 1945 evakuiert wurde, gab es in Guben keine Juden mehr.

Wie nach Ende des Weltkrieges auf der Potsdamer Konferenz im Juli / August 1945 vereinbart, wurde die Oder-Neiße zur neuen Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen. Dies bedeutete für die auf beiden Seiten des Flusses liegende Stadt Guben die Teilung. Während der jüdische Friedhof nun auf deutscher Seite lag, befand sich das Grundstück der Synagoge fortan in der polnischen Stadtgemeinde Gubin.


Erinnerung

Es dauerte bis in die 1990er Jahre, bis in Guben ein öffentliches Gedenken an die Juden erfolgte, die hier gelebt und gewirkt hatten, in der NS-Zeit aber vertrieben, ausgebeutet und ermordet worden waren.

Am 7. Mai 1997 fand in Guben eine Tagung zur jüdischen Geschichte der Niederlausitz statt, an der auch Zeitzeugen teilnahmen. Am Stammhaus der ehemaligen Berlin-Gubener Hutfabrik, der heutigen Stadtverwaltung, wurde am gleichen Tag eine Gedenktafel enthüllt, die an die jüdischen Firmengründer sowie an die jüdischen Zwangsarbeiterinnen erinnert. 

Auf dem Jüdischen Friedhof am Reichenbacher Berg erinnert seit dem 8. Januar 1998 ein Gedenkstein des Gubener Steinmetzmeisters Glockann an all die in der NS-Zeit verfolgten „jüdischen Bürger von Guben, die nicht an diesem Ort ruhen“. Die Initiative hierfür ging von der Evangelischen Kirchengemeinde Guben aus.

In Gubin, in der Ul. Dabrowskiego, fand dann am 9. November 1998 die Enthüllung eines großen, schlichten Gedenksteins für die 1938 zerstörte und später abgerissene Synagoge statt. Erklärungs-Tafeln in drei Sprachen wurden inzwischen aber durch eine dreisprachige Gedenkstele ersetzt.

2006 erfolgte die erste Stolperstein-Verlegung am Naemi-Wilke-Stift. Seit 2008 gibt es in Guben außerdem die Berthold Lissner-Straße, um an den bedeutenden Unternehmer und Mäzen der Stadt und seine in der NS-Zeit verfolgte Familie zu erinnern.

Anke Geißler-Grünberg

Literatur und Internet

Manfred Augustyniak: Zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Guben, in: Heimatblätter Guben 1988, S. 50-54.

Michael Brocke / Eckehart Ruthenberg / Kai Uwe Schulenburg: Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland [Neue Bundesländer / DDR und Berlin] (= Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum, Bd. 22), Berlin 1994, S. 387-388.

Jenny Erpenbeck: Über das 5. Kapitel des Romans Heimsuchung, in: Über Grenzen. hrsg. von F. Marx, Göttingen 2015.

Katrin Keßler: „Das erste Zeichen einer Wiedergutmachung“? Nichtjüdisches Engagement auf jüdischen Friedhöfen seit 1945, in: Kalonymos 25 (2022), 2-4, S. 9-12.

Andreas Peter: Guben, in: Jüdisches Brandenburg. Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Irene A. Diekmann, Berlin 2008, S. 154–184.

Ders.: Berthold Lissner – ein bedeutender Gubener Unternehmer, Kommunalpolitiker und Mäzen, in: Niederlausitz Aktuell, vom 14.08.2008 [URL: www.niederlausitz-aktuell.de].

Jutta u. Otto Rückert: Guben, in: Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, hrsg. von Julius H. Schoeps / Irene A. Diekmann, Berlin 1995, S. 142–156.

Wolfgang Weißleder: Der gute Ort. jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, hrsg. vom Verein zur Förderung Antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam 2002, S. 117ff [URL: www.chewrakadischa-blb.de/Judische-Friedhofe/judische-friedhofe.html].

Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden (Hrsg.): Führer durch die Jüdische Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege in Deutschland 1932–33, Berlin 1932.

 

Klaus-Dieter Alicke: Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, URL: www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/e-g/797-guben-brandenburg [06.03.2025]

Peter Kunze: Sprachverbote, in: Sorabicon. Kulturlexikon DIGITAL, URL: www.sorabicon.de/kulturlexikon/artikel/ [06.03.2025]

Wobźěłał Robert Lorenz: Die Statistik der Lausitzer Sorben. Guben und Forst (Umland), Bautzen 1886, in: Sorabicon, URL: www.sorabicon.de/dsb/statistik-der-sorben/statistiken/RoLoArMuStatistika_1_G_26 [06.03.2025]

Michael Rademacher: Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990. Stadt- und Landkreis Guben, URL: www.eirenicon.com/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/guben.html [06.03.2025]

 

Alemannia Judaica, URL: www.alemannia-judaica.de/brandenburg_berlin_friedhoefe.htm [18.02.2025]

Berufe dieser Welt: Tuchmacher, URL: berufe-dieser-welt.de/die-tuchmacher [06.03.2025]

Denkmaldatenbank BLDAM: Jüdischer Friedhof Guben – Objektnr. 09125158, URL: bldam-brandenburg.de/denkmalinformationen/geoportal-denkmaldatenbank/denkmaldatenbank [18.02.2025]

Evangelische Kirchengemeinde Region Guben, URL: www.kirche-guben.de [18.02.2025]

Guben. Gubin – Eurostadt. Euromiasto: Bergkapelle mit Jüdischem Friedhof und Kriegsdenkmal, URL: guben-gubin.eu/guben-gubin/kulturkataster-guben-gubin/guben/denkmalobjekte/dgu20 [18.02.2025]

Museen der Stadt Guben, URL: www.museen-guben.de [06.03.2025]

Objektdatenbank — Deutsches Historisches Museum, URL: db.dhm.de [06.03.2025]

Stolpersteine in Brandenburg, URL: www.stolpersteine-brandenburg.de [06.03.2025]