Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
Die Idee, während meines Chemiestudiums ins Ausland zu gehen, hatte ich schon im Laufe des zweiten Semesters. Nach ausgiebiger Recherche zu den Möglichkeiten eines Auslandsaufenthaltes auf der Internetseite des International Office der Uni Potsdam, hatte ich mich schnell für einen Auslandsaufenthalt in Europa mit Erasmus+ entschieden. Nach den zahlreichen Informationsveranstaltungen der Uni Potsdam, wie z.B. der International Day jedes Jahr im November, war ich mir sicher, nach dem 4. Semester ins Ausland gehen zu wollen. Nach einigen Treffen mit meinem Austauschkoordinator der Uni Potsdam stand für mich fest, dass ich mich an der ENSCL in Lille, Frankreich bewerben werde. Die erste Kontaktaufnahme mit der Gasthochschule erfolgte durch eine Empfehlung meines Korrdinators an der ENSCL. Daraufhin erhielt ich eine E-Mail mit den Hinweisen, welche Bewerbungsunterlagen bis wann einzureichen sind. All diese Dokumente sind ohne Probleme auf der Website der ENSCL auffindbar. Dank des International Office in Potsdam ging das Vervollständigen aller geforderten Dokumente reibungslos. Meine Bewerbung wurde dann von Frau Kettmann Anfang April per Mail an die ENSCL geschickt. Die Aufnahmebestätigung erhielt ich Ende Mai und von da an habe mich bei jeglichen Fragen an das International Office in Lille oder den dortigen Welcome Club gewandt. Auch die Erfahrungsberichte anderer Studenten in Lille haben mir geholfen, mich auf mein Auslandsjahr vorzubereiten.
Studium an der Gastuniversität
Das Studienjahr an der ENSCL gliedert sich wie in Potsdam in Winter- und Sommersemester, wobei die Zeiträume von September bis Mitte Januar und Mitte Januar bis Mitte Mai im Vergleich zu Potsdam etwas nach vorne verschoben sind. Juni bis August bieten Zeit für Praktika und Nachklausuren. Die Organisation der ENSCL ist sehr verschult und alle Veranstaltungen sind auf Französisch. Nichtsdestotrotz gliedern sich die Lehrveranstaltungen wie in Potsdam in Vorlesungen, Seminare und Laborpraktika. Man stellt sich keinen individuellen Lehrplan zusammen, sondern im jeweiligen Jahrgang hat jeder denselben Stundenplan. Dieser Stundenplan wechselt wöchentlich ohne nachvollziehbares Konzept. Auch muss man mit mehr Theoriestunden als Laborpraktika rechnen. Die jeweiligen Module setzen sich aus vielen Teilmodulen mit jeweils mehreren Teilklausuren zusammen. Dadurch wird das Studium sehr stressig und unübersichtlich. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Organisation der Lehrveranstaltungen wesentlich komprimierter als in Deutschland ist. Zum Beispiel hatte ich einige Lehrveranstaltungen nur für 3 Wochen, aber dafür jeden Tag 2 Vorlesungen. Auch die Prüfungszeit ist sehr komprimiert. Im Grunde gibt es pro Semester eine Prüfungswoche, in der mit bis zu 9 Klausuren zu rechnen ist. Die restlichen Teilklausuren verteilen sich je nach den Vorlieben des Professors über das Semester. Außerdem sind alle Laborpraktika in Gruppenarbeit (4er oder 2er Teams) zu erledigen. Dies war einerseits hilfreich, weil nur 1 Protokoll pro Gruppe angefertigt werden musste, aber andererseits schwierig organisatorisch zu bewältigen. Wie auch alle anderen „Grandes Ecoles“ in Frankreich, legt die ENSCL großen Fokus auf individuelle Betreuung, sodass jedem Studenten ein Lehrender der ENSCL als Tutor zugeordnet wird. Dieses System funktionierte für die französischen Studenten gut, aber für ausländische Studenten ist es noch ausbaufähig. Gerade bei der Praktikumssuche hätte ich mir mehr Unterstützung von Seiten meines Tutors gewünscht. Auch das Studienklima unter den Franzosen habe ich als deutlich besser als in Deutschland empfunden. Die Zugangskarte für die Uni ist der Studentenausweis, der ebenfalls zum Essen in der Mensa und als Zimmerkarte fürs Wohnheim dient. Die Bibliothek ist ein sehr modernes und lichtdurchflutetes Gebäude, allerdings sind die Öffnungszeiten sehr eingeschränkt und die Arbeitsatmosphäre sehr unruhig. Dennoch lohnt sich ein Besuch. Kleiner Tipp: Die Kaffeeautomaten im Foyer sind super!
Kontakt zu einheimischen und internationalen Studierenden
Der Kontakt zu den einheimischen Studierenden ist leider kaum vorhanden gewesen. Ich persönlich bin sehr offen und neugierig den Franzosen gegenübergetreten und habe es trotzdem nicht geschafft, mich in meinem Jahrgang zu integrieren. Leider hatte ich auch das Gefühl, dass viele der Studierenden kaum Interesse daran hatten, sich mit uns ausländischen Studenten auszutauschen. Der Kontakt zu den ausländischen Studenten war dafür umso besser. Auch Dank der vom Welcome Club organisierten „Welcome Days“ konnten wir uns alle in den ersten Tagen kennenlernen. In den darauffolgenden Monaten haben wir in kleineren und auch größeren Gruppen viel zusammen erlebt: Tagesausflüge, Städtereisen, gemeinsame Abende im Pub, Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, Internationales Kaffeetrinken, italienischer Abend und viele weitere Erlebnisse. Kleiner Tipp: Die beste Pizza gibt es bei Papà Raffaele! Kommuniziert haben wir vorrangig in englischer Sprache.
Sprachkompetenz vor und nach dem Auslandsaufenthalt
Trotz Französischunterricht bis zum Abitur, habe ich als Vorbereitung auf meinen Auslandsaufenthalt die UNIcert II Kurse (B1/B2) für Französisch der Uni Potsdam besucht. Den vor dem Aufenthalt zu absolvierenden OLS Sprachtest hatte ich mit einem B1 Niveau abgeschlossen. Zum Zeitpunkt meiner Ankunft konnte ich geschriebenes Französisch gut verstehen, war aber nicht in der Lage Konversationen zu folgen oder selbst zusammenhängende Sätze (mehr als mich selber vorzustellen) zu formulieren. Es hat bis Weihnachten gedauert die Konversationen unter Franzosen zu verstehen und bis Ostern um relativ frei zu sprechen und an Konversationen teilnehmen zu können. Für das orale Verständnis war es sehr hilfreich, dass alle meine Kurse auf Französisch unterrichtet wurden. Ich konnte während meiner Zeit in Lille mein Vokabular erweitern, mein Lese- und Hörverstehen verbessern und außerdem meine Angst vor dem Sprechen einer Fremdsprache ablegen (C1 Niveau).
Wohn- und Lebenssituation
Um die Unterkunft der ausländischen Studenten kümmert sich das International Office der ENSCL. Bei den Bewerbungsunterlagen gibt es ein Formular fürs Wohnheim, welches man mit seinen Wünschen ausfüllen und mit der Bewerbung zusammen abschicken kann. Eine Information über Ort und Preis der Wohnung kam eine Woche vor Anreise in Lille per Email. Darin waren alle Dokumente aufgeführt, die zur Ankunft im Wohnheim einzureichen sind. Eines dieser Dokumente ist eine französische Hausratsversicherung, die dem Wohnheim in ausgedruckter Form vorgelegt werden muss. Die Miete richtet sich nach dem jeweiligen Wohnungs-Typ des Studenten Apartments und ist im Durchschnitt etwas höher als im Studentenwerk Potsdam, aber bezahlbar. Ich bewohnte ein 18m2 großes Zimmer mit eigener Küche und Bad im zweiten Stock eines renovierten Wohnheims für 302,30€. In Frankreich gibt es kein Semesterticket. Allerdings bietet der öffentliche Nahverkehr in Lille ein 10 Monatsticket für Studenten bis 25 Jahre. Ich persönlich habe ein französisches Bankkonto eröffnet, weil ich das französische Wohngeld beantragen wollte. Dafür wurde ein Gruppentermin von der ENSCL organisiert. Ich bin der Meinung, dass man das französische Konto nicht braucht, wenn man eine deutsche Kreditkarte besitzt. Als Deutscher Bürger haben wir alle eine Krankenversicherung und Krankenkassenkarte, die wir auch in Frankreich benutzen können. Zur Sicherheit hatte ich eine zusätzliche Auslandskrankenversicherung abgeschlossen. Von der Uni organisierte Freizeitangebote gibt es nicht, aber Lille bietet sehr viele verschiedene Möglichkeiten, diese freie Zeit zu verbringen. Eine Veranstaltung, die ich euch wirklich ans Herz legen würde, ist der French Corner. Das ist eine wöchentliche Veranstaltung zwischen September und Februar, die jeden Freitag ab 19 Uhr im Zentrum von Lille stattfindet. Dort hat man die großartige Möglichkeit Französisch zu lernen und anzuwenden. Der Abend beginnt mit Pizza essen und quatschen, anschließend werden ein paar lustige Spiele gespielt, vor allem um Vokabeln zu erlernen, und zum Schluss wird noch über gesellschaftliche Themen diskutiert (alles nach dem jeweiligen persönlichen Französisch-Level unterteilt).
Studienfach: Chemie Bachelor of Science
Aufenthaltsdauer: 08/2018-07/2019
Gastuniversität: Ecole Nationale Supérieure de Chimie de Lille
Gastland: Frankreich
Rückblick
Auch wenn ich nicht nur durchweg positive Erfahrungen während meiner Erasmuszeit in Lille gesammelt habe, kann ich trotzdem jedem einen Auslandsaufenthalt empfehlen. Am Ende bleiben all die positiven Erinnerungen. Ich habe in diesem Jahr tolle Freunde gefunden und viele neue Eindrücke und Erfahrungen gesammelt. Also an ALLE da draußen, egal ob Studium, Praktikum, Bachelor-/Masterarbeit, PhD oder Postdoc … Geht ins Ausland, es lohnt sich!