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Freundschaftstempel

von Tom Dera (09.05.2023)

Version für Erwachsene

Ob aus Schwäche, ob aus übertriebener Zuneigung, ich habe für meine Schwester getan, was Cicero für seine Tullia plante. Ich habe ihr einen der Freundschaft geweihten Tempel errichtet; ihre Statue steht im Hintergrund, und an jeder Säule befindet sich ein Medaillon mit dem Brustbild von Heroen der Freundschaft. […] Diesen Tempel habe ich in einem Hain meines Gartens platziert. Ich begebe mich häufig dorthin, um mich an Verlorenes und an einst genossenes Glück zu erinnern.“1

Dies schrieb König Friedrich II. am 24. Oktober 1773 an seinen Freund Voltaire und stellt damit bereits das Wesen des Freundschaftstempels dar – die Widmung an seine ältere Schwester Wilhelmine von Bayreuth (1709-1758) und somit das Thema der Freundschaft.

Der sich im Park Sanssouci unweit des Neuen Palais in symmetrischer Achse zum Antikentempel befindende Freundschaftstempel wurde in den Jahren 1768-1770 nach eigenhändigen Skizzen Friedrichs II. durch den Architekten Karl von Gontard errichtet. Es handelt sich um einen halboffenen Rundtempel korinthischer Säulenordnung. Im Zentrum des Bauwerks befindet sich an der Rückwand eine überlebensgroße marmorne Sitzstatue der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, gekleidet in ein luftig-wallendes Gewand und hochgeschnürte Sandalen. Sie wurde in der Position der Philosophierenden dargestellt, in der sie ihr Bologneser-Hündchen Folichon auf ihrem Schoß mit dem rechten Arm umschlungen hält. Dabei stützt sie ihren Kopf leicht auf ihren linken Handrücken und hält in ihrer rechten Hand so programmatisch Voltaires Buch Traité de l’amitiè. So wurde Wilhelmine durch den Bildhauer Johann Lorenz Wilhelm Räntz um 1772 einem Gemälde des Hofmalers Antoine Pesne aus der Zeit um 1750 nachempfunden.2 Ebendieses 1732 verfasste Werk Voltaires bildet die literarische Vorlage für den Tempel, über die hinaus Friedrich lediglich die für ihn und seinen Tempel so bedeutsame Statue Wilhelmines ergänzte.3

Anlass für die Errichtung des Tempels war zehn Jahre nach Wilhelmines Tod wohl die späte Reue, sich seiner geliebten Schwester nicht durch Anteilnahme und persönliche Wärme mehr geöffnet zu haben, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Stattdessen brachte Friedrich ihr eine zwar vertraute, jedoch stark von gesellschaftlichen Konventionen gerahmte und oft egoistische „Freundschaft“ entgegen. Deutlich wird dies vor allem durch den Briefwechsel kurz vor Wilhelmines Tod, in dem sie diesen Wunsch immer wieder leidvoll beteuerte, allerdings bei ihrem Bruder damit auf Unverständnis stieß. Erst in seinem letzten Brief vom 12. Oktober 1758 wandte sich Friedrich voller Empathie und ehrlicher Hoffnungen an seine Schwester. Dieser Brief hat sie jedoch tragischerweise nicht mehr erreichen können, da sie zwei Tage später bereits verstarb.4

Dies war für Friedrich keineswegs das einzige tragische Ende einer Freundschaft, der er nicht mehr rechtzeitig Ehre und Dank erbieten konnte und wollte. Ähnlich erging es ihm mit seinen Vertrauten Francesco Algarotti und Jean-Baptiste de Boyer, Marquis d’Argens. Einzig bei Voltaire hatte sich Friedrich noch zu dessen Lebzeiten einsichtig zeigen und sich ihm somit wieder annähern können.

Friedrich war es ein Bedürfnis, jenen ein Denkmal zu setzen, denen eine Ehrerbietung nicht mehr lebend zuteilwerden konnte. Es war der Versuch, das Versäumen seiner eigenen freundschaftlichen Pflichten wiedergutzumachen. Dies veranlasste er für Algarotti und für den Marquis d’Argens in Form von Grabmälern. Der Verlust Wilhelmines war für ihn aber wohl der schwerste, weswegen er ihr diesen eindrucksvollen und gehaltvollen Tempel errichten ließ.5

Gehaltvoll ist der Tempel nicht nur durch seine Referenz zu Voltaires Temple de l’amitié, sondern direkt durch den Bezug auf die Antike und die damit verbundene Darstellung der Freundschaft als einen Wert, der Zeiten überdauert und niemals ohne Bedeutung sein wird. Freundschaft war bereits in der Antike eine wichtige Form der sozialen Bindung, die auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen ausgeübt wurde. Mit dem Freundschaftstempel beruft man sich auf den Mythos und damit auf zeitlose Charaktere, die die ebenso zeitlosen Ideale und Werte von Freundschaft verkörpern. Die acht Medaillonreliefs an den vier Säulenpaaren des Tempels bilden Portraits berühmter Freundespaare der Antike ab, mit deren Namen sie in griechischen Buchstaben jeweils beschriftet sind: Herakles und Philoktetes, Pylades und Orestes, Euryalos und Nisos, Peirithoos und Theseus. Geschaffen wurden sie in den Werkstätten der Witwen von Bayreuther Bildhauern, die einst für Wilhelmine gearbeitet hatten.6 Die vier abgebildeten Paare sind weniger konkret mit Ereignissen oder besonders gearteten Freundschaften verbunden, als dass sie allgemein bekannt waren und ihre Geschichten beispielhaft für freundschaftliche Werte standen. So bestand die Bindung zwischen Theseus und Peirithoos ein Leben lang und war geprägt von gegenseitiger Unterstützung bei dem Beschreiten des Lebensweges.7 Pylades und Orestes verkörpern Kameradschaftlichkeit und Unzertrennlichkeit, sodass sie bereits in der Antike als idealtypisches Freundespaar galten.8

Auffallend und allen gemein ist, dass es sich um ausschließlich männliche Freundespaare handelt, denen die heterogeschlechtliche Freundschaft zwischen Friedrich und Wilhelmine gegenüber- und somit in eine Reihe mit ihnen gestellt wird. Darüber hinaus bemerkenswert ist in zweierlei Hinsicht die Tatsache, dass Wilhelmine als Person überhaupt dargestellt wurde, wo Friedrich weder sich selbst noch einem anderen Zeitgenossen im Park Sanssouci ein Denkmal errichten ließ, und eine derartige überlebensgroße Statue einer Frau allgemein einzigartig in dieser Zeit erscheint. Dem gegenüber ist allerdings zu berücksichtigen, dass Friedrich mit der Errichtung dieses Ehrenmals die Bestimmung des Andenkens seiner Schwester vollkommen für sich beanspruchte und ihre Persönlichkeit in der Erinnerung auf das Verhältnis zu ihm als seine Lieblingsschwester reduzierte, was natürlich nur seiner Sichtweise entspricht.9

Die Relevanz des Themas Freundschaft in der Moderne steht außer Frage. Ein großes Thema ist sie in der rezipierenden Kunst, aber auch in der zeitgenössischen Literatur. In Büchern und Filmen für Kinder und Erwachsene hat die Darstellung und Vermittlung von freundschaftlichen Werten einen hohen Stellenwert. Und auch in der Frage nach der Bedeutung der Freundschaft für Individuum und Gesellschaft ist der mediale Diskurs ungebrochen, so geht beispielsweise Deutschlandfunk Nova in seinem Sendeformat Ab 21 regelmäßig Fragen rund um das Thema Freundschaft auf den Grund. Jüngst wurde unter anderem die Frage gestellt, warum Freundschaften gerade in der aktuellen Zeit so essentiell seien. Kritisch hinterfragt wurde auch, wo bei strategischen Freundschaften die Grenze zwischen gegenseitigem Nutzen und Ausnutzung verlaufe oder wie Freundschaften enden.10

König Friedrich II. leistet mit dem im 18. Jahrhundert für seine Schwester Wilhelmine errichteten Ehrenmal vielleicht bis heute einen Beitrag zum Entstehen und Fortleben von Freundschaften, indem er mit diesem Freundschaftstempel einen Ort schuf, an dem Paare und Gruppen von Freunden eingedenk der innigen und doch tragischen Freundschaft zwischen dem Preußenkönig und seiner Schwester gesellig sein können. Durch den Tempel, die Helden-Medaillons und den Zeitgeist Friedrichs weht auch heute noch ein Hauch der Antike rund um den Freundschaftstempel in Sanssouci.

 

 

1 Zit. nach Pleschinski, H. (Hrsg.): Aus dem Briefwechsel. Voltaire – Friedrich der Große, Zürich, 2. Aufl., 1993, S. 489f.
2 Vgl. Buttlar, A. v./Köhler, M.: Tod, Glück und Ruhm in Sanssouci. Ein Führer durch die Gartenwelt Friedrichs des Großen. Ostfildern 2012, S. 125.
3 Vgl. Hagemann, A. P.: Zitat und Kopie bei Friedrich II., In: Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Friederisiko. Friedrich der Große. Die Ausstellung. München 2012, 176-185, S. 183f.
4 Vgl. Luh, J.: Freundschaften? – Verhältnisse. – Friedrich und seine Vertrauten, In: Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Friederisiko. Friedrich der Große. Die Ausstellung. München 2012, 330-341, S. 334-336; 340.
5 Vgl. Luh, J.: Freundschaften? – Verhältnisse. – Friedrich und seine Vertrauten, In: Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Friederisiko. Friedrich der Große. Die Ausstellung. München 2012, 330-341, S. 338ff.
6 Vgl. Heilmeyer, M./Bach, H.: Die Gärten der Könige. Stimmungsbilder aus den preußischen Gärten in Berlin, Potsdam und der Mark Brandenburg. München u.a. 2009, S. 106.
7 Vgl. Grant, M./Hazel, J.: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. München 101994, S. 324; vgl. Ov. Met. 12,210-537.
8 Vgl. Grant, M./Hazel, J.: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten. München 101994, S. 310; 359; vgl. Cic. Lael. 24.
9 Vgl. Berger, G.: Wilhelmine von Bayreuth. Leben heißt eine Rolle spielen. Regensburg 2018, S. 217.
10 Verweis auf zwei Sendungen aus dem Sendeformat „Ab 21“ von Deutschlandfunk Nova, URL: https://www.deutschlandfunknova.de/podcasts/download/ab-21 (Mempel, L.: Freundschaft – Wie wir unsere Liebe füreinander zeigen, gesendet am 03.04.2023 und Rogall, Sh.: Beziehungen – Strategische Freundschaften, die uns nutzen, gesendet am 13.03.2023).

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Version für Kinder

Der Tempel, den du vor dir siehst, trägt den Namen Freundschaftstempel. König Friedrich der Große ließ ihn zu Ehren seiner Lieblingsschwester Wilhelmine von Bayreuth um 1770 errichten – zehn Jahre nach ihrem Tod.

Ebenso wie zahlreiche andere Bauwerke und Statuen im Park Sanssouci enthält der Freundschaftstempel viele Anspielungen auf die Antike. Findest du sie?

Richtig! Sicher sind dir die acht großen runden Medaillons an den Säulen aufgefallen, die mit griechischen Buchstaben beschriftet sind. Sie tragen die Namen von vier berühmten Freundespaaren aus der antiken Mythologie. Wenn du Lust hast, dann halte das Audio für einen Moment an und versuche die Namen zu entziffern. Bis gleich!

Konntest du herausfinden, welche Heldenpaare auf den Medaillons abgebildet sind?

Wir schauen uns beispielhaft zwei der vier Freundespaare näher an und reisen gedanklich gemeinsam in die Antike:
Das erste Freundespaar ganz links zeigt die Griechen Peirithoos (links) und Theseus (rechts, mit Helm und Lanze).
Sie waren beide sehr verschieden. Während Theseus ein kluger Politiker und Anführer Athens war, handelte es sich bei Peirithoos um einen abenteuerlustigen Luftikus, dem es immer wieder gelang, seinen Freund Theseus zu waghalsigen Abenteuern zu überreden. So reisten sie beispielsweise in das sagenhafte Land der Amazonen und verwickelten sich in gefährliche Liebschaften. Auch unternahmen sie später eine Reise in die Unterwelt, weil Peirithoos die Unterweltsgöttin Persephone kennenlernen wollte. In ihrem Reich der Unterwelt wurden sie jedoch gefangen gehalten und verloren ihr Gedächtnis. Theseus wurde von Herkules befreit, als dieser zur Erfüllung seiner zwölf Aufgaben den dreiköpfigen Wachhund der Unterwelt einfing. Doch als er in seine Heimat Athen zurückkehren wollte, vertrieben ihn die Bürger mit den Worten: „Du erlebst ja doch lieber Abenteuer mit deinem tollkühnen Freund Peirithoos, als deiner Heimat Athen treu zu bleiben!“

Gehen wir weiter und schauen uns daneben das Freundespaar links von der Treppe an. Du siehst Herkules, der eben schon angesprochen wurde und seinen treuen Gefährten Philoktetes. Herkules trägt als Erkennungszeichen auf dem Kopf ein Löwenfell und Philoktetes einen Bogen mit Pfeilen auf dem Rücken. Was hat es damit auf sich? Eine der zwölf großen Aufgaben, die Herkules absolvieren musste, um unsterblich zu werden, war das Erlegen des Nemeischen Löwen. Als Trophäe seines Sieges trug er fortan das Löwenfell, das ihn zudem nahezu unverwundbar machte. Philoktetes war der Waffenträger von Herkules und war ihm stets zu Diensten. Viele Jahre später geschah es, dass Herkules unendliche Qualen erleiden musste, weil er ein vergiftetes Gewand angezogen hatte. Wegen der unfassbaren Schmerzen zog er es vor, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sein treuer Freund Philoktetes erwies ihm einen letzten Dienst, indem er den Scheiterhaufen des Herkules entzündete. Zum Dank dafür überließ Herakles dem Philoktetes seinen Bogen mitsamt den Pfeilen, die in das giftige Blut der Schlange Hydra getränkt worden waren. Fortan war Philoktetes der beste Bogenschütze seiner Zeit.

Der Freundschaftstempel bietet noch andere Anspielungen auf die Antike. So sind die Säulen und überhaupt der gesamte Tempel an antike Vorbilder angelehnt und ahmen diese nach.

Reisen wir aus der Antike zurück in die Zeit Friedrichs des Großen und schauen uns einmal das Innere des Tempels an.

Im Tempel sitzt Friedrichs Schwester Wilhelmine als imposante Statue. Sie ist in ein luftiges Gewand gekleidet, trägt verzierte Sandalen und hält ein Buch in der Hand. Auf ihrem Schoß sitzt ihr Hündchen.

Wie du bereits erfahren hast, wurde der Tempel erst zehn Jahre nach dem Tod Wilhelmines errichtet. Warum hat Friedrich so lange gewartet?

Da Friedrich König war, unterscheidet sich das Verhältnis zu seiner Schwester wohl von dem Miteinander heutiger Geschwister. Friedrich ließ den Tempel zehn Jahre nach dem Tod seiner Schwester errichten, weil er bereute, dass er mit seiner Schwester nicht mehr Zeit verbracht und ihr liebevolle Wärme entgegengebracht hatte, wie sie es sich von ihm immer gewünscht hatte. Die Beziehung der beiden Geschwister war oft einseitig auf Friedrich ausgerichtet und von höfischen Pflichten stark eingeschränkt. Erst als es schon zu spät war, wurde sich Friedrich darüber klar und ließ seiner Schwester dieses Ehrenmal errichten.

Bringe zu deinem nächsten Besuch beim Freundschaftstempel doch deine Freunde mit, sage ihnen wie gern du sie hast und reist in euren Gedanken gemeinsam zu unseren treuen Freundespaaren aus der Antike.

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