Wollen Sie Othello als Nachbarn? - Shakespeare und der Schlafmohn
Pflanze des Monats Juni 2016
Es ist eine der perfidesten Intrigen der Literatur überhaupt. Der Fähnrich Jago ist tief gekränkt, weil sein General Othello nicht ihn, sondern den Neuling Cassio zum Leutnant in der Armee Venedigs befördert.
Während Othello ihm weiter vertraut, findet Jago in maßloser Rachsucht einen Weg, Othellos Vertrauen zu Desdemona zu untergraben, seiner frisch angetrauten Gemahlin. Die Tragödie nimmt ihren Lauf: Othello erwürgt Desdemona schließlich aus Eifersucht, die aber grundlos ist, wie er zu spät erkennt, worauf er verzweifelt sich selbst ersticht. Jagos Machenschaften werden jedoch enthüllt, er wird verhaftet und dem Urteil seines Rivalen Cassio unterworfen.
William Shakespeare hat dieses Meisterwerk menschlicher Abgründe mit Rassismus grundiert:
Othello ist ein „Mohr“, also ein Maure, obwohl zum Christentum konvertiert; schon seine Hochzeit wird darum von Desdemonas Vater, einem venezianischen Senator, nur zähneknirschend und nach Vermittlung des Dogen akzeptiert; Othello ist durch diese prekäre Lage in seinem Urteilsvermögen so verunsichert, dass er bei der Frage, wem er vertrauen kann und wem nicht, katastrophal in die Irre geht.
Der vor fast genau 400 Jahren gestorbene Shakespeare kannte sich aber nicht nur in den Abgründen der menschlichen Seele aus, sondern auch in den Abgründen der Pflanzenwelt, den bewusstseinsverändernden Drogen. Ob der „Barde“ selbst Konsument war, ist trotz neuer Indizien mehr als unsicher. Opium war aber seit dem Mittelalter als Tinktur unter dem Namen Laudanum („das Lobenswerte“) allgemein gebräuchlich. Shakespeare konnte also auf allgemeines Verständnis rechnen, wenn er Jago mit gehässiger Befriedigung über
Othello sagen lässt: „Wie er da kommt! Nicht Schlafmohn noch Mandragora, noch alle Schlummertränke dieser Welt bringen dir je den süßen Schlaf zurück, den du noch gestern hattest.“
Der Schlafmohn (Papaver somniferum) ist seit mindestens 5.000 Jahren in Kultur. Reife Samen sind drogenfrei und dienen bis heute als Ölsaat und Kuchenbelag. Unreife Samenkapseln enthalten jedoch einen Milchsaft, der nach Anritzen der Kapsel austritt und verharzt, das Rohopium. Es enthält Morphin und weitere Alkaloide und wurde vermutlich von Anfang an als Schlaf- und Schmerzmittel verwandt.
Opium, Morphin und das daraus hergestellte Heroin machen allerdings schnell süchtig und führen bei Überdosierung zum Tod. Der Anbau von Schlafmohn ist daher heute in Deutschland verboten; der Botanische Garten besitzt eine Ausnahmegenehmigung, er zeigt die alte Kulturpflanze in verschiedenen Sorten.