Mallorca im Herbst
Pflanze des Monats Oktober 2015
Der Ölbaum
Mallorca im Herbst. Es nieselt, und es ist kühl. Gärtnerwetter!
Stellen Sie sich vor, Sie sind Gärtner. Auf Mallorca haben Sie die Aufgabe, für einen vermögenden Auftraggeber einen Garten anzulegen.
Nein, viel besser: stellen Sie sich vor, Sie selbst sind dieser Auftraggeber.
Soeben haben Sie für ein paar Millionen eine Finca gekauft. Ein Schnäppchen! Der Vorbesitzer hat bereits das ganze Haus modernisieren lassen, bevor er in der letzten Immobilienkrise unterging. Olivenholz in den Schlafzimmern, Marmor in den Badezimmern, alles bescheiden aber geschmackvoll, genau so wie
Sie’s auch selber gemacht hätten. Sie können sich also ganz auf den Garten konzentrieren. Das Anwesen liegt am Meer, die Küste ziemlich felsig, aber mit eigenem Bootsanleger in einer kleinen Bucht, zu der eine Treppe hinabführt, von wo Sie gerade jetzt durch den Nieselregen aufs Meer hinausblicken und darüber sinnieren, wie das Leben so spielt.
Da nähert sich Ihr Gärtner. Der Tieflader sei da. Wo die zwölf 500jährigen Ölbäume nun hinsollen, die Sie bestellt haben. Er hat übrigens volle Lippen, eine breite Nase und kohlrabenschwarze Haut, Ihr Gärtner.
Stellen Sie sich vor, Sie seien nicht nur vermögend, sondern auch sensibel und einfühlsam. Doch, das kommt vor. Den Menschen zugewandt! Darum wissen Sie schon eine ganze Menge über Ihren Gärtner. Zum Beispiel, dass er in einem kleinen Dorf in Kenia geboren ist. In der Schule immer der Beste war. In Nairobi Biologie und Landwirtschaft studiert hat und dort sogar promoviert wurde, mit einer Studie über die Gattung Olea, also die Olivenbäume.
Wenn das kein Zufall ist … Er hat Ihnen auch etwas vom Inhalt seiner Doktorarbeit erzählt, wobei sogar ein kleines Leuchten in seinen Augen erschien. Dass es in Afrika neun verschiedene Ölbaum-Arten gibt, wovon mehrere bis hinunter ans Kap vorkommen. Dass Olea europaea, der Echte Ölbaum oder Olivenbaum, von dem dort auf dem Tieflader zwölf 500jährige Prachtstücke für Ihre Finca stehen, dass also dieser Baum bereits seit der Bronzezeit vom Menschen genutzt wird, um Öl zu gewinnen. Dass Ölbäume dank ihrer enormen Regenerationskraft viele hundert Jahre alt werden können und sich, sehr bemerkenswert, auch im hohen Alter noch verpflanzen lassen. Dass sie nur blühen, wenn der Winter kälter als 10° war. Weswegen in Kenia – an dieser Stelle, Sie haben es genau gesehen, ist das Leuchten in seinen Augen erloschen –weswegen in Kenia ihr Anbau keinen großen Sinn machen würde.
Wir verlassen hier diese frei erfundene Geschichte und überlassen es Ihrer Fantasie, sich vorzustellen, welches Schicksal denn diesen schwarzen Gärtner mit seinem kenianischen Doktortitel nach Mallorca verschlagen haben könnte. Ob er einer dieser boat people ist, illegal übers Meer gekommen und dabei mit
Glück weder verdurstet noch ertrunken. Oder ob er legal für die Mitarbeit in einem Forschungsprojekt über Ölbäume eingereist ist und sich jetzt, nach dem Ende des Projekts, als Gärtner verdingt.
Sicher fallen Ihnen noch weitere Möglichkeiten ein. Nicht erfunden ist die Tatsache, dass die Kenyatta-Universität in Nairobi tatsächlich eine der wenigen schwarzafrikanischen Hochschulen mit eigener botanisch-systematischer Forschung ist. Auch die Fakten über die Gattung Olea sind natürlich nicht erfunden, und auch nicht die Tatsache, dass es häufig gerade die besser Gebildeten sind, die dem schwarzen Kontinent den Rücken kehren, weil sie dort keine Perspektive für sich sehen. Auch wenn es für sie gewiss nicht weniger bitter ist als für alle Menschen, ihre Heimat zu verlassen.
Stellen Sie sich doch einfach noch einmal vor, Sie seien der Gärtner.