Wie viele Pflanzenarten gibt es?
Die Purpursäulchen-Maxillarie
Nach der letzten Bilanz im Juni 2018 sind auf der Welt bisher rund 360.000 Arten von sogenannten „höheren“ Pflanzen wissenschaftlich beschrieben und anerkannt, Moose und Algen („niedere Pflanzen“) nicht eingerechnet. Damit sind schätzungsweise 80% der existierenden Arten erfasst. Die resultierende Gesamtzahl von über 400.000 Arten von „höheren“ Pflanzen weltweit klingt beeindruckend; sie liegt fast doppelt so hoch wie Schätzungen noch vor einigen Jahren.
Die Zählung ist viel genauer geworden, seit es wieder eine globale Gesamtliste aller bekannten Pflanzenarten gibt, wie zuletzt vor über 100 Jahren. Sie ist als „The Plant List“ online einsehbar und wird kontinuierlich korrigiert und ergänzt. Demzufolge sind die Orchideen mit rund 26.470 Arten die artenreichste Pflanzenfamilie.
Die Purpursäulchen-Maxillarie (Maxillaria porphyrostele) aus Brasilien ist eine davon. Sie bildet dichte Rasen aus zwiebelförmigen Sprossen mit je zwei schmalen Blättern an der Spitze. Dazwischen erscheinen die apart blassgelben Blüten mit einem dunkelroten Säulchen im Zentrum. Beim Säulchen handelt es sich um ein orchideentypisches Blütenteil, an dem sowohl männliche als auch weibliche Organe zu finden sind.
Eine Zählung von Arten setzt voraus, dass es Arten an sich tatsächlich gibt. Aber ist das so? Biologen definieren eine Art gewöhnlich als eine Gruppe von Lebewesen, die miteinander real oder potenziell Nachkommen zeugt, nicht aber mit Vertretern der nächst benachbarten Gruppen, die dies wiederum nur untereinander tun.
Die Realität jedoch sieht stellenweise anders aus. Viele Pflanzenarten kreuzen sich gelegentlich mit nahe verwandten Arten, manchmal sogar mit scheinbar weit entfernten. In einigen Fällen lassen sich so ganze Gruppen nur schwer in Arten gliedern, denn überall gibt es Übergänge, ja die Zwischenform scheint hier eher die Norm zu sein als die wohldefinierte Art. Gerade bei Orchideen ist das häufig zu beobachten.
Die Purpursäulchen-Maxillarie gehört zu so einer Gruppe. Eine umfangreiche Studie an 340 Pflanzen aus sechs eng verwandten, südostbrasilianischen Wild-„Arten“ zeigte, dass sich diese nach allen erfassten Merkmalen nicht sauber voneinander trennen lassen; wenn doch, dann scheinen eher geografische Trennungsfaktoren zugrunde zu liegen als absolute Kreuzungsbarrieren. Eine mögliche Lösung wäre, die ganze Gruppe zu einer – sehr variablen – Art zu erklären; eine andere, jede auftretende Neukombination von Merkmalen wieder als neue Art zu beschreiben. Oder, und so sieht die derzeitige Lösung aus, beim hergebrachten Konzept zu bleiben. Bauchschmerzen hat man in jedem Fall.
Wie viele Orchideenarten es tatsächlich gibt, lässt sich deshalb nicht so genau sagen. Aber das zuzugeben, fällt einem richtigen Botaniker schwer. Er würde damit ja einräumen, dass sein wichtigstes Bezugssystem, die Gliederung des Pflanzenreichs in Arten, der Wirklichkeit gar nicht immer entspricht.