Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
Die Vorbereitung meines Auslandsaufenthalts empfand ich als relativ unkompliziert. Im Vergleich zu einem Erasmus in Frankreich (hier hatte ich die Bewerbung einer Freundin gleichzeitig mitbekommen) hatte ich relativ viel Zeit meine Bewerbungsdokumente zu senden. Da das Studium auf Englisch ist gab es hier auch kaum kompliziert/aufwendig zu beschaffende Dokumente.
Was wirklich wichtig ist, ist sich früh genug um einen gültigen Reisepass zu kümmern, da dieser nicht nur für die Einreise/Visum, sondern auch für die Bewerbung benötigt wird.
Insgesamt lief die Kommunikation mit der Uni sehr gut und mir wurde oft erstaunlich schnell auf meine Mails geantwortet.
Studium an der Gastuniversität
Die von mir gewählten Kurse fand ich zu großen Teilen sehr interessant und ich habe mich gerne auch intensiv auf diese vorbereitet. Erasmusstudierende haben meines Wissens auch einen Vorteil bei der Kurswahl gegenüber den dort eingeschriebenen und können eigentlich jeden angebotenen Kurs wählen (sind z.B. nicht von Platzlimitierungen betroffen).
Die Kurse finden dann in 2:50h Blöcken statt. Das war zunächst etwas gewöhnungsbedürftig für mich, nach einer Zeit habe ich das allerdings sehr geschätzt, da Pausen gemacht werden und man so trotzdem tiefer/weiter in einer Einheit kommt.
Ich hatte 2 Kurse mit relativ hohen Anforderungen, das lag aber unter anderem auch an dem Dozent der beide unterrichtete. Ansonsten sind die Kurse gut machbar und vergleichbar mit denen an der Uni Potsdam. Besonders ist, dass es Mid-term (nach der ersten Hälfte des Semesters) und Final Klausuren gibt.
Alle als englisch angegeben Kurse wurden auch zuverlässig auf Englisch unterrichtet (das war bei anderen Unis in Istanbul auch anders).
Kontakte zu einheimischen und internationalen Studierenden
Meine ersten Kontakte bekam ich durch meine WG und durch die Orientierungswoche meiner Uni. In dieser O-Woche haben wir einerseits viel Veraltungsangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt/Visa Anmeldung erledigt. An anderen Unis mussten Freund*innen von mir das viel mehr im Alleingang machen, das hat mir das deutlich vereinfacht. Daneben hatten wir aber auch viele tolle Ausflüge bei denen ich dann eine recht große Freundesgruppe fand. Auch die Buddys von der Uni möchten einem das Ankommen auf jeden Fall erleichtern und je nachdem wie gut man sich versteht hatten manche auch über das Semester noch viel Kontakt.
Istanbul hat unheimlich viele Universitäten. Dementsprechend gibt es auch, je nach Wohnort, recht große Erasmus-Bubbles in Istanbul, oft auch ziemlich nach Sprache aufgeteilt (also deutsch, französisch,…). Es lohnt sich hier meiner Meinung nach aber auf jeden Fall im Kontakt mit den internationalen Studierenden der eigenen Uni zu bleiben und nicht in der eigenen Sprachblase zu bleiben.
Kontakt zu schon länger in Istanbul lebenden Personen kann man eigentlich auch gut bekommen. In meinem Aufenthalt wurde immer sehr positiv darauf reagiert, wenn ich sagte, dass ich aus Deutschland komme (viel auch von älteren Personen). Gleichzeitig ist es ein Ding in der Türkei deutsch zu lernen (um z.B. mal in Deutschland zu studieren), sodass ich auch einige junge Personen getroffen habe und wir beide etwas unsere Sprachen üben konnten.
Sprachkompetenz vor und nach dem Auslandsaufenthalt
Ich habe vor meinem Aufenthalt für ein Semester einen Türkisch-Kurs (von einer Berliner Uni da ich mehrfach besucht und würde das allen die die Kapazität haben auch unbedingt empfehlen. Türkisch ist eine sehr logisch aufgebaute und regelmäßige Sprache und macht deshalb auch zunächst einmal ziemlich Spaß zu lernen (da es sehr anders strukturiert als deutsch/englisch/französisch,… ist dauert es aber ein bisschen bis man reinkommt). Die Anmeldung für die Türkisch Kurs der BAU habe ich leider verpasst, das wäre auch ein bisschen kompliziert gewesen (aber auf jeden Fall absolut machbar). Ich habe zwischendurch dann private Sprachschulen ausprobiert, aber das hat für mich nicht gut geklappt und nach den ersten 2 Monaten habe ich das dann aufgegeben. Für den Alltag (Essen bestellen, bezahlen, fragen wo etwas ist, vorstellen,…) hat mein vorher gelerntes Türkisch dann auch gereicht. Dennoch lohnt es sich für den Aufenthalt da mehr zu investieren. Ich hätte aber z.B. gerne auch politische Veranstaltungen besucht, das hätte nach dem was ich gefunden habe, aber keinen Sinn gemacht.
Wohn- und Lebenssituation
Über meinen Türkisch Kurs hatte ich schon in Berlin einen Freund kennen gelernt der im selben Semester ein Erasmus in Istanbul machte und von dem ich den Kontakt für meinen Vermieter bekommen habe. Ansonsten kann man auf Facebook nach Gruppen suchen (z.B. Istanbul Flat Share,…). Die auf Erasmusstudierende ausgelegten Angebote sind nicht billig, eine typische Miete liegt so zwischen 400 und 550€ (direkt nach mir wurde bspw. meine Miete aber auch deutlich erhöht, das stimmt evt. bald nicht mehr). Der Kontakt mit dem Vermieter lief meistens ganz okay. Wenn etwas kaputt ist, dann muss man sich oft melden und sagen, dass das jetzt gemacht werden muss, dann läuft das ganz gut.
Was etwas komplizierter war, war die Beantragung des Visums („residency permission“). Zunächst muss man sich hier darauf vorbereiten, dass das viel Geld kosten kann. Man muss nämlich nachweisen, dass man in der Türkei in einer Wohnung wohnt, das kann man entweder über einen notarisierten Mietvertrag (sehr teuer, aus Erinnerung ca. 130€ pro Person, aber offiziell richtig). Manche Vermieter geben einem aber auch eine „Taahhütname“, die besagt, dass man mit dem Vermieter in der Wohnung wohnt (aber nur ca. 12€ kostet). Wenn man Glück hat bekommt man letztere.
Für das Visum braucht man außerdem eine gültige Krankenversicherung. Zwischen der Türkei und Deutschland besteht ein Sozialversicherungsabkommen, d.h. mit einer gesetzlichen deutschen Krankenversicherung ist man grundsätzlich auch da versichert. Die wird aber nicht immer bei der Residency permission application akzeptiert. Vor Ort kann man dann für ca. 40€ pro Jahr eine Krankenversicherung bekommen mit der das klappt (ich glaube aber das da kaum Leistungen enthalten sein können, das wurde uns über die Uni/die Buddys vermittelt.
Bei Ärzt*innenbesuchen sollte man wenn möglich zuerst die eigene Krankenkasse anschreiben und nach Kontakten von Ärzt*innen fragen, bei denen man sich den Besuch rückerstatten lassen kann.
Die öffentlichen Verkehrsmittel in Istanbul sind ziemlich gut. Insbesondere Metro und Fähre sind super zuverlässig. Google Maps funktioniert für Öffis in Istanbul ganz gut, besonders für andere Landesteile empfiehlt sich aber die App „Moveit“.
Man kann eigentlich fast überall auch schon kleine Beträge mit Karte bezahlen. Geld abheben war für mich dagegen an vielen Automaten recht teuer. An Automaten der HSBC Bank konnte ich gebührenfrei abheben, die Vakif-Bank hat relativ geringe Gebühren und auch die Kuveyt Türk Bank wurde mir als gebührenfrei empfohlen (hängt aber immer auch von der eigenen Bank ab).
Insgesamt sind die Lebenserhaltungskosten etwas geringer aber grundsätzlich vergleichbar mit Deutschland. Essen im Restaurant gibt es schon recht günstig, da man aber viel unterwegs ist läppert sich das und ich habe nach ein paar Monaten deutlich mehr Geld ausgegeben als ich wollte.
Studienfach: Psychologie
Aufenthaltsdauer: 09/2024 - 01/2025
Gastuniversität: Bahçeşehir Üniversitesi
Gastland: Türkei
Rückblick
Insgesamt hatte ich einen sehr guten Aufenthalt, von dem ich viel mitgenommen habe.
Wenn man die Zeit findet würde ich unbedingt empfehlen ein bisschen in der Türkei rumzureisen.
Für queere Personen kann ich die Instagram Accounts der istanbulpride und transprideistanbul sehr empfehlen. Die sind sehr aktiv und posten einiges zum allgemeinen politischen Geschehen, organisieren aber auch sweete Parties wo man tolle Leute kennen lernt.
Die Heinrich Böll Stiftung hat auch eine Stelle in Istanbul, die haben auch einen Insta Account wo man interessante Veranstaltungen mitbekommt. Z.B. habe ich dort von einer Ausstellung im DepoIstanbul über Polizeigewalt in Deutschland erfahren.
Neben all dem positiven möchte ich aber auch sagen, dass die Türkei ein nationalistisch und autoritär regiertes Land ist. Ich habe während meines Aufenthaltes von einer queeren Party gehört, die die Polizei gestürmt und viele Personen mitgenommen hat. Die Pride wird beispielsweise auch jedes Jahr unter fadenscheinigen Argumenten verboten. Manche Internetseiten waren nur mit VPN erreichbar (allerdings vorallem spezifisch mit Informationen über die Türkei), auch war während meines Aufenthalts mal für ein paar Tage Instagram/Youtube geblockt. Das meiste hiervon muss man nicht unbedingt mitbekommen während man da ist, ich empfehle aber sich auch mit regierungskritischen Menschen vor Ort über ihre Situation zu unterhalten.