Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
ERASMUS war mir schon lange bekannt und ich hatte vor dieses großartige Angebot auf jeden Fall in meinem Studium zu nutzen. Nach meinem ersten Studienjahr, welches ich zum „Ankommen“ nutzte, bat ich also um ein Gespräch mit den verantwortlichen Koordinatoren an der UP und bewarb mich. Ich wurde glücklicherweise für meinen Zweitwunsch Grenoble (Erstwunsch war Stockholm) angenommen.
Ich musste mich anschließend an der Université Grenoble Alpes (UGA) bewerben, wozu ich per E-Mail in Kommunikation mit meinen Koordinatoren im Ausland trat. Es wurde mir ein Link zu einem Bewerbungsportal zugeschickt, welches grob wie jedes andere auch aufgebaut war. Wie alles mit Erasmus muss man erstmal einiges an Papierkram machen, aber es ist durchaus schaffbar und eigentlich alles erklärt. Falls ich doch ein Problem hatte, hat die Kommunikation einwandfrei funktioniert und ich bekam recht schnell hilfreiche Antworten. Die Kommunikation fand auf Englisch oder Französisch statt, ich empfehle aber für den allgemeinen Aufenthalt dort doch ein gutes Grundniveau an Französisch und Englisch zu haben (Ich benötigte auch ein Sprachzertifikat mit mindestens Niveau B2 in Französisch).
Außerdem wurde ich in Kontakt mit den Crous gesetzt, welche für Studentenwohnheime verantwortlich sind. Man gibt ihnen eine Preisspanne an, und sie schlagen einem ein Zimmer vor – dieses kann nur annehmen oder ablehnen, und es ist der einzige Vorschlag, den man von ihnen bekommt. Sie sind deutlich günstiger als private Studentenwohnheime (Crous etwa 300 Euro, privat etwa 500 + Euro) oder andere Wohnungen. Man wird als Erasmus-Studierender außerdem priorisiert, und man braucht keinen französischen Bürgen wie bei vielen anderen Wohnungen oder WGs.
Ankunft
Ende August kam ich in Grenoble an und konnte sofort die Schlüssel zu meinem Zimmer bekommen und einziehen. Ich bekam ein 12m2 Zimmer in der Résidence OUEST mit eigenem Bad und geteilter Küche. Ein Traum war diese Unterkunft nicht, jedoch gut angebunden an Uni (10 min) und Stadtzentrum (15 min) und deutlich besser als andere Studentenwohnheime, von denen ich gehört habe.
Ich kam etwa eine Woche vor Vorlesungsbeginn an und würde dies auf jeden Fall empfehlen. Man kann an vielen Programmen vor Ort teilnehmen, die vor allem für internationale Studierende ausgelegt sind. Ich nahm zum Beispiel einige Angebote der association InteGRE wahr, wo ich schon am ersten Abend einige meiner besten Freunde hier traf. So kennt man bereits einige Menschen und die Stadt ein wenig, bevor man sich wieder auf das Studieren konzentrieren muss. Ich lernte Leute kennen, die an der UGA studieren, an anderen Unis, oder Auslandspraktika machen.
Mein Freundeskreis, den ich über diese Weise aufbaute, setzt sich aus Menschen aus Irland, Australien, Südafrika, Indonesien, Island, England, Indien und Schottland zusammen. Der kulturelle Austausch ist faszinierend, und die Freundschaften, die man aufbaut, besonders – der „Erasmusvibe“ ist ein unvergessliches Phänomen, das alle sehr schnell zusammenschweißt. Wir haben viel unternommen, waren abenteuerlustig und hatten unglaublich viel Spaß.
Freizeit
Grenoble ist eine Stadt, die einem Erfahrungen, wie oben beschrieben, gut möglich macht. Allgemein ist sie sehr studentisch, es gibt viele Angebote für junge Menschen: Bars, Cafés, Restaurants, Clubs, etc. Es ist fast alles fußläufig oder mit Fahrrad (welche man sich günstig monatlich mieten kann) zu erreichen, und die Anbindungen mit Bus und Bahn über M-TAG sind sehr gut und bezahlbar (18 Euro / Monat). Sogar manche Skipisten und Wanderrouten sind so ohne Zusatzkosten zu erreichen, was ich viel genutzt habe um die Berge und Natur um Grenoble zu entdecken. Man kann aber auch über „Car“s für einen Aufpreis auf weitere Berge fahren. Auch umliegende Städte wie Lyon und Annecy sind unglaublich schön und mit Bus einfach und recht günstig (etwa 7 Euro pro Fahrt mit Flixbus oder Blablacar) innerhalb etwa einer Stunde zu erreichen. So konnten wir jede Menge der Umgebung entdecken und noch mehr Menschen kennenlernen.
Grenoble allgemein ist eine recht sportliche Stadt, man sieht fast immer laufende und Fahrrad fahrende Menschen. Die UGA bietet passend dazu viele Sportkurse an, welche von Skifahren über Kampfsportarten, Tennis, Rugby, Klettern, Tanz, Synchronschwimmen und Trampolin fast alles abdecken.
Studium
Die UGA ist eine tolle Uni und sehr international: Es gibt in jedem Studiengang einige Erasmus Studierende, und unter den dort regulär Studierenden kommen viele aus unterschiedlichsten Ländern. Das macht es einem sehr leicht, unterstützt zu werden, da die Profs daran gewöhnt sind und alle zusätzlich Englisch können. Ich hatte sogar drei deutsche Professoren, welche mir helfen konnten.
Zu Beginn war es etwas kompliziert, meinen Stundenplan zusammenzustellen, da es einige Überschneidungen gab. Das System ist in Frankreich anders als in Deutschland: Die Kurse für jedes Semester sind festgelegt, und man darf nicht frei wählen, in welche Gruppen man eingeteilt wird, jedoch bekommt man durch Erasmus einige Prioritäten. Da ich mein Studium über 4 Jahre strecke, hat das für mich nicht allzu viele Probleme bereitet, und auch ein Wechsel zu einem anderen Kurs war möglich. Ebenso kann man für Sport- und Sprachkurse Leistungspunkte sammeln, was sehr praktisch sein kann.
Die UGA ist meiner Meinung nach sehr gut ausgestattet, ob Labore, Gruppenarbeitsräume oder die Bibliothek – es gibt hier jede Menge verschiedener Arbeitsräume, klassische Bibliothek, Räume mit Teppichen, Sitzsäcken und Hängematten, es gibt sogar Mittagschlafräume, und man kann sich kostenlos Kuscheldecken ausleihen.
Wie gesagt ist das Studiensystem anders, und so auch die Benotung: es erinnerte mich ein bisschen mehr an die Schule. Es gibt eine Präsenzpflicht, die in Übungen und Praktika auch kontrolliert wird. Man ist in Klassen eingeteilt, in denen man das ganze Semester bleibt, und bekommt fortlaufend Noten, ob durch Vorträge, Abgaben oder Tests. Es gibt außerdem sehr viel Partner- und Gruppenarbeit. Die Abschlussklausur am Ende des Semesters zählt so nur 50%. Die Klausuren sind machbar, jedoch vom Stil anders. Wir hatten viele Analysen von Experimenten und Dokumenten, es wurde oft eher unser Verständnis als unser Auswendig-Wissen abgefragt. Die Bewertung allgemein ist eher „streng“: 10/20 ist das Äquivalent zu einer 4.0, eine Note über 2.0 (französisches Äquivalent etwa 17/20) zu bekommen, ist im Studiengang fast nie gesehen. Es gibt Ranglisten, welcher Studierende an welcher Stelle steht, und mit einem Durchschnitt von 16/20 ist man unter den Top 5 der Uni, von etwa 300 Studierenden. Ich habe einen Durchschnitt von etwa 13.5/20 (deutsches Äquivalent etwa 2.6) erreicht, womit ich in der oberen Hälfte lag und zufrieden war.
Das Studienklima allgemein gefiel mir sehr. Jeder unterstütze jeden, und die Menschen, mit denen man arbeitet, sind sehr nett und hilfreich. In meiner Klasse gab es neben den französischen Studierenden aus ganz Frankreich auch Studierende aus Russland, Spanien, der Türkei, England und Kanada, welche mich gleich herzlich aufgenommen haben und mir als internationale Studierende Tipps und Tricks mitgegeben haben und mich gleich an meinem ersten Tag in den Klassenchat einluden. So habe ich eine zweite Freundesgruppe aufbauen können, welche mir im Studium sehr geholfen hat. Ab und zu verpasst man eben doch eine Raumänderung oder eine E-Mail, und so bleibt man immer auf dem Laufenden und bekommt mehr Hilfestellung bei spezifischen Fragen, und vor allem das Lernen macht gemeinsam deutlich mehr Spaß. Denn auch in Grenoble ist es etwas mehr Aufwand, Wissenschaften zu studieren, und man verbringt doch im Vergleich mehr Zeit an der Uni oder in der Bibliothek als andere. Zusätzlich ist es manchmal etwas herausfordernd, auf einer Fremdsprache zu studieren und vor allem wissenschaftliche Texte zu formulieren. Es fördert einen jedoch und bringt einen auch dazu, seine Sprachkompetenzen zu verbessern.
Grenoble
Allgemein beachten sollte man, dass Grenoble keine ungefährliche Stadt ist. Der Ruf rennt der Stadt ein bisschen voraus und es ist schade, sie dafür gleich abzuschreiben. Man sollte jedoch auch so manches beachten: lieber nicht zu weit in den Süden (Village Olympique und Echirolles z.B.), gut auf seine Sachen aufpassen und sie nah bei sich tragen, sein Rad immer zweifach anschließen und am besten ein altes nutzen, nicht alleine unterwegs sein... Ich habe brennende Autos, Schüsse, Bedrohungen mit Messern und Diebstähle mitbekommen (nicht alles selbst erlebt, aber aus erster Hand erfahren), wenn man sich jedoch aus den Brennpunkten fernhält, sich keine Drogen o. Ä. auf der Straße kauft und aus Streitereien raushält, dürfte nichts passieren. Es gibt an vielen Orten Polizei und Sicherheitspersonal, das jederzeit einschreiten kann, und ich habe mich nie direkt bedroht gefühlt.
Grenoble wurde von meinen französischen Freunden als sehr linke französische Stadt eingestuft, jedoch gibt es auch hier einen Rechtsruck zu spüren. Als queere Person kann man sich dennoch frei ausleben und hat keinerlei Probleme. Demos verlaufen für Frankreich relativ friedlich, z.B. über einen Haufen Möhren auf der Straße und umgedrehte Ortsschilder (Beispiel der Bauernproteste) oder Märsche durch das Zentrum mit Postern und Plakaten, Straßenblockierungen, etwas Lärm und Rauch.
Außerdem gilt Grenoble als ökofreundlichste Stadt Frankreichs! Meiner Meinung nach ist das nicht ganz zu spüren, da z.B. nicht einmal wirklich auf Mülltrennung geachtet wird. Allerdings werden nachts einige Straßen nicht beleuchtet, es gibt viele Parks und Projekte mit Blumen und Wiesen für Schmetterlinge und Insekten, das Leitungswasser kommt aus einer nahegelegenen Quelle und muss kaum behandelt werden, ...
Kosten
Allgemein kann ich sagen, dass das Erasmus-Stipendium nicht ausreicht, um den Aufenthalt zu bezahlen. Meine Wohnung war mit 300 Euro / Monat die günstigste Alternative, wodurch bereits nur noch etwa 240 Euro pro Monat übrig bleiben. Einkaufen im Supermarkt ist teurer, als ich es in Deutschland wahrgenommen habe. Ich habe pro Woche etwa 60-70 Euro ausgegeben, und somit war das gegebene Geld „aufgebraucht“. Hinzu kommen Versicherungen, Transportkosten, und man möchte natürlich auch etwas erleben! Bars und Restaurants kosten eher normal viel (6.50 Euro für 0.5 L Bier, 15 Euro für ein Essen), die Mensa pro Essen etwa 3.30 Euro. Etwas zu unternehmen ist öfter mal kostenlos (Wandern, Museen mit Studentenrabatt, etc.), für Kleidung gibt es einige Thrift-Möglichkeiten. Dennoch schätze ich, dass ich monatlich nicht unter 700 Euro gekommen bin, um ein eher normales Studentenleben zu führen. Ich empfehle also wenn möglich etwas an Geld angespart zu haben, da parallel zum Vollzeitstudium und zu den vielen Erfahrungen zu arbeiten zeitlich schwierig und nicht wünschenswert gewesen wäre, zudem es nur wenige freie Stellen gibt. Versicherungen sind Pflicht, um immatrikuliert zu werden und eine Wohnung zu bekommen. Ich hatte das Glück, eine Freundin in der Branche zu haben, welche mir helfen konnte – es war aber auch so nicht allzu schwer. Ich habe bei GROUPAMA für ein Jahr etwa 130 Euro bezahlt, wobei ein Jahr die minimale Vertragslänge ist.
Auch mit der Krankenkasse gab es keine Probleme. Einen Arzt oder eine Ärztin zu finden ist jedoch sehr schwer und als ausländische Person noch komplizierter. Die Uni hat aufgrund des großen Mangels eine eigene Praxis für Studierende, welche sehr hilfreich sein kann. Sie stellen jedoch keine Krankenscheine aus und entschuldigen einen somit nicht vom Unterricht. Ich kam allerdings, als ich krank war, mit E-Mails und Gesprächen, die diese Situation erklären, gut durch. Medikamente in der Apotheke sind bezahlbar und recht leicht verfügbar.
Studienfach: Biologie
Aufenthaltsdauer: 08/2023 – 06/2024
Gastuniversität: Universitè Grenoble Alpes
Gastland: Frankreich
Rückblick
Abschließend kann ich sagen, dass dieses Auslandsjahr eine fantastische Entscheidung war, die mich zum besten Jahr meines Lebens geführt hat. Ich liebe es zu reisen, neue Menschen, Kulturen und Orte kennenzulernen, und bin nicht zu stark an meine Heimatstadt, Freunde oder Familie gebunden. Ich hatte mich zuerst auf ein Semester beworben und konnte dieses leicht auf ein zweites verlängern, nachdem ich mich schnell dazu entschieden hatte. Ich würde es auch anderen so empfehlen, da man sich so erstmal nur für 4 Monate verpflichtet. Trotzdem glaube ich, dass die längere Zeit einem viel mehr ermöglicht. In den 10 Monaten, die ich insgesamt hatte, konnte ich über die Ferien auch Heimatorte meiner Freunde besuchen und noch mehr entdecken als die reguläre Uni.
Diese Erfahrung lässt einen definitiv wachsen, vielleicht auch über seine Komfortzonen hinaus leben und bietet einem viele Möglichkeiten für die Zukunft. Für mich war dieses Erlebnis genau, was ich brauchte, und ich würde es jederzeit wieder erleben wollen.