Praktikum bei der Whitecrow Village FASD Society
Bereits vor meinem Auslandspraktikum habe ich über ein Jahr lang im Bereich Fetaler Alkoholspektrum-Störungen (FASD) gearbeitet. Dies sind Störungen, die bei Kindern entstehen, wenn ihre Mutter während der Schwangerschaft Alkohol trinkt. Die Beeinträchtigungen bei Betroffenen sind dabei äußerlicher, neurologischer sowie kognitiver Art, zum Beispiel: Auffälligkeiten im Gesicht, Entwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten, geringe Impulskontrolle, Lerndefizite, Hyperaktivität und vieles mehr. Entgegen der noch weit verbreiteten Meinung, ist dabei nicht die Trinkmenge ausschlaggebend. Schon geringe Mengen Alkohol während der Schwangerschaft können zu Schädigungen führen, die das Kind ihr Leben lang beeinträchtigen. Trotz der gravierenden Folgen von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft sowie den lebenslang bestehenden Beeinträchtigungen für Betroffene, weist der Forschungsstand in Deutschland in diesem Bereich noch weitreichende Lücken auf. Und dass, obwohl Fetale Alkoholspektrum-Störungen zu den häufigsten angeborenen Störungen deutschlandweit gehören. Kanada ist auf diesem Forschungsgebiet nicht nur wesentlich fortgeschrittener als Deutschland, sondern gehört hier international zu den Spitzenreitern. Aus diesem Grund wollte ich gern in Kanada ein Praktikum auf diesem Gebiet absolvieren.
Daher habe ich mich ca. ein halbes Jahr vor meinem Wunschzeitraum für das Praktikum selbst auf die Suche nach einer geeigneten Stelle begeben. Zunächst habe ich Kliniken und Diagnostikzentren angeschrieben. Kurze Praktika (wenige Monate) sind in Kanada jedoch wesentlich weniger üblich als in Deutschland. Vor allem im Gesundheitssektor werden meist nur ganzjährige practicums vergeben. Fündig wurde ich dann bei einer kleineren Organisation in Nanaimo auf Vancouver Island: der Whitecrow Village FASD Society, einer non-profit Organisation, in welcher Menschen mit und ohne FASD arbeiten. Die Organisation hat sich der nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit FASD verschrieben und bietet dabei Weiterbildungen rund ums Thema FASD für Fachpersonal und die Öffentlichkeit sowie Camps für Betroffene und Angehörige (Live-In FASD Education Sessions, kurz L.I.F.E Sessions) an. Der Bewerbungsprozess verlief vollständig über E-Mail-Kontakt mit Kee Warner, der Geschäftsführerin der Organisation. Mit ihr sprach ich vorab auch die Dauer sowie mögliche Inhalte des Praktikums ab.
Neben der eigentlich Praktikumssuche, war noch ein weiterer Aspekt bei der Planung wichtig: Um in Kanada arbeiten zu dürfen, muss man vorab ein bestimmtes Visum beantragen. Für ein Praktikum kommen dabei zwei Visa in Frage:
1. Das Working Holiday Visum: Durch dieses Visum darf man in Kanada bis zu 12 Monate bei verschiedenen Arbeitgebern entgeltlich oder unentgeltlich zu arbeiten. Man braucht hierfür vorab kein Job- oder Praktikumsangebot.
2. Das International Co-op Internship Visum: Dieses Visum ist für ein studienbezogenes Praktikum, aber keine weiteren Arbeitgeber gültig. Man muss hierfür vorab eine konkrete Praktikumsstelle nachweisen.
Der Bewerbungsprozess ist recht aufwändig, man braucht einige Nachweise, um in den Pool der Bewerber aufgenommen zu werden, und dann noch etwas Glück, um möglichst bald aus diesem Pool ausgewählt zu werden. Man sollte also einiges an Zeit hierfür einplanen.
Finanzierung
Um die hohen Kosten zu decken, die mit der Reise nach Kanada sowie dem Leben vor Ort verbunden sind, habe ich mich für ein PROMOS-Stipendium beworben. Hierfür kann man sich zu bestimmten Zeiten (je nach Beginn des Praktikums) relativ kurzfristig bewerben. Neben einem Online-Formular, ist für die Bewerbung eine Praktikumsbestätigung mit Angabe der Dauer und des Aufgabengebiets sowie die Angabe zur Arbeitssprache, ein tabellarischer Lebenslauf mit Foto, ein Motivationsschreiben, ein Empfehlungsschreiben eines Hochschullehrers, ggf. Zeugnisse, eine aktuelle Notenübersicht sowie ein Nachweis über die entsprechenden Sprachkenntnisse (z.B. UNICERT) notwendig. Bei Genehmigung beträgt die Förderung eine monatliche Pauschale und / oder eine Reisekostenpauschale. Beides variiert je nach Zielland. Ich habe sowohl eine Reisekostenpauschale als auch eine monatliche Zahlung über einen Teil des Praktikumszeitraumes erhalten.
Das Praktikum selbst war nicht vergütet. Die restliche Finanzierung meines Auslandsaufenthaltes basierte daher auf Ersparnissen, die ich mir durchs Arbeiten während des Studiums anlegen konnte.
Aufenthalt im Gastland
Wie so oft gibt es auch in Kanada mehrere Möglichkeiten der Wohnungssuche. Das Mieten einer Wohnung ist in Kanada, zumindest auf Vancouver Island, eine recht teure Angelegenheit. Nach einiger Recherche habe ich festgestellt, dass es günstiger ist, über längere Zeit ein Zimmer über Airbnb zu mieten, als eine vollständig eigene Wohnung, da es hier oft prozentuale Rabatte gibt, wenn man das Zimmer für einen kompletten Monat anmietet. Ich habe Gastgeber gefunden, die das gesamte untere Stockwerk ihrer Wohnung (mit separatem Eingang) untervermieteten. Hier habe ich daher über die Dauer des Praktikums zusammen mit einer Kanadierin zu einem vergleichsweise günstigen Preis gewohnt.
Die sonstigen Lebenshaltungskosten sind in ganz Kanada, vor allem aber auch in Vancouver und auf Vancouver Island im Vergleich zu Deutschland recht hoch. Viele Lebensmittel, wie Fleisch, einige Gemüsesorten und vor allem auch Käse, sind teuer. Es gibt allerdings große Supermarktketten, die oftmals Angebote oder Mitgliedskarten haben und den Einkauf dadurch günstiger machen. Auch bei Freizeitangeboten kann man neben teuren auch günstige Angebote finden. Beispielsweise bietet das Kino in Nanaimo eine kostenlose Mitgliedskarte an, weshalb es immer mal wieder Vergünstigungen für Tickets oder Gutscheine für Verpflegung gibt. Aber für mich am wichtigsten war die Tatsache, dass ich mein Praktikum in einer Hafenstadt auf einer Insel absolvierte. Nahezu jeden Tag konnte ich am Strand oder Hafen entlang spazieren. Dazu gibt es jede Menge Parks und mit ein paar Dollar kann man auch mit einer kleinen Fähre auf eine der vielen nahegelegenen kleineren Inseln gelangen. Dazu hat man von überall auch noch einen wundervollen Blick auf die Berge. Die Umgebung ist einfach traumhaft.
Zufriedenheit mit dem Praktikum & Persönlicher Mehrgewinn
Zu meinen Tätigkeiten während des Praktikums gehörte vor allem die Mitarbeit an einem geförderten Projekt, bei welchem es um eine Veröffentlichung zum Thema Alcohol Addiction Recovery ging. Hierbei sollten psychologische, biologische, soziale und umwelt-/gesellschaftsbezogene Faktoren identifiziert werden, die alkoholabhängigen Menschen mit FASD helfen, sowohl beim Entzug als auch bei anderen Schwierigkeiten des Lebens. Diese Veröffentlichung integriert wissenschaftliche Forschungsergebnisse, verpackt diese aber in allgemeinverständliche Sprache. Den Kern der Veröffentlichung bilden reale Geschichten von FASD-Betroffenen, ihren Angehörigen und Fachleuten auf dem Gebiet zur Verdeutlichung verschiedener Themenbereiche. Sie wird während der 8. Internationalen Forschungskonferenz zum Thema Jugendliche und Erwachsene mit FASD in Vancouver vorgestellt.
Ein weiteres spannendes Aufgabenfeld bestand in der Mitentwicklung eines Brettspieles zum Thema FASD. Ziel war es zum einen, das Thema FASD mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen und Menschen auf spielerische Art über Auswirkungen von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft aufzuklären. Zum anderen hat das Spiel aber auch lehrreichen Charakter für Betroffene. Menschen mit FASD können oft Konsequenzen ihres Verhaltens nicht nachvollziehen. Das Spiel verdeutlicht, warum bestimmte Ereignisse und Handlungen spezifische Folgen nach sich ziehen. Auf diese Weise ist das Spiel in der Lage, Menschen mit und ohne FASD zusammenzubringen und ihnen spielerisch etwas über das Thema zu vermitteln.
Neben diesen Hauptbereichen meines Praktikums hatte ich über die gesamte Dauer die Möglichkeit, an verschiedenen Meetings und Workshops, beispielsweise einer Konferenz zum Thema „FASD and Housing“ oder einem Workshop für Pflege- und Adoptiveltern zu Gedächtnisfunktionen und -beeinträchtigungen bei Menschen mit FASD, teilzunehmen. Hierdurch habe ich nicht nur wichtige Informationen zu Unterschieden in der Diagnostik und im Gesundheitssystem zwischen Deutschland und Kanada erhalten, ich habe auch viele Menschen von Organisationen, Kliniken und Forschungszentren kennengelernt, die sich mit FASD beschäftigen.
Die Betreuung meines Praktikums erfolgte sowohl durch die Geschäftsführerin der Whitecrow Village FASD Society als auch durch eine Psychologin vor Ort. Beide haben sich dabei sehr viel Mühe gegeben und mich auch in anderen Bereichen meines Aufenthaltes in Kanada unterstützt, zum Beispiel indem ich vor Meetings abgeholt wurde und so Kosten und Aufwand durch den nicht so gut vernetzten öffentlichen Verkehr in Nanaimo sparen konnte. Das Arbeitsklima war insgesamt sehr entspannt und ich hatte die Möglichkeit, offen und vielfältig Ideen einzubringen und selbstständig an der Umsetzung zu arbeiten.
Persönlicher Mehrgewinn
Vor Beginn meines Auslandsaufenthaltes habe ich eine Anerkennung des Praktikums für den Bereich „Berufspraktische Tätigkeit“ meines Studienganges beantragt und diese auch bewilligt bekommen. Neben diesem Vorteil für den Fortschritt meines Studiums, hatte das Praktikum aber auch noch viele weitere. Zum einen konnte ich meine Englischkenntnisse durch den Kontakt zu englisch-sprechenden Personen während der Arbeit, aber auch zu meinen Gastgebern und anderen Menschen, die ich in Kanada kennengelernt habe, verbessern. Zum anderen habe ich viel für meine zukünftige Arbeit im Bereich FASD mitnehmen können. Das Praktikum hat mir einen tiefgreifenden Einblick sowohl in die Arbeit mit FASD-Betroffenen als auch in die Forschung rund um das Thema vermittelt und mir gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, bereits jetzt Teil eines fachlichen Netzwerkes in diesem wichtigen Gebiet zu sein, welches ich in Zukunft nutzen und auch weiter ausbauen werde.
Studienfach: Psychologie
Aufenthaltsdauer: 01/2018-04/2018
Praktikumsgeber: Whitecrow Village FASD Society
Gastland:Kanada
Resümee
Mein mehrmonatiges Praktikum im kanadischen Nanaimo auf Vancouver Island hat alle meine Erwartungen erfüllt. In einer wunderschönen Umgebung, die dazu einlädt, in der Freizeit wandern oder am Strand spazieren zu gehen, habe ich unzählige lehrreiche Erfahrungen für meinen potentiellen zukünftigen Arbeitsbereich gesammelt und viele Kontakte geknüpft. Zusätzlich habe ich die Vorteile eines Auslandsaufenthaltes erlebt – wie selbstständig in einem fremden Land zu leben, Menschen aus aller Welt kennenzulernen und dabei Sprachkenntnisse auszubauen.
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