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Sanfte Verhaltenssteuerung – Studierende der Universität Potsdam werden zu Forschenden

Innovative Lehrprojekte 2020

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Lisa Bruttel hat in ihrem innovativen Lehrprojekt mit Studierenden untersucht, wie sich Menschen sanft beeinflussen lassen – ohne Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize. | Foto: Julian Frisch
Photo : Julian Frisch
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Lisa Bruttel hat in ihrem innovativen Lehrprojekt mit Studierenden untersucht, wie sich Menschen sanft beeinflussen lassen – ohne Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize.
Prof. Dr. Lisa Bruttel bestreitet mit ihren Studierenden neue Wege. Die Wirtschaftswissenschaftlerin hat eine Lehrveranstaltung entwickelt, in der Studierende selbst zu Forschenden werden und „Nudging“ untersuchen, das gezielte Auslösen von Verhaltensänderungen ohne Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize. Die Veranstaltung wird von der Universität Potsdam als innovatives Lehrprojekte gefördert – also als Lehrveranstaltung, die in besonderer Weise das Leitbild Lehre der Universität reflektieren. Diese innovativen Lehrprojekte zeichnen sich beispielsweise durch Forschungsorientierung, Studierenden- und Kompetenzorientierung, interdisziplinäre und fachübergreifende Lehre, Tätigkeitsfeldorientierung und Persönlichkeitsbildung sowie zielgruppenspezifische Lehre aus. Magda Pchalek sprach mit Lisa Bruttel über die Kraft sanfter Beeinflussung, forschende Lehre und die Frage, was sich daraus mitnehmen lässt.

Eine Ihrer Lehrveranstaltungen wurde von der Unileitung als „innovatives Lehrprojekt“ gefördert. Worum ging es dabei?

Die Studierenden in diesem Kurs haben im Sommersemester 2020 ein eigenes Forschungsprojekt entwickelt und durchgeführt. Der Fokus lag dabei auf dem „Nudging“, also der behutsamen Verhaltenssteuerung durch eine Modifikation der Entscheidungsumgebung. Konkret sollten die Studierenden ein verhaltensökonomisch erklärbares, suboptimales Verhalten ihrer Mitstudierenden an der Uni Potsdam identifizieren und dieses „Problem“ mit Nudging-Methoden lösen.

Was macht sie innovativ?

Ich mag den Begriff „innovativ“ gar nicht so gern. Lehre muss nicht ständig innovativ sein, damit sie gut ist. Dafür muss man nicht das Rad neu erfinden. Es ging mir vor allem darum, ein praxisorientiertes Forschungsprojekt anzubieten, das in diesem Studiengang bisher nicht vorhanden war. Aber die Idee des forschenden Lernens an sich ist ja nicht neu.

Wie entstand die Idee für das Projekt?

Dieser Kurs ist aus einer Vorlesung heraus entstanden, in der die Teilnehmenden einige von mir vorgestellte Forschungsergebnisse aus der wissenschaftlichen Literatur mit sehr guten Argumenten hinterfragt haben. Ich habe daraus ein überdurchschnittlich großes wissenschaftliches Interesse abgeleitet und den Studierenden angeboten, die von ihnen aufgeworfenen Hypothesen zur Neuinterpretation wissenschaftlicher Studien selbst empirisch zu überprüfen.

Warum wollten Sie mal etwas anders machen?

Es hat sich einfach eine gute Gelegenheit geboten. Ich hatte das Glück, diese Gruppe von motivierten und begabten Studierenden zu unterrichten, die begeistert von der Idee waren, sich selbst einmal als Wissenschaftler auszuprobieren. Und ich hatte ausnahmsweise noch etwas „Luft“ im Lehrdeputat. Und genau in dieser Situation hatte ich die Ausschreibung für innovative Lehrprojekte in meinem Postfach, sodass wir auch eine Finanzierung für eine eigene Datenerhebung der Studierenden in Aussicht hatten. Da habe ich dann ziemlich spontan das Seminar organisiert.

Was haben Sie sich von der Lehrveranstaltung erhofft?

Es war ein Kernziel dieses Kurses, die Studierenden zu befähigen, eigene Forschungsprojekte durchzuführen. Sie sollten erfahren, was „wissenschaftliches Arbeiten“ konkret in der Praxis bedeutet – wie mühsam und gleichzeitig beglückend der Forschungsalltag sein kann. Tatsächlich war es so, dass die Studierenden mit viel Begeisterung und einem hohen Anspruch an ihre Forschungsvorhaben in den Kurs gegangen sind, dann aber einige Rückschläge erfahren haben und ihre Ansprüche an das Covid19-bedingt Machbare anpassen mussten. Ganz am Ende stand dann aber für alle die Erfahrung, trotz zahlreicher Schwierigkeiten eine echte wissenschaftliche Arbeit verfasst zu haben.

Gibt es erstes Feedback der Studierenden?

Ich habe die Studierenden um ein schriftliches Feedback gebeten und zitiere hier einfach mal einen repräsentativen Querschnitt aus ihren Antworten:

  • Durch das Projektseminar „Research Project Nudging“ habe ich einen Einblick ins wissenschaftliche Arbeiten bekommen, der mit dem „normalen Studium“ nicht vergleichbar ist. Ich kann es nur jedem weiterempfehlen, der Lust und Laune hat, Gelerntes praktisch anzuwenden und vieles darüber hinaus zu lernen, was man im Hörsaal nicht vermittelt bekommt.
  • Wir haben die Herausforderungen und Belohnungen selbstständigen wissenschaftlichen Arbeitens auf hohem Anforderungsniveau kennengelernt. Die Beschäftigung mit anspruchsvollen Fragestellungen hat uns dazu ermutigt uns mit der Frage zu beschäftigen, ob eine wissenschaftliche Karriere für uns in Frage kommt. Auch im Hinblick auf die anstehenden Masterarbeiten hat es uns sehr viel geholfen und weitergebracht.
  • Frustration gehört zu Forschung, ich finde dieser Satz beschreibt einige Teil des Seminars sehr gut. Aber das Überwinden dieser Frustrationshürden führt am Ende zu einem tollen Paper, auf das man zufrieden zurückblicken kann.
  • Das Seminar war für mich eine spannende und interessante Erfahrung, bei der ich viel praktische und theoretische Erfahrungen mit wissenschaftlichem Arbeiten sammeln konnte. Diese Form hilft, strukturiertes und gezieltes Arbeiten in einer kleinen Gruppe zu lernen. Ich bin froh, dass ich ein Teil dieses außergewöhnlichen Kurses sein durfte.

Wie kann die Universität vielleicht von Ihrem Lehrprojekt profitieren?

Eines der studentischen Projekte hat ausprobiert, mit welchen Maßnahmen man erreichen kann, dass Menschen sich weniger ins Gesicht fassen – angesichts der derzeitigen Hygienemaßnahmen eine hochaktuelle Frage. Und tatsächlich konnten die Studierenden zeigen, dass das Aufstellen von Desinfektionsmittelspendern und Info-Tafeln zumindest kurzfristig die sogenannte „Face-touching rate“ und damit das Infektionsrisiko reduziert. Das wäre eine Idee, die sich sicher an einigen Orten in der Universität, wo es verhältnismäßig viele Besucher gibt, umsetzen ließe.
Ein anderes Projekt ist der Frage nachgegangen, ob bestimmte Inhalte im Text einer E-Mail, die im Rahmen der Online-Lehre über Moodle an einen großen Kurs verschickt wurden, den Empfängern der Nachricht dabei helfen können, den inneren Schweinehund zu überwinden und sich rechtzeitig vor der Klausur mit den Lernmaterialien zu beschäftigen. Die Ergebnisse waren allerdings ernüchternd – die E-Mails haben überhaupt nichts gebracht, unabhängig vom Inhalt. Insofern wissen wir jetzt immerhin, was nicht funktioniert. Für unsere laufenden Kurse im aktuellen Wintersemester haben wir daraufhin andere Ideen entwickelt, die wir natürlich am liebsten auch wieder wissenschaftlich evaluieren möchten.

Innovative Lehrprojekte

Mit der Förderung innovativer Lehrprojekte unterstützt die Universität Potsdam die Weiterentwicklung der Lehre sowie den hochschulweiten Austausch über Lehrqualität und Lehrinnovation. Im Zentrum stehen dabei Lehrprojekte, die in besonderer Weise die Schwerpunkte des Leitbilds Lehre der Universität Potsdam aufgreifen. Dazu gehören Forschungsorientierung, Studierenden- und Kompetenzorientierung, interdisziplinäre und fachübergreifende Lehre, Tätigeitsfeldorientierung und Persönlichkeitsbildung sowie zielgruppenspezifische Lehre.

Eine Übersicht aller 2020 geförderten innovativen Lehrprojekte gibt es hier: https://www.uni-potsdam.de/de/zfq/innovative-lehrprojekte/projektuebersicht-2020.

Informationen zur Ausschreibung für eine Förderung über die „Innovativen Lehrprojekte“ im Jahr 2021 gibt es hier: https://www.uni-potsdam.de/de/zfq/innovative-lehrprojekte.