Zum Hauptinhalt springen

Forschungsinterview PReTuS II

Wie findet musikalisch-kulturelle Teilhabe in ländlichen Regionen für Kinder und Jugendliche statt?

Das Projekt „Periphere Regionen, Teilhabe und Schule“ (PReTuS II) ist an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover angesiedelt. Im Rahmen des Teilprojekts widmen die Forschenden der Frage, wie musikalisch-kulturelle Teilhabe in ländlichen Regionen auf individueller Ebene für Kinder und Jugendliche stattfindet. Dabei fragen Sie zum Beispiel nach den musikalischen Aktivitäten, den individuellen musikbezogenen Angeboten und Bildungszugängen und -chancen.

 

Wie haben Sie geforscht? Gab es Überraschungen im Forschungsprozess?

PReTuS II hat mit einem Mixed Methods Design geforscht und damit wertvolle und vielschichtige Einblicke gestalten können. Wie alle war auch dieses Projekt maßgeblich von den Einschränkungen durch die Pandemie betroffen. So konnten die Datenerhebungen erst im April 2022 abgeschlossen werden, fast zwei Jahre nach dem eigentlich geplanten Termin. Insgesamt wurde deutlich, wie sehr die Schulen durch die Pandemie gefordert wurden – auch mit dem Resultat, dass Forschung an vielen Stellen kaum mehr Raum finden konnte. Trotz des langwierigen und intensiven Prozesses konnten dennoch quantitative Daten gesammelt werden und interessante Gespräche geführt werden. Besonders interessanten Einblicke gab es beispielsweise auf die Rolle auf traditionelle Musikformen aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen.

Welche Erkenntnisse haben Sie in Ihrer Forschung gewonnen?

Die multiperspektivische Analyse in PReTuS II brachte wichtige Einblicke in das Denken und Handeln von Kindern und Jugendlichen. So konnte beispielsweise die gesellschaftliche Stellung von Musikvereinen und anderen traditionellen Musikformen im Harz eingehend beleuchtet werden. Sie nehmen nämlich nicht nur eine andere Rolle als in anderen ländlichen Regionen ein und wirken weniger als ausgleichendes Element dort, wo keine Musikschulen für einen ersten Zugang zu Musik in der Freizeit erreichbar sind, sondern werden von den Kindern und Jugendlichen entlang ihrer demographischen Merkmale sowie der individuellen Zukunftsperspektive auch unterschiedlich verhandelt. Damit scheinen sie für einen Teil der Kinder kein weiteres Angebot zu sein, sondern mit der aktiven Entscheidung für (oder gegen) das kulturelle Erbe der Region zu stehen.

An anderer Stelle zeigt sich, dass bei zahlenmäßig weniger musikalischen Angeboten eine relativ hohe Zufriedenheit mit der Angebotslage anzutreffen ist. Interessant ist, dass sehr wohl die in städtischen Kontext erwarteten Angebote als Referenzrahmen für die individuelle Einschätzung des Umfeldes gilt, jedoch nicht für deren Bewertung. Aus eine Gerechtigkeitsperspektive lässt sich feststellen, dass Ungleichheit durch ähnliche Parameter wie in städtischen Regionen entsteht (so bspw. der Schulform und dem kulturellen Kapital im Elternhaus), wenngleich die Infrastruktur und der Wohnort bestehende Unterschiede in den individuellen Chancen verstärken.

Welche Überraschungen gab es? Welche Ergebnisse waren erwartbar? 

Überraschend bei der Auswertung war, dass Schülerinnen und Schüler sehr klar zwischen einem breiteren Angebot in Städten prinzipiell und ihrer eigenen Haltung zu denen der Region unterscheiden. So wissen sie um das zahlenmäßig eingeschränkte Angebot, werten dieses jedoch beispielsweise durch die Vorzüge der Region auf. Überraschend war auch, wie selten Kinder und Jugendliche in traditionellen und durch die Amateurmusik gestaltete Angeboten aktiv sind. Sie stellen, anders als in anderen Regionen, keine reguläre Alternative zur Musikschule dar und hängen maßgeblich von ihrem Umfeld ab.

Erwartbar war hingegen, dass Amateurmusik keine ausgleichende Rolle in den Chancen spielt. Trotz der eingeschränkten Zahl von Musikschulen scheinen diese einen breiten Bereich des musikalischen Interesses der Kinder und Jugendlichen abzudecken. In der Harzregion, einer Region, die von relativ starken Wanderungsbewegungen betroffen ist, orientieren sich die Schülerinnen und Schüler (und ihre Eltern) im Wesentlichen an der Musikschule als dem institutionellen Zugang zu musikalischer Aktivität in ihrer Freizeit.

Können Sie aus Ihren Erkenntnissen Schlussfolgerungen/Handlungsempfehlungen für die Politik/Praxis/Wissenschaft ziehen? Wenn ja, welche? 

Unsere Ergebnisse insbesondere aus beiden Teilprojekten deuten darauf hin, dass Schulen bisher wenig Einfluss auf die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen in der Wahl kultureller Aktivitäten haben. Auch die Ergebnisse aus Teilprojekt II bestätigen diese Annahme aus der Schülerinnen- und Schülersicht bestätigen.

Insgesamt sind Kinder und Jugendliche relativ zufrieden mit den Angeboten, wenngleich sie eine eingeschränkte Anzahl dieser kennen. Als eine Schlussfolgerung ist darzustellen, dass es wichtig wäre, Bestehendes für Kinder und Jugendliche sichtbar zu machen und auch diejenigen, die nicht durch ihr Elternhaus in der Teilnahme unterstützt werden, in ihren Zugängen zu unterstützen. Auch zeigt sich, dass Musikvereine und das kulturelle Erbe jedenfalls in dieser Region droht in eine Exotenrolle abzudriften und sich die Teilnahme nicht an den Inhalten, sondern sich am Image entscheidet. Um diese Formen zu erhalten gilt es, sie auch in der Verbindung mit Musikschule und Schule sichtbar zu machen, Kooperationen einzugehen und den Dialog zu stärken, um so in gesellschaftliche Prozesse hineinzuwirken. Es ist zu vermuten, dass auch wieder mehr Kinder und Jugendliche in solche Formate finden, wenn innergesellschaftliche Grenzziehungen abgebaut würden.

Wo kann man Ihre Forschungsergebnisse nachlesen? 

Wir haben, gemeinsam mit der Kollegin Sonja Nonte und dem Kollegen Mario Mallwitz von der Universität Osnabrück, die Befunde im Rahmen eines gemeinsam herausgegebenen Sammelbandes publiziert. Auf unserer Homepage finden sich zudem Hinweise auf weitere Publikationen in Fachzeitschriften und Sammelbänden.