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Forschungsinterview MOkuB – Musikvereine als Orte kultureller Bildung

Einblicke in die Alltagspraxis von Blasmusikvereinen

Das Team von MOkuB, bestehend aus Prof. Dr. Thade Buchborn, Prof. Dr. Wolfgang Lessing, Verena Bons und Johanna Borchert, hat sich mit Musikvereinen befasst. Untersucht wurden die Motive und Orientierungen von Mitgliedern und Akteuren in Musikvereinen sowie Schnittstellen von Musikvereinen zu anderen Bildungseinrichtungen. Mehr Informationen zum Projekt finden Sie in den Projektvorstellungen und auf der Webseite des Projekts an der Hochschule für Musik in Freiburg.

 

Wie haben Sie geforscht? Gab es Überraschungen im Forschungsprozess?

Im Projekt MOkuB – Musikvereine als Orte kultureller Bildung haben wir die Alltagsarbeit von Blasmusikvereinen aus der Akteur:innenperspektive untersucht. Einem praxeologischen Forschungsdesign folgend haben wir Gruppendiskussionen mit Musikvereinsmitgliedern verschiedener Regionen in Deutschland erhoben und diese mit der maßgeblich von Ralf Bohnsack entwickelten Dokumentarischen Methode ausgewertet. Dafür haben wir Musikvereine in ländlichen Räumen (und – als Vergleichsmaterial auch in eher urban geprägten Orten) kontaktiert und diese zur Durchführung der Erhebungen in ihren Musikvereinsproberäumen besucht. Da die Coronapandemie zeitgleich die Arbeit sämtlicher Amateurmusikgruppen vor größte Herausforderungen stellte, gestaltete sich unsere Datenerhebung schwierig: Viele Vereine haben in den verschiedenen Phasen der Pandemie gar nicht, nur online oder nur in Kleingruppen geprobt. Die Kontaktaufnahme zu den Vereinen war daher mühsam, da diese – verständlicherweise – mit der Organisation ihrer plötzlich veränderten Alltagsarbeit beschäftigt waren. Dennoch haben wir jede ‚Lockerung‘ der Pandemieverordnung genutzt und letztlich umfassendes Datenmaterial generieren können, zumal wir von einigen Vereinen trotz oder wegen der Pandemie mit viel Herzlichkeit empfangen wurden. Auch an Erhebungen via Videokonferenz haben wir uns herangewagt, wenngleich diese zunächst eine methodische Herausforderungen darstellten. In unserem Datenmaterial erweist sich die Coronapandemie nun als Variable, an der die Akteur:innen ihre Alltagsarbeit reflektieren. Gerade hier können wir grundlegende Einblicke in ihre Musizier- und Alltagspraxis gewinnen.

Welche Erkenntnisse haben Sie in Ihrer Forschung gewonnen?

In MOkuB konnten wir durch unser qualitativ-rekonstruktives Vorgehen wichtige Einblicke in die Alltagspraxis von Blasmusikvereinen gewinnen. Diese betreffen einerseits das Selbstverständnis der Musikvereinsmitglieder und andererseits die Perspektive von Musikvereinsakteur:innen auf Kooperationsbeziehungen mit anderen Institutionen kultureller Bildung. So konnten wir beispielsweise die Bedeutung der Gemeinschaft im Verein näher beleuchten: Bei einigen Musikvereinsmitgliedern kann ein Gemeinschaftsverständnis rekonstruiert werden, das zwar von beständigen Beziehungen getragen ist, dabei aber auf einer anderen Ebene angesiedelt ist als freundschaftliche Beziehungen. Der Musikverein erscheint hier als Medium der Vermittlung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft des Dorfs. Hier offenbaren sich Momente der Teilhabe, bei denen der Musikverein (aus Perspektive der Akteur:innen) eine Schlüsselposition innehat. Auch zum generationenübergreifenden Miteinander in den Blasmusikvereinen konnten Erkenntnisse gewonnen werden. Dabei wurde an einigen Stellen deutlich, wie sehr Hierarchien zwischen Alt und Jung habitualisiert sind und das Miteinander, aber auch Entscheidungsprozesse im Verein prägen können. In Bezug auf Kooperationsbeziehungen mit Musikschulen verdeutlicht sich in der Perspektive der Musikbvereinsaktuerinnen zwar der Wunsch nach musikalischer Professionalisierung, die mit Musikschulen in Verbindung gebracht wird. Gleichzeitig zeigt sich jedoch eine starke implizite Tendenz, die eigenen Ausbildungsstrukturen bewahren zu wollen.

Können Sie aus Ihren Erkenntnissen und aus dem Forschungsprozess Schlussfolgerungen/Handlungsempfehlungen für die Politik/Praxis/Wissenschaft ziehen? Wenn ja, welche?

Unsere Forschung ergänzt den bislang spärlichen Forschungsstand zu Musikvereinen nicht nur durch ihren methodisch-methodologischen Blickwinkel, sondern auch in Bezug auf mehrere inhaltliche Dimensionen: So können wir beispielsweise die im Diskurs häufig betonte soziale Bedeutung der Musikvereine für ihre Mitglieder zwar bestätigen, jedoch zeigt unsere Forschung, dass eine Überbetonung dieses Aspekts der Lebensrealität der Amateurmusiker:innen nicht gerecht werden würde. Vielmehr zeigt sich in ihrer Ausarbeitung des Phänomens „Musik machen“ eine untrennbare Verbindung zwischen Musizieren und sozialem Miteinander. Diese gilt es in musikpädagogischen, vor allem aber auch politischen Diskussionen zu berücksichtigen: (Gemeinsames) Musizieren ist für die Musikvereinsakteur:innen ein zentraler Bestandteil ihrer Vereinspraxis. Eine einseitige Betonung des sozialen Aspekts verschleiert die musikalisch-kulturelle Bedeutung der Musikvereine und ihr Potential für musikalisch-kulturelle Teilhabe in ländlichen Räumen.

Eine weiteres Beispiel betrifft den bereits oben angesprochenen Aspekt der Intergenerationalität. Musikvereine bieten Menschen verschiedener Altersgruppen Möglichkeiten der Begegnung im musikalischen und sozialen Miteinander. In unserem Datenmaterial werten die Musikvereinsmitglieder den generationenübergreifenden Charakter ihres Musikvereins durchweg positiv, jedoch scheinen tiefgreifende Begegnungen zwischen Jung und Alt eher die Ausnahme in der Vereinsarbeit darzustellen. Hier deutet sich für die Musikvereine ein – unseres Erachtens – bislang noch wenig genutztes Potenzial an. So könnte etwa die Frage gestellt werden: Wie kann das intergenerationale Miteinander im Musikverein auf musikalischer – künstlerischer – sozialer Ebene weiter vertieft werden?

Wo kann man Ihre Forschungsergebnisse nachlesen?

Zurzeit arbeiten wir an zwei Sammelbänden zu den Themen Gemeinsam neu starten – Perspektiven für Musikvereine nach der Pandemie und Land – Musik – Verein. Musikvereine in Praxis und Wissenschaft. Diese Bände werden Ergebnisse unseres Forschungsprojekts und Praxis- und Forschungsberichte von Fachkolleg:innen enthalten. Zudem haben wir bereits in verschiedenen Fachzeitschriften und Sammelbänden publiziert. Darüber hinaus werden in den aktuell entstehenden Dissertationsschriften von Verena Bons und Johanna Borchert detaillierte Forschungsergebnisse dargestellt werden.