Staat, Gesellschaft, Religion. Die Stellung von Religionsgemeinschaften nach dem deutschen Religionsverfassungsrecht
Beginn der Vorlesung: Dienstags, 16 Uhr (c.t.) bis 18 Uhr beginnend am 07.11.2023
Ort der Vorlesung: Raum S 16 Komplex Griebnitzsee
Dozenten: MR apl. Prof. Dr. Norbert Janz, Präs. a.D. Ulrich Seelemann
Diese Vorlesung richtet sich an interessierte Studierende der Rechtswissenschaft, aber auch der Theologie, der historischen, Sozial- und politischen Wissenschaften. In ihr werden die Grundlagen der vielfältigen Rechtsbeziehungen zwischen dem Staat, den Religionsgemeinschaften und sich daraus ergebenden Auswirkungen der Rechtsbeziehungen zu den Bürgern auf der Grundlage des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland und im Vergleich zu anderen Europäischen Rechtsordnungen dargestellt.
Das Angebot richtet sich auch an Studierende der EUV, der FU und der HU Berlin.
Gliederung
I. Grundlagen
Gegenstände der Vorlesung, Begriffsklärung
Begriff des Staatskirchen- und Religionsverfassungsrechts, historische Entwicklung vor Weimar, Weimarer Kulturkompromiss, Regelungen des Grundgesetzes (Präambel, Art. 4 und 140), Grundprinzipien des Zusammenspiels zwischen Staat und Kirche bzw. Religionsgemeinschaften, Neutralitätspflicht des Staates (Begriff der „fördernden Neutralität“), Rechtsquellen
II. Religionsfreiheit
1. Grundlagen (Menschenrechte, Menschenbild des GG, Art. 4). Grundlagen im supranationalen und Völkerrecht. Individuelle und kollektive Religionsfreiheit. Historischer Exkurs: Entwicklung seit der Reformation in Deutschland, (cuius regio eius religio, Toleranzedikte, Art. 137 I WRV), Beispiele anderer Staaten)
2. Inhalte: Glaubensfreiheit des Einzelnen, positive und negative Religionsfreiheit, Glaubens- und Glaubensausübungsfreiheit, Freiheit der Bildung von Religionsgemeinschaften, Freiheit des Religionswechsels, Rechtsfolgen in der Gesellschaft und dem Staat gegenüber (Art. 3 II GG, AGG)
III. Religionsverfassungsrecht in der Europäischen Union: (Dr. Patrick Roger Schnabel)
Rahmenbedingungen des Unionsrechts für die Ausgestaltung des Religionsverfassungsrechts der Mitgliedsstaaten
IV. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und seine Grenzen
Begriff der Religionsgemeinschaft („Religionsgesellschaft“, dazu Pastafari-Entscheidung), Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die Regelung des Art 137 III WRV, Selbstorganisationsrecht, Selbstdefinitionsrecht (wer und was ist Kirche, was ist kirchliches Handeln, was fiskalisches Hilfsgeschäft?), Pandemie-auswirkungen, Ämterverleihungsrecht „innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze“, AGG, Recht der EU
V. Selbstbestimmungsrecht und individuelle Glaubensfreiheit, kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht
Begründung eines eigenständigen Dienst- und Arbeitsrechtes, Besonderheiten kirchlichen Arbeitsrechtes, Loyalitätspflichten und Tendenzschutz vs. Glaubensfreiheit des Einzelnen, Entwicklung der Rechtsprechung auf nationaler und EU-Ebene, Grundsätze und Einzelfälle
VI. Glaubensfreiheit versus Gemeinwohl
Kindeswohlgefährdung in Sekten, Corona-Regelungen, religiöse „Versammlungen“ und Art. 8 GG, Homeschooling
VII. Der Körperschaftsstatus für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
Rechtsformen von Religionsgemeinschaften, Bedeutung des Status einer Körperschaft des
öffentlichen Rechts, Erlangung und Verlust des Status, Rechtsfolgen des Status, dabei
insbesondere das Steuererhebungsrecht: Inhalt und Bedeutung, Begriff der Steuer, Unterschied
zu Beiträgen, Kirchensteuereinzug, Rechtsfolgen für Kirchen, Rechtsprechung zur
Konkursunfähigkeit der Kirche
VIII. Förderung der Religionsgemeinschaften durch Staatsleistungen
Regelung des Art. 138 WRV, historische Begründung der Staatsleistungen, Arten von
Staatsleistungen (Zuschüsse, Baulasten, Staatspatronate), Rechtsnatur, Novation durch
Staatskirchenverträge, neue Begründungen, Abgrenzung zu Leistungsentgelten, Fördermitteln,
Ablösungsgebot für welche Art? realistisch?
IX. Schutz der Glaubensfreiheit und Gemeinsame Aufgaben
Seelsorge für besondere Gruppen, Krisenbewältigung, Zeugnisverweigerungsrecht Geistlicher,
Beicht- und Seelsorgegeheimnis, Kirche am „Sozialmarkt“: Staatskirchenrechtliche Stellung
diakonischer Träger und Verbände, Begriff der Diakonie, historische Entwicklung, Diakonie und
„Sozialmarkt“, Subsidiaritätsprinzip im Sozialmarkt, besondere Herausforderungen durch
Eingliederung kirchlichen Handelns in staatliche Hilfesysteme
X. Religionsunterricht und Religionsgemeinschaften
Art. 7 Abs. 3 GG, historische Einordnung, „Bremer Klausel“ des Art. 141 GG, Religionsunterricht
und Ethikunterricht, Religionsunterricht und Neutralitätspflicht des Staates, Probleme eines
islamischen Religionsunterrichts
XI. Schutz der individuellen Glaubensfreiheit im einfachen Recht
Diskriminierungsverbot, AGG, Grenzen der Privatautonomie durch Schutz der Glaubensfreiheit
XII. Schutz der öffentlichen Religionsausübung
Sonn- und Feiertagsschutz, Art. 4, GG, und 139 WRV: Schutzgut, Begünstigte, widerstreitende
Interessen; weitere staatliche Schutzmaßnahmen, widerstreitende Interessen?, besondere
strafrechtliche Schutznormen
XIII. Abschlussblock:
a) Staatskirchenrechtliche Fragen im Zusammenhang mit Migration und Asylrecht
„Kirchenasyl“, Religion als Verfolgungsgrund, Religionswechsel als Abschiebehindernis,
Prüfungsrecht des Staates über Glaubensfragen im Asylverfahren
b) Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften
„Staatskirchenverträge“: Rechtsnatur, Beispiele und Regelungsbeispiele, Verträge mit
anderen Religionsgemeinschaften
c) Ausblick Staatskirchenrecht
Neue Herausforderungen durch multireligiöse Gesellschaft, unterschiedliche Modelle in einer
zusammenwachsenden EU, Möglichkeiten und Grenzen einer Kooperation, Inhalt und Grenzen
des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegenüber Religionsgemeinschaften
d) Abschlussrunde und Feedback