Was Bienen in Blüten finden und Forscher in alten Journalen
Pflanze des Monats Januar 2014
Lows Kahnorchis
Viele Orchideen besitzen Täuschblumen. Sie gaukeln ihren Besuchern eine Belohnung vor, die es tatsächlich gar nicht gibt. Auch die Vertreter der südostasiatischen Gattung Cymbidium (Kahnorchis) werden in diese Kategorie gerechnet. Ihre großen, attraktiven Blüten bieten ihren Besuchern weder Nektar noch andere Nahrung.
So dachte man zumindest, bis der britische Blütenbiologe Kevin Davies eine Beobachtung australischer Forscher aus den 1930er Jahren mit Angaben aus der einschlägigen deutschsprachigen Fachliteratur vom Anfang des 20. Jahrhunderts kombinierte. Die Deutschen hatten Futterhaare in Orchideenblüten studiert, die Australier hingegen kleine Wildbienen beobachtet, wie sie die großen Blütenlippen einer australischen Kahnorchis abweideten. Ihre Ernte transportierten die Bienchen in den Sammelkörbchen an ihren Hinterbeinen ab. Während die Forscher die dabei erfolgte Bestäubung der Orchideenblüten konstatieren konnten, gelang es ihnen nicht, die Verwendung des Sammelguts durch die Bienen aufzuklären.
Davies untersuchte die Lippe einer anderen Art, Lows Kahnorchis (Cymbidium lowianum) aus Thailand, Birma und Yunnan. Er fand auf ihrer Oberfläche längliche Zellfortsätze (Papillen) mit auffällig hohem Eiweißgehalt. Aufgelagert waren zudem fettige Substanzen. Die Kombination ergibt ein attraktives Sammelfutter für Blütenbesucher. Ähnliche Beobachtungen hatten zuvor schon Beck, Kirchner und andere in den Jahren vor 1926 veröffentlicht, allerdings in deutscher Sprache.
Davies beobachtete darüber hinaus als Erster glänzende Flecken auf dem mattroten Vorderrand der Orchideenlippe, vermutlich ein Leitsystem für anfliegende Insekten.
Seine Ergebnisse erschienen 2006 in einem Oxforder Fachjournal. Die Verwendung deutschsprachiger Originalliteratur und älterer australischer Quellen durch einen
modernen britischen Wissenschaftler ist bemerkenswert. Während erstere den meisten in der heutigen englischsprachigen Forschungswelt unzugänglich ist, werden letztere tendenziell als hinterwäldlerisch angesehen und nicht ernst genommen.
Davies zeigt, dass eine differenziertere Auffassung durchaus Vorteile hat. Gerade bei blütenbiologischen Arbeiten kommt es vor allem auf genaues Beobachten an, nicht so sehr auf die zeitliche „Modernität“ einer Studie. Davies selbst sagt, es sei ihm wichtig, früheren Forschern Respekt zu zollen. Leider sind zu Lows Kahnorchis bisher keine Beobachtungen aus der Natur bekannt, so dass auch keine Aussage über die Identität der Blütenbesucher möglich ist. Es ist jedoch zu hoffen, dass es bis zur Beantwortung dieser Frage nicht weitere 80 Jahre dauert. Falls bis dahin die allgemeine Wissenschaftssprache erneut gewechselt haben sollte (zum Chinesischen beispielsweise), wäre der Zugang zu den teilweise ausgezeichneten Arbeiten unserer Altvorderen jedenfalls erneut erschwert. Andererseits ist es im Prinzip denkbar,
dass die nötigen Felddaten aus Yunnan bereits in chinesischer Sprache vorliegen.