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Forschungsinterview PaKKT – Passungsverhältnisse Kultureller Bildungsnetzwerke und Kulturen in ländlichen Räumen im Kontext sozialer Teilhabe

Kulturellen Bildungsnetzwerke in ländlichen Räumen

Im Forschungsprojekt PaKKT wurden die infrastrukturellen Voraussetzungen für kulturelle Bildungsnetzwerke erforscht. Unsere MetaKLuB Projektleiterin Prof. Dr. Nina KolleckProf.in Dr. Saskia Bender,  Thi Huyen Trang LeNils Rennebach untersuchten im Projekt Typologisierung von kulturellen Bildungsnetzwerken sowie Passungsverhältnissen auf habitueller und milieuspezifischer Ebene.  Mehr Informationen zum Projekt finden Sie in den Projektvorstellungen und auf der Webseite des Projekts.

 

Wie verlief die Forschung? (Wie sind Sie vorgegangen? Wen haben Sie erreicht/evtl. auch nicht erreicht? Gab es Herausforderungen im Forschungsprozess? Welchen Einfluss hatte die Pandemie?)

Abschließend können wir sagen, dass wir alle Forschungsziele erreichen konnten, obwohl der Beginn unserer Erhebungen im Grunde mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammengefallen ist. Das große Engagement aller Beteiligten hat es aber ermöglicht, in den vier ländlichen Regionen alle Daten wie geplant zu erheben und auszuwerten. Deshalb danken wir auch noch einmal auf diesem Wege allen Einwohner:innen, Vereinsmitgliedern, Verwaltungsmitarbeitenden und Kulturschaffenden, die an den Gruppendiskussionen teilgenommen haben. Auch die sehr bereichernden Ethnografien konnten in mehreren Anläufen durchgeführt werden. So hatten wir zugleich die Möglichkeit, manche Regionen mehrfach zu besuchen, was zu vielfältigen Eindrücken beigetragen hat. Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle auch noch einmal an das BMBF und das DLR, die diese Verschiebungen im Forschungsprozess verständnisvoll und großzügig begleitet haben. Aufgrund der zeitgeschichtlichen Geschehnisse haben wir uns während der Ethnografien in aktuellen Entwicklungen und Ereignissen wiedergefunden, die sich auch im Datenmaterial abbilden.

Die herausfordernden Fragen im Umfeld einer Teilhabe über Kulturelle Bildung sind gerade aufgrund der sich abzeichnenden Desintegrationstendenzen in ländlichen Räumen und daran geknüpften Transformationsherausforderungen demokratischer Gegenwartsgesellschaften noch einmal besonders deutlich geworden.

Welche Erkenntnisse konnten Sie in Ihrer Forschung gewinnen? Welche evtl. nicht? Welche Forschungsfragen bleiben offen? Was kann in Zukunft noch untersucht werden?

Vor allem hat sich gezeigt, dass die Erfolge oder Misserfolge von kultureller Bildung in ländlichen Räumen nicht davon abhängen, wie sich die Bevölkerung vor Ort sozialstrukturell zusammensetzt, also welchen sozialen Milieus die Einwohner:innen zugehören. Unabhängig davon sind wir darauf gestoßen, dass ländliche Regionen von ganz bestimmten sozialen Ordnungen geprägt sind. In den Gruppendiskussionen, die wir in vier Regionen durchgeführt haben, wird sich deshalb bereits in den ersten Reaktionen kritisch bis abwehrend gegenüber den Angeboten von kultureller Bildung und den Repräsentant:innen dieser Praktiken und Programme positioniert. Insofern bilden ländlich geprägte kulturelle Stile immer schon eine Ordnungsstruktur aus, die in Differenz zum Stil kultureller Bildung steht. Allerdings zeigen sich unabhängig davon in den unterschiedlichen Regionen differente Muster, die dann jenseits dieser ersten Geste der Abwehr durchaus unterschiedliche Positionierungen zu den Angeboten einer kulturellen Bildungspraxis zur Folge haben. So können wir abschließend vermuten, dass sich die Ordnungen der ländlichen Regionen über die Angebote kultureller Bildung nicht transformieren, sondern dass kulturelle Bildung eine Teilhabe an den Ordnungen der Vielheit anbietet, die demokratische Gegenwartsgesellschaften prägen. Hieran schließen die ländlichen Regionen unterschiedlich an. Mal sind es Einzelne, die sich sehr über diese Möglichkeiten einer stellvertretenden Integration freuen, mal wurde die regionale Ordnung schon so weit zurückgedrängt, dass Angebote kultureller Bildung auf eine bessere Akzeptanz stoßen. Aber auch, wenn die Abwehr im Vordergrund steht, kann man sagen, dass schon die Platzierung von Angeboten kultureller Bildung in ländlichen Räumen dazu führt, dass Auseinandersetzungsprozesse über das Eigene und das Fremde angestoßen werden. Tatsächlich leisten dazu auch die Forschungsaktivitäten selbst – wenn Menschen interviewt und miteinander ins Gespräch gebracht werden – einen wesentlichen Beitrag.

Gab es überraschende Erkenntnisse?

Tatsächlich waren wir selbst davon überrascht, wie deutlich sich die sozialen Ordnungen ländlicher Räume abzeichnen und wie stabil sie sich erweisen. Dabei gibt es Regionen, die dem Angebot einer Kulturellen Bildung eine positiv gefüllte eigene Kultur gegenüberstellen, aber es gibt auch Regionen, deren Eigenheit sich in der Abwehr an sich erschöpft. Wir sehen also eine, wenn auch unterschiedlich gelagerte, Vorgängigkeit der Inkompatibilität ländlich geprägter kultureller Stile gegenüber dem Stil kultureller Bildung. 

Können Sie aus Ihren Erkenntnissen und aus dem Forschungsprozess Schlussfolgerungen/Handlungsempfehlungen für die Politik/Praxis/Wissenschaft ziehen? Wenn ja, welche und für wen sind diese relevant?

Im Anschluss an die Forschungsergebnisse des Teilprojekts lassen sich die Passungsverhältnisse also zunächst als regionale Passungsabwehr lesen: wir stoßen in einem ersten Zugriff auf vielfältige Spannungen, die sich bei dem Versuch ergeben, Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen zu verorten. Zugleich zeigen die unmittelbaren bis mittelbaren Abwehrgesten, dass sich mit dem über Kulturelle Bildung gestifteten Teilhabeangebot auseinandergesetzt werden muss. Wenn Kulturelle Bildung mit Teilhabeangeboten auftritt, dann wird es auch begründungsbedürftig, diese nicht anzunehmen. 

Insgesamt können aus dem Projekt durchaus wichtige Impulse für Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Vor allem geht es um den Umgang mit den sich zeigenden Spannungen und Ambivalenzen. Die Kulturelle Bildung hat hier zwei unterschiedliche Optionen, für die allerdings nur ein Mittelweg empfohlen werden kann. Einerseits gäbe es natürlich die Möglichkeit, die Auseinandersetzungen mit dem Eigenen und dem Anderen offen zu forcieren, um Aushandlungen zu ermöglichen und so eventuell jene Grenzen zwischen dem jeweils Eigenen und Fremden zu hinterfragen. Andererseits könnte diesen Spannungen auch verdeckend begegnet werden, um keine unnötigen Konflikte zu schüren. Möglicherweise wird Kulturelle Bildung darüber als ergänzendes Angebot in ländlichen Räumen platziert. Diese jeweils potenziellen Extremoptionen – sowohl eine Dauerthematisierung von Konflikten als auch deren umfassende Verdeckung – stellen jedoch keine zu empfehlenden und möglichen Handlungsoptionen dar. Der Mittelweg bestünde dann darin, im Wissen um die konstitutiven Spannungen und Ambivalenzen diese nicht unnötig zu forcieren, sondern das Angebot einer kulturellen Bildung(-spraxis) konsequent aufrechtzuerhalten, ohne sich über eine erwartbare Abwehr zu brüskieren. Dies erfordert auf der Seite der Akteur:innen einer kulturellen Bildungspraxis dann eine Ambiguitätstoleranz, denn dem eigenen Bemühen wird sehr wahrscheinlich auch kritisch begegnet werden. Dennoch sind Angebote kultureller Bildung im Kontext demokratischer Gegenwartsgesellschaften wichtige alternative Teilhabeangebote. Kultureller Bildung kommt dann die Funktion zu, eine (Positionen-)Vielfalt – als Ausdruck demokratischer Gegenwartsgesellschaft – zu etablieren. 

Wo kann man Ihre Forschungsergebnisse im Detail nachlesen/nachhören/etc.?

Bislang sind mehrere Beiträge erschienen, weitere sind in Planung wie auch bereits im Prozess der Veröffentlichung:

  • Bender, S./Rennebach, N. (i.V.). Handlungs- und Transferwissen für Kulturelle Bildung in Ländlichen Räumen: offensiver Einsatz für die Ordnungen moderner Gegenwartsgesellschaften oder Konflikt-Verdeckung?

  • Bender, S. (2023 i.E.). Kulturpolitik als Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen. Zwischen stellvertretender Integration und Konflikt-Verdeckung. In O. Marchart, F. Landau-Donnelly, A. Schad-Spindler & S. Fridrik (Hrsg.). KonfliktuelleKulturpolitik – Conflictual Cultural Politics. Wiesbaden: Springer. 

  • Bender, S. (2023 i.E.). Struktur und Verdeckung. Rekonstruktive Annäherungen im Kontext einer kulturellen Bildung in ländlichen Räumen. In: S. Bender, O. Flügel-Martinsen, M. Vogt (Hrsg.): Verdeckung. Interdisziplinäre Perspektiven. Bielefeld University Press.

  • Bender, S./Kolleck, N./Le, T. H. T./ Rennebach, N. (2023 i.E.). Abwehr, Aushandlung und Ambiguitätstoleranz: Kulturelle Bildungsnetzwerke zwischen Region, Kultur und kultureller Bildung. In: In: Kolleck, N./Fischer, L. (Hrsg.): Kolleck, N./Fischer, L. (Hrsg.) 2023. Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen: Transfer, Ko-Konstruktion und Interaktion zwischen Wissenschaft und Praxis. Verlag Barbara Budrich: Leverkusen-Opladen.

  • Bender, S./Lambrecht, M./Rennebach, N. (2022). Diskursive Landschaften? Positionierungen zur kulturellen Bildung(-spraxis) in ländlichen Räumen. In: Kolleck, Nina/Büdel, Martin/Nolting, Jenny (Hrsg.): Forschung zu kultureller Bildung in ländlichen Räumen. Methoden, Theorien und erste Befunde. Weinheim: Beltz/Juventa, S. 191-207. 

  • Bender, S./Rennebach, N. (2022). Handlungsmacht und Handlungsverantwortung. Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen. In: KULTURELLE BILDUNG ONLINE: www.kubi-online.de/index.php/artikel/handlungsmacht-handlungsverantwortung-kulturelle-bildung-laendlichen-raeumen.

  • Bender, S./Kolleck, N./Lambrecht, M./Heinrich, M. (2019). Kulturelle Bildungsnetzwerke in ländlichen Räumen. Das Verbundprojekt „Passungsverhältnisse Kultureller Bildungsnetzwerke und Kultur(en) in ländlichen Räumen im Kontext sozialer Teilhabe“ (PaKKT). WE_OS-Jahrbuch, 2, S. 65-81.