Vernetzungstagung 2021: Aspekte und Objekte
Nach anderthalb Jahren Forschung in der Förderrichtlinie kulturelle Bildung in ländlichen Räumen, kommen alle Forscher:innen zum zweiten Mal digital zusammen: Vom 08. bis 10. September 2021 hat die zweite Vernetzungstagung stattgefunden. Was Tassen und Telefone auf einer Tagung zu suchen haben und womit sich die Teilnehmenden beschäftigten - ein Einblick in die Tagung.
Eine Teilnehmerin zeigt ihre Tasse in die Kamera: „Ich habe gelernt, mir die Zeit zu nehmen zu verstehen.“ Ein anderer Teilnehmer hält sein Telefon hoch: „Ich hing zu Beginn ständig in Warteschleifen und landete bei Anrufbeantwortern. Mir wurde klar, dass ich einen Perspektivwechsel brauche, um Zugang zum Feld zu bekommen.“ Es sind anderthalb Jahre vergangen, seit die Förderrichtlinie zu kultureller Bildung in ländlichen Räumen ihren Startpunkt fand und 21 Projekte ihre Forschungen aufnahmen. „Was war eure wichtigste Erkenntnis seither?“ lautet eine der ersten Fragen in der Zoom-Sitzung der Vernetzungstagung 2021: „Und welcher Gegenstand in eurer Umgebung verdeutlicht diese?“
Die zweite Vernetzungstagung hat dieses Jahr vom 08. bis 10. September stattgefunden. Die Ziele: Den Austausch zwischen den 21 involvierten Projekten zu fördern, sie zu vernetzen und neue Anregungen mit auf den Weg zu geben. Genau wie vor einem Jahr stellte sich das Organisationsteam von MetaKluB der Universität Leipzig die Frage, wie diese Tagung rein digital ihre Ziele erreichen kann. Neben bereits erprobten digitalen Formaten stehen neben neuen Inhalten auch neue Gesichter auf der Agenda. Darunter Luise Fischer: Die neue wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MetaKLuB stellt sich am ersten Tag der Tagung vor: Sie sieht in der Forschung rund um die Förderrichtlinie das Potential, die Trennung von Praxis und Forschung weiter zu durchbrechen. Das Durchbrechen vermeintlicher Gegensätze wird noch häufiger das Thema der diesjährigen Tagung sein.
Tag eins: die richtige Methode
Forschungsmethoden stehen im Fokus des ersten Tages der digitalen Vernetzungstagung. In vier parallel stattfindenden Workshops setzen sich die Mitarbeitenden aus dem Mittelbau angeleitet von jeweiligen Referent:innen mit methodischen Ansätzen auseinander. Während eine Gruppe in die qualitative Inhaltsanalyse einsteigt, beschäftigt sich eine andere mit Netzwerkanalysen. Eine dritte Gruppe befasst sich mit diskursanalytischen Forschungsperspektiven. Bezogen auf kulturelle Bildung sind laut dem Referenten das Eigene und das Fremde spannende Themenfelder für eine Diskursanalyse. Frei nach Jacques Derrida: Es geht darum „nicht als natürlich darzustellen, was nicht auch natürlich ist, nicht so zu tun, als ob das, was durch Geschichte, Technologie, Institutionen und Gesellschaft geprägt wurde, natürlich sei.“ Die Frage, wie weit die Abgrenzung von dem Fremden in den Forschungsvorhaben eine Rolle spielt und wie weit sich dies durch Sprache verfestigt, wird noch weitere Male die Debatte der Tagung anregen.
Am Nachmittag finden die gleichen Workshops mit neuen Teilnehmenden statt. Nur ein Workshop – zu Techniken der Analyse longitudinaler Datenstrukturen – wird nicht wiederholt, stattdessen können einige Teilnehmende am Nachmittag an einer Schreibwerkstatt mitwirken. Zum Teil nutzen die Referent:innen bereits erarbeitete Materialien aus den Workshops vom Vormittag. So zum Beispiel bei der Netzwerkanalyse: Eine digitale Tafel zeigt schon Antworten auf die Frage, wo Netzwerkanalysen in der eigenen Forschung Anwendung finden könnten. Wer oder was sind die relevanten Akteur:innen, in der Netzwerk-Analyse Knoten genannt, wie sehen deren Beziehungen aus, Kanten genannt? Beispielhaft lässt der Referent das Programm Gephi einen Datensatz zeichnen, bringt Struktur rein und zeigt, welche Programm-Befehle beispielsweise Aufschluss über einzelne Positionen geben. Mit einer Feedback-Runde klingt der erste Tagungstag schließlich aus.
Tag zwei: Vernetzen und Vertiefen
Bei einer Präsenztagung wäre der erste Eindruck morgens um 9 Uhr wohl gewesen: Der Saal ist voll – wir können starten! Nicht nur die Mitarbeitenden und Leitungen aus allen Projekten, sondern auch Expert:innen aus dem Beirat sowie Vertreter:innen aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt kommen zusammen. Nach über anderthalb Jahren zeigt sich, dass alle Wege gefunden haben, um mit Herausforderungen der Pandemie in Bezug auf die eigene Forschung umzugehen. Zwischenergebnisse werden gegenseitig präsentiert – einige Themen tauchen öfter auf: das Vertrauen, das den Forschenden Türen öffnet zu Menschen und künstlerischen Praxen und Reflexionen über die Rolle kultureller Bildung für das eigene Sein. Das Gefühl mitbestimmen zu können, wie die eigene Lebenswelt gestaltet wird und wie sie sich entwickelt. Die Netzwerke, die in ländlichen Räumen ganz informell entstehen und so viel ermöglichen, aber nicht leicht zu finden und zu verstehen sind, vor allem dann, wenn das Vertrauen der Menschen noch nicht gewachsen ist.
Mit harten Bandagen wird schließlich am frühen Nachmittag gekämpft um 30 mögliche Punkte. Drei Sekunden Musik, vier Teams und fünf Jahrzehnte. Geraten werden Interpret:in, Titel, Jahrzehnt und manchmal sogar Jahr. Die geballte Schwarmintelligenz („Da bin ich mir sicher, das war ein Hit in dem Jahr, als ich gerade mein Studium begonnen habe!“) führt zu einem engen Kopf-an-Kopf-Rennen.
Zurück im Plenum wartet Prof. Lisa Donovan mit einer klaren Aufgabe: „Think like a region!“. Zu verstehen, wie eine konkrete ländlich Region funktioniert, was die Menschen vor Ort benötigen und wollen, welche Bedarfe sie haben, ist notwendig, um kulturelle Bildungsangebote zu entwickeln und zu installieren. „Ohne Ekki löppt dat neijt!“ stellt Dr. Beate Kegler fest und meint damit etwas ganz Ähnliches: Wer nicht weiß, was die Gemeinschaft in einem Dorf auszeichnet, welche „corporate identity“ sie haben, verkennt, dass hier zentrale Gelingensbedingungen kultureller Bildungsprozesse liegen.
Um noch mehr Raum für vertiefte Gespräche und Austausch zu schaffen, trifft man sich danach in Expert:innenräumen. Auch Olaf Zimmermann und Mechthild Eickhoff stehen als Expert:innen zur Verfügung. Der eine gibt einen Ausblick auf die Kulturpolitik des gerade begonnenen Jahrzehnts, die andere erklärt, warum die Partizipation der Bewohner:innen einer ländlichen Region wichtig für die Entscheidung ist, ob der Fonds Soziokultur ein Projekt im Bereich der kulturellen Bildung fördert.
Und wie es eben so ist bei Onlinetagungen – vor allem am Ende des Tages bedauert manch eine:r, die inspirierenden Diskussionen nicht fortsetzen zu können. Wie gut, dass alle noch digital „Auf ein Glas Wein mit MetaKLuB…“ eingeladen sind.
Tag drei: TTT – Teilhabe, Transfer, Transformation
„Wer hatte genug Vertrauen, eine Karte für eine Kulturveranstaltung 2022 zu kaufen?“ Einzelne Gesichter ploppen auf dem Bildschirm auf, langsam füllen sich die vielen kleinen Zoom-Fenster mit Bildern und zeigen neben den Gesichtern der Teilnehmenden weiße Wände, Bücherregale oder Wandkalender im Hintergrund. Als kleine Aufwärm-Runde des letzten Tages der Vernetzungstagung verdecken die Teilnehmenden ihre Kameras mit der Hand, bis sie auf eine der Fragen mit Ja antworten können.
Der Abschlusstag der Tagung ist am Morgen auch mit einer kleinen Bitte für die Zukunft verknüpft: Die Teilnehmenden fischen Briefumschläge hervor, öffnen sie und halten schließlich unterschiedlich bedruckte Postkarten in die Kameras. Die Postkarten sind bereits adressiert – an Menschen aus anderen Forschungsprojekten. Alle in die Förderrichtline involvierten Forscher:innen sollen einander eine Postkarte mit einigen Zeilen schreiben.
Mit dieser Bitte geht der Tag über in die Workshop-Phase. Die drei Workshops Transformation, Teilhabe in der kulturellen Bildung sowie Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis finden jeweils zwei Mal hintereinander statt, damit jede:r an zwei der drei teilnehmen kann. Mal in Kleingruppen, mal in großer Runde debattieren die Teilnehmenden über ihre Forschungsansätze und den Ansatz „think like a region“. Sie hinterfragen ihr eigenes Vorgehen, Denkweisen und auch die eigene Sprachwahl. Eine Teilnehmerin ist noch besonders bewegt von dem Vortrag von Professor Lisa Donovan vom Vortag: Sie gibt zu bedenken, dass durch Formulierungen wie „wir“ im Gegensatz zu „die“ sprachliche Abgrenzung stattfindet. Nach ihrer Wahrnehmung führt allzu professionelles Gehabe im ländlichen Raum auch schnell zu Ablehnung. Es sei an der Zeit, auch mittels der eigenen Sprache eine andere Haltung auszudrücken.
Es geht in den Workshops außerdem um die Frage, wie Teilhabe, nicht reine Teilnahme, an kultureller Bildung auf dem Land ermöglicht werden kann. Wie sich Institutionen und Angebote langfristig verfestigen können. Welchen Einfluss, neben dem Zugang zu kultureller Bildung, auch die Anzahl an Angeboten hat und wie die Qualität des Angebots die Teilhabe beeinflusst. Auch die Bedeutung der Vernetzung von Akteuren und Institutionen betonen die Teilnehmenden in der Debatte.
Vernetzung war letztlich auch das übergeordnete Ziel der diesjährigen Tagung. In einer abschließenden Feedback-Runde treffen sich erneut alle Teilnehmenden. 17 Fragen evaluieren, wie die Teilnehmenden die Tagung wahrgenommen haben. „Viele innovative Details, viel menschliches Engagement und persönliche Einblicke, die das Eis gebrochen haben, miteinander ins Gespräch zu kommen. “ schreibt eine Teilnehmende zum Abschluss.
Erstellt von:Lara Janssen, Jenny Nolting