Die kulturelle Dimension der Energiewende
Das Jahr 2011 wird in absehbarer Zukunft aller Voraussicht nach als Wendepunkt der Energiegeschichte gelten, genauso wie heute die Ölkrise in den 1970er-Jahren als ein solcher Wendepunkt gilt. So wie das arabische Ölembargo im Jahr 1973 den verhältnismäßig günstigen Ölpreisen ein Ende setzte, bedingte die Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 einen Paradigmenwechsel in der Sicht von Atomkraft als einer sicheren Energiequelle.
Früher wie heute vertreten dabei Frankreich und Deutschland gegensätzliche Modelle. Das Gelingen des französischen Atomprogramms ist bis heute untrennbar mit dem französischen Zentralismus und Dirigismus verknüpft. Dementsprechend wird in Deutschland das Misslingen eines vergleichbaren Aufstiegs der Kernenergie mit den großzügigeren Einspruchsmöglichkeiten des föderalen Systems und der Tradition eines liberalen Staates, der weniger in den Markt eingreift, erklärt. Die sogenannte Energiewende – also der stufenweise Ausstieg aus der Atomkraft – wäre ohne die große Bedeutung von Regionalwahlen sicher nicht beschlossen worden. Was während der Ölkrisen in den 1970ern schon offensichtlich war bestätigt sich in den 2010ern: Ein „Energiekonsens“ ist in Deutschland beinahe notwendig, in Frankreich hingegen unter Umständen verzichtbar.
Doch die Umstellung der Energieversorgung war und ist mehr als eine Frage des politischen Systems. Sicherlich ist eine Energiewende vom politischen Willen anhängig, doch sie kann zudem nur erreicht werden, wenn dieser Initiative von oben auch ein Bewusstseinswandel von unten entgegenkommt. Auch diese Behauptung stützt sich auf rückblickende Beobachtungen, denn auch damals wurden in Frankreich und der BRD die von der Politik angeregten Energiesparmaßnahmen – von sparsameren Automobilen bis hin zu besser isolierten Häusern – von einem generellen Wandel im Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zur Energie begleitet. Erst dieser Wandel garantierte ein nachhaltig verändertes Energiebewusstsein, das auch nach der Ölpreiskrise anhielt. Die Energiewende findet nicht nur an Kabinettstischen, in Chefetagen oder Ministerialbüros statt, sondern vollzieht sich auch in unseren Kinderzimmern, unseren Küchen und in unseren Wohnzimmern. Dies lässt eine Spurensuche in deutschen und französischen Haushalten der 1970er-Jahre deutlich werden. Der hier vorgenommene Rückblick in das Wohnen und Leben während der Ölkrisen soll veranschaulichen, wie alltäglich und wie umfassend eine Energiewende auf die Gesellschaft wirkt und wie sie in Kulturen und Mentalitäten eingreift.
Das Kinderzimmer
Die Energiefrage im Alltag von Kindern und Jugendlichen
Als 2011 der deutsche Spielzeughersteller Playmobil den „Bauernhof“ neu auflegte, waren viele der klassischen Bestandteile wie der Stall, Nutztiere oder Futterelemente fast unverändert geblieben. Besondere Aufmerksamkeit erregte im Gegenzug die Photovoltaik-Anlage auf dem Gebäude, wodurch die erneuerbaren Energien in den Kinderalltag integriert wurden. Der Hersteller gab an, mit dieser Entwicklung lediglich der neuen Lebensrealität zu entsprechen: Es fänden „sich auf dem Dach des Bauernhofs Solarzellen, weil dies häufig zu sehen ist“ (Brück 2011). Tatsächlich sind Solarzellen auf dem Spielzeughaus aber nicht nur eine Reproduktion des Alltags, sondern auch ein Instrument für die Normalisierung von erneuerbaren Energien im Bewusstsein der Kinder.
Auch in den 1970er Jahren gab es bei den Kindern und ihrem Umfeld das Bedürfnis die Energiefrage, und damit das Ölproblem, besser zu verstehen. Auch der Blick in die Kinderzimmer der 1970er-Jahre zeigt, dass damals in gleicher Weise versucht wurde ein besseres Bewusstsein für die Energie- und Ölversorgung zu schaffen. In Partnerschaft mit dem Mineralölunternehmen Shell baute der dänische Hersteller LEGO die Etappen der Ölversorgung nach und ermöglichte es so den Kindern die Energiefrage nachzuspielen. Im Jahr 1976 war zunächst eine Ölraffinerie als Teil der Eisenbahnlandschaft verfügbar, ein Jahr später dann auch eine Bohrinsel mit Tanker. Mit zusätzlichen Lastwagen und Tankstellen von Shell war es möglich, alle Schritte der Ölverarbeitung nachzuspielen und damit nachzuvollziehen. Die Kooperation zwischen Shell und LEGO war für erstere außerdem eine gute Möglichkeit, das durch den Ölschock angekratzte Image aufzubessern. Auch die LEGO-Spielwelt der 1970er-Jahre bildet somit gesellschaftliche Thematiken ihrer Zeit ab.
Heute ist eine LEGO-Ölraffinerie oder Strategiespiele wie Öl für uns alle oder La Conquète du Pétrole, bei denen die Kontrolle von Ölfeldern Spielziel war, unvorstellbar. Die Beliebtheit solcher Spiele in den 1970er-Jahren unterstreicht hingegen die gesellschaftliche Bedeutung und Dimension der Ölkrise. Somit spiegeln die Kinderzimmer der 1970er die damals neue Bedeutung der Energie im Alltag wider.
Dies wurde für Kinder und Jugendliche auch in der Schule deutlich. Zeitgenössisch lief das Problem der Deckung des Energiebedarfs für zukünftige Generationen unter dem Slogan „Grenzen des Wachstums“ (Freytag 2006): Die erste und zweite Ölkrise seien nur der Anfang, denn die wirklichen Probleme in der Energieversorgung beträfe erst die nächste Generation, wenn die Ölquellen im folgenden Jahrhundert versiegten. Dadurch wurde die Bewältigung der Energieproblematik zur Verpflichtung gegenüber der nächsten Generation und die Ölkrisen zum Gewissen der Elterngeneration. Um die nächste Generation auf die Herausforderungen in der Energieversorgung vorzubereiten, war deshalb gerade auch die Schule in der Pflicht.
Zugleich fehlte in französischen und deutschen Schulen jedoch eine koordinierte und vor allem kohärente Einarbeitung in die Lehrpläne. Letztlich war die Aufnahme der Themen „Energie“ und „Energieeinsparung“ in den Unterricht dadurch vor allem von der Eigeninitiative der Lehrkräfte abhängig. So berichtete ein Geographie-Lehrer in einer Fachzeitschrift von einer Unterrichtseinheit über „Probleme der Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland“ (Meirick 1979), in der er fächerübergreifend mit den Schülerinnen und Schülern einer 9. Klasse über die Probleme der Energieversorgung diskutiert hatte. Unter anderem sollten die Schülerinnen und Schüler ihre Lebensgewohnheiten heute (Heizung, Kochen, Mobilität) mit denen ihrer Eltern und Großeltern vergleichen. So hoffte der Lehrer ihr Energiebewusstsein zu schulen. Ein anderer Lehrer veröffentlichte ein „Quiz zur Energieeinsparung“ (Fahn 1980), das er selbst entwickelt hatte. Zwei weitere Physiklehrer stellten im Physikunterricht unter dem Titel „Lernziel Energiebewußtsein“ (Lanz/Sperlich 1981) Experimente vor, mit denen Energiesparen unmittelbar demonstriert werden konnte. Zum einen aufgrund der hohen Bedeutung für die Zukunft der Schülerinnen und Schüler, aber auch aus Verantwortung der erwachsenen Lehrkräfte für die kommenden Generationen, bekam die bisher als selbstverständlich angesehene Energie nun für junge Menschen eine ganz neue Bedeutung.
Dies hatte letztlich auch Auswirkungen über die Kinderzimmer hinaus: Als 1978 der Öltanker Amoco Cadiz vor der französischen Küste zerschellte und die ökologischen Gefahren einer energieintensiven Lebensweise verdeutlichte, waren es vor allem Jugendliche, die voller Enthusiasmus in die Bretagne aufbrachen, um bei der Reinigung der Strände zu helfen (von Randow 1978). Nicht selten mussten die jungen Helfenden aber erkennen, dass ihr Idealismus der harten Aufgabe nicht gewachsen war. Dennoch war der Einsatz nach der Ölhavarie der Amoco Cadiz ein deutlicher Hinweis, wie ernst es der jungen Generation mit ihrer Umwelt war (vgl. auch Berichterstattung).
Das erkannte auch die französische Energiespar-Agentur Agence pour les économies d'énergie (AEE) und richtete ihre Sparkampagne 1979 auf Kinder aus, um an das Gewissen ihrer Eltern zu appellieren. Mit der Chasse au Gaspi (Jagd auf Verschwendi) wurden französische Kinder spielerisch für das Energiesparen sensibilisiert. Mit dieser Strategie erreichte die AEE somit über die Kinderzimmer die eigentliche Zielgruppe der Erwachsenen. Die Kinder fungierten dabei einerseits als schlechtes Gewissen, aber auch als Kontrollinstanz ihrer Eltern.
Auch heute noch nutzen viele Kampagnen, die mit Sparsamkeit und Umweltbewusstsein werben, Kinder als Vehikel ihrer Botschaft. So mahnt zum Beispiel in einem Spot für den Golf BlueMotion aus dem Jahr 2010 eine Tochter ihren Vater in zahlreichen alltäglichen Situationen zu energieschonendem Verhalten. Lediglich das beworbene Automobil lässt dem Kind keinen Anlass zur Ermahnung.
Das Wohnzimmer
Die Energiekrise auf dem Bildschirm und im Radio
Doch nicht nur die mit der Amoco Cadiz angesprochenen Umweltkatastrophen trugen zur fortschreitenden Diskreditierung des Öls in der westlichen Welt bei. Auch in Musik, Film und Fernsehen wurde das Thema aufgegriffen, indem die Abhängigkeit von der Ölindustrie und deren Skrupellosigkeit durchweg negativ dargestellt wurden. Dies zeugt vom anhaltenden Wandel im Energiebewusstsein.
Vor allem in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren entstanden Filme, die die Ölproblematik thematisieren. Hervorzuheben sind hier Mad Max (1979) und The Formula (1980). In ersterem wird eine post-apokalyptische Welt beschrieben, in der der Polizist Max mit äußerster Brutalität gegen Banden vorgeht, die ihren kriminellen Antrieb aus dem Energiemangel durch die langsam versiegenden Ölquellen schöpfen. Einer der Drehbuchautoren, James McCausland, gab später an, dass die Inspiration aus dem Wunsch der Menschen nach Mobilität und dem Willen, diesen Wunsch um jeden Preis zu erfüllen, gekommen sei. Hier wurde in der Ölabhängigkeit also gar das Potential gesehen, die gesellschaftliche Ordnung zu zerstören und in Anarchie umzuwandeln. Dass im Jahr 2013 die vierte Fortsetzung von Mad Max in die Kinos kommen soll, zeigt die andauernde Relevanz des Themas.
Der 1980 erschienene Film The Formula beschreibt hingegen das durch Gier und Korruption geprägte Ölgeschäft. Es geht um eine von den Nazis entwickelte Formel, mit der Öl aus Kohle synthetisiert werden kann. Der Besitz dieser Formel ist verheißt Reichtum und Unabhängigkeit von den Mineralölfirmen. Adam Steiffel, die Hauptfigur, ist Inhaber eines großen Ölimperiums und besitzt diese Formel, will sie bis zum Versiegen der Ölquellen aber noch geheim halten, um seine florierenden Geschäfte aufrecht zu erhalten. Die Ölindustrie wird hier als mächtige und profitgetriebene Instanz gezeigt, die sich nicht um das Wohl der Bevölkerung kümmert. Diese Charakterisierung wird auch durch die zeitgleich entstandenen TV-Serien Dallas und Der Denver-Clan vollzogen.
Die Ölkrise erscheint in The Formula vor allem als Verschwörung der Mineralölindustrie. Im Film rät ein Berater von Steiffel, seine Ölfirma solle während der Krise die Ölpreise anheben, weil man dies „auf die Araber abwälzen“ könne. Damit wird die Ölindustrie sogar zur Verantwortlichen für den Preisanstieg erhoben.
Weiterhin erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Serie Dallas nach einer über zwanzigjährigen Sendepause seit 2012 fortgesetzt wird, was stark auf das neu erwachte Energiebewusstsein, das sich auch in Kino und Fernsehen widerspiegelt, hindeutet.
In der Pop-Musik finden sich ebenfalls vor allem in den späten 1970er Jahren zahlreiche Lieder, die die Ölabhängigkeit thematisieren. Dies geschieht allerdings meist humorvoller und weniger drastisch als in den beiden beschriebenen Kinofilmen. Es werden dabei eher Ängste und Probleme der Bürgerinnen und Bürger thematisiert anstelle von globalen politisch-ökonomischen Ölfragen. So singt der deutsche Liedermacher Reinhard Mey in „Hab' Erdöl im Garten“ (1975) vom zeitgenössischen irrationalen Verhältnis zum Öl. Als der Sänger in seinem Garten auf eine Ölquelle stößt, hat er bald, von den Nachbarn bis zu den Automobilfirmen, die halbe Welt vor dem Haus, die alle das Wunder bestaunen und Öl schöpfen.
Ähnlich ausgerichtet ist das Lied „Le Pétrole“ des französischen Rocksängers Johnny Hallyday: Ob Plastik, Benzin oder Heizung, am Ende gilt „c'est toujours du pétrole“ – es ist immer das Öl. Und dieses wird geradezu religiös verehrt, wie Johnny Hallyday singt: Jesus hätte das Wasser besser in Öl verwandelt und Gott möge den Menschen ihr täglich Öl geben.
Eine Schlüsselthematik ist die Abhängigkeit von Benzin: So geht Roberto Blanco in seinem Schlager „Am Tag, als es kein Benzin mehr gab“ (1978) „halt zu Fuß“. Die Rolling Stones singen in „Petrol Gang“ (1978): „Please Mr. President, say it isn't so. I don't wanna pay 10 $ for gas. I got nowhere to go...“ und der österreichische Sänger Georg Danzer in „Kein Benzin“ (1979): „Ohne Treibstoff ist ganz einfach nix mehr drin. Ich bin so allein, denn ich hab kein Benzin.“
Zwar verschafft die Tatsache, dass Wasser am Ende mehr Wert besitzt als Benzin (wie z.B. Michel Sardou in „Ils ont le pétrole mais c'est tout“ (1979): „Evian kommt aus den Alpen, nicht aus der Sahara“) etwas Trost, doch in den meisten Popsongs dominiert eine letztlich fatalistische Sicht auf die Ölabhängigkeit.
Die durchweg negativen Darstellungen des Ölgeschäfts in Film und Fernsehen bringen die Wahrnehmung nach den Ölkrisen pointiert zum Ausdruck: Die Mineralölindustrie sei korrupt und nur an ihrem eigenen Profit interessiert, eine Verschwörung aus Geld- und Machtgründen wäre dementsprechend nicht verwunderlich. Der Ölmangel berge Gefahren, deren Folgen nicht abschätzbar seien, von denen aber eine Vorstellung als anarchisch-apokalyptisches Szenario vorherrschte. Die Popsongs jener Zeit dokumentieren hingegen die Furcht vor der Ölabhängigkeit und deren sucht- und kultartigen Ausprägungen. Die anscheinende Ausweglosigkeit charakterisiert sich in von Fatalismus und Zweckoptimismus geprägten Liedtexten. Auch diese Mischung aus Hilfslosigkeit und Abneigung gegenüber der Ölwelt gehört zur Krise der 1970er-Jahre und zum Bewusstseinswandel in der Energiefrage.
Die Küche
Die Energiefrage in Familie und Haushalt
Nicht nur die öffentliche Meinung und Darstellung wurde von der Ölkrise beeinflusst, sondern auch ökonomische Überlegungen im privaten Bereich. Während sich die Automobilbranche rasch erholte und die Absätze an PKWs in Frankreich und Deutschland nach 1974 schnell wieder anstiegen, zwangen gestiegene Ölpreise besonders Frauen zu sparen. Das zeigt sich beispielsweise an der Frage der Automobilität: Während 1974 unter dem Eindruck der Ölkrise insgesamt nur etwa 2,5% weniger Führerscheinprüfungen abgelegt wurden, waren es bei den Frauen 8% weniger als noch 1973. Somit wurde beim Sparen an Mobilität zuerst bei der Mobilität der Frauen angesetzt. Auch im Haushalt waren die Menschen zu Einsparungen angehalten, und auch hier waren hauptsächlich die Frauen vom mahnenden Zeigefinger des Staates angesprochen. So wäre den Energieplanern in Bonn „schon wohler, wenn die Hausfrauen mit den […] Waschmaschinen nicht gar so unrationell umgingen wie bisher“ (Anonym 1973), hieß es so beispielsweise im Spiegel 1973. Man bemängelte zu geringe Füllmengen und dass die Wäsche im Trockner regelrecht „trockengebacken“ werde. Diese Kritik kam aus der vorrangig männlichen Bundesregierung. Zugleich stand dahinter die Überzeugung, dass vor allem Frauen Energie sparen könnten. Auch die Frauen selbst sahen diese Verantwortung, doch zugleich auch die damit verbundene Gefahr, dass die Energiekrise und das Sparen vor allem auf ihren Schultern lasten würde.
Das betraf zum einen den beruflichen Sektor, wo Frauen nicht nur fürchten mussten als erste entlassen zu werden, sondern auch sich in Zukunft angesichts höherer Arbeitslosigkeit noch stärker für ihren Arbeitsplatz rechtfertigen zu müssen. Es betraf aber eben auch durchaus die Haushaltsführung selbst, wie eine Gruppe französischer und belgischer Frauen 1974 erklärte: Die Hausfrauen würden künftig viel Fantasie benötigen, um angesichts steigender Preise ihre Familien zu ernähren und auf den Kauf elektrischer Haushaltsgeräte verzichten müssen. Dennoch wollten sie auch trotz der Krise nicht auf ihre Rechte verzichten (Anonym 1974).
Haushaltsgeräte boten damals erst seit kurzem vielen Frauen die Möglichkeit, Zeit in der Haushaltsführung zu sparen und dafür einen Beruf ergreifen zu können. Dieser von männlicher Seite ohnehin kritisch beäugten Entwicklung wurde zusätzlich entgegengewirkt, indem die von den Männern abhängige Kaufentscheidung vielerorts nicht getroffen wurde. Das ist sicher auch ein Grund, warum der Aufruf zum Energiesparen hauptsächlich von Frauen ausgeführt werden musste. Die Energiefrage wirkte also nicht nur in den kulturellen Bereich hinein, sie beeinflusste auch die Auseinandersetzung um Geschlechterrollen und Familienbilder. Im Zuge der Frauenbewegung in den Siebzigern wurde das klassische Hausfrauenmodell jedoch immer mehr in Frage gestellt. Damit war die Strategie der Politik, energiesparsame Hausfrauen auszubilden, wenig nachhaltig und von Beginn an hinterfragt. Je mehr die Rolle der Hausfrau an Selbstverständlichkeit einbüßte, umso mehr stellte sich die Frage neu, wer für das Energiesparen im Haushalt verantwortlich sei.
Auch beim Essen kamen veränderte Familienverhältnisse zum Tragen. Im klassischen Rollenbild war die Hausfrau für das Zubereiten der Mahlzeiten zuständig. Seit den späten 1960ern wurde diese Aufgabe durch Tiefkühlkost erleichtert. Auch wenn diese schnell und einfach zubereitet war, so wurde für ihre Herstellung viel mehr Energie als für herkömmliche Nahrung verbraucht. Die Mahlzeit musste industriell zubereitet und vorgekocht, anschließend tiefgekühlt, im Laden und zu Hause gelagert und schließlich fertiggegart werden. Es ist paradox, dass Tiefkühlkost ausgerechnet in der Zeit des Energiesparens boomte. Auch hier gab es die Befürchtung auf Seiten der Frauen, auf diese Zeitersparnis verzichten zu müssen (Anonym 1974). Dennoch hielt der Trend an. Wie sehr er sich auf den Energieverbrauch auswirkte, ist schwer zu sagen. Er macht aber deutlich, dass dem traditionellen Familienbild – auf das Werbe- und Sparkampagnen häufig anspielten – immer häufiger neue soziale Verhältnisse gegenüberstanden.
Auch die steigende Zahl an Singlehaushalten spiegelte sich im Energieverbrauch in Deutschland und Frankreich wider. Wo früher zumeist eine ganze Familie von einer Wärme- und Energiequelle profitieren konnte, gab es nun mehr Haushalte mit jeweils weniger Bewohnenden. Diese gesellschaftliche Entwicklung und auch die andauernde Beliebtheit von Convenience-Food beeinflusst den Energieverbrauch stark und spielt dennoch selten eine Rolle, wenn über Energiesparen nachgedacht wird. Hier wird deutlich, dass nicht nur Heizungen und Doppelfenster Bestandteil des Bewusstseinswandels sind, sondern auch Geschlechterrollen, Familienbilder, Lebensweisen und Essgewohnheiten.
Die Energiewende als Bewusstseinswandel
Etwa ein Jahrzehnt nach dem großen Schock der ersten Ölkrise war der Spuk vorüber. Mit dem Gegenölschock in den 1980er Jahren brach der Ölpreis wieder drastisch ein und 1986 betrug der Preis pro Barrel nur noch etwa ein Viertel des Ölpreises von 1980. Der große Spardruck ließ nach. Hingegen begann das Energiesparen erst in den 1980er-Jahren sich als gesellschaftliche Norm durchzusetzen. Wärmedämmende Maßnahmen wurden populär, viele Haushalte wechselten zu Gas- (Bundesrepublik) und Elektroheizungen (Frankreich). Die Lehre vom sparsamen Haushalten erreichte alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen, obwohl dies mit hohen Ölpreisen nicht mehr erklärt werden konnte und die 1972 prognostizierten „Grenzen des Wachstums“ nun doch nicht erreicht zu sein schienen.
Die eben dargelegten Aspekte trugen dabei in großem Maße zum veränderten Verhältnis zur Energie bei. Für die Menschen kam der Strom nun nicht länger einfach aus der Steckdose, sondern war ein öffentliches Thema geworden. Die Ölfirmen und die Ölförderung hatten ihr gutes Image verloren, der „Petromania“ war eine „Petrophobia“ gefolgt. Öl schien das Leben nicht länger zu bereichern, sondern ähnlich zu gefährden wie radioaktiver Atomstrom und Feinstaub verursachende Kohle. Dieser Bewusstseinswandel war einer der Gründe für die gestiegene Sensibilität gegenüber Energie und er zeigt deutliche Parallelen in Frankreich und Deutschland. Während sich die Energiewende von oben unterschiedlich vollzog, war der Bewusstseinswandel von unten durchaus vergleichbar. In beiden Ländern beschäftigte man sich so intensiv wie nie zuvor mit dem Thema, sodass die damaligen Diskurse über Energieversorgung und -einsparung bis in die heutige Zeit nachwirken. Dies war der eigentliche und nachhaltige Wandel nach der Ölkrise.
Doch die Ölkrise reichte weit über die Energiefrage hinaus. Energie spielte seit dem weltweit rasanten Anstieg des Energiebedarfs in den fünfziger Jahren eine enorme Rolle für den Alltag aller, denn der komplette Tagesablauf war davon abhängig geworden. Wenn die Energieversorgung in Frage gestellte wurde, so wurde der gesamte Lebensstil in Frage gestellt. Eine Energiewende zieht in einer Gesellschaft, in der Energie eine so übergeordnete Rolle spielt, demnach auch immer eine Veränderung des Lebensstils mit sich, und damit auch eine Veränderung der Mentalität und der Kultur.
Es lohnt daher auch heute den Blick für Veränderungen im Umgang mit Energie zu schärfen. Nicht allein politische Reden oder die Anzahl an Windrädern und Solaranlagen sind Gradmesser für den Fortschritt der Energiewende. Die gestiegene Präsenz der Energiefrage in unserem Alltag ist ebenso von Bedeutung. Wenn sich zum Beispiel Solarpanels mit wenigen Klicks online bestellen lassen, Dallas wieder im Fernsehen läuft oder von Playmobil Solarzellen auf einem Bauernhof platziert werden, dann wird die Energiefrage alltäglich erlebbar und ein verändertes Verhältnis zur Energie sichtbar.
Quellen:
- Anonym (1973): „Geiz im Dunkeln“. In Spiegel, 51/1973. Online verfügbar auf http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41810646.html (letzter Zugriff am 30. Mai 2013)
- Anonym (1974): „Les femmes face à la crise“. In Les Cahiers du GRIF, 2, S. 56-57. Online verfügbar auf http://www.persee.fr/web/revues/home/ prescript/article/ grif_0770-6081_1974_num_2_1_903 (letzter Zugriff am 30. Mai 2013)
- Brück, Mario (2011): „Spielsachen mit Solarantrieb“. In Wirtschaftswoche Online. Online verfügbar auf http://www.wiwo.de/technologie/umwelt/energie-spielzeug-spielsachen-mit-solarantrieb/5965906.html (letzter Zugriff am 29. Mai 2013)
- Fahn, Hans Jürgen (1980): „Quiz in Sachen Energieeinsparung. Ein Beispiel für den aktuellen Erdkundeunterricht“. In: Geographie im Unterricht, Nr. 5/1980, S. 178-180.
- Freytag, Nils (2006): „‚Eine Bombe im Taschenbuchformat‛? Die ‚Grenzen des Wachstums‛ und die öffentliche Resonanz“. In Zeithistorische Forschungen, Online-Ausgabe, 3, H.3. Online verfügbar auf http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Freytag-3-2006 (letzter Zugriff am 29. Mai 2013)
- Meirick, Georg (1979): „Probleme der Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland“. In: Geographie und Unterricht, Nr. 3/1979, S. 84-98.
- Von Randow, Thomas (1978): „Ölkatastrophe – Bilanz der schwarzen Tide“. In: Zeit Online. Online verfügbar auf http://www.zeit.de/1978/16/oelkatastrophe-bilanz-der-schwarzen-tide/komplettansicht (letzter Zugriff am 29. Mai 2013)
- Lanz, Gerd/Sperlich, Gerhard (1981): Lernziel Energiebewußtsein, Frankfurt am Main, Heidelberg.
Autor | Christian Schäfer |
Zeitraum | Juni 2013 |