Vorbereitung des Auslandsaufenthaltes
Nach dem Abitur hatte ich begonnen zu reisen, und Freude daran gefunden. Deshalb stand für mich bereits bei der Suche nach meinem Studiengang fest, dass er einen Auslandsaufenthalt unterstützen muss. Der Einfachheit halber erwog ich nur Partneruniversitäten meines Studiengangs, der Europäischen Medienwissenschaft. Einige davon forderten Sprachkenntnisse in der jeweiligen Landessprache und schieden deshalb für mich aus. Bei den übrigen recherchierte ich zu den jeweiligen Standorten und entschied mich für die kleinste Stadt von allen: Pécs in Ungarn.
Nachdem meine Bewerbung in Potsdam angenommen wurde, musste ich mich nochmal offiziell bei der Gastuniversität bewerben, aber dabei handelt es sich eher um eine Formsache. Die Universität Pécs ‚reserviert‘ für internationale Studierende in ihrem ersten Jahr in Pécs einen Platz im Wohnheim. Mittels einer Bewerbung kann man diesen beanspruchen. Den Link und Informationen dazu sowie Informationen zu potenziellen Kursen bekam ich pünktlich per Mail zugeschickt. Gefühlt war die Bewerbung für die Gastuniversität deutlich einfacher als die Formalitäten bei der Universität Potsdam für den Erasmusaufenthalt generell. Aber die Informationsveranstaltungen und Sprechstunden des International Office halfen mir gut, mich zurecht zu finden.
Studium an der Gastuniversität
Da ich in Potsdam mein erstes Jahr fast ausschließlich online studiert habe, war das face-to-face Studium in Ungarn sehr neu für mich. Mein relativ freier Studiengang erlaubte es mir, Kurse aus verschiedenen Studiengängen zu belegen. Offiziell studierte ich in Pécs zwar Media and Communications, aber ich nahm auch Kurse in International Relations, English und Pedagogy. Allerdings fühlte ich mich besonders am Anfang oft, als wäre ich weniger gut als meine Mitstudierende. Mit der Zeit legte sich das Gefühl. Meine Kurse waren alle auf Englisch und nicht selten mit mehr internationalen Studierenden als ungarischen. Unsere Bildungswege waren zum Teil sehr verschieden, was zu interessanten Gesprächen und Gruppenarbeiten führte. Die Professoren und Mitstudierenden gaben mir jedenfalls nie das Gefühl, ‚hinterher‘ zu sein. Außerdem meldete sich, noch während ich in Deutschland war, meine Mentorin bei mir. Sie war Mentorin für bestimmt mehr als zehn Studierende aus verschiedenen Ländern. Wir hatten schon früh einen Gruppenchat, wo all unsere Fragen schnell und zuverlässig beantwortet wurden. Kurz bevor die Kurse begannen, trafen wir uns alle zu einer Campusführung. Hier lernte ich nicht nur den Campus kennen, sondern auch einen meiner besten Freunde in Ungarn. Der Unterricht in Ungarn war definitiv mehr Frontalunterricht, als ich aus Potsdam gewohnt war. Aber es gab auch einige (wenige) interaktive Kurse. Manchmal wurden Stunden auf Online-Unterricht verlegt. Nach einem Jahr Online-Unterricht auch in Ungarn war den Studierenden (und auch manchen Professoren) jedoch deutlich anzumerken, dass sie wenig Freude daran hatten. Weil ich aber meine Kurse aber (fast komplett) frei wählen konnte, interessierte mich mein Unterricht sehr und es war spannend. Zu einigen Themen, die ich bereits in Potsdam behandelt hatte, bekam ich eine ganz andere Perspektive in Ungarn. Ungewohnt war es für mich auch, in jedem Kurs eine Note zu bekommen. Statt sechs Noten wie in Deutschland gibt es in Ungarn nur fünf – fünf ist die beste, eins die schlechteste. In Vorlesungen bestand die Prüfungsleistung aus einer schriftlichen Prüfung. Manche davon waren online, andere face-to-face. Manche hatten multiple-choice-Fragen, andere Essay-Fragen. In den Seminaren mussten wir oft Vorträge halten und/oder kürzere Arbeiten schreiben. Hinzu kam die Mitarbeit im Semester. Generell wurde meist bereits am Anfang des Semesters erklärt, wie der Kurs benotet wird. Auch in Kursen von anderen Studiengängen war es für mich durch kontinuierliche Mitarbeit oder Vorbereitung nicht schwer, eine gute Note zu bekommen. Der organisatorische Papierkram bezüglich Studierendenausweis, Aufenthaltsregistrierung, Adressenkarte, usw. war trotz Informationsveranstaltungen und Infoblättern kompliziert und undurchsichtig. Wann man mit welchen Dokumenten wohin gehen sollte, war nicht leicht herauszufinden. Allerdings waren meine Mentorin und die Angestellten des International Office in Pécs immer hilfsbereit und freundlich. In Pécs gibt es mehrere Bibliotheken. Selbst habe ich sie nicht in Anspruch genommen, aber ich habe nur Gutes gehört. Die Universität hat außerdem Lizenzen für viele Online-Portale, sodass man auf viele wissenschaftliche Aufsätze zugreifen kann. Die Fakultät für Humanities and Social Sciences, wo ich die meiste meiner Zeit verbrachte, war eine der älteren. Aber man konnte auch problemlos die study rooms in anderen, moderneren Fakultäten benutzen. Während der study room im anderen Wohnheim (Szántó) gut besucht war, blieb der ausgeschriebene study room in meinem Wohnheim (Boszorkány) ein Mysterium – niemand hat ihn je gefunden.
Kontakt zu einheimischen und internationalen Studierenden
Wie bereits erwähnt, in meinen Kursen waren viele internationale Studierende, oft mehr als ungarische. Dafür war ich sehr dankbar, denn oft kannten sich die ungarischen Studierenden bereits gut und waren deshalb natürlich nicht auf der Suche nach neuen Freunden wie wir, die internationalen Studierenden, es waren. Es war sehr interessant, andere Sichtweisen zu erfahren. In Kursen vom Studiengang International Relations gab es manchmal Konfliktpotential, wenn es um aufgeladene Themen ging, aber die Diskussionen blieben immer weitestgehend sachlich. In der ersten Woche des Semesters veranstaltete der Erasmusverband eine Orientierungswoche, wo jeden Tag ein Event stattfand. Mit Stadtführung, Pub Crawl, Wanderung durch die Berge und Spa-Besuch war für jeden etwas dabei. Es war eine tolle Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen. Wir fuhren zusammen in den Urlaub, unternahmen kleine Ausflüge in der Stadt und trafen uns regelmäßig zum Kaffeetrinken oder Essengehen. Mein Wohnheim (Boszorkány) hatte acht Stockwerke. Die unteren zweieinhalb wurden von internationalen Studierenden bewohnt. Es gab Zweierzimmer, und zwei Zweierzimmer plus Kühlschrank, Duschraum und Toilette bildeten einen Block. Wer schon jemanden kannte, konnte beim Einchecken anfragen, mit der Person zusammenzuziehen. Ansonsten wurden die Zimmer relativ zufällig verteilt. Ich lernte sehr viele internationale Studierende kennen, aber deutlich weniger Einheimische. Es ist leicht, in einer ‚Erasmusblase‘ zu landen, aber das kann auch Teil des Charmes des Auslandsaufenthalts ausmachen.
Sprachkompetenz vor und nach dem Auslandsaufenthalt
In Ungarn sprach ich größtenteils Englisch. Meine Kurse waren auf Englisch, mit meinen Freund*innen und Mitbewohnerinnen unterhielt ich mich auf Englisch. Meine Englischkenntnisse waren bereits vor meinem Aufenthalt sehr gut. Aber ich bin mir sicher, dass das Studieren auf Englisch mein Selbstbewusstsein in der Sprache weiter gestärkt hat. Ich belegte auch Einführungskurse in Ungarisch. Der Unterricht fand zwei Mal in der Woche statt, teils online und teils face-to-face. Er war interaktiv und begleitet von multimedialen Lernangeboten und einem Arbeitsheft. Zwar habe ich mich selten getraut, Unterhaltungen auf Ungarisch zu probieren, aber es war eine große Hilfe in Supermärkten. Ich konnte auf Ungarisch mit den Kassierer*innen sprechen, nach Produkten fragen und die Produktbeschreibungen (die oft auf Deutsch auf der Verpackung waren, aber mit Ungarischen überklebt wurden) lesen. Die ungarische Sprache hat jedoch wenig Ähnlichkeiten zu anderen europäischen Sprachen. Das macht sie schwer zu lernen. Nach einem Semester hatte ich mehr als genug davon, aber einige Sprachbegeisterte blieben länger dabei. Viele Menschen in Ungarn sprechen Englisch, vor allem in Cafés und Restaurants. In administrativen Einrichtungen und ähnlichen war es in Pécs etwas seltener der Fall. Besonders, wenn die Angestellten etwas älter waren. Dafür konnten sie oft Deutsch sprechen. Im Notfall konnte ich mich immer mit einem Mischmasch aus Englisch, Deutsch und Ungarisch (und Google Übersetzer) verständigen.
Wohn- und Lebenssituation
Die Universität Pécs, wie bereits erwähnt, bietet internationalen Studierenden im ersten Jahr in Pécs einen Wohnheimplatz an. Die Wohnheime liegen (wie die Fakultäten) in unterschiedlichen Teilen der Stadt. Und sie sind auch unterschiedlich aufgeteilt. Bei meinem hatten wir das Bad im Block und mussten uns dafür die Küche mit der halben Etage teilen. Im anderen Wohnheim gab es Zimmer mit Küchenzeile, aber ohne Bad. Bei der Bewerbung konnte man Präferenzen mit angeben – und bei mir zumindest wurde dieser auch stattgegeben. Das Wohnheim war nicht nur eine sehr unkomplizierte Lösung, sondern mit ca. 110€ Miete auch eine sehr günstige. Es gab einen Geldautomaten, einen Schreibwarenladen, wo Dokumente gescannt und gedruckt werden konnten, eine Mensa, eine Bar und verschiedenste Automaten für Kaffee, Snacks und Drinks. Wer leicht neue Leute kennenlernen möchte, ist im Wohnheim am richtigen Platz. Wem die Privatsphäre wichtiger ist, der macht sich vielleicht besser auf die Suche nach einem Apartment. Für einen längeren Aufenthalt lohnt es sich, sich einen ungarischen Bankaccount (höchstwahrscheinlich bei otp: https://www.otpbank.hu/portal/hu/Maganszemelyek) zu besorgen. Ansonsten gibt es aber auch verschiedene Banken, bei denen Transaktionen im Ausland kostenlos sind. Meine Freund*innen beispielsweise waren bei Revolut (https://www.revolut.com/). Pro Woche gab ich um die 40€ für Lebensmittel aus. Hinzukamen die 110€ Miete. Im Restaurant gab ich ca. 10€ aus. Die Lebenserhaltungskosten sind in Ungarn geringer als in Deutschland. Wer im Wohnheim lebt und in günstigen Supermärkten wie Aldi oder Lidl einkauft, kann seine Ausgaben relativ gering halten. In Budapest hingegen zahlt man schon etwas mehr, wenn man ausgeht. Die öffentlichen Verkehrsmittel in den Städten sind modern und zuverlässig. Für Studierende gibt es 50% Rabatt auf alle Tickets (aber nur bei gültigem Studierendenausweis!) Das nationale Schienennetz ist allerdings nicht so gut ausgebaut. Die Züge sind ziemlich langsam und oft muss man erst (drei Stunden) nach Budapest fahren, um von dort in eine andere Stadt zu kommen. Aber auch die Zugtickets kosten nicht allzu viel. Wenn man etwas Geduld mitbringt, lohnt es sich auf jeden Fall. Obwohl Pécs eine eher kleinere Stadt ist, gibt es viel zu sehen und zu tun. Die Stadt hat einen schönen Altstadtkern mit einer Kathedrale, ehemaligen Moschee und einer Festung, die man besichtigen kann. Es gibt viele Cafés und Restaurants, auch mit vegetarischen (und etwas wenigeren veganen), koscheren and halal Optionen. Mit Bus kann man zu nahegelegen Seen (wie Lake Orfü) fahren, wo es verschiedene Sport-/Freizeitangebote gibt. Pécs hat auch einen Fernsehturm mit toller Aussicht und einem Restaurant an der Spitze. Die Stadt ist außerdem bekannt für Zsolnay-Keramik, die dort hergestellt wurde. Man kann sie als Schmuck an den Häusern in der Stadt verstreut finden. Es gibt neben dem Zsolnay-Museum auch weitere Kunst- und Kulturmuseen. Besonders im Sommer finden viele Events statt, wie Konzerte, Wein-Festivals und Märkte. Was Sport und Fitness angeht, kenne ich mich nicht so gut aus, aber es gibt auf jeden Fall eine Auswahl von Fitnesscentern und auch verschiedene Sportclubs von der Universität und der Stadt.
Studienfach: Europäische Medienwissenschaft
Aufenthaltsdauer: 09/2021 - 06/2022
Gastuniversität: Pécsi Tudományegyetem
Gastland: Ungarn
Rückblick
Wer sich noch etwas unsicher ist, ein Erasmussemester zu machen, weil es vielleicht außerhalb der Komfortzone ist, dem rate ich, den Sprung zu wagen. Ich selbst bin nicht der kontaktfreudigste Mensch, und ich genieße es durchaus, Zeit allein zu verbringen. Die Erasmus-Events und das Studentenleben bieten viele Möglichkeiten, neue Leute kennenzulernen und man trifft so viele, dass definitiv jemand dabei sein wird, mit dem man sich gut versteht. Aber an den Events teilzunehmen ist kein Muss. Nachdem ich ein paar Leute getroffen hatte, mit denen ich mich wohlgefühlt habe, bin ich weniger ausgegangen, und das passte sehr gut für mich. Für mich hat es sich als sehr gute Entscheidung herausgestellt, dass ich schon im zweiten Studienjahr ins Ausland gegangen bin. Denn obwohl der Studiengang in Ungarn ein Partnerstudiengang von der Europäischen Medienwissenschaft ist, war es zum Teil schwer, Kurse auszuwählen, die in unser Curriculum passen. Je mehr Stellen also noch offen sind, um sich etwas anrechnen lassen zu können, desto besser. Auch weil die Zahl der Modulabschlüsse, die man im Ausland erbringen kann, begrenzt ist. Zudem habe ich die Erfahrung gemacht, immer lieber zwei Mal nachzufragen, wenn es um benötigte Dokumente oder Deadlines geht. Denn manchmal wichen die Antworten von den Auslandskoordinator*innen von denen des International Office ab.