Hochschulpartnerschaft Erfahrungsbericht - Staatliche Baikal Universität Irkutsk
Als Studenten der Interdisziplinären Russlandstudien der Universität Potsdam, war dieser, vermeintlich letzter Aufenthalt im Rahmen des Studiums durch die Studienordnung vorgeschrieben. Meine Freundin und Kommilitonin Kristina Schlick und ich, hatten zuvor bereits eine Vielzahl an Aufenthalten in Russland gehabt. Darunter zählen bereits zwei Auslandssemester in Moskau, einen einmonatigen Sprachkursaufenthalt und eine zweimonatige Rundreise durch Russland und die Mongolei. Zur Auswahl für unser Auslandssemester standen die Standorte Moskau, St. Petersburg und Irkutsk zur Wahl. Da wir bereits viel Zeit in Moskau verbracht hatten, war uns von vorne herein klar, dass die einzige wirkliche Option Irkutsk sein würde – eine Stadt mitten in Sibirien, von welcher die meisten Menschen in Deutschland wahrscheinlich noch nie gehört haben. Der Baikal, die russische Provinz, das Paris von Sibirien mit über 300 Sonnentagen im Jahr, bei 35° im Sommer und exotischen Minustemperaturen im Winter, sowie die vermeintliche Nähe zur Mongolei und dem Fernen Osten Russlands, waren für uns mehr als genug Gründe an der BGU zu studieren. Die Studienkoordinatorin unseres Studiengangs kümmerte sich standartgemäß um die erste Kontaktaufnahme mit den jeweiligen Universitäten. Diese haben ebenfalls immer einen Ansprechpartner, ein International Office, oder sowas in der Art. Da es in unserem Fall vertraglich festgelegt ist, wie lange wir kommen und welche Kurse und Leistungspunkte wir absolvieren müssen, gab es an der BGU organisatorisch, wenig bis gar keine Probleme. Eine Bewerbung war ebenfalls nicht erforderlich. Nach der erfolgreichen Kontaktaufnahme seitens unserer Universität, wurden wir unkompliziert an unsere Ansprechperson an der BGU per Mail weitergeleitet. Im Vergleich zu früheren Erfahrungen, wusste man auch: Wer wir waren und warum wir da waren, als wir zu Semesterbeginn aufschlugen.
Bürokratische Hürden
Im vorherigen Sommersemester lebten Kristina und ich in Moskau, während wir unser vorgeschriebenes Pflichtpraktikum absolvierten. In dieser Zeit waren wir an der MGOU in Moskau eingeschrieben, welche sich um unsere Einladungen und Visa gekümmert hatte. Unser altes Studienvisum aus Moskau endete am 31.08.2017.
Unsere neue Einladung für das nächste Visum wurde von der BGU ausgestellt, diese war erst ab dem 01.09.2017 gültig. Um das Visum zu beschaffen mussten wir nach Deutschland zurückfliegen.
Unsere Jacken, Schuhe, Lebensmittel, Haushaltsgegenstände, sprich: Alles was man so zum Leben braucht – ließen wir in unsere Wohnung, um die vielen Koffer nicht teuer zwischen Moskau und Berlin hin und her zu fliegen. Doch, als wir in Berlin unser neues Visum beantragen wollten, fuhren wir mit voller Fahrt gegen die starre Gewalt der russischen Einwanderungsgesetze.
Es stellte sich heraus, dass man nicht gleichzeitig zwei gültige Visa für die Russische Föderation in einem Reisepass haben darf. Leider war das International Office der BGU ebenfalls im Sommerurlaub, eine neue Einladung zu beschaffen ging also auch nicht – doch wir mussten vor dem 01.09. Einreisen um unsere Sachen aus Moskau nach Irkutsk zu bringen. Unsere einzige Option blieb einen zweiten Expressreisepass zu beantragen, mit diesem beantragten wir ein Touristenvisum um unseren Umzug zu bewältigen. Parallel dazu beantragten wir mit unserm alten Pass das Studentenvisum. Wir waren nicht sicher ob es funktionieren würde, doch zum Glück hatten wir keine Probleme.
Mit 400 Euro weniger in der Tasche saßen wir im Flugzeug nach Moskau. In Moskau hatten wir einen Tag unsere Krankenakte zu besorgen, mit dieser würden wir uns den obligatorischen Krankencheck für ausländische Studenten sparen. (Alle Ausländischen Studenten werden auf HIV, Hepatitis und Tuberkulose überprüft.) Abends stiegen wir dann mit unseren sieben Sachen in die Transsibirische Eisenbahn. In der Bahn gibt es nämlich keine Gewichtsbegrenzung, sehr praktisch wenn man 8 Taschen hat.
Irkutsk
Nach 3 und halb Tagen Zugfahrt kamen wir in Irkutsk an. Wir fuhren direkt zum Irkutsk Hostel am Stadtrand. Die Gaststäte wurde uns von Kommilitonen aus dem höheren Semester empfohlen, sie vermietet Einzimmerwohnungen mit Küche und Bad für umgerechnet 160 Euro im Monat. Ein 24-Stunden Supermarkt war 5 Minuten um die Ecke und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die in Russland typischen „Marschrutkas“, war man innerhalb von 20 Minuten an der Uni. Eine Fahrt kostet 15 Rubel also ungefähr 21 Cent. Nach 21 Uhr kann man nur noch Taxi fahren, doch mit 3 Euro kommt man durch die ganze Stadt – für Berliner eine skurrile, aber angenehme Erfahrung.
Eine Gruppendusche für 100 Studenten, Ausgangsperre nach 24 Uhr und Stubenkontrollen schreckten uns von einem erneuten Wohnheimbesuch ab. Entscheidend war allerdings, dass wir als Mann und Frau nicht zusammenleben durften. Mit Mitte/Ende zwanzig war das zu viel für uns. Aus diesem Grund wussten wir von Anfang an, dass wir unsere eigenen 4 Wände brauchten.
An sich war unsere gemietete kleine Wohnung durchaus behausbar. Wir kamen auch so ein Stück weit näher an die „Realität“ in Russlands Wohnzimmern. Einmal fanden wir unsern Nachbar besoffen und ohnmächtig vor seiner Tür. Er war zu betrunken um den Schlüssel in die Tür zu bekommen. Auch die gelegentliche häusliche Auseinandersetzung drang durch die Wände zu uns hinüber. Das schlimmste waren die Kakerlaken, welche aus den angrenzenden Wohnungen hinüberkrochen. Am Anfang fanden wir es nicht so dramatisch, doch als wir schließlich eine in unserem Bett entdeckten, waren wir am Ende unserer Nerven. Mit der Hilfe von Youtube kann man sich selber sehr schnell als Kammerjäger ausbilden. Nach ein paar Wochen und reichlich Gift waren wir das Problem wieder los.
Geldabheben funktionierte vollkommen in Ordnung dank meiner Visakarte von der Berliner Sparkasse, andere Kommilitonen sind hervorragend mit der Visa Karte von der DKB gefahren. An sich kann man überall, in jedem kleinen Geschäft, mit Karte bezahlen. Die Lebenskosten in Irkutsk sind im Supermarkt ähnlich wie in Berlin. Das, was man aus Europa kennt, war schon sehr Teuer. Milchprodukte waren Teurer und guter Käse war fast unmöglich zu finden. Auf der anderen Seite, konnte man sehr gut und billig Mittag essen. Es gab ausgezeichnete Cafés in der Innenstadt, die alle fußläufig zu erreichen waren. Im Zentrum der Stadt gibt es einen riesigen Markt. Dort konnte man allerhand selbstangebautes Gemüse frisch kaufen von uralten russischen „Babuschkas“ und frisches usbekisches Brot aus dem Steinofen. Auf dem Markt konnte man gut Geld sparen, obwohl man am Anfang versucht hat uns abzuzocken, weil wir Ausländer sind. Mit guten russisch Kenntnissen und einer Portion Sturheit, kann man sich aber relativ einfach durchsetzen.
Irkutsk liegt an dem tiefsten Frischwassersee der Welt. Der Baikal bietet sich als riesiger Abenteuerspielplatz an. Durch unsere verfrühte Anreise, haben wir die Insel Olchon auf dem Baikal erkundet, auch die umliegenden Städte und die Natur sind empfehlenswert. China, die Mongolei oder der Ferne Osten Russlands sind nur wenige Flug-Stunden entfernt. In Irkutsk selber kann man an diversen Aktivitäten teilnehmen. Man kann Sport machen, Essen oder ins Kino gehen, sich einer Wandergruppe anschließen, oder im Uni-Chor mitsingen.
Die Gastuniversität
Die Staatliche Baikal Universität Irkutsk (BGU) war einer der besten Universitäten, die wir bisher in Russland gesehen haben. Die Ausstattung war, obwohl typisch Russisch-Rustikal (auf die Toiletten mag man sich wirklich nicht setzen), in sehr gutem Zustand. Für die Interdisziplinären Russlandstudien hatten wir ein Studienbuch, welches benötigt wurde um die passenden Vorgaben, Kurse und Module für unsere Studienordnung zu erfüllen und um diese später dem Prüfungsamt vorzulegen. Die Ansprechpartner vom International Office an der BGU, hat für uns eine Liste mit den passenden Kursen für die jeweiligen Module erstellt. Aus dieser Liste konnten wir dann, die für uns relevanten und interessanten Kurse heraussuchen.
Vom ersten Tag an in der Uni wurden wir überschwänglich begrüßt. Die Dozenten waren sehr Hilfsbereit und interessiert an uns. Als ausländische Studenten bekamen wir nochmal eine Sonderbetreuung für unsere Abschluss Projekte. Der Unterricht war komplett auf russisch, ohne Unterbrechung und ohne Gnade. Trotzdem hat man sich bemüht, dass wir mitkommen. An sich war es eine sehr angenehme Arbeitsatmosphäre.
Die Studenten in Russland sind deutlich jünger als wir. Kristina und ich sind 26 und 27 Jahre alt. Im Vergleich dazu waren die ältesten russischen Studenten 23 und die jüngsten 18. Da war schon ein unterschied in der Mentalität zu spüren. Nach dem Unterricht hatten wir nur mit wenigen russischen Studenten engeren Kontakt. Ich denke, die Meisten waren zu verschlossen oder schüchtern, auch wenn man während des Unterrichts ein deutliches Interesse an uns gezeigt hatte.
Spracherwerb
Im Abschluss kann ich sagen, dass sich unsere Sprachkompetenz deutlich gesteigert hat. Ich weiß noch: Wie ich vor 4 Jahren, mit einem Semester russisch, nach Moskau gekommen bin und nicht ein einziges Wort von den Lautsprecheransagen in der Metro verstanden habe. Ich konnte nicht mal unterscheiden, wann eine Silbe endet und die andere beginnt. Jetzt nach dem Semester in Irkutsk, konnten wir Vorlesungen folgen und wissenschaftliche Vorträge halten. Ein unglaublicher Leistungssprung. Sicherlich, haben wir noch unsere Schwierigkeiten, besonders wenn es um Fachterminologien geht, mit denen wir bisher noch nichts zu tun hatten. Trotzdem, durch das Studium und Leben in Irkutsk haben wir einen spürbaren Sprung gemacht. Ich kann jedem nur empfehlen, der Russisch als Fremdsprache lernt, Zeit im Ausland zu verbringen. Ich glaube im letzten Jahr habe ich so mehr gelernt und erlebt, wie in meinem gesamten vorherigen Leben. Es war schwierig, es gab Momente wo man einfach nur nach Hause wollte, wo die Motivation abklang und man in einem tiefen Loch gefangen war, doch diese Zeit ging vorbei und dann wusste man auch wieder warum man das alles macht. Man macht es für sich selbst: Um zu wachsen – und dass sind wir auf jeden Fall.
Finanzielle Hindernisse
Einen letzten Hinweis habe ich noch: Man sollte den finanziellen Aufwand für ein Studium in Russland bzw. im Ausland generell nicht unterschätzen. Auch unter anderem, weil das Studentenwerk Chemnitz in seiner Sachbearbeitung nicht das schnellste ist. Das Studentenwerk Chemnitz ist zuständig für alle Studenten, welche für Russland BAföG beantragen müssen. Andere Kommilitonen mussten mehrere Monate ohne Geld im Ausland leben. Zum Teil kommt das BAföG erst nach dem man wieder in Deutschland ist. Die Kosten, welche mit einem Auslandssemester verbunden sind, sind auch mit BAföG nicht zu unterschätzen. Visa, Flüge, Unterkunft, Gebühren, Bekleidung für den Winter, Miete, Lebenskosten, laufende Kosten zuhause, sind alle nicht zu vergessen.
Studienfach: B.A. Interdisziplinäre Russlandstudien
Aufenthaltsdauer: 09/2017 - 12/2017
Gastuniversität: Staatliche Baikal Universität Irkutsk
Gastland:Russland
Rückblick
Ansonsten sollte man sich aber nicht davor fürchten. Ein Auslandssemester in Irkutsk, oder in Russland ist das Beste was man machen kann.